Marcus Lippe |
|
||||
Der Krieg, das Recht und die Interessen | Heft
2/2003 Ohne Substanz Drogenpolitik Seite 60-62 |
||||
Eine Analyse zum Irakkrieg |
Am 15. Februar 2003 gingen in Berlin etwa eine halbe Million Menschen
auf die Straße, um gegen den drohenden Irakkrieg zu protestieren. Die
Gründe der Teilnahme scheinen sehr unterschiedlich zu sein. Neben denen,
die sich grundsätzlich gegen jeden Krieg wenden, und solchen, die ihre
Antikriegsposition mit Kapitalismuskritik verbinden oder einfach den Kriegskurs
der Bush-Administration ablehnen, war auch ein nicht unerheblicher Teil
an DemonstrantInnen dabei, die der Bundesregierung den Rücken stärken
wollten. Folgerichtig waren Sprüche wie "weiter so, Gerd" zu lesen. Die
Inszenierung der Bundesregierung als altruistischem Retter des Völkerrechts
und Bewahrerin von Menschenrechten und Humanität einerseits und der USA
als ausschließlich an wirtschaftlichen Interessen und reinem Machtgewinn
interessierte Kriegstreiber andererseits scheint bei diesen DemonstrantInnen
ihre Wirkung erzielt zu haben. Die deutsche Kriegsbeteiligung... Zwar beteiligen sich deutsche Soldaten nicht unmittelbar an Kampfhandlungen, aber sie werden zur Entlastung von US-Soldaten eingesetzt. Die AWACS-Aufklärungsflüge finden mit teilweise deutscher Besatzung über der Türkei statt. Dabei wird mit der Reichweite der Radareinrichtung auch der irakische Luftraum mitüberwacht. Die hierbei ermittelten Informationen können für Kriegseinsätze verwendet werden. Die deutschen Spürpanzer, die im Rahmen des Kampfes gegen den Terror nach Kuwait verlegt worden sind, stehen noch immer dort und zu ihrer Sicherheit sollen nun zusätzliche Soldaten bereitgestellt werden. Außerdem wurde die Erlaubnis erteilt, dass die USA in großem Umfang Truppen und Kriegsmaterial über das deutsche Staatsgebiet transportieren können. Selbst für die Angriffe werden die Überflugrechte nicht entzogen. Insbesondere zur Rechtfertigung der Transporte und der gewährten Überflugrechte werden internationale Verträge und Verpflichtungen angeführt. Soweit es sich um eine juristische Rechtfertigung handelt, ist sie schlichtweg falsch. Nach Artikel 1 des Nato-Vertrages haben sich alle Nato-Staaten verpflichtet, sich in ihren internationalen Beziehungen jeder Gewaltandrohung oder Gewaltanwendung zu enthalten, die mit den Zielen der Vereinten Nationen nicht vereinbar sind. Artikel 51 UN-Charta gewährt "im Falle eines bewaffneten Angriffs" das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung, bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat. Dabei muss die Anwendung von Waffengewalt durch den Angreifer bereits erfolgt sein, ehe militärische Verteidigungsschläge zulässig sind. Selbst wenn mensch die Ansicht einiger Staaten gelten läßt, die ein "präventives Selbstverteidigungsrecht" aus dem Völkergewohnheitsrecht ableiten und es somit für völkerrechtskonform halten, so ist dieses nur in engen Grenzen zulässig. Es gilt nur in Fällen, in denen eine eindeutige und gegenwärtige gravierende Gefahr besteht, die nicht durch andere Mittel abgewehrt werden kann. Der angebliche Besitz von verbotenen Massenvernichtungswaffen durch den Irak stellt wohl kaum eine solche eindeutige und gravierende Gefahr dar. Selbst die Bush-Administration behauptet nicht, dass Saddam Hussein unmittelbar im Begriff ist, Massenvernichtungswaffen einzusetzen. Daraus folgt, dass der Irakkrieg nicht ein durch Artikel 51 UN-Charta gerechtfertigter "Präventivkrieg" ist. Da ein völkerrechtswidriger Krieg rechtlich niemals Verpflichtungen innerhalb der Nato begründen kann, liegt mit dem Krieg gegen den Irak auch kein "Nato-Bündnisfall" nach Artikel 5 des Nato-Vertrages vor. ...und das Recht Genauso wenig kann von einer generellen Bewegungsfreiheit der in Deutschland
stationierten US-Streitkräfte die Rede sein, welche Überflugrechte auch
dann begründen könnte, wenn der Irakkrieg völkerrechtsmäßig wäre. Im Zuge
der Neufassung des Zusatzabkommens zum Nato-Truppenstatut 1994 (ZA-NTS
1994) ist festgelegt worden, dass die in Deutschland stationierten US-Streitkräfte
grundsätzlich jeweils einer Genehmigung durch die deutsche Bundesregierung
bedürfen, wenn sie mit Land-, Wasser- oder Luftfahrzeugen in die Bundesrepublik
"einreisen oder sich in und über dem Bundesgebiet bewegen" wollen (Artikel
57 Absatz 1 Satz 1 ZA-NTS 1994). Allerdings wird diese grundsätzliche
Genehmigungspflicht im gleichen Artikel teilweise wieder eingeschränkt,
indem sie die im Nato-Rahmen stationierten US-Truppenteile davon ausnimmt.
Wollen dagegen anderweitig in den USA stationierte US-Truppenteile mit
Luftfahrzeugen etwa auf ihrem Weg in den Nahen Osten in Deutschland lediglich
den deutschen Luftraum - ohne "Nato-Auftrag" - benutzen, bleibt es bei
der grundsätzlichen Genehmigungsbedürftigkeit. Deshalb ist entscheidend,
welche Rolle die Nato in einem solchen Krieg einnimmt.2
Diese konnte sich bisher nur auf eine Unterstützung der Türkei für den
Kriegsfall einigen. Die Bundesregierung hätte also rechtlich durchaus
die Möglichkeit, die Truppenbewegungen und Überflüge zu verhindern. Es
fehlt ihr allein am politischen Willen. Diplomatische Verwicklungen Dieses hat sich in den letzten Jahren deutlich abgekühlt. Immer mehr
Konliktfelder traten auf - seien es Handelskonflikte innerhalb der WTO,
die Streitigkeiten um das Kyotoprotokoll oder die Auseinandersetzungen
um den Internationalen Strafgerichtshof. Lediglich auf der militärischen
Ebene im Rahmen der Nato schien mit der Veränderung der Nato-Doktrin 1999,
die im Kosovokrieg gleich in die Tat umgesetzt wurde, große Einigkeit
zu bestehen.3 Nun findet auch hier eine
Abkühlung statt. Insoweit stellt die Auseinandersetzung um den Irakkrieg
nur eine weitere Eskalationsstufe in einem konfliktbeladenen Verhältnis
dar. Gleichzeitig befinden sich noch acht US-Militärstützpunkte auf deutschem
Boden und es wird auf eine jahrelange enge Zusammenarbeit zurückgeblickt.
Diese wird nicht von heute auf morgen aufgegeben werden. Ölkontrolle versus Handelsbeziehungen Bei erster Betrachtung der us-amerikanischen Interessen stößt mensch zunächst einmal auf die Ölvorkommen in der Region. Im Irak liegen 113 Milliarden Barrel Öl (ein Barrel entspricht 159 Litern). Das sind fast 11 Prozent der Welt-Ölreserven.4 Es erscheint nur logisch, dass dies in einer US-Administration, deren gewichtiger Teil vorher in der Energieindustrie tätig war, Begierlichkeiten weckt, auch wenn der Zugriff auf dieses Öl kurzfristig nicht ganz einfach ist. Aufgrund der maroden Förderanlagen des Iraks gehen amerikanische Ölexperten davon aus, dass fünf Jahre vergehen dürften, bevor der Irak wenigstens vier Millionen Barrel pro Tag produziert. Das ist die Hälfte dessen, was Saudi-Arabien schon heute auf den Markt spült.5 Dem stehen die kurzfristigen Kriegskosten gegenüber. Laut Berechnungen des US-Ökonomen William Nordhausen, würden die militärischen Kosten bei einem kurzen Krieg bei rund 50 Milliarden US-Dollar liegen und damit etwa bei der Hälfte der volkswirtschaftlichen Gesamtkosten von 100 Milliarden Dollar. Bei einem längeren, schwierigeren Krieg beliefen sich die Kriegskosten auf 140 Milliarden und die zu erwartenden Gesamtkosten auf 1,9 Billionen Dollar.6 Aus einer kurzfristig angelegten ökonomischen Betrachtung heraus, erscheint das Öl kein Interessensgrund der US-Regierung zu sein. Betracht mensch aber eine längerfristige Perspektive, ergibt sich ein anderes Bild. Die USA besitzen nur 3,4 Prozent der weltweiten Ölreserven, wobei ihr Ölbedarf immer noch steigt.7 Sie stehen gleichzeitig im kapitalistischen Konkurrenzverhältnis mit anderen Staaten um die besten Standorte. Wenn die USA ein Protektoratsregime installierten, wäre es denkbar, dass sie das Öl von dort verbilligt erhalten würden.8 Der US-Regierung wäre es so möglich, die niedrigen Öl- und Benzinpreise des amerikanischen Marktes zu halten, die zur Zeit noch durch die zuneige gehenden eigenen Ölvorkommen gehalten werden. Letzteres wird eben nicht auf dem Weltölmarkt eingekauft, sondern wird zu günstigeren Konditionen auf dem amerikanischen Markt angeboten. Daneben hätten die USA einen Vorteil gegenüber den anderen Konkurrenten, die weiter zu Weltmarktpreisen einkaufen müßten. Und schließlich würde die us-amerikanische Wirtschaft unabhängiger von den saudischen Öllieferungen werden. Saudi-Arabien gilt in den USA als unsicherer Verbündeter und Öllieferant, seitdem bekannt geworden ist, dass die meisten Attentäter der Anschläge vom 11. September 2001 aus dem Land stammen. Deutsches Handelswesen Genauso wie es denkbar ist, dass die US-Regierung sich einen Vorteil im Bereich der Rohstoffversorgung verschaffen will, erscheint es nicht abwegig, dass die Bundesregierung dies zu verhindern sucht. Die bundesdeutschen Ölimporte sind zwar recht unabhängig vom Golf, gleichwohl muss der Weltmarktpreis bezahlt werden.9 Daneben treten Handelsbeziehungen in der Region, die durch eine Destabilisierung gefährdet wären. Diese betreffen weniger den Irak selbst, in dem die deutsche Industrie 2001 bei einem Exportvolumen von etwa 638 Milliarden Euro lediglich für 335,8 Millionen Euro exportierte, sondern vielmehr die Nachbarstaaten Iran und Syrien, für die die BRD wichtigster Aussenhandelspartner ist. Diese könnten, wenn der Bush-Administration glauben geschenkt wird, als nächstes auf deren Abschussliste stehen. Zumindest der Iran ist auch als Teil "der Achse des Bösen" bezeichnet worden. Daneben tritt ein möglicher Imagegewinn für die Deutschen in der gesamten arabischen Welt, der den Handelsbeziehungen auch nicht abträglich sein dürfte. Dies stellt auch ein erheblichen Vorteil gegenüber einer bedingungslosen Kooperation mit den USA dar. Diese führte nämlich im zweiten Golfkrieg Anfang der 90er Jahre dazu, dass die BRD zwar 60 Milliarden Dollar an Kriegskosten bezahlte, aber beim Wiederaufbau Kuwaits nicht beteiligt wurde. Keine noch größere Abhängigkeit Die Kontrolle des Öls hätte noch eine weitere Konsequenz. Wenn die US-Regierung
die wesentlichen Ölvorkommen noch stärker kontrollierte als es jetzt schon
der Fall ist, gerieten alle Staaten, die auf den Öl-Import angewiesen
sind, in eine noch größere ökonomische Abhängigkeit zu den USA. Es wird
also Machtpolitik über die Kontrolle eines Rohstoffes betrieben. Auch
dieser Ausweitung der Hegemonie könnte sich die BRD mit Frankreich und
Russland entgegenstellen wollen. Aufgrund ihrer militärischen Unterlegenheit
sind sie auf Kooperation mit den entsprechenden Regimen, in diesem Fall
mit dem von Saddam Hussein angewiesen. Offiziell werden solche Kooperationen
"Wandel durch Handel" genannt. Im Irak waren sie trotz des UN-Embargos
so erfolgreich, dass sich hier der deutsche Exportumfang im Jahr 2001
im Vergleich zum Vorjahr verdoppelte.10
Ein Krieg würde diese Kooperation unmöglich machen und genau darauf zielt
die US-Politik auch ab. Gegen Krieg und Bundesregierung Unabhängig von den beschriebenen Konfliktlinien, ist es notwendig sich gegen diesen Krieg zu stellen. Denn dieser verursacht Millionen Flüchtlinge und mehrere hundertausend Tote. Ferner droht angesichts der fragmentierten Opposition im Irak ein sich anschließender Bürgerkrieg.14 Mangels emanzipatorischer Perspektive und der mit der Durchsetzung des Krieges einhergehenden endgültigen Demontage des Völkerrechts, welches bislang zumindest in den Fällen, in den die die mächtigen Staaten sich nicht einig waren, den Schwächeren schützte, kann es nur eine Antikriegsposition geben, die die wenig friedlichen Interessen der Bundesregierung benennt und die Widersprüche anprangert. Marcus Lippe ist Redakteur von Forum Recht und hat die entschiedene Antikriegsposition der Redaktion zum Anlaß genommen, den Irak-Konflikt zu analysieren. Anmerkungen 1 vgl. Wetzel, Krieg ist Frieden, S. 89; Frankfurter
Rundschau (FR), Es begann mit einer Lüge, vom 12.02.2001. |