Sonja Staack |
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Verantwortungslosigkeit per Staatsvertrag? | Heft
2/2004 freie Leere Bildung für den Wettbewerb Seite 47-48 |
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Zur Debatte um ein Akkreditierungssystem für neue Studiengänge |
Flexibel und innovationsfördernd sollte es sein, beweglicher und transparenter
als bestehende Gremien: Vor vier Jahren wurden die Weichen gestellt, um
Rahmenprüfungsordnungen sowie die fachlich-inhaltlichen Aspekte staatlicher
Genehmigungsverfahren für neue Studiengänge durch ein Akkreditierungssystem
zu ersetzen. Mit der probeweisen Einführung eines Akkreditierungssystems übertrug
die Kultusministerkonferenz (KMK) zum 1.1.2000 Kompetenzen der fachlich-inhaltlichen
Überprüfung neuer Studiengänge von staatlichen Institutionen auf privatrechtlich
organisierte Akkreditierungsagenturen. Ein Akkreditierungsrat auf Bundesebene
akkreditiert wiederum die Agenturen und beobachtet deren Akkreditierungspraxis
(ohne dass ihm allerdings wirkungsvolle Sanktionsmechanismen zur Verfügung
stünden). Allgemeine Mindeststandards für Studiengänge aller Fächer werden
vom Akkreditierungsrat zentral formuliert, die weitere Ausgestaltung der
Kriterien liegt bei den einzelnen Agenturen. Akkreditierung als Partizipationsmodell Durch die Etablierung des Akkreditierungssystems wird die Entscheidungsmacht
darüber, welche Inhalte Studium und Lehre obligatorisch, fakultativ oder
gar nicht berücksichtigen sollen, faktisch an Institutionen abgegeben,
die sich demokratischer Kontrolle weit gehend entziehen. Direkter politischer
Durchgriff wird dadurch insbesondere jenen gewährt, die sich im Hochschulbereich
bereits Machtpositionen erarbeitet haben. Hier sind im wesentlichen die
ArbeitgeberInnenverbände sowie die wissenschaftlichen Fachverbände zu
nennen, welche auch HauptträgerInnen der bereits bestehenden Akkreditierungsagenturen
sind. Abschied von öffentlicher Verantwortung Die Perspektive, aus der die Agenturen ihren prüfenden Blick auf die Anträge der Hochschulen bzw. Fachbereiche werfen, wird durch die Strukturen des Systems (mit)geprägt. Da stets nur ein einzelnes Studienprogramm zur Begutachtung vorliegt - selbst bei gebündelten Verfahren einer gesamten Hochschule werden die Studiengänge unterschiedlichen Gutachterteams vorgelegt - muss die Bewertung fast zwangsläufig um so besser ausfallen, je weniger Studierende für den betreffenden Studiengang zugelassen werden (bessere Betreuungsrelation, mehr Bücher/Computer/Laborräume pro StudentIn etc.). Überlegungen zum regionalen Bedarf an bestimmten Studienplätzen sind dagegen systemfremd, es gibt im Akkreditierungssystem keine Institution, die Gesamtbetrachtungen dieser Art zur Aufgabe hätte - oder gar Verantwortung für die Gesamtentwicklung des Studiensystems übernehmen würde. Zielsetzungen wie eine Öffnung des Hochschulzugangs sind in den Strukturen des Akkreditierungssystems nicht verankerbar. Tatsächlich bilden Bachelor- und Masterstudiengänge mittlerweile 15 % des gesamten Angebots an Studiengängen in Deutschland, während nur 3 % der Studierenden in Bachelor- oder Masterstudiengängen immatrikuliert sind.2 Die Struktur des Akkreditierungssystems unterstützt den allgemeinen Trend zu einer Reduzierung der Studienplätze zugunsten von besseren Studienbedingungen für eine kleine Elite. Der Übergang zum Akkreditierungssystem bedeutet gleichzeitig einen Übergang von der ex-ante- zu einer ex-post-Überprüfung neuer Studiengänge: Wurden früher Studiengangkonzepte vor der Zulassung erster Studierender anhand der Rahmenprüfungsordnungen durchleuchtet, findet die Begutachtung heute in aller Regel erst statt, wenn bereits erste Erfahrungsberichte vorliegen. Das Reformrisiko tragen die betroffenen Studierenden. In entsprechender Weise wird auch das Problem der ungeklärten beruflichen Perspektive von Bachelorabsolventinnen und -absolventen gehandhabt: Wenn erst eine Welle dieser Absolventinnen und Absolventen den Arbeitsmarkt überrollt habe, so die übliche Argumentation der BefürworterInnen, werde das Angebot schon eine entsprechende Nachfrage schaffen - welche sich bislang allerdings keineswegs abzeichnet. An die Stelle öffentlicher Verantwortung treten hier 'Eigenverantwortung' und Verunsicherung der Betroffenen als zentrale Elemente neoliberaler Politik. Zwischen Marktlogik und politischem Gestaltungswillen Ungeklärt ist nach wie vor das Verhältnis zwischen Akkreditierungsrat
und -agenturen. Während kaum zu leugnen ist, dass die Agenturen die 'eigentliche
Arbeit' des Akkreditierungssystems erledigen, wird insbesondere von einigen
Mitgliedern des Akkreditierungsrates, aber auch von einigen StaatsvertreterInnen,
für eine starke Rolle des Akkreditierungsrates gekämpft - wohl auch, um
letzte politische Gestaltungsräume doch noch zu erhalten. Allerdings mit
zweifelhaftem Erfolg: Zwar wird der Akkreditierungsrat für den geplanten
Staatsvertrag als 'repräsentative Instanz des deutschen Akkreditierungssystems'
gehandelt. Die konkrete Arbeit des Akkreditierungssystems kann dieses
Bild jedoch bislang nicht unterstützen. Unsicherheit als politisches Steuerungsinstrument Die zahlreichen Kriterienkataloge, die von einzelnen Agenturen entwickelt wurden, sind mittlerweile für kaum jemanden mehr überblickbar. Da außerdem die Qualität von Studiengängen keine objektiv messbare Größe ist, kommt den GutachterInnen (peers), die von der Agentur für den konkreten Studiengang eingesetzt werden, große Bedeutung zu. Als Bewertungsgrundlage diene deren gemeinsame Einbindung in den "fachlichen Konsens", so befand die KMK im März 2002. Für die Planenden vor Ort sind die Maßstäbe eines Akkreditierungsverfahrens somit kaum berechenbar. Andererseits stellt ein zweiter Akkreditierungsversuch einen Fachbereich in aller Regel vor unlösbare finanzielle Probleme. Die Bereitschaft zur Entwicklung vom "fachlichen Konsens" abweichender Studienprogramme ist entsprechend gering. Das Machtwort "das geht nicht, dann wird das nicht akkreditiert" ist wohl nicht nur zu einem der häufigsten Zitate aus Studienreformkommissionen, sondern auch zum Anlass frustrierten Aufgebens vieler aktiver Studierender geworden. In die Akkreditierungsverfahren selbst werden Selbstverwaltungsgremien und Interessenvertretungen vor Ort in den seltensten Fällen eingebunden, was der Mystifizierung der Verfahren weiter Vorschub leistet und dem erklärten Ziel der Transparenz diametral entgegenläuft. Der entstehende Markt für die Bewertung von Studiengängen wird in der Tendenz immer den Mainstream verstärken: Da die Akkreditierungsagenturen nicht das geringste Motiv haben, vorausschauender oder weniger konformistisch zu sein als alle anderen, werden sie genau das für gut und wichtig erklären, was gerade im Trend liegt. Die Hochschulen werden auf die Berichte und auf gelobte Studiengänge schauen, deren Konzept als Garantie für Anerkennung und Erfolg gilt - und deren Popularität hierdurch nochmals anheben. Aktuell noch bestehende 'Nischen' alternativer Studienkonzepte geraten somit schnell auf die Abschussliste. Die neuen Steuerungsmechanismen könnten damit einen Konformitätsdruck schaffen, von dem ministerielle Kontrollmechanismen nur hätten träumen können. Für eine qualitative Studienreform Dass von der Etablierung des Akkreditierungssystems bislang kein signifikanter Schub für eine qualitative Studienreform ausging, mag vor dem Hintergrund des oben Gesagten kaum verwundern. Bemerkenswert ist hingegen, dass die Kultusministerinnen und -minister den Status Quo offensichtlich für so überzeugend halten, dass sie ihn per Staatsvertrag verewigen wollen. Der Ruf nach einer 'Qualitätsoffensive' im Hochschulbereich wird damit auf den allgemeinen Ruf nach Entstaatlichung, Deregulierung und marktförmigen Strukturen reduziert. Um jenseits des Mainstreams und vermeintlicher Arbeitsmarktzwänge über eine qualitative Studienreform debattieren zu können, brauchen wir stattdessen demokratisch legitimierte Gremien, in denen gesellschaftliche Interessenkonflikte nicht auf dem Markt entschieden, sondern als solche inhaltlich verhandelt werden. Sonja Staack, Hamburg, ist studentisches Mitglied im Akkreditierungsrat. Anmerkungen: 1 Vgl. Statistik des Akkreditierungsrates, www.akkreditierungsrat.de
(01.02.2004). |