Ron Steinke |
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"Ein Mann, der mit einem anderen Mann..." | Heft
2/2005 mehr Theorie wagen Ansätze der Rechtskritik Seite 60-63 |
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Eine kurze Geschichte des § 175 in der BRD |
Am 17. März 2002 beschloss der Bundestag die juristische Rehabilitierung
von Männern, die vor NS-Gerichten als Homosexuelle verurteilt worden waren.
Durch eine Ergänzung des "Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer
Unrechtsurteile" wurden damit zumindest die rechtlichen Folgen von Urteilen
aufgrund des Verbrechenstatbestandes der "Unzucht zwischen Männern" aufgehoben
und den Opfern, so diese es noch erleben konnten, ein Stück der lange
verwehrten Anerkennung zugestanden.1 Urteile bundesdeutscher Gerichte
in Sachen "Unzucht zwischen Männern" hingegen blieben unangetastet und
sind es bis heute. Diese Differenzierung verwundert, behielt doch der
die Homosexuellen kriminalisierende Paragraph seine Wirkung auch nach
dem Ende des "Dritten Reiches" bei. Homosexuelle zu Verbrechern Die Fassung des § 175 StGB, die in der Bundesrepublik bis 1969 fort galt,
ging zurück auf das Jahr 1935. Eine Betrachtung der Geschichte des Paragraphen
muss folglich dort ansetzen: Im Jahr, als neben den Nürnberger Rassengesetzen
auch die nationalsozialistische "Strafrechtsnovelle" verabschiedet wurde.
"Ein Mann, der mit einem anderen Mann Unzucht treibt oder sich von ihm
zur Unzucht missbrauchen lässt, wird mit Gefängnis bestraft. Für den Begriff der "Unzucht" lieferte das Reichsgericht die Definition. Danach konnte gestraft werden, wenn "objektiv das allgemeine Schamgefühl verletzt und subjektiv die wollüstige Absicht vorhanden [war], die Sinneslust eines der beiden Männer oder eines Dritten zu erregen." Eine gegenseitige Berührung erforderte dies nicht2. Ein neu geschaffener § 175a StGB erfasste zudem so genannte qualifizierte Fälle - die Ausnutzung von Zwängen, sexuelle Handlungen mit Männern unter 21 Jahren und die männliche Prostitution - und bedrohte sie als "schwere Unzucht" mit Zuchthaus zwischen einem und zehn Jahren. Kontinuität in den fünfziger Jahren Als mit Inkrafttreten des Grundgesetzes (GG) die Bundesrepublik die Rechtsnachfolge
des NS-Staates antrat, übernahm sie nach Maßgabe von Art. 123 Abs. 1 GG
auch diese Vorschriften. Straflos war die Homosexualität unterdessen in
den meisten Ländern des romanischen Rechtskreises. Bereits der "Code Napoléon"
von 1810 hatte als Ergebnis der Französischen Revolution die sittliche
Verwerflichkeit von der rechtlichen getrennt und gleichgeschlechtliche
Beziehungen legalisiert. Straflos war die Homosexualität außerdem in den
Niederlanden, der Schweiz, Schweden und Dänemark. Der Beitrag des BVerfG Klagen gegen die Fortgeltung der NS-Fassung des § 175 lehnte das Bundesverfassungsgericht
(BVerfG) rundweg ab. Der Straftatbestand sei "ordnungsgemäß erlassen und
von den Mitgliedern der Rechtsgemeinschaft hingenommen" worden und habe
"seither jahrelang unangefochten bestanden." Gleichberechtigung kein Maßstab Das BVerfG wies auch in der Sache alle Kritik an § 175 zurück. Gegen den Hinweis eines Klägers, die Kriminalisierung nur der männlichen Homosexualität verstoße gegen die Gleichberechtigung von Mann und Frau (Art. 3 Abs. 2 GG), wandte sich das Gericht - gestützt auf Sachverständigengutachten - mit biologistischer Argumentation. "Der Grundsatz der Gleichberechtigung" könne "für die gesetzgeberische Behandlung der männlichen und weiblichen Homosexualität keinen Maßstab" abgeben, denn "auch für das Gebiet der Homosexualität rechtfertigen biologische Verschiedenheiten eine unterschiedliche Behandlung der Geschlechter. [...] Schon die körperliche Bildung der Geschlechtsorgane weist für den Mann auf eine mehr drängende und fordernde, für die Frau auf eine mehr hinnehmende und zur Hinnahme bereite Funktion hin." Anders als der Mann würde "die Frau unwillkürlich schon durch ihren Körper daran erinnert, dass das Sexualleben mit Lasten verbunden" sei, was sich vor allem darin niederschlage, "dass bei der Frau die körperliche Begierde (Sexualtrieb) und zärtliche Empfindungsfähigkeit (Erotik) fast immer miteinander verschmolzen sind, während beim Manne, und zwar gerade beim Homosexuellen, beide Komponenten vielfach getrennt bleiben." Was nun die Lesben anbeträfe, so weise "der auf Mutterschaft angelegte Organismus der Frau unwillkürlich den Weg [...] auch dann in einem übertragenen sozialen Sinne fraulich-mütterlich zu wirken, wenn sie biologisch nicht Mutter ist."5 "Gesunde und natürliche Lebensordnung" Ebenso wenig wie den Gleichbehandlungsgrundsatz ließ das BVerfG das Recht
auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) gelten. Dieses
finde seine Grenzen im "Sittengesetz". Als Inhalt des ungeschriebenen
"Sittengesetzes" formulierte das Gericht die "gesunde und natürliche Lebensordnung
im Volke", konkret: Die Lehren der beiden großen christlichen Konfessionen.
Von der im NS-Kommentar zum Unzucht-Begriff genannten "gesunden Volksanschauung"
war es damit auch semantisch nicht weit entfernt. Repression und Reformbestrebungen "Millionen innerlich gesunder Familien mit rechtschaffen erzogenen Kindern
sind als Sicherung gegen die kinderreichen Völker des Ostens mindestens
so wichtig wie alle militärischen Sicherungen", erklärte 1953 der erste
Familienminister der BRD, Franz-Josef Wuermeling (CDU). "Nach den Erkenntnissen
der Bevölkerungswissenschaft wird der zahlenmäßige Bestand der Elterngeneration
erst dann im gleichen Umfang ersetzt, wenn jede überhaupt fruchtbare Ehe
drei Kinder hat."10 Juristische Diskussion Einen Überblick über die rechtswissenschaftliche Diskussion gab 1968 der ehemalige Berliner Justizsenator Jürgen Baumann in seinem Buch "Paragraph 175". Er fasst die Ansichten unter JuristInnen in der Zeit zwischen 1945 und 1968 grob in drei Gruppen zusammen. Die erste Gruppe versuchte, ein von § 175 geschütztes Rechtsgut auszumachen, um damit die Bestrafung der Homosexualität zu rechtfertigen. Die zweite Gruppe erkannte zumindest in der "nichtjugendgefährdenden und nichtöffentlichen Homosexualität" ein "opferloses" Delikt und forderte daher konsequent dessen Abschaffung. Die dritte Gruppe ging davon aus, dass es für die Legitimität einer Strafvorschrift überhaupt nicht auf ein geschütztes Rechtsgut ankomme. Es sei nicht zu beanstanden, "ein sozialethisch besonders verwerfliches Verhalten, dessen Begehung uns unerträglich erscheint, unter Strafe zu stellen", wobei insbesondere auf die Strafbarkeit der Tierquälerei und der Sodomie (§ 175b) verwiesen wurde. "Warntafeln und Tabus" Stets wiederkehrende Argumente der Befürworter des § 175 waren: 1. Das Strafrecht habe die Aufgabe, die Sittlichkeit aufrecht zu erhalten. 2. Die Normalität des Geschlechtslebens erfordere die Strafbarkeit anormaler Verhaltensweisen. 3. Die Gesellschaft habe ein Interesse an der Natürlichkeit des Geschlechtslebens ihrer Mitglieder. 4. Homosexualität sei eine Gefahr für die Volksgesundheit: sie zerrütte den Charakter des Einzelnen und habe in der Geschichte stets zum sozialen Verfall der betroffenen Völker geführt. 5. Homosexualität sei eine Gefahr für Ehe und Familie (als Grundlagen des Staates). 6. Durch homosexuelle Cliquenbildung drohe der Integrität des öffentlichen Lebens Gefahr. 7. Es sei eine Reklamewirkung auf Jugendliche zu befürchten. 8. Der Staat habe ein Interesse an dem Schutz der heterosexuellen Grundstruktur der Gesellschaftsordnung. 9. Das menschliche Sexualleben bedürfe generell einer Regulierung durch Normen; zur Aufrechterhaltung der Moral seien Warntafeln und Tabus nötig. 10. Das Verhältnis von Mann zu Mann sei im Interesse eines unbefangenen Freundeslebens von sexuellen Beziehungen rein zu halten. Der Gesetzesentwurf 1962 Im amtlichen Entwurf eines neuen Strafgesetzbuches von 196211 (E 1962)
fehlte kaum eines dieser Argumente. Darin schlug das Justizministerium
zwar erstmals eine Absenkung der Höchststrafe für § 175 auf drei Jahre
sowie eine Beschränkung des Tatbestandes auf "beischlafähnliche" Handlungen
vor. Dies wäre immerhin die lange geforderte Rückkehr zur Weimarer Fassung
gewesen. Aufkommende Zweifel an der weiteren staatlichen Ächtung der Homosexuellen
räumte der amtliche Begründungstext dabei gründlich aus: "[...] denn nach
Beseitigung der Strafbarkeit wäre ihre nächste Aufgabe, sich für die gesellschaftliche
Anerkennung gleichgeschlechtlicher Handlungen einzusetzen. Dass sie dabei
alle Möglichkeiten ausschöpfen würden, die ihnen das neue Strafgesetz
bietet, unterliegt keinem Zweifel. Dass sie außerdem die Tatsache der
Gesetzesänderung in ihrem Sinne deuten und zu der Behauptung ausbeuten
würden, das Gesetz habe den gleichgeschlechtlichen Verkehr zwischen erwachsenen
Männern anerkannt, ist wahrscheinlich." Der Gegenentwurf 1968 In Replik auf den E 1962 veröffentlichte eine Gruppe von 16 namhaften
Strafrechtslehrern (darunter Baumann, Hanack, Armin und Arthur Kaufmann,
Lenckner, Roxin, Stratenwerth und Stree) ab 1966 einen Gegenentwurf. Dessen
1968 erschienener Teil zum Sexualstrafrecht sah als schutzbedürftige Rechtsgüter
nur die persönliche Freiheit und den Jugendschutz an. "Das Strafrecht
kann gerade im Sexualbereich auch allgemein-moralische Zustände nicht
um ihrer selbst Willen schützen, ohne seine Funktion als äußerstes Mittel
der Sozialpolitik zu verkennen und ohne den Bürger in bedenklicher Weise
zu bevormunden."13 StGB-Reform 1969 Am 25. Juni 1969 wurde, kurz vor Ende der Großen Koalition unter Kiesinger,
das Erste Gesetz zur Reform des Strafrechts verabschiedet und damit der
§ 175 zum ersten Mal seit 34 Jahren geändert. Maßgeblichen Anteil hieran
hatte der sozialdemokratische Justizminister und spätere Bundespräsident
Gustav Heinemann. Unter Strafe gestellt waren nach der Reform nur noch
die sog. qualifizierten Fälle, die zuvor von § 175a erfasst worden waren.
Wie dieser entfiel nun auch § 175b (Sodomie). Die einfache "Unzucht" definierte
sich nun über eine "doppelte Schutzaltersgrenze". Täter eines solchen
Vergehens konnte nur ein Mann über 18, Opfer nur ein Mann unter 21 Jahren
sein. Dies führte zu merkwürdigen Fallgruppen: Wenn beide Männer über
21 oder unter 18 Jahren alt waren, wurde keiner bestraft. War ein Mann
über 21, der andere unter 21 Jahren alt, so wurde nur der Ältere bestraft.
Wenn beide zwischen 18 und 21 Jahren alt waren, machten sich beide strafbar. Strafrecht unter neuen Vorzeichen Im November 1973 wurde schließlich auch diese Regelung verworfen und
die Straflosigkeit ab dem 18. Lebensjahr eingeführt. Der Ausdruck "Unzucht
zwischen Männern" verschwand aus der Überschrift zu § 175 und wurde durch
"Homosexuelle Handlungen" ersetzt. Das Kapitel des StGB zum Sexualstrafrecht
wurde umbenannt von "Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit" in
"Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung". Unter diesen neuen Vorzeichen
des Rechtsgüterschutzes erschien dem Gesetzgeber die Aufrechterhaltung
eines eigenen Homosexuellen-Paragraphen dennoch mit der Wertung begründbar,
Jugendliche besäßen zwar mit 16 die Reife, sich frei und selbst bestimmt
für das andere Geschlecht, jedoch erst mit 18 für das eigene zu entscheiden. Ron Steinke studiert Jura in Hamburg Anmerkungen 1 Näher hierzu: Löhr, Tillmann, NS-Urteile gegen Wehrmachtsdeserteure
und Homosexuelle aufgehoben, Forum Recht 2002, 103. Literatur: Schulz, Christian, § 175 (abgewickelt): ...und die versäumte Wiedergutmachung,
1998 |