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"Wer den Tod liebt, der soll ihn auch haben"   Heft 3/2005
Hartz fear

Seite 96-100
Das Feindstrafrecht und seine Gefahr für Menschenrechte und Rechtsstaat  
 

Ist jeder Mensch unabdingbar Teil der Rechtsgemeinschaft oder wird man durch bestimmtes, der Rechtsordnung fundamental widersprechendes Verhalten ausgeschlossen? Sind so genannte Menschenrechte absolut, oder einfach nur Teil einer positiven Rechtsordnung und damit vom Rechtssetzer zuerkannt?
Wenngleich man vor dem Hintergrund historischer Erfahrungen zunächst gerne von der Selbstverständlichkeit der Unabdingbarkeit der Menschenrechte ausgeht und alle anderen Denkansätze in die Schublade despotischer Unrechtsregime schiebt, sind diese Fragen nicht gänzlich beantwortet oder gar überwunden. Im Zusammenhang mit Kindesmissbrauch, organisierter Kriminalität, insbesondere aber mit dem gegenwärtig vielbeschworenen weltweiten Terrorismus stellen sich nicht wenige Menschen die Frage, ob die strikte Bindung von Grund- und Menschenrechten noch zeitgemäß ist, oder es nicht die scheinbare Gefahr vielmehr gebietet, für die Sicherheit der Gesellschaft auf die Grundrechte Einzelner zu verzichten. Vor diesem Hintergrund ist das Konzept des Feindstrafrechts einzuordnen. Vertreten von einem Strafrechtsprofessor aus Bonn und untermauert vom gesellschaftlichen Zeitgeist und einer Vielzahl politischer Forderungen, die sich gar bereits auf dem Weg der Umsetzung befinden, propagiert es ein gesondertes Recht für "Feinde".
Bereits seit einigen Jahren fordert Prof. Jakobs1 eine Zweispurigkeit des Strafrechts, um auf die gegenwärtigen Probleme angemessener reagieren zu können, da das Polizeirecht nicht mehr ausreichend gewappnet sei. Ein Feind sei demnach, wer die Legitimität der Rechtsordnung prinzipiell leugnet und deshalb darauf aus ist, diese Ordnung zu zerstören. Die Beziehung zum/r TäterIn kennzeichnet sich infolgedessen nicht durch Recht, sondern durch Zwang, da der/die FeindIn als Person an sich nicht mehr existiert. Die Bekämpfung des Gefahrenobjektes statt der Kommunikation mit dem/r TäterIn zum Zwecke der Reintegration in die Gesellschaft müsse in den Mittelpunkt gestellt werden, da eine Resozialisierung unmöglich erscheine. Der/die TäterIn hat seine/ihre Personalität verloren und ist allein ZwangsadressatIn.

Der Hobbessche Kontraktualismus

Jakobs stützt sich auf die vertragstheoretischen Konzepte von Hobbes.2 Hobbes prägte den Begriff des Naturzustandes, der ein rein methodisches Konstrukt ist und daher nicht mit einem historischen Zustand gleichzusetzen.3 Jeder Mensch ist im rechtsfreien Naturzustand frei, da er durch keine Regel in seinen Handlungen begrenzt ist. Infolgedessen hat der Mensch insbesondere ein natürliches Recht auf Selbsterhaltung. Die Konsequenz dieser Freiheit ist laut Hobbes ein permanenter Kriegszustand. An diesem Punkt schließen die Menschen einen Vertrag, in dem sie ihr natürliches Recht an den Souverän abgeben. Die Sicherstellung der Selbsterhaltung, wie etwa das Streben nach Sicherheit, Unverletzlichkeit des Lebens sowie die Beförderung des Wohlergehens sind die entscheidenden Beweggründe - die Menschen geben also ihre Freiheit um ihrer Sicherheit willen auf. Diese Ausgangsbasis ist zu Hobbes' Zeiten insoweit revolutionär, als sie allein auf das Individuum als den Ursprung einer rechtlichen Ordnung abstellt und sich von allen metaphysischen und insbesondere religiösen Begründungsverfahren abhebt, welche Staat, Recht und Gesetz aus einer vorgegebenen Ordnung ableiten.4
Diese kontraktualistische und formalistische Betrachtung kennt keine Kategorien von Gut und Böse, sie verneint jede Art von Moral und ist damit rein positivistisch. Dies betont auch Jakobs: "Verbrechen gibt es nicht in chaotischen Verhältnissen, sondern nur als Bruch der Normen einer praktizierten Ordnung."5 So auch bezogen auf die Menschen: Eine Personalität - oder Rechtspersönlichkeit - entwickelt sich erst durch Vertragsschluss, da diese Begriffe immer in Relation zu einer Rechtsordnung stehen. So kann es Rechte erst im geordneten Gemeinwesen geben. Wenn Menschen sich durch Vertragsschluss eine Personalität zuerkennen, so können sie diese durch Vertragsbruch freilich auch wieder verlieren, indem sie den Vertrag aufkündigen.

Rechtsbrecher als Unpersonen

Jakobs setzt insoweit eine Parallele zwischen Normgeltung und Geltung der Personalität: "Wenn eine Norm die Gestalt einer Gesellschaft bestimmen soll, so muss das normgemäße Verhalten in der Hauptsache wirklich erwartbar sein, was heißt, die Kalkulationen der Personen müssten davon ausgehen, die anderen würden sich normgemäß und eben nicht normbrechend verhalten. [...] Ohne hinreichende kognitive Sicherheit erodiert die Normgeltung und wird zum leeren Versprechen, leer, weil es keine wirklich lebbare gesellschaftliche Gestalt mehr anbietet." Das Gleiche gelte insoweit für die Person: "Wer keine hinreichende kognitive Sicherheit personalen Verhaltens leistet, kann [...] nicht erwarten, noch als Person behandelt zu werden, [...]. Ein Individuum, das sich nicht in einen bürgerlichen Zustand zwingen lässt, kann der Segnungen des Begriffs der Person nicht teilhaftig werden."
Doch nicht jede/r RechtsbrecherIn wird aus der Gemeinschaft ausgeschlossen: "[...] der moderne Staat (sieht) im Täter einer [...] Normaltat [...] nicht einen Feind, den es zu vernichten gilt, sondern einen Bürger, eine Person, die durch ihr Verhalten die Normgeltung ramponiert hat und deshalb zwangsweise, aber als Bürger [...] herangezogen wird, um den Normgeltungsschaden wieder auszugleichen." Dies jedoch nur, "wenn der Täter trotz seiner Tat die Gewähr dafür bietet, sich im großen und ganzen als Bürger, also als rechtstreu agierende Person, zu benehmen." Feind ist hingegen, " ... wer die Legitimität der Rechtsordnung prinzipiell leugnet und deshalb darauf aus ist, diese Ordnung zu zerstören." Jakobs meint damit in erster Linie TerroristInnen, zielt aber auch auf SexualstraftäterInnen und organisierte Kriminelle ab, deren Rechtbruch aufgrund der Intensität eine Abkehr von der Rechtsordnung indiziere6 - die dauerhafte Sicherungsverwahrung scheint durchaus in seinem Sinne zu sein, um derart gefährliche FeindInnen unschädlich zu machen.

Kritik an Hobbes

Im Zusammenhang mit der theoretischen Grundlage Jakobs' bedarf es zunächst einer kritischen Betrachtung der kontraktualistischen Theorie von Hobbes. Wenngleich Hobbes als philosophischer Wegbereiter absolutistischer und despotischer Staaten gilt, so hat er dennoch einen Grundstein für die Begründung universeller Menschenrechte gelegt.7 Denn der Theorie zufolge besitzt jeder Mensch ein natürliches Recht auf Selbsterhaltung. Dieses Recht versucht Hobbes nicht deskriptiv herzuleiten, vielmehr ist es für ihn "eine von der Vernunft entdeckte Vorschrift oder allgemeine Regel"8 und damit seiner Ansicht nach normativ. Ohne dieses wäre bereits ein Vertrag denkunmöglich, wonach der/die Einzelne das Recht zugunsten einer positiven Rechtsordnung aufgibt. Hier liegt der Widerspruch der Theorie: Was als natürliches Recht besteht, kann andererseits nicht durch Vertragsbruch verloren werden. Einerseits bilden das Recht auf Selbsterhaltung, das Recht auf Sicherheit und die Unverletzlichkeit des Lebens sowie die Beförderung des Wohlergehens den Grund, warum es zur Staatskonstitution kommt; andererseits besitzt der Souverän die Macht, diese Rechte zu entziehen. Das ist paradox: Man kann nicht Grundnormen der Staatskonstitution eliminieren, ohne die legimitations-theoretische Basis des Staates aufzulösen9.

Die Frage der Begründung von Menschenrechten

Damit ist keineswegs geklärt, inwieweit und auf welche Weise Menschenrechte philosophisch begründet werden können. Im folgenden sollen daher verschiedene Theorien vorgestellt werden, die sich mit dieser Frage auseinandergesetzt haben.
Locke knüpft an die Vertragstheorie von Hobbes an. Er stellt in seiner grundlegenden politischen Schrift "The Second Treatise of Government"10 auf den Willen der Vertragsschließenden ab, wenn er sagt: "Das hieße die Menschen für so dumm zu halten, dass sie zwar zu verhüten suchen, was ihnen Marder oder Füchse antun könnten, aber glücklich sind, ja es für Sicherheit halten, von Löwen verschlungen zu werden." Der Mensch strebe schon allein aus Egoismus nach einem friedlichen Zusammenleben, da er sich im Naturzustand richtigerweise in Lebensgefahr sieht. Leben, Freiheit und Eigentum - Rechte, die dem Menschen kraft seiner Natur als Mensch gegeben sind - würde er jedoch nicht an ein übergeordnetes, und damit gleichfalls gefährliches Wesen mittels eines Vertrages abgeben. Denn damit würde er seine essentiellen Handlungsmöglichkeiten aufgeben. Leben, Freiheit und Eigentum seien vorstaatliche Rechte, die zwar vom Staat geschützt, aber nicht vom Staat verliehen werden können. Somit ist einem Staat als Gesellschaftsvertrag zugrunde zu legen, dass die Menschen - aufgrund ihrer Vernunft - ihn in erster Linie als Schutzinstrument ihrer natürlichen Rechte ansehen. Ein Vertrag, wonach der/die Einzelne versklavt oder ausgebeutet werden kann, ist daher nach Locke von vornherein illegitim; der Souverän bleibt der Theorie zufolge weiterhin das Volk, der Staat verwaltet die ihm verliehene Macht nur treuhänderisch, jeder Mensch hat jederzeit das Recht, sich gegen Unterdrückung oder Versklavung mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu wehren.
In der Staatstheorie von Kant ist es die Ermöglichungsbedingung für die Existenz eines legitimen Staates überhaupt, dass dieser das Menschenrecht nicht antastet.11 Er geht wie Locke davon aus, dass der Mensch von Geburt aus frei ist. Der Staat kann dieses Recht daher nicht verleihen, sondern muss sich ihm fügen, sonst ist er illegitim. Wenngleich Kant von ähnlichen Prämissen wie Locke ausgeht, besteht der entscheidende Unterschied seiner Darlegung darin, dass die dem Menschen kraft seiner Menschheit zustehende qualifizierte Freiheit nicht aus dem besonderen Wesen der Spezies Mensch und damit aus biologischen Eigenschaften abgeleitet werden kann - eine anthropologische Begründung lehnt er ab. Er hebt vielmehr die Bestimmung des Menschen als vernünftiges Wesen hervor: " [...] dass die vernünftige Natur als Zweck an sich selbst existiert und so notwendig wie auch jedes andere vernünftige Wesen sich sein eigenes Dasein vorstellt."12 Der absolute, selbstzweckhafte Wert der Vernunft begründet das Menschenrecht.
Diesem Ansatz ist einerseits kaum zu widersprechen: Ein Mensch, der Vernunft besitzt und demnach handelt, muss auch das Interesse daran haben. Aus diesem Interesse schließt Kant auf die Autonomie des Menschen, und leitet daraus seine Würde und Freiheit ab13. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt Höffe:14 Er spricht von einem transzendentalen Interesse des Menschen an seiner eigenen Handlungsfähigkeit und -freiheit; dieses Interesse des Einzelnen gleicht dem Vernunftbegriff Kants.

Das Problem der Letztbegründung

Das gemeinsame Problem der Philosophien Kants und Höffes sowie vieler anderer rechtsphilosophischer Begründungen besteht darin, dass sie wie Locke und Rousseau, die auf die Natur des Menschen abzielen, auf eine Letztbegründung abstellen.15 Die Menschenrechte seien dem Menschen durch Gott, seine Natur oder eben, wie bei Kant, durch seine Vernunft unbedingt und absolut gegeben. Diese jeweilige Letztbegründung muss akzeptiert werden, um dem weiteren Menschenrechtsverständnis folgen zu können, ohne aber empirisch nachgewiesen werden zu können.
Insofern haben sich entgegen dieser absoluten Begründung der Menschenrechte verschiedene Strömungen entwickelt, die eine relative Herleitung versuchen. Rorty16 etwa vertritt die Ansicht, dass Menschenrechte nur relativ zu einem bestimmten Kultursystem begründbar sind. Walzer17 begründet einen kulturübergreifenden Ansatz, der auf empirische Weise Gemeinsamkeiten festzustellen versucht. Diese Ansätze laufen letztendlich auf einen soziologischen Positivismus hinaus und verneinen damit die vorgegebene Existenz von Menschenrechten jeder Art.
Auch Tugendhat wendet sich gegen einen metaphysischen (christlichen oder kantianischen) Wert des Menschen. Nach seiner Betrachtungsweise ist es die moralische Gemeinschaft, die Rechte verleiht: "Die Moral der universellen und gleichen Achtung aller verpflichtet uns, jeden anderen als Subjekt von gleichen Rechten anzuerkennen."18 Voraussetzung, dass der/die Einzelne Gegenstand unserer Achtung ist und als Träger von moralischen Rechten respektiert wird, ist die Tatsache, dass er über die Fähigkeit verfügt, selbst über sein Leben zu bestimmen. Insofern basiert auch dieser Ansatz auf einer letzten Begründung, da es sich bei der Fähigkeit, über sich selbst zu bestimmen, um im Ergebnis nichts anders als die Autonomie im Sinne Kants' handelt.19

Legale Grundrechte im Sinne von Habermas

Habermas20 distanziert sich betontermaßen von der Auffassung, dass legale Rechte der Moral untergeordnet seien und spricht sich gegen eine vorstaatliche Begründung von Menschenrechten aus. Menschenrechte könnten nur in Gestalt legaler Grundrechte bestehen. Er geht den umgekehrten Weg wie Tugendhat: Im Sinne seiner Diskurstheorie schafft erst die rechtsförmige Institutionalisierung des Diskursprinzips das Demokratieprinzip - nämlich dann, wenn alle möglicherweise Betroffenen in rationalen Diskursen zustimmen könnten; und erst das Demokratieprinzip verschaffe dem gesetzten Recht Geltung. Menschenrechte und Volkssouveränität setzten sich damit gegenseitig voraus; entscheidendes Gewicht haben die Mitbestimmungsrechte, welche den Rechtssetzungsprozess regulieren. Insofern liegt der Schwerpunkt Habermas zufolge auf der Frage, mit welcher Begründung die Menschen InhaberInnen politischer Teilnahmerechte sind, denn allein aus der Legitimitätsvoraussetzung des Rechts, nach welcher die Betroffenen im Diskurs zustimmen könnten, kann noch kein individuelles Recht gefolgert werden.21
Arendt22 etwa nimmt in diesem Zusammenhang an, dass es ein Menschenrecht auf Staatsangehörigkeit gebe, welches die Trägerschaft aller übrigen Rechte erst ermöglicht und somit für eine effektive Durchsetzung von Menschenrechten unabdingbar ist. Sie geht von einem moralischen, also vorstaatlichen Recht aus. Ein solches Recht wäre jedoch nach Habermas gerade ausgeschlossen, da es ebenso auf einer vorgegebenen Letztbegründung fußt.23
Seien es auch rein juridische Grundrechte, sie hätten dennoch nach Habermas einen globalen Anspruch. Er verweist zum einen auf die Architektonik des Grundgesetztes und dessen grundsätzliche Gleichbehandlung von Fremden und InländerInnen. Zum anderen sei die demokratische Staatsbürgerschaft, die sich nicht partikularisch abschließt, darauf angelegt, den Weg zu bereiten für einen Weltbürgerstatus, sodass letztlich Staatsbürgerschaft und Weltbürgerschaft eine Einheit bilden.24 Habermas malt auf diese Weise ein Ideal und rückt von seiner rein positivistischen Sichtweise ab. Somit stützt auch er sich auf eine Letztbegründung.

Pluralistische Diskussion statt absoluter Werte

Schlussendlich muss also die Frage gestellt werden, ob und wie man dem Problem der Letztbegründung einer Theorie der Menschenrechte entweichen kann. "Da [...] jeder Befürworter einer grundsätzlich materialen Wertorientierung seiner Haltung eine Letztbegründung zugrunde legt, kann man dieses Dilemma, auch wenn man die Letztbegründung wegen ihrer theoretischen Unbeweisbarkeit ausschließlich subjektiven Sphäre zuweist, eigentlich nicht entrinnen", sagt Larz.25 Er fordert daher, dass niemand seine Letztbegründung und die daraus gezogenen Herleitungen absolut setzt. Stattdessen müsse eine wertrelativistische Strategie eingeschlagen werden, welche nach positivistischen Anknüpfungspunkten verlange, zugleich aber eine grundsätzliche materiale Wertorientierung bejaht. Die Diskussion solle nicht auf einer um jeden Preis zu verwirklichenden überpositiven Wertordnung und einer nicht zugänglichen Letztbegründung beruhen, sondern auf der praktischen Vernunft. Wenngleich zunächst offen bleibt, inwieweit eine Wertediskussion allein auf dieser Grundlage geführt werden kann, ist diese Vorgehensweise ein einsichtiger Weg für eine pluralistische Weltgesellschaft, und allemal eine offene Tür für die Menschlichkeit.

Kontraktualismus und Despotie

Den vorgestellten Begründungen der Universalität der Menschenrechte ist gemeinsam, dass schlussendlich die Menschenrechte den Ausgangspunkt jeder staatlichen Ordnung darstellen, da sie unabdingbar sind, und keine staatliche Macht frei über sie verfügen kann. Sie bilden damit die Grundlage eines idealerweise freiheitlichen Staates.
Jakobs negiert hingegen die Existenz vorstaatlicher Rechte. So lässt sich jede Staatsform und jedes staatliche Handeln als Vertragsschluss im Sinne von Jakobs rechtfertigen: "Der Naturzustand ist eben ein Zustand der Normlosigkeit, also exzessiver Freiheit wie exzessiven Kampfes. Wer den Krieg gewinnt, bestimmt, was Norm ist, und wer verliert, hat sich dieser Bestimmung zu beugen."26 Der Schutz von Minderheiten gleich welcher Art ist in diesem Ordnungssystem nicht vorgesehen. Es führt vielmehr zur Herrschaft einer Gruppe über eine andere Gruppe und bildet damit die Grundlage jedes despotischen Herrschaftssystems, denn der/die HerrscherIn ist der Souverän und muss sich nicht verantworten. Damit ist jede Niederschlagung von Protesten gegen die staatliche Ordnung gerechtfertigt.
Mit diesem Begründungsansatz sollte nach Jakobs über die Behandlung von Terroristen diskutiert werden: "Aber es ist doch sehr wohl zu fragen, ob nicht durch die strikte Fixierung allein auf die Kategorie des Verbrechens dem Staat eine Bindung auferlegt wird - eben die Notwendigkeit, den Täter als Person zu respektieren - die gegenüber einem Terroristen, der die Erwartung generell personalen Verhaltens gerade nicht rechtfertigt, schlechthin unangemessen ist."

Die langsame Umsetzung des Feindstrafrechts heute

Die Grenze zwischen Despotie und scheinbar freiheitlicher Gesellschaft ist nicht immer eindeutig, wenn man bedenkt, dass Jakobs nicht allein ist mit seinen Ansichten. das gesellschaftliche Klima ist längst auf diesem Weg, die politische Praxis geht mit.
In der Diskussion um die Zulässigkeit der Folter im Fall der Entführung von Jakob von Metzler und der Frage der Abwägbarkeit der Menschenwürde wurde nicht selten argumentiert, der Entführer sei ja der Herr seines Schicksals, denn er hätte die Entführung zu verantworten, aus diesem Grund könne man ihn auch foltern - anders gesagt: Er hätte den Vertrag gekündigt und damit selbst auf seine Menschenwürde verzichtet.
Ähnliche Entwicklungen zeichnen sich in der Strafrechtsgesetzgebung ab: Insbesondere im Zusammenhang mit den Gesetzen zur Bekämpfung von Sexualstraftaten und den Diskussionen um die nachträgliche Sicherungsverwahrung wird das schuldbezogene Strafrecht durch ein tatsächliches Gefahrenabwehrrecht verdrängt,27 auf der geistigen Grundlage, dass die Taten an sich bereits eine Entrechtlichung der Täter rechtfertigen - bis die Gefahr völlig gebannt ist. Das Schuldprinzip sowie das Interesse des Täters an seiner Resozialisierung müssen in diesem Zusammenhang hinten anstehen, eine Abwägung findet in Anbetracht des Sicherheitsinteresses der Bevölkerung nicht statt.
Im US-Stützpunkt in Guantanamo wurden nach dem 11. September 2001 und dem Krieg in Afghanistan über 500 Menschen inhaftiert, ohne Kontakt zur Außenwelt, ohne jeden rechtlichen Beistand. Für die US-Regierung handelt es sich bei ihnen, ohne dass je über Schuld und Unschuld geurteilt wurde, von vornherein um feindliche Kämpfer, die keine Rechte haben. Nach internationalen Protesten und Einsprüchen seitens der eigenen Justiz versucht man nun, die Rechtlosigkeit zumindest in Guantanamo auf ganz besondere Art und Weise zu beenden: Inhaftierte werden Opfer der rendition, einer Praxis, die darin besteht, Terrorverdächtige in Staaten mit schwachen Menschenrechtsstandards abzuschieben oder zu entführen, um sie dort zu verhören.
Nur scheinbar überspitzt hat der deutsche Innenminister in der Diskussion um die Legitimation von Todesschüssen gegenüber Terroristen formuliert: "Wer den Tod liebt, der soll ihn auch haben."28

Die verfassungsrechtlichen Antworten

Wie das Feindstrafrecht fordert und Guantanamo zeigt, haben Theorie und Praxis erhebliche Konsequenzen für die Grundprinzipien von Strafrecht und Strafprozessrecht. Gleichwohl hat die Strafrechtswissenschaft auf die Thesen Jakobs' anfangs sehr zurückhaltend bis gar nicht reagiert - dies mag Blindheit sein oder der schiere Unglaube über Formulierungen, die man seit sechs Jahrzehnten nicht mehr gehört hat. Mittlerweile mehren sich die Diskussionen, neben den generellen Bedenken29 liegt dies freilich auch daran, dass das Feindstrafrecht erlaubt, was verfassungsrechtlich ausdrücklich verboten ist.
Hinter der Aberkennung der Rechtspersonalität verbirgt sich neben einem generellen Wandel von Strafrechtsgesetzgebung zur Bekämpfungsgesetzgebung und der damit verbundenen Vorverlagerung der Strafbarkeit insbesondere der Abbau der im Rechtsstaatsprinzip verbürgten prozessualen Garantien. Verlockend ist das für Sicherheitspolitiker in vielerlei Hinsicht: Abhörmethoden und andere Überwachungsmaßnahmen stoßen nicht mehr an die "umständlichen" Grenzen des Grundrechtsschutzes, bei offensichtlicher Gefahr wird Folter zulässig, die Gesetzlichkeit der Strafe ist nicht erforderlich, da ja bei "FeindInnen" gerade kein Grundrechtseingriff vorliegt, und im Zweifel kann man auch mal gegen den Angeklagten entscheiden. An dieser Stelle fragt sich freilich, wer denn nach Jakobs nun bestimmen soll, wer FeindIn ist - und noch schwieriger - wann dies geschehen soll. Speziell im Strafprozessrecht ist dies kompliziert: Die Prozessgarantien kommen zum Tragen, bevor die Schuld des Einzelnen festgestellt ist. Würde die Personalität des/der Einzelnen vor dem Urteilsspruch aberkannt, widerspräche dies in erster Linie der Unschuldsvermutung, die damit ihre Geltung überhaupt verlöre30 - etwas anderes ist denkunmöglich, denn sie ist von der Qualität des deliktischen Verhaltens völlig unabhängig. Letztendlich würden alle Grundrechte auch nur potentieller "FeindInnen" untergraben, da der Staat ja zum Zwecke der Terrorismusbekämpfung zu allen geeigneten Maßnahmen geradezu verpflichtet wäre.
Jakobs behauptet in diesem Zusammenhang, dass vor dem Hintergrund angeblich zunehmender Gefahren nur auf diese Weise das Bürgerstrafrecht gerettet werden könne. Er verkennt dabei aus den genannten Gründen, dass den strafrechtlichen Prinzipien vollständig der Boden entzogen würde.

Das menschenrechtliche Ideal des Grundgesetzes

Ein Feindstrafrecht würde gegen die Fundamente des deutschen Grundgesetzes verstoßen. Dies gilt einerseits für die erwähnten straf- und strafprozessrechtlichen Grundsätze, die im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3, in Art. 19 Abs. 4, 101, 103 und 104 GG sowie weiteren konkretisierenden Vorschriften verankert und über Art. 79 Abs. 3 GG größtenteils unabdingbar sind.31
Darüber hinaus widerspricht das Konzept grundsätzlich dem menschenrechtlichen Ideal des Grundgesetzes: Die Garantie der Menschenwürde ist personell unbeschränkt, jeder Mensch besitzt sie, ohne Rücksicht auf seine Eigenschaften, seine Leistungen und seinen sozialen Status.32 Gerade politische Anschauungen, also die generelle Einstellung des/der Einzelnen gegenüber dem staatlichen System, dürfen gemäß Art. 3 Abs. 3 GG zu keiner Benachteiligung führen (mit der engen Ausnahme, dass das Bundesverfassungsgericht nach Art. 18 GG aus Staatsschutzgründen die Verwirkung eines - politischen - Grundrechts aussprechen kann).
Art. 1 Abs. 2 GG geht von der Unveräußerlichkeit der Menschenrechte aus; die Menschenrechte werden nicht vom Staat verliehen, sondern stehen der/dem Einzelnen bereits zu. Entsprechend liegt dem Grundgesetz die Idee zugrunde, dass zuerst der Mensch kommt und dann der Staat, der/die Einzelne also der Ausgangspunkt ist.
Dies entspringt insbesondere den frischen Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus, wo der/die Einzelne nichts und das Kollektiv alles war - dieses Prinzip wird umgekehrt. Somit kann der/die Einzelne seine Grundrechte nicht verlieren, ein so genannter Vertragsbruch führt nicht zum Rechtsverlust, da die grundlegenden Menschenrechte vor dem so genannten Vertrag liegen. Das Wohl der Allgemeinheit kann nicht die völlige Abdingbarkeit der Rechte des/der Einzelnen rechtfertigen.

Aushöhlung der Menschenrechte?

Die Forderung nach einem Feindstrafrecht untermauert die Ansicht, dass der Staat zum Schutz der Sicherheit zu allen Maßnahmen berechtigt sei. In der Debatte um effektive Gefahrenabwehr zählt der/die Einzelne nicht nur immer weniger, manche Menschen zählen schließlich gar nichts mehr.
Den Erfahrungen mit der Schreckensherrschaft des Nationalsozialismus, die das Fundament für die Entwicklung des Grundrechtsschutzes und einiger wichtiger Verfassungsprinzipien bildeten und bilden, folgen nun die Erfahrungen mit dem Terrorismus, die neue Maßnahmen, und damit neue Betrachtungen des Grundrechtsschutzes für erforderlich erscheinen lassen. Sogar im Vergleich zu den Kampfmaßnahmen gegen die RAF in den siebziger Jahren werden neue Dimensionen erreicht. Dies hat freilich nicht allein ein Strafrechtsprofessor aus Bonn zu verantworten, das gesellschaftliche Klima bildet die Grundlage, die faktische Umsetzung der Ideen findet bereits statt. Die Forderung nach einem Feindstrafrecht hebt - oder vielmehr senkt - die Diskussion auf eine neue Stufe, und verstärkt, verdeutlicht aber auch die Gefahren, der die Institution der Menschenrechte gegenwärtig ausgesetzt sind. Seine Umsetzung würde gegen die straf- und strafprozessrechtlichen Prinzipien und das Menschenrechtsbild des Grundgesetzes verstoßen und wäre verfassungswidrig.
Insbesondere im Kampf gegen den Terrorismus erscheint es widersinnig, Menschen mit zweierlei Maß zu messen. Terrorbekämpfung und die begleitenden Maßnahmen werden mit dem Schutz der Grundrechte und der staatlichen Ordnung gerechtfertigt. Setzt man nun die staatliche Ordnung zum Zweck der Terrorismusbekämpfung außer Kraft, wird jener Kampf noch unglaubwürdiger, als er es bereits ist.

Matthias Lehnert studiert Jura in Münster

Anmerkungen:

1 Jakobs, Bürgerstrafrecht und Feindstrafrecht, HRSS 2004, 88 ff.
2 Hobbes, Leviathan, 1651, 13 Kap./17. Kap.
3 Göller, Thomas Hobbes - Ein Vorläufer der Idee universaler Menschenrechte, in: ders. (Hrsg.) Philosophie der Menschenrechte, 135 ff., 136.
4 Göller (Rn.3), 137.
5 Jakobs, Bürgerstrafrecht und Feindstrafrecht, HRSS 2004, 88, 91.
6 Siehe Prantl, SZ v. 05./06.03.2005, S. 13.
7 Göller, (Rn.3), 136.
8 Hobbes, Leviathan, Kap.17.
9 Göller (Rn.3), 147.
10 Locke, The Second Treatise of Government, 1690, 7. Kap., § 93.
11 Kant, Die Metaphysik der Sitten, 1797, AA VI, 237.
12 Kant, ebda.
13 Paul, Zur Frage nach der Begründbarkeit der Menschenrechte, in: Göller (Hrsg.), Philosophie der Menschenrechte, 1999, 40 ff, 45.
14 Höffe, Ein transzendentaler Tausch: Zur Anthropologie der Menschenrechte, in: Philosophisches Jahrbuch 99 (1992), 1 ff.
15 Der Begriff Letztbegündung stammt aus Larz, Modernes Grund- und Menschenrechtsverständnis, 1992, 351 ff.
16 Rorty, Menschenrechte, Rationalität und Gefühl, in: Shute / Hurley (Hrsg.), Die Idee der Menschenrechte, 1996.
17 Walzer, Lokale Kritik - globale Standards. Zwei Formen moralischer Auseinandersetzung, 1996.
18 Tugendhat, Vorlesungen über Ethik, 1993, 339 ff, 356.
19 Lohmann, Menschenrecht zwischen Moral und Recht, in: Gosepath / Lohmann (Hrsg.), Philosophie der Menschenrechte, 62 ff, 70.
20 Habermas, Faktizität und Geltung, 1992, 541 ff.
21 So auch Lohmann (Rn.19), 74.
22 Arendt, Es gibt nur ein einziges Menschenrecht, in: Dolf Steinberger (Hrsg.), Die Wandlung IV, 1949.
23 Lohmann (Rn.19), 78 f.
24 Habermas (Rn.20).
25 Larz (Rn. 15), 351.
26 Jakobs (Rn. 5).
27 Haffke, Vom Rechtsstaat zum Sicherheitsstaat, KJ 2005, 17 ff.
28 Interview mit Otto Schily im SPIEGEL, Heft 18/2004.
29 U.a. Schünemann, Das Strafrecht im Zeichen der Globalisierung, GA 2001, 299 ff; Lorenz Schulz, Die deutsche Strafrechtswissenschaft vor der Jahrtausendwende - Tagungsbericht, ZStW 112, 653 ff.
30 Bielefeldt, Das Folterverbot im Rechtsstaat, Policy Paper, Deutsches Institut für Menschenrechte, 9 ff.
31 Pieroth, Jarass / Pieroth, GG-Kommentar, Art. 79, Rn. 11.
32 BVerfGE 87, 209, 228.