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Ist jeder Mensch unabdingbar Teil der Rechtsgemeinschaft oder wird man
durch bestimmtes, der Rechtsordnung fundamental widersprechendes Verhalten
ausgeschlossen? Sind so genannte Menschenrechte absolut, oder einfach
nur Teil einer positiven Rechtsordnung und damit vom Rechtssetzer zuerkannt?
Wenngleich man vor dem Hintergrund historischer Erfahrungen zunächst
gerne von der Selbstverständlichkeit der Unabdingbarkeit der Menschenrechte
ausgeht und alle anderen Denkansätze in die Schublade despotischer
Unrechtsregime schiebt, sind diese Fragen nicht gänzlich beantwortet
oder gar überwunden. Im Zusammenhang mit Kindesmissbrauch, organisierter
Kriminalität, insbesondere aber mit dem gegenwärtig vielbeschworenen
weltweiten Terrorismus stellen sich nicht wenige Menschen die Frage, ob
die strikte Bindung von Grund- und Menschenrechten noch zeitgemäß
ist, oder es nicht die scheinbare Gefahr vielmehr gebietet, für die
Sicherheit der Gesellschaft auf die Grundrechte Einzelner zu verzichten.
Vor diesem Hintergrund ist das Konzept des Feindstrafrechts einzuordnen.
Vertreten von einem Strafrechtsprofessor aus Bonn und untermauert vom
gesellschaftlichen Zeitgeist und einer Vielzahl politischer Forderungen,
die sich gar bereits auf dem Weg der Umsetzung befinden, propagiert es
ein gesondertes Recht für "Feinde".
Bereits seit einigen Jahren fordert Prof. Jakobs1 eine Zweispurigkeit
des Strafrechts, um auf die gegenwärtigen Probleme angemessener reagieren
zu können, da das Polizeirecht nicht mehr ausreichend gewappnet sei.
Ein Feind sei demnach, wer die Legitimität der Rechtsordnung prinzipiell
leugnet und deshalb darauf aus ist, diese Ordnung zu zerstören. Die
Beziehung zum/r TäterIn kennzeichnet sich infolgedessen nicht durch
Recht, sondern durch Zwang, da der/die FeindIn als Person an sich nicht
mehr existiert. Die Bekämpfung des Gefahrenobjektes statt der Kommunikation
mit dem/r TäterIn zum Zwecke der Reintegration in die Gesellschaft
müsse in den Mittelpunkt gestellt werden, da eine Resozialisierung
unmöglich erscheine. Der/die TäterIn hat seine/ihre Personalität
verloren und ist allein ZwangsadressatIn.
Der Hobbessche Kontraktualismus
Jakobs stützt sich auf die vertragstheoretischen Konzepte von Hobbes.2
Hobbes prägte den Begriff des Naturzustandes, der ein rein methodisches
Konstrukt ist und daher nicht mit einem historischen Zustand gleichzusetzen.3
Jeder Mensch ist im rechtsfreien Naturzustand frei, da er durch keine
Regel in seinen Handlungen begrenzt ist. Infolgedessen hat der Mensch
insbesondere ein natürliches Recht auf Selbsterhaltung. Die Konsequenz
dieser Freiheit ist laut Hobbes ein permanenter Kriegszustand. An diesem
Punkt schließen die Menschen einen Vertrag, in dem sie ihr natürliches
Recht an den Souverän abgeben. Die Sicherstellung der Selbsterhaltung,
wie etwa das Streben nach Sicherheit, Unverletzlichkeit des Lebens sowie
die Beförderung des Wohlergehens sind die entscheidenden Beweggründe -
die Menschen geben also ihre Freiheit um ihrer Sicherheit willen auf.
Diese Ausgangsbasis ist zu Hobbes' Zeiten insoweit revolutionär, als sie
allein auf das Individuum als den Ursprung einer rechtlichen Ordnung abstellt
und sich von allen metaphysischen und insbesondere religiösen Begründungsverfahren
abhebt, welche Staat, Recht und Gesetz aus einer vorgegebenen Ordnung
ableiten.4
Diese kontraktualistische und formalistische Betrachtung kennt keine Kategorien
von Gut und Böse, sie verneint jede Art von Moral und ist damit rein positivistisch.
Dies betont auch Jakobs: "Verbrechen gibt es nicht in chaotischen Verhältnissen,
sondern nur als Bruch der Normen einer praktizierten Ordnung."5 So auch
bezogen auf die Menschen: Eine Personalität - oder Rechtspersönlichkeit
- entwickelt sich erst durch Vertragsschluss, da diese Begriffe immer
in Relation zu einer Rechtsordnung stehen. So kann es Rechte erst im geordneten
Gemeinwesen geben. Wenn Menschen sich durch Vertragsschluss eine Personalität
zuerkennen, so können sie diese durch Vertragsbruch freilich auch wieder
verlieren, indem sie den Vertrag aufkündigen.
Rechtsbrecher als Unpersonen
Jakobs setzt insoweit eine Parallele zwischen Normgeltung und Geltung
der Personalität: "Wenn eine Norm die Gestalt einer Gesellschaft bestimmen
soll, so muss das normgemäße Verhalten in der Hauptsache wirklich erwartbar
sein, was heißt, die Kalkulationen der Personen müssten davon ausgehen,
die anderen würden sich normgemäß und eben nicht normbrechend verhalten.
[...] Ohne hinreichende kognitive Sicherheit erodiert die Normgeltung
und wird zum leeren Versprechen, leer, weil es keine wirklich lebbare
gesellschaftliche Gestalt mehr anbietet." Das Gleiche gelte insoweit für
die Person: "Wer keine hinreichende kognitive Sicherheit personalen Verhaltens
leistet, kann [...] nicht erwarten, noch als Person behandelt zu werden,
[...]. Ein Individuum, das sich nicht in einen bürgerlichen Zustand zwingen
lässt, kann der Segnungen des Begriffs der Person nicht teilhaftig werden."
Doch nicht jede/r RechtsbrecherIn wird aus der Gemeinschaft ausgeschlossen:
"[...] der moderne Staat (sieht) im Täter einer [...] Normaltat
[...] nicht einen Feind, den es zu vernichten gilt, sondern einen Bürger,
eine Person, die durch ihr Verhalten die Normgeltung ramponiert hat und
deshalb zwangsweise, aber als Bürger [...] herangezogen wird, um
den Normgeltungsschaden wieder auszugleichen." Dies jedoch nur, "wenn
der Täter trotz seiner Tat die Gewähr dafür bietet, sich
im großen und ganzen als Bürger, also als rechtstreu agierende
Person, zu benehmen." Feind ist hingegen, " ... wer die Legitimität
der Rechtsordnung prinzipiell leugnet und deshalb darauf aus ist, diese
Ordnung zu zerstören." Jakobs meint damit in erster Linie TerroristInnen,
zielt aber auch auf SexualstraftäterInnen und organisierte Kriminelle
ab, deren Rechtbruch aufgrund der Intensität eine Abkehr von der
Rechtsordnung indiziere6 - die dauerhafte Sicherungsverwahrung scheint
durchaus in seinem Sinne zu sein, um derart gefährliche FeindInnen
unschädlich zu machen.
Kritik an Hobbes
Im Zusammenhang mit der theoretischen Grundlage Jakobs' bedarf es zunächst
einer kritischen Betrachtung der kontraktualistischen Theorie von Hobbes.
Wenngleich Hobbes als philosophischer Wegbereiter absolutistischer und
despotischer Staaten gilt, so hat er dennoch einen Grundstein für die
Begründung universeller Menschenrechte gelegt.7 Denn der Theorie zufolge
besitzt jeder Mensch ein natürliches Recht auf Selbsterhaltung. Dieses
Recht versucht Hobbes nicht deskriptiv herzuleiten, vielmehr ist es für
ihn "eine von der Vernunft entdeckte Vorschrift oder allgemeine Regel"8
und damit seiner Ansicht nach normativ. Ohne dieses wäre bereits ein Vertrag
denkunmöglich, wonach der/die Einzelne das Recht zugunsten einer positiven
Rechtsordnung aufgibt. Hier liegt der Widerspruch der Theorie: Was als
natürliches Recht besteht, kann andererseits nicht durch Vertragsbruch
verloren werden. Einerseits bilden das Recht auf Selbsterhaltung, das
Recht auf Sicherheit und die Unverletzlichkeit des Lebens sowie die Beförderung
des Wohlergehens den Grund, warum es zur Staatskonstitution kommt; andererseits
besitzt der Souverän die Macht, diese Rechte zu entziehen. Das ist paradox:
Man kann nicht Grundnormen der Staatskonstitution eliminieren, ohne die
legimitations-theoretische Basis des Staates aufzulösen9.
Die Frage der Begründung von Menschenrechten
Damit ist keineswegs geklärt, inwieweit und auf welche Weise Menschenrechte
philosophisch begründet werden können. Im folgenden sollen daher verschiedene
Theorien vorgestellt werden, die sich mit dieser Frage auseinandergesetzt
haben.
Locke knüpft an die Vertragstheorie von Hobbes an. Er stellt in seiner
grundlegenden politischen Schrift "The Second Treatise of Government"10
auf den Willen der Vertragsschließenden ab, wenn er sagt: "Das hieße die
Menschen für so dumm zu halten, dass sie zwar zu verhüten suchen, was
ihnen Marder oder Füchse antun könnten, aber glücklich sind, ja es für
Sicherheit halten, von Löwen verschlungen zu werden." Der Mensch strebe
schon allein aus Egoismus nach einem friedlichen Zusammenleben, da er
sich im Naturzustand richtigerweise in Lebensgefahr sieht. Leben, Freiheit
und Eigentum - Rechte, die dem Menschen kraft seiner Natur als Mensch
gegeben sind - würde er jedoch nicht an ein übergeordnetes, und damit
gleichfalls gefährliches Wesen mittels eines Vertrages abgeben. Denn damit
würde er seine essentiellen Handlungsmöglichkeiten aufgeben. Leben, Freiheit
und Eigentum seien vorstaatliche Rechte, die zwar vom Staat geschützt,
aber nicht vom Staat verliehen werden können. Somit ist einem Staat als
Gesellschaftsvertrag zugrunde zu legen, dass die Menschen - aufgrund ihrer
Vernunft - ihn in erster Linie als Schutzinstrument ihrer natürlichen
Rechte ansehen. Ein Vertrag, wonach der/die Einzelne versklavt oder ausgebeutet
werden kann, ist daher nach Locke von vornherein illegitim; der Souverän
bleibt der Theorie zufolge weiterhin das Volk, der Staat verwaltet die
ihm verliehene Macht nur treuhänderisch, jeder Mensch hat jederzeit das
Recht, sich gegen Unterdrückung oder Versklavung mit allen zur Verfügung
stehenden Mitteln zu wehren.
In der Staatstheorie von Kant ist es die Ermöglichungsbedingung für die
Existenz eines legitimen Staates überhaupt, dass dieser das Menschenrecht
nicht antastet.11 Er geht wie Locke davon aus, dass der Mensch von Geburt
aus frei ist. Der Staat kann dieses Recht daher nicht verleihen, sondern
muss sich ihm fügen, sonst ist er illegitim. Wenngleich Kant von ähnlichen
Prämissen wie Locke ausgeht, besteht der entscheidende Unterschied seiner
Darlegung darin, dass die dem Menschen kraft seiner Menschheit zustehende
qualifizierte Freiheit nicht aus dem besonderen Wesen der Spezies Mensch
und damit aus biologischen Eigenschaften abgeleitet werden kann - eine
anthropologische Begründung lehnt er ab. Er hebt vielmehr die Bestimmung
des Menschen als vernünftiges Wesen hervor: " [...] dass die vernünftige
Natur als Zweck an sich selbst existiert und so notwendig wie auch jedes
andere vernünftige Wesen sich sein eigenes Dasein vorstellt."12 Der absolute,
selbstzweckhafte Wert der Vernunft begründet das Menschenrecht.
Diesem Ansatz ist einerseits kaum zu widersprechen: Ein Mensch, der Vernunft
besitzt und demnach handelt, muss auch das Interesse daran haben. Aus
diesem Interesse schließt Kant auf die Autonomie des Menschen, und leitet
daraus seine Würde und Freiheit ab13. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt
Höffe:14 Er spricht von einem transzendentalen Interesse des Menschen
an seiner eigenen Handlungsfähigkeit und -freiheit; dieses Interesse des
Einzelnen gleicht dem Vernunftbegriff Kants.
Das Problem der Letztbegründung
Das gemeinsame Problem der Philosophien Kants und Höffes sowie vieler
anderer rechtsphilosophischer Begründungen besteht darin, dass sie wie
Locke und Rousseau, die auf die Natur des Menschen abzielen, auf eine
Letztbegründung abstellen.15 Die Menschenrechte seien dem Menschen durch
Gott, seine Natur oder eben, wie bei Kant, durch seine Vernunft unbedingt
und absolut gegeben. Diese jeweilige Letztbegründung muss akzeptiert werden,
um dem weiteren Menschenrechtsverständnis folgen zu können, ohne aber
empirisch nachgewiesen werden zu können.
Insofern haben sich entgegen dieser absoluten Begründung der Menschenrechte
verschiedene Strömungen entwickelt, die eine relative Herleitung versuchen.
Rorty16 etwa vertritt die Ansicht, dass Menschenrechte nur relativ zu
einem bestimmten Kultursystem begründbar sind. Walzer17 begründet einen
kulturübergreifenden Ansatz, der auf empirische Weise Gemeinsamkeiten
festzustellen versucht. Diese Ansätze laufen letztendlich auf einen soziologischen
Positivismus hinaus und verneinen damit die vorgegebene Existenz von Menschenrechten
jeder Art.
Auch Tugendhat wendet sich gegen einen metaphysischen (christlichen oder
kantianischen) Wert des Menschen. Nach seiner Betrachtungsweise ist es
die moralische Gemeinschaft, die Rechte verleiht: "Die Moral der universellen
und gleichen Achtung aller verpflichtet uns, jeden anderen als Subjekt
von gleichen Rechten anzuerkennen."18 Voraussetzung, dass der/die Einzelne
Gegenstand unserer Achtung ist und als Träger von moralischen Rechten
respektiert wird, ist die Tatsache, dass er über die Fähigkeit verfügt,
selbst über sein Leben zu bestimmen. Insofern basiert auch dieser Ansatz
auf einer letzten Begründung, da es sich bei der Fähigkeit, über sich
selbst zu bestimmen, um im Ergebnis nichts anders als die Autonomie im
Sinne Kants' handelt.19
Legale Grundrechte im Sinne von Habermas
Habermas20 distanziert sich betontermaßen von der Auffassung, dass legale
Rechte der Moral untergeordnet seien und spricht sich gegen eine vorstaatliche
Begründung von Menschenrechten aus. Menschenrechte könnten nur in Gestalt
legaler Grundrechte bestehen. Er geht den umgekehrten Weg wie Tugendhat:
Im Sinne seiner Diskurstheorie schafft erst die rechtsförmige Institutionalisierung
des Diskursprinzips das Demokratieprinzip - nämlich dann, wenn alle möglicherweise
Betroffenen in rationalen Diskursen zustimmen könnten; und erst das Demokratieprinzip
verschaffe dem gesetzten Recht Geltung. Menschenrechte und Volkssouveränität
setzten sich damit gegenseitig voraus; entscheidendes Gewicht haben die
Mitbestimmungsrechte, welche den Rechtssetzungsprozess regulieren. Insofern
liegt der Schwerpunkt Habermas zufolge auf der Frage, mit welcher Begründung
die Menschen InhaberInnen politischer Teilnahmerechte sind, denn allein
aus der Legitimitätsvoraussetzung des Rechts, nach welcher die Betroffenen
im Diskurs zustimmen könnten, kann noch kein individuelles Recht gefolgert
werden.21
Arendt22 etwa nimmt in diesem Zusammenhang an, dass es ein Menschenrecht
auf Staatsangehörigkeit gebe, welches die Trägerschaft aller übrigen Rechte
erst ermöglicht und somit für eine effektive Durchsetzung von Menschenrechten
unabdingbar ist. Sie geht von einem moralischen, also vorstaatlichen Recht
aus. Ein solches Recht wäre jedoch nach Habermas gerade ausgeschlossen,
da es ebenso auf einer vorgegebenen Letztbegründung fußt.23
Seien es auch rein juridische Grundrechte, sie hätten dennoch nach Habermas
einen globalen Anspruch. Er verweist zum einen auf die Architektonik des
Grundgesetztes und dessen grundsätzliche Gleichbehandlung von Fremden
und InländerInnen. Zum anderen sei die demokratische Staatsbürgerschaft,
die sich nicht partikularisch abschließt, darauf angelegt, den Weg zu
bereiten für einen Weltbürgerstatus, sodass letztlich Staatsbürgerschaft
und Weltbürgerschaft eine Einheit bilden.24 Habermas malt auf diese Weise
ein Ideal und rückt von seiner rein positivistischen Sichtweise ab. Somit
stützt auch er sich auf eine Letztbegründung.
Pluralistische Diskussion statt absoluter Werte
Schlussendlich muss also die Frage gestellt werden, ob und wie man dem
Problem der Letztbegründung einer Theorie der Menschenrechte entweichen
kann. "Da [...] jeder Befürworter einer grundsätzlich materialen Wertorientierung
seiner Haltung eine Letztbegründung zugrunde legt, kann man dieses Dilemma,
auch wenn man die Letztbegründung wegen ihrer theoretischen Unbeweisbarkeit
ausschließlich subjektiven Sphäre zuweist, eigentlich nicht entrinnen",
sagt Larz.25 Er fordert daher, dass niemand seine Letztbegründung und
die daraus gezogenen Herleitungen absolut setzt. Stattdessen müsse eine
wertrelativistische Strategie eingeschlagen werden, welche nach positivistischen
Anknüpfungspunkten verlange, zugleich aber eine grundsätzliche materiale
Wertorientierung bejaht. Die Diskussion solle nicht auf einer um jeden
Preis zu verwirklichenden überpositiven Wertordnung und einer nicht zugänglichen
Letztbegründung beruhen, sondern auf der praktischen Vernunft. Wenngleich
zunächst offen bleibt, inwieweit eine Wertediskussion allein auf dieser
Grundlage geführt werden kann, ist diese Vorgehensweise ein einsichtiger
Weg für eine pluralistische Weltgesellschaft, und allemal eine offene
Tür für die Menschlichkeit.
Kontraktualismus und Despotie
Den vorgestellten Begründungen der Universalität der Menschenrechte ist
gemeinsam, dass schlussendlich die Menschenrechte den Ausgangspunkt jeder
staatlichen Ordnung darstellen, da sie unabdingbar sind, und keine staatliche
Macht frei über sie verfügen kann. Sie bilden damit die Grundlage eines
idealerweise freiheitlichen Staates.
Jakobs negiert hingegen die Existenz vorstaatlicher Rechte. So lässt sich
jede Staatsform und jedes staatliche Handeln als Vertragsschluss im Sinne
von Jakobs rechtfertigen: "Der Naturzustand ist eben ein Zustand der Normlosigkeit,
also exzessiver Freiheit wie exzessiven Kampfes. Wer den Krieg gewinnt,
bestimmt, was Norm ist, und wer verliert, hat sich dieser Bestimmung zu
beugen."26 Der Schutz von Minderheiten gleich welcher Art ist in diesem
Ordnungssystem nicht vorgesehen. Es führt vielmehr zur Herrschaft einer
Gruppe über eine andere Gruppe und bildet damit die Grundlage jedes despotischen
Herrschaftssystems, denn der/die HerrscherIn ist der Souverän und muss
sich nicht verantworten. Damit ist jede Niederschlagung von Protesten
gegen die staatliche Ordnung gerechtfertigt.
Mit diesem Begründungsansatz sollte nach Jakobs über die Behandlung von
Terroristen diskutiert werden: "Aber es ist doch sehr wohl zu fragen,
ob nicht durch die strikte Fixierung allein auf die Kategorie des Verbrechens
dem Staat eine Bindung auferlegt wird - eben die Notwendigkeit, den Täter
als Person zu respektieren - die gegenüber einem Terroristen, der die
Erwartung generell personalen Verhaltens gerade nicht rechtfertigt, schlechthin
unangemessen ist."
Die langsame Umsetzung des Feindstrafrechts heute
Die Grenze zwischen Despotie und scheinbar freiheitlicher Gesellschaft
ist nicht immer eindeutig, wenn man bedenkt, dass Jakobs nicht allein
ist mit seinen Ansichten. das gesellschaftliche Klima ist längst auf diesem
Weg, die politische Praxis geht mit.
In der Diskussion um die Zulässigkeit der Folter im Fall der Entführung
von Jakob von Metzler und der Frage der Abwägbarkeit der Menschenwürde
wurde nicht selten argumentiert, der Entführer sei ja der Herr seines
Schicksals, denn er hätte die Entführung zu verantworten, aus diesem Grund
könne man ihn auch foltern - anders gesagt: Er hätte den Vertrag gekündigt
und damit selbst auf seine Menschenwürde verzichtet.
Ähnliche Entwicklungen zeichnen sich in der Strafrechtsgesetzgebung ab:
Insbesondere im Zusammenhang mit den Gesetzen zur Bekämpfung von Sexualstraftaten
und den Diskussionen um die nachträgliche Sicherungsverwahrung wird das
schuldbezogene Strafrecht durch ein tatsächliches Gefahrenabwehrrecht
verdrängt,27 auf der geistigen Grundlage, dass die Taten an sich bereits
eine Entrechtlichung der Täter rechtfertigen - bis die Gefahr völlig gebannt
ist. Das Schuldprinzip sowie das Interesse des Täters an seiner Resozialisierung
müssen in diesem Zusammenhang hinten anstehen, eine Abwägung findet in
Anbetracht des Sicherheitsinteresses der Bevölkerung nicht statt.
Im US-Stützpunkt in Guantanamo wurden nach dem 11. September 2001 und
dem Krieg in Afghanistan über 500 Menschen inhaftiert, ohne Kontakt zur
Außenwelt, ohne jeden rechtlichen Beistand. Für die US-Regierung handelt
es sich bei ihnen, ohne dass je über Schuld und Unschuld geurteilt wurde,
von vornherein um feindliche Kämpfer, die keine Rechte haben. Nach internationalen
Protesten und Einsprüchen seitens der eigenen Justiz versucht man nun,
die Rechtlosigkeit zumindest in Guantanamo auf ganz besondere Art und
Weise zu beenden: Inhaftierte werden Opfer der rendition, einer Praxis,
die darin besteht, Terrorverdächtige in Staaten mit schwachen Menschenrechtsstandards
abzuschieben oder zu entführen, um sie dort zu verhören.
Nur scheinbar überspitzt hat der deutsche Innenminister in der Diskussion
um die Legitimation von Todesschüssen gegenüber Terroristen formuliert:
"Wer den Tod liebt, der soll ihn auch haben."28
Die verfassungsrechtlichen Antworten
Wie das Feindstrafrecht fordert und Guantanamo zeigt, haben Theorie und
Praxis erhebliche Konsequenzen für die Grundprinzipien von Strafrecht
und Strafprozessrecht. Gleichwohl hat die Strafrechtswissenschaft auf
die Thesen Jakobs' anfangs sehr zurückhaltend bis gar nicht reagiert -
dies mag Blindheit sein oder der schiere Unglaube über Formulierungen,
die man seit sechs Jahrzehnten nicht mehr gehört hat. Mittlerweile mehren
sich die Diskussionen, neben den generellen Bedenken29 liegt dies freilich
auch daran, dass das Feindstrafrecht erlaubt, was verfassungsrechtlich
ausdrücklich verboten ist.
Hinter der Aberkennung der Rechtspersonalität verbirgt sich neben einem
generellen Wandel von Strafrechtsgesetzgebung zur Bekämpfungsgesetzgebung
und der damit verbundenen Vorverlagerung der Strafbarkeit insbesondere
der Abbau der im Rechtsstaatsprinzip verbürgten prozessualen Garantien.
Verlockend ist das für Sicherheitspolitiker in vielerlei Hinsicht: Abhörmethoden
und andere Überwachungsmaßnahmen stoßen nicht mehr an die "umständlichen"
Grenzen des Grundrechtsschutzes, bei offensichtlicher Gefahr wird Folter
zulässig, die Gesetzlichkeit der Strafe ist nicht erforderlich, da ja
bei "FeindInnen" gerade kein Grundrechtseingriff vorliegt, und im Zweifel
kann man auch mal gegen den Angeklagten entscheiden. An dieser Stelle
fragt sich freilich, wer denn nach Jakobs nun bestimmen soll, wer FeindIn
ist - und noch schwieriger - wann dies geschehen soll. Speziell im Strafprozessrecht
ist dies kompliziert: Die Prozessgarantien kommen zum Tragen, bevor die
Schuld des Einzelnen festgestellt ist. Würde die Personalität des/der
Einzelnen vor dem Urteilsspruch aberkannt, widerspräche dies in erster
Linie der Unschuldsvermutung, die damit ihre Geltung überhaupt verlöre30
- etwas anderes ist denkunmöglich, denn sie ist von der Qualität des deliktischen
Verhaltens völlig unabhängig. Letztendlich würden alle Grundrechte auch
nur potentieller "FeindInnen" untergraben, da der Staat ja zum Zwecke
der Terrorismusbekämpfung zu allen geeigneten Maßnahmen geradezu verpflichtet
wäre.
Jakobs behauptet in diesem Zusammenhang, dass vor dem Hintergrund angeblich
zunehmender Gefahren nur auf diese Weise das Bürgerstrafrecht gerettet
werden könne. Er verkennt dabei aus den genannten Gründen, dass den strafrechtlichen
Prinzipien vollständig der Boden entzogen würde.
Das menschenrechtliche Ideal des Grundgesetzes
Ein Feindstrafrecht würde gegen die Fundamente des deutschen Grundgesetzes
verstoßen. Dies gilt einerseits für die erwähnten straf- und strafprozessrechtlichen
Grundsätze, die im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3, in Art. 19
Abs. 4, 101, 103 und 104 GG sowie weiteren konkretisierenden Vorschriften
verankert und über Art. 79 Abs. 3 GG größtenteils unabdingbar sind.31
Darüber hinaus widerspricht das Konzept grundsätzlich dem menschenrechtlichen
Ideal des Grundgesetzes: Die Garantie der Menschenwürde ist personell
unbeschränkt, jeder Mensch besitzt sie, ohne Rücksicht auf seine Eigenschaften,
seine Leistungen und seinen sozialen Status.32 Gerade politische Anschauungen,
also die generelle Einstellung des/der Einzelnen gegenüber dem staatlichen
System, dürfen gemäß Art. 3 Abs. 3 GG zu keiner Benachteiligung führen
(mit der engen Ausnahme, dass das Bundesverfassungsgericht nach Art. 18
GG aus Staatsschutzgründen die Verwirkung eines - politischen - Grundrechts
aussprechen kann).
Art. 1 Abs. 2 GG geht von der Unveräußerlichkeit der Menschenrechte aus;
die Menschenrechte werden nicht vom Staat verliehen, sondern stehen der/dem
Einzelnen bereits zu. Entsprechend liegt dem Grundgesetz die Idee zugrunde,
dass zuerst der Mensch kommt und dann der Staat, der/die Einzelne also
der Ausgangspunkt ist.
Dies entspringt insbesondere den frischen Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus,
wo der/die Einzelne nichts und das Kollektiv alles war - dieses Prinzip
wird umgekehrt. Somit kann der/die Einzelne seine Grundrechte nicht verlieren,
ein so genannter Vertragsbruch führt nicht zum Rechtsverlust, da die grundlegenden
Menschenrechte vor dem so genannten Vertrag liegen. Das Wohl der Allgemeinheit
kann nicht die völlige Abdingbarkeit der Rechte des/der Einzelnen rechtfertigen.
Aushöhlung der Menschenrechte?
Die Forderung nach einem Feindstrafrecht untermauert die Ansicht, dass
der Staat zum Schutz der Sicherheit zu allen Maßnahmen berechtigt sei.
In der Debatte um effektive Gefahrenabwehr zählt der/die Einzelne nicht
nur immer weniger, manche Menschen zählen schließlich gar nichts mehr.
Den Erfahrungen mit der Schreckensherrschaft des Nationalsozialismus,
die das Fundament für die Entwicklung des Grundrechtsschutzes und einiger
wichtiger Verfassungsprinzipien bildeten und bilden, folgen nun die Erfahrungen
mit dem Terrorismus, die neue Maßnahmen, und damit neue Betrachtungen
des Grundrechtsschutzes für erforderlich erscheinen lassen. Sogar im Vergleich
zu den Kampfmaßnahmen gegen die RAF in den siebziger Jahren werden neue
Dimensionen erreicht. Dies hat freilich nicht allein ein Strafrechtsprofessor
aus Bonn zu verantworten, das gesellschaftliche Klima bildet die Grundlage,
die faktische Umsetzung der Ideen findet bereits statt. Die Forderung
nach einem Feindstrafrecht hebt - oder vielmehr senkt - die Diskussion
auf eine neue Stufe, und verstärkt, verdeutlicht aber auch die Gefahren,
der die Institution der Menschenrechte gegenwärtig ausgesetzt sind. Seine
Umsetzung würde gegen die straf- und strafprozessrechtlichen Prinzipien
und das Menschenrechtsbild des Grundgesetzes verstoßen und wäre verfassungswidrig.
Insbesondere im Kampf gegen den Terrorismus erscheint es widersinnig,
Menschen mit zweierlei Maß zu messen. Terrorbekämpfung und die begleitenden
Maßnahmen werden mit dem Schutz der Grundrechte und der staatlichen Ordnung
gerechtfertigt. Setzt man nun die staatliche Ordnung zum Zweck der Terrorismusbekämpfung
außer Kraft, wird jener Kampf noch unglaubwürdiger, als er es bereits
ist.
Matthias Lehnert studiert Jura in Münster
Anmerkungen:
1 Jakobs, Bürgerstrafrecht und Feindstrafrecht, HRSS 2004, 88 ff.
2 Hobbes, Leviathan, 1651, 13 Kap./17. Kap.
3 Göller, Thomas Hobbes - Ein Vorläufer der Idee universaler Menschenrechte,
in: ders. (Hrsg.) Philosophie der Menschenrechte, 135 ff., 136.
4 Göller (Rn.3), 137.
5 Jakobs, Bürgerstrafrecht und Feindstrafrecht, HRSS 2004, 88,
91.
6 Siehe Prantl, SZ v. 05./06.03.2005, S. 13.
7 Göller, (Rn.3), 136.
8 Hobbes, Leviathan, Kap.17.
9 Göller (Rn.3), 147.
10 Locke, The Second Treatise of Government, 1690, 7. Kap., § 93.
11 Kant, Die Metaphysik der Sitten, 1797, AA VI, 237.
12 Kant, ebda.
13 Paul, Zur Frage nach der Begründbarkeit der Menschenrechte, in: Göller
(Hrsg.), Philosophie der Menschenrechte, 1999, 40 ff, 45.
14 Höffe, Ein transzendentaler Tausch: Zur Anthropologie der Menschenrechte,
in: Philosophisches Jahrbuch 99 (1992), 1 ff.
15 Der Begriff Letztbegündung stammt aus Larz, Modernes Grund- und Menschenrechtsverständnis,
1992, 351 ff.
16 Rorty, Menschenrechte, Rationalität und Gefühl, in: Shute / Hurley
(Hrsg.), Die Idee der Menschenrechte, 1996.
17 Walzer, Lokale Kritik - globale Standards. Zwei Formen moralischer
Auseinandersetzung, 1996.
18 Tugendhat, Vorlesungen über Ethik, 1993, 339 ff, 356.
19 Lohmann, Menschenrecht zwischen Moral und Recht, in: Gosepath / Lohmann
(Hrsg.), Philosophie der Menschenrechte, 62 ff, 70.
20 Habermas, Faktizität und Geltung, 1992, 541 ff.
21 So auch Lohmann (Rn.19), 74.
22 Arendt, Es gibt nur ein einziges Menschenrecht, in: Dolf Steinberger
(Hrsg.), Die Wandlung IV, 1949.
23 Lohmann (Rn.19), 78 f.
24 Habermas (Rn.20).
25 Larz (Rn. 15), 351.
26 Jakobs (Rn. 5).
27 Haffke, Vom Rechtsstaat zum Sicherheitsstaat, KJ 2005, 17 ff.
28 Interview mit Otto Schily im SPIEGEL, Heft 18/2004.
29 U.a. Schünemann, Das Strafrecht im Zeichen der Globalisierung, GA
2001, 299 ff; Lorenz Schulz, Die deutsche Strafrechtswissenschaft vor
der Jahrtausendwende - Tagungsbericht, ZStW 112, 653 ff.
30 Bielefeldt, Das Folterverbot im Rechtsstaat, Policy Paper, Deutsches
Institut für Menschenrechte, 9 ff.
31 Pieroth, Jarass / Pieroth, GG-Kommentar, Art. 79, Rn. 11.
32 BVerfGE 87, 209, 228.
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