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Recht ist objektiv und abstrakt. Es gilt allgemein und ist universell.
Und geschlechtsneutral. Oder?
In der BRD sind Frauen und Männer rechtlich weitestgehend formal gleichgestellt.
Verankert ist dies in Artikel 3 Absatz 2 Grundgesetz (GG): "Männer und
Frauen sind gleichberechtigt." Was heute selbstverständlich erscheint,
ist das Ergebnis langwieriger Kämpfe von Frauen um ihre Rechte.
Die Losung der französischen Revolution, "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit",
war nicht metaphorisch: Für Schwestern galt die glorreiche Trias nicht,
der allumfassend scheinende Begriff des "citoyen" umfasste nur Männer.
Mit der Aufklärung wurde der sich durch Rationalität, Abstraktions- und
Entscheidungsfähigkeit auszeichnende Mensch zum Idealbild - gemeint war
damit der Mann. Sein Gegenstück war die ihrer Natur verhaftete, emotionale,
sich der Reproduktion und häuslichen Versorgung widmende Frau. Dieser
"wesenhafte" Unterschied von Frauen und Männern diente als Begründung,
Frauen systematisch den Zugang zu allen Bereichen des öffentlichen Lebens
zu verwehren und sie der häuslichen Sphäre, dem Privaten, zuzuordnen.
Solche kulturellen Zuschreibungen sind heute keineswegs überholt.
Frauen kämpfen um Recht...
Bereits mit Geburt der Menschenrechte als Männerrechte kämpften Frauen
gegen diese Ungerechtigkeit: Kurz nach der Verkündung der "droits de l'homme"
1789 verfasste Olympe de Gouges 1791 die Deklaration der Rechte der Frauen
und Bürgerinnen. Die Männer, die zu dieser Zeit Recht setzten, gewährten
ihnen - Rechte jedoch nicht. Im Deutschland des 19. Jahrhunderts waren
Frauen nicht geschäftsfähig und hatten weder Recht auf Bildung noch Wahlrecht
noch durften sie sich politisch betätigen.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bildeten sich erste Frauenbewegungen,
um dagegen zu kämpfen. Doch bloßes Frausein reichte nicht aus, um eine
einheitliche politische Stoßrichtung zu formulieren: Die bürgerliche Frauenbewegung
sah ihren Schwerpunkt darin, Frauen und Mädchen den Zugang zu Bildung
und das Recht auf Erwerbstätigkeit zu ermöglichen und insistierte auf
der wesenhaften Differenz der Geschlechter. Weibliche Tugenden sollten
in die Gesellschaft einfließen und so Aufwertung erfahren. Die proletarische
Frauenbewegung dagegen bildete sich im Kontext der Arbeiterbewegung. Themen
waren dementsprechend soziale Gerechtigkeit, menschenwürdige Arbeitsbedingungen,
aber auch Wahlrecht und Möglichkeit politischer Betätigung - also eine
Politik der Gleichbehandlung von Frauen.
Obwohl sich die Forderungen der beiden Strömungen teilweise überschnitten,
zeigten sich hier schon Konflikte, die sich der Frauenbewegung bis heute
stellen. So ist etwa die Frage, ob Gleichheit oder Differenz im Verhältnis
zu Männern Grundlage einer Politik der Gleichberechtigung sein soll und
das Problem, dass es keine homogene Gruppe "Frau" gibt, da Frauen in verschiedenen
sozialen und ökonomischen Verhältnissen leben, bis heute aktuell.
... gegen Recht
Erster Erfolg der Frauenbewegung war die Zulassung von Frauen zu den
Universitäten 1908. 1918 erhielten Frauen das Wahlrecht, 1921 die Zulassung
zum juristischen Staatsdienst, aus dem sie 1933 allerdings wieder hinausgedrängt
wurden, da Hitler die Frauenemanzipation für jüdischen Ursprungs hielt.
Für ihn hatten Frauen zum Wohle des Volkskörpers zu gebären und an der
Heimatfront die Stellung zu halten, während der Mann in den Kampf zieht.
Die mühsam errungenen Fortschritte der Frauenbewegung wurden so zugunsten
eines Mutterideals beseitigt.
Erst nach 1945 wurde in Deutschland die Diskussion um Frauenrechte fortgesetzt.
Im Januar 1949 lieferten sich die 61 Verfassungsväter und vier -mütter
des Grundgesetzes im Hauptausschuss des Parlamentarischen Rates heftige
Debatten um einen Antrag Elisabeth Selberts (SPD): "Männer und Frauen
sind gleichberechtigt" sollte Art. 3 Abs. 2 GG lauten, und nicht, so der
Gegenantrag der CDU, "Männer und Frauen haben die gleichen staatsbürgerlichen
Rechte und Pflichten". Danach hätten Frauen Wahlrecht und Zugang zu öffentlichen
Ämtern erhalten. Der schließlich angenommene Selbert-Antrag hatte zur
Folge, dass entscheidende Regelungen des Familien- und Erbrechts geändert
werden mussten, was jedoch nur schleppend und unzureichend erfolgte. Noch
bis 1957 durfte der Ehemann das Arbeitsverhältnis seiner Ehefrau kündigen,
denn diese war zu außerhäuslicher Arbeit nur berechtigt, wenn diese "mit
ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar" war. Die endgültige Familienrechtsreform
fand erst 1975 statt.
... mit Recht
Im Zuge der Verfassungsreform 1994 bekam Art. 3 Abs. 2 GG den Zusatz
"Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung
von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile
hin". Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass formale Gleichbehandlung
eine strukturell bestehende Ungleichverteilung von Geld, Freizeit und
Entscheidungsmacht zementiert. Das absolute Verbot, aufgrund des Geschlechts
zu differenzieren, wurde um die Ermächtigung zu gezielten Frauenfördermaßnahmen
ergänzt. Beispiel hierfür ist die Vorgabe, bei gleich qualifizierten BewerberInnen
grundsätzlich eine Frau einzustellen.
Bereits mit der Entstehung dessen, was wir in liberal-demokratischen Staaten
als Recht verstehen, mussten Frauen also um dasselbe kämpfen. Mal legte
das Recht selbst die Fessel (wie das die patriarchalen Familienstrukturen
zementierende BGB), mal diente Recht den Frauen in ihrem Kampf (wie die
Quotenregelung).
Frauen im Recht
Was aber ist feministische Rechtswissenschaft? Ist es überhaupt eine
Wissenschaft? In Deutschland haben es feministische JuristInnen noch immer
schwer, unter den "seriösen" Disziplinen der rechtswissenschaftlichen
Fakultäten ernst genommen zu werden. Skandinavische und angelsächsische
Länder sind weiter: Dort ist feministische Rechtstheorie bereits selbstverständlich
im Fächerkanon enthalten.
Feministische Rechtswissenschaft setzt dort an, wo und wie Recht in Frauenleben
einwirkt. Sie ist interdisziplinär, da sie an Fächer wie Soziologie, Politologie,
Linguistik und Psychologie angelehnt ist, aber auch, weil Frauen (wie
alle Menschen) die Rechtsordnung in verschiedenen Lebensbereichen antreffen:
als Arbeiterin das Arbeitsrecht, als Ehefrau das Familienrecht, als Delinquentin
oder Geschädigte das Straf- oder Zivilrecht, etc. Es bedarf also auch
eines Querdenkens durch verschiedene Rechtsgebiete.
Fokus der feministischen Rechtsanalyse ist die Frage, welche Rolle Recht
beim Erhalt des gesellschaftlichen Machtungleichgewichts spielt. Dabei
gilt der Blick dem geschlechtsspezifischen Gewordensein des Rechts: Frauen
hatten weniger Einfluss auf der Ebene der Normsetzung (und haben ihn immer
noch nicht: auch im Bundestag sind Frauen unterrepräsentiert) und konnten
(können) weniger Recht sprechen, denn auch der Justizapparat ist noch
immer Männerdomäne. Deshalb flossen von Anfang an stärker die Interessen
jener ein, die Recht setzten. Aus dieser Perspektive weisen die unerschütterlichen
Grundfesten unserer Rechtsordnung deutliche Risse auf. Es heißt, Recht
sei objektiv. Die feministische Rechtskritik setzt dagegen: Recht ist
historisch, Ergebnis politischer Prozesse, beeinflusst von Interessen.
Auch weitere Schlüsselbegriffe aufklärerischer Rechtstheorie werden gründlich
analysiert und ihres Heiligenscheins beraubt. "Gleichheit" gilt nur für
Gleiche, postulierte Aristoteles - zu Recht: Die Rechtsordnung, auf Frauen
übergestülpt, scheint einfach nicht zu passen. Beispiel dafür ist das
am Vollzeitarbeitnehmer orientierte Arbeitsrecht, das die Lebenszusammenhänge
von Frauen nicht berücksichtigt und sie als rechtfertigungsbedürftige
Ausnahme erscheinen lässt. Trotz formaler Gleichstellung bekleiden Frauen
nur 3 % (im Osten 6 %) der Führungspositionen. Dies zeigt sich auch an
den Universitäten: Im Fachbereich Jura gibt es bei gut 50 % Studienanfängerinnen
nur 3 % Professorinnen. Allgemein sind Frauen häufiger arbeitslos oder
arm und verdienen etwa 65-70 % dessen, was ihre männlichen Kollegen auf
gleicher Ebene bekommen. Es gibt also im Arbeitsleben Hürden für Frauen,
die eine formale Gleichbehandlung unangetastet lässt.
Feministische Rechtswissenschaft orientiert sich daher am Begriff der
faktischen Gleichheit. Ziel ist eine gleiche Verteilung von Macht, materiellen
Gütern, Rechten und Pflichten auf beide Geschlechter. Wie dieses Ziel
erreicht werden soll, ist jedoch umstritten. Gerade Fördermaßnahmen werden
häufig von Frauen kritisiert, da sie sich durch die Quote benachteiligt
und in eine Opferrolle gedrängt fühlen (nur genommen, weil ich Frau bin?).
Dies ist das so genannte feministische Dilemma: Durch den Versuch, mit
Regelungen auf Ungleichheiten einzuwirken, werden diese gleichzeitig festgeschrieben.
Eine Strategie, sich dem Problem nicht auszuliefern, ist, sich vor Augen
zu halten, wie viele Millionen Männer zuvor wegen ihres Geschlechts bevorzugt
wurden. Und: Ziel der Quote ist, sich selbst überflüssig zu machen.
Verrechtlichte und rechtlose Räume
Feministische Kritik richtete sich von Anfang an gegen die der bürgerlichen
Gesellschaft innewohnende Trennung des "Öffentlichen" vom "Privaten".
Als rechtlich regelungswürdig und -bedürftig wurden nur solche Teile des
gesellschaftlichen Lebens erachtet, denen politische Relevanz beigemessen
wird; dem gegenüber stand die vom Staat unbeeinflusste Privatsphäre. Der
Teil des gesellschaftlichen Lebens, dem Frauen zugeordnet werden, und
damit ein großer Teil traditioneller weiblicher Existenz, wird also von
der Rechtsordnung ignoriert, was die Rechtlosigkeit von Frauen zur Folge
hatte. Das Fehlen rechtlicher Sanktionen im Privatbereich bedeutet vor
allem, dass keine Instanz das dem Geschlechterverhältnis innewohnende
Machtverhältnis kontrolliert. So war Vergewaltigung in der Ehe bis 1997
nicht strafbar - mit dem Argument, die Staatsanwaltschaft habe nichts
im Ehebett zu suchen. Kein Problem ist dagegen die Staatsanwaltschaft
im Bauch der Frau, wenn es um Abtreibung geht. Hier wird deutlich, dass
es bei Rechtskämpfen nicht um objektive Prinzipien geht, sondern um politische
Interessen.
Recht für Gerechtigkeit?
Mit der Forderung, das Machtverhältnis der Geschlechter auch im Recht
zur Kenntnis zu nehmen, stößt sich die feministische mit bürgerrechtlichen
Bewegungen, zu deren Forderungen u.a. gehört, die Privatsphäre gegen staatliche
Eingriffe zu schützen. Damit ist nur ein Bruchteil des Problems angerissen,
das sich feministischer Rechtstheorie insgesamt stellt: Ist Recht überhaupt
geeignet, wirkliche Gleichberechtigung zu erreichen? Der Versuch, mit
rechtlichen Mitteln auf gesellschaftliche Prozesse einzuwirken, ist häufig
ambivalent.
Allerdings ist es wohl das einzige, was zu tun bleibt. Die tatsächliche
Gleichberechtigung der Geschlechter in unserer Gesellschaft wäre revolutionär,
denn sie bedeutete die völlige Umwälzung der ökonomischen und sozialen
Strukturen. Und wie es so ist mit der Revolution: Wer nicht auf sie warten
will, muss wohl oder übel den steinigen Weg der Reformen und der politischen
Kleinarbeit gehen...
Tanja Nitschke ist Rechtsreferendarin und lebt in Nürnberg.
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