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  Recht weiblich   Sonderausgabe
Wozu Jura studieren?
2002/2003

Seite 20-21
 
  Feministische Rechtswissenschaft  
 

Recht ist objektiv und abstrakt. Es gilt allgemein und ist universell. Und geschlechtsneutral. Oder?
In der BRD sind Frauen und Männer rechtlich weitestgehend formal gleichgestellt. Verankert ist dies in Artikel 3 Absatz 2 Grundgesetz (GG): "Männer und Frauen sind gleichberechtigt." Was heute selbstverständlich erscheint, ist das Ergebnis langwieriger Kämpfe von Frauen um ihre Rechte.
Die Losung der französischen Revolution, "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit", war nicht metaphorisch: Für Schwestern galt die glorreiche Trias nicht, der allumfassend scheinende Begriff des "citoyen" umfasste nur Männer. Mit der Aufklärung wurde der sich durch Rationalität, Abstraktions- und Entscheidungsfähigkeit auszeichnende Mensch zum Idealbild - gemeint war damit der Mann. Sein Gegenstück war die ihrer Natur verhaftete, emotionale, sich der Reproduktion und häuslichen Versorgung widmende Frau. Dieser "wesenhafte" Unterschied von Frauen und Männern diente als Begründung, Frauen systematisch den Zugang zu allen Bereichen des öffentlichen Lebens zu verwehren und sie der häuslichen Sphäre, dem Privaten, zuzuordnen. Solche kulturellen Zuschreibungen sind heute keineswegs überholt.

Frauen kämpfen um Recht...

Bereits mit Geburt der Menschenrechte als Männerrechte kämpften Frauen gegen diese Ungerechtigkeit: Kurz nach der Verkündung der "droits de l'homme" 1789 verfasste Olympe de Gouges 1791 die Deklaration der Rechte der Frauen und Bürgerinnen. Die Männer, die zu dieser Zeit Recht setzten, gewährten ihnen - Rechte jedoch nicht. Im Deutschland des 19. Jahrhunderts waren Frauen nicht geschäftsfähig und hatten weder Recht auf Bildung noch Wahlrecht noch durften sie sich politisch betätigen.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bildeten sich erste Frauenbewegungen, um dagegen zu kämpfen. Doch bloßes Frausein reichte nicht aus, um eine einheitliche politische Stoßrichtung zu formulieren: Die bürgerliche Frauenbewegung sah ihren Schwerpunkt darin, Frauen und Mädchen den Zugang zu Bildung und das Recht auf Erwerbstätigkeit zu ermöglichen und insistierte auf der wesenhaften Differenz der Geschlechter. Weibliche Tugenden sollten in die Gesellschaft einfließen und so Aufwertung erfahren. Die proletarische Frauenbewegung dagegen bildete sich im Kontext der Arbeiterbewegung. Themen waren dementsprechend soziale Gerechtigkeit, menschenwürdige Arbeitsbedingungen, aber auch Wahlrecht und Möglichkeit politischer Betätigung - also eine Politik der Gleichbehandlung von Frauen.
Obwohl sich die Forderungen der beiden Strömungen teilweise überschnitten, zeigten sich hier schon Konflikte, die sich der Frauenbewegung bis heute stellen. So ist etwa die Frage, ob Gleichheit oder Differenz im Verhältnis zu Männern Grundlage einer Politik der Gleichberechtigung sein soll und das Problem, dass es keine homogene Gruppe "Frau" gibt, da Frauen in verschiedenen sozialen und ökonomischen Verhältnissen leben, bis heute aktuell.

... gegen Recht

Erster Erfolg der Frauenbewegung war die Zulassung von Frauen zu den Universitäten 1908. 1918 erhielten Frauen das Wahlrecht, 1921 die Zulassung zum juristischen Staatsdienst, aus dem sie 1933 allerdings wieder hinausgedrängt wurden, da Hitler die Frauenemanzipation für jüdischen Ursprungs hielt. Für ihn hatten Frauen zum Wohle des Volkskörpers zu gebären und an der Heimatfront die Stellung zu halten, während der Mann in den Kampf zieht. Die mühsam errungenen Fortschritte der Frauenbewegung wurden so zugunsten eines Mutterideals beseitigt.
Erst nach 1945 wurde in Deutschland die Diskussion um Frauenrechte fortgesetzt. Im Januar 1949 lieferten sich die 61 Verfassungsväter und vier -mütter des Grundgesetzes im Hauptausschuss des Parlamentarischen Rates heftige Debatten um einen Antrag Elisabeth Selberts (SPD): "Männer und Frauen sind gleichberechtigt" sollte Art. 3 Abs. 2 GG lauten, und nicht, so der Gegenantrag der CDU, "Männer und Frauen haben die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten". Danach hätten Frauen Wahlrecht und Zugang zu öffentlichen Ämtern erhalten. Der schließlich angenommene Selbert-Antrag hatte zur Folge, dass entscheidende Regelungen des Familien- und Erbrechts geändert werden mussten, was jedoch nur schleppend und unzureichend erfolgte. Noch bis 1957 durfte der Ehemann das Arbeitsverhältnis seiner Ehefrau kündigen, denn diese war zu außerhäuslicher Arbeit nur berechtigt, wenn diese "mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar" war. Die endgültige Familienrechtsreform fand erst 1975 statt.

... mit Recht

Im Zuge der Verfassungsreform 1994 bekam Art. 3 Abs. 2 GG den Zusatz "Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin". Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass formale Gleichbehandlung eine strukturell bestehende Ungleichverteilung von Geld, Freizeit und Entscheidungsmacht zementiert. Das absolute Verbot, aufgrund des Geschlechts zu differenzieren, wurde um die Ermächtigung zu gezielten Frauenfördermaßnahmen ergänzt. Beispiel hierfür ist die Vorgabe, bei gleich qualifizierten BewerberInnen grundsätzlich eine Frau einzustellen.
Bereits mit der Entstehung dessen, was wir in liberal-demokratischen Staaten als Recht verstehen, mussten Frauen also um dasselbe kämpfen. Mal legte das Recht selbst die Fessel (wie das die patriarchalen Familienstrukturen zementierende BGB), mal diente Recht den Frauen in ihrem Kampf (wie die Quotenregelung).

Frauen im Recht

Was aber ist feministische Rechtswissenschaft? Ist es überhaupt eine Wissenschaft? In Deutschland haben es feministische JuristInnen noch immer schwer, unter den "seriösen" Disziplinen der rechtswissenschaftlichen Fakultäten ernst genommen zu werden. Skandinavische und angelsächsische Länder sind weiter: Dort ist feministische Rechtstheorie bereits selbstverständlich im Fächerkanon enthalten.
Feministische Rechtswissenschaft setzt dort an, wo und wie Recht in Frauenleben einwirkt. Sie ist interdisziplinär, da sie an Fächer wie Soziologie, Politologie, Linguistik und Psychologie angelehnt ist, aber auch, weil Frauen (wie alle Menschen) die Rechtsordnung in verschiedenen Lebensbereichen antreffen: als Arbeiterin das Arbeitsrecht, als Ehefrau das Familienrecht, als Delinquentin oder Geschädigte das Straf- oder Zivilrecht, etc. Es bedarf also auch eines Querdenkens durch verschiedene Rechtsgebiete.
Fokus der feministischen Rechtsanalyse ist die Frage, welche Rolle Recht beim Erhalt des gesellschaftlichen Machtungleichgewichts spielt. Dabei gilt der Blick dem geschlechtsspezifischen Gewordensein des Rechts: Frauen hatten weniger Einfluss auf der Ebene der Normsetzung (und haben ihn immer noch nicht: auch im Bundestag sind Frauen unterrepräsentiert) und konnten (können) weniger Recht sprechen, denn auch der Justizapparat ist noch immer Männerdomäne. Deshalb flossen von Anfang an stärker die Interessen jener ein, die Recht setzten. Aus dieser Perspektive weisen die unerschütterlichen Grundfesten unserer Rechtsordnung deutliche Risse auf. Es heißt, Recht sei objektiv. Die feministische Rechtskritik setzt dagegen: Recht ist historisch, Ergebnis politischer Prozesse, beeinflusst von Interessen.
Auch weitere Schlüsselbegriffe aufklärerischer Rechtstheorie werden gründlich analysiert und ihres Heiligenscheins beraubt. "Gleichheit" gilt nur für Gleiche, postulierte Aristoteles - zu Recht: Die Rechtsordnung, auf Frauen übergestülpt, scheint einfach nicht zu passen. Beispiel dafür ist das am Vollzeitarbeitnehmer orientierte Arbeitsrecht, das die Lebenszusammenhänge von Frauen nicht berücksichtigt und sie als rechtfertigungsbedürftige Ausnahme erscheinen lässt. Trotz formaler Gleichstellung bekleiden Frauen nur 3 % (im Osten 6 %) der Führungspositionen. Dies zeigt sich auch an den Universitäten: Im Fachbereich Jura gibt es bei gut 50 % Studienanfängerinnen nur 3 % Professorinnen. Allgemein sind Frauen häufiger arbeitslos oder arm und verdienen etwa 65-70 % dessen, was ihre männlichen Kollegen auf gleicher Ebene bekommen. Es gibt also im Arbeitsleben Hürden für Frauen, die eine formale Gleichbehandlung unangetastet lässt.
Feministische Rechtswissenschaft orientiert sich daher am Begriff der faktischen Gleichheit. Ziel ist eine gleiche Verteilung von Macht, materiellen Gütern, Rechten und Pflichten auf beide Geschlechter. Wie dieses Ziel erreicht werden soll, ist jedoch umstritten. Gerade Fördermaßnahmen werden häufig von Frauen kritisiert, da sie sich durch die Quote benachteiligt und in eine Opferrolle gedrängt fühlen (nur genommen, weil ich Frau bin?). Dies ist das so genannte feministische Dilemma: Durch den Versuch, mit Regelungen auf Ungleichheiten einzuwirken, werden diese gleichzeitig festgeschrieben. Eine Strategie, sich dem Problem nicht auszuliefern, ist, sich vor Augen zu halten, wie viele Millionen Männer zuvor wegen ihres Geschlechts bevorzugt wurden. Und: Ziel der Quote ist, sich selbst überflüssig zu machen.

Verrechtlichte und rechtlose Räume

Feministische Kritik richtete sich von Anfang an gegen die der bürgerlichen Gesellschaft innewohnende Trennung des "Öffentlichen" vom "Privaten". Als rechtlich regelungswürdig und -bedürftig wurden nur solche Teile des gesellschaftlichen Lebens erachtet, denen politische Relevanz beigemessen wird; dem gegenüber stand die vom Staat unbeeinflusste Privatsphäre. Der Teil des gesellschaftlichen Lebens, dem Frauen zugeordnet werden, und damit ein großer Teil traditioneller weiblicher Existenz, wird also von der Rechtsordnung ignoriert, was die Rechtlosigkeit von Frauen zur Folge hatte. Das Fehlen rechtlicher Sanktionen im Privatbereich bedeutet vor allem, dass keine Instanz das dem Geschlechterverhältnis innewohnende Machtverhältnis kontrolliert. So war Vergewaltigung in der Ehe bis 1997 nicht strafbar - mit dem Argument, die Staatsanwaltschaft habe nichts im Ehebett zu suchen. Kein Problem ist dagegen die Staatsanwaltschaft im Bauch der Frau, wenn es um Abtreibung geht. Hier wird deutlich, dass es bei Rechtskämpfen nicht um objektive Prinzipien geht, sondern um politische Interessen.

Recht für Gerechtigkeit?

Mit der Forderung, das Machtverhältnis der Geschlechter auch im Recht zur Kenntnis zu nehmen, stößt sich die feministische mit bürgerrechtlichen Bewegungen, zu deren Forderungen u.a. gehört, die Privatsphäre gegen staatliche Eingriffe zu schützen. Damit ist nur ein Bruchteil des Problems angerissen, das sich feministischer Rechtstheorie insgesamt stellt: Ist Recht überhaupt geeignet, wirkliche Gleichberechtigung zu erreichen? Der Versuch, mit rechtlichen Mitteln auf gesellschaftliche Prozesse einzuwirken, ist häufig ambivalent.
Allerdings ist es wohl das einzige, was zu tun bleibt. Die tatsächliche Gleichberechtigung der Geschlechter in unserer Gesellschaft wäre revolutionär, denn sie bedeutete die völlige Umwälzung der ökonomischen und sozialen Strukturen. Und wie es so ist mit der Revolution: Wer nicht auf sie warten will, muss wohl oder übel den steinigen Weg der Reformen und der politischen Kleinarbeit gehen...

Tanja Nitschke ist Rechtsreferendarin und lebt in Nürnberg.