Mit einem Erlass, der am 25.08.2021 an die Leiter*innen der Justizvollzugsanstalten in Nordrhein-Westfalen (NRW) erging, gibt das Justizministerium NRW neue Anweisungen für den Umgang mit „sterbefastenden“ Gefangenen. Kurz vorher war bekannt geworden, dass ein Untersuchungsgefangener mit schweren psychischen Problemen nach mehreren gescheiterten Suizidversuchen durch sogenanntes „Sterbefasten“ gestorben war. Ermittlungen gegen die Gefängnisleitung wegen Totschlags durch Unterlassen wurden nach wenigen Wochen eingestellt.
Im Erlass geht es nicht um Hunger- oder Durststreiks zur Durchsetzung bestimmter Ziele, sondern um den „Freiwilligen Verzicht auf Essen und Trinken“ mit dem Ziel, den eigenen Tod zu beschleunigen. Dabei wird betont, dass die freiwillige Entscheidung des*der Gefangenen, zu sterben, beachtet werden muss. Medizinische Maßnahmen wie Zwangsernährung seien nach § 78 Abs. 1 S. 1 Strafvollzugsgesetz NRW gegen den Willen der Gefangenen nur dann zulässig, wenn es krankheitsbedingt an der Einsichtsfähigkeit fehle. Ob dies der Fall ist, entscheidet im Zweifel ein*e Psychiater*in.
Für den Fall, dass ein*e Gefangene*r das Sterbefasten ankündigt, enthält der Erlass Verfahrens- und Formvorschriften. So soll dann die jeweilige Aufsichtsbehörde unterrichtet und die gefangene Person über die gesundheitlichen Folgen des Sterbefastens belehrt werden – außerdem darüber, dass durch den Verzicht auf Essen und Trinken nicht erreicht werden kann, für vollzugsuntauglich erklärt oder in ein normales Krankenhaus gebracht zu werden. Außerdem enthält der Erlass Vorschriften zur medizinischen Betreuung. So soll die Einwilligungsfähigkeit des*der Sterbewilligen regelmäßig überprüft und regelmäßig Nahrung und Getränke angeboten werden.
Der Erlass orientiert sich stark an einer Richtlinie der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin zum Sterbefasten, die das Recht auf selbstbestimmtes Sterben betont und Vorgaben zur medizinischen Begleitung macht. Allerdings bezieht sich diese Richtlinie auf das Sterbefasten schwer kranker Menschen in Freiheit – nicht auf Menschen, die sich in Haft entscheiden, sich durch den Verzicht auf Essen und Trinken selbst zu töten. Der Erlass erweckt den Eindruck, dass sich das Ministerium vor allem durch Verfahrensvorschriften für zukünftige Fälle absichern will. Die Umstände, die Gefangene dazu bringen können, sich zu Tode zu hungern, werden nicht angetastet. Dass niemand, der freiwillig hungert, zwangsernährt werden soll, ist sicher richtig. Aber wie freiwillig kann ein Suizid im Knast überhaupt sein?
Charlotte Korenke, Bochum