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Bosnischen Bürgerkriegsflüchtlingen wurde im Winter 1996/97 in Niedersachsen
die Sozialhilfe zu Unrecht gekürzt. Das entschied das niedersächsische
Oberverwaltungsgericht (OVG) am 20. Dezember 1998.
Niedersächsische Sozialämter hatten den Flüchtlingen statt des vollen
Sozialhilfesatzes nur noch Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz
ausgezahlt, welche ca. 20 % unter dem üblichen Sozialhilfesatz liegen.
Einem Erlaß des niedersächsischen Innenministeriums entsprechend, der
nach dem Friedensabkommen von Dayton die Rückführung von Flüchtlingen
nach Bosnien-Herzegowina vorsah, wurden bosnische Flüchtlinge ab Winter
1996 zur freiwilligen Ausreise aufgefordert bzw. in der Folgezeit auch
abgeschoben, wenn sie der Ausreiseaufforderung nicht nachkamen. Zunächst
wurden jedoch als finanzielles Druckmittel die erwähnten Kürzungen eingesetzt,
um die entsprechenden Familien so zur "freiwilligen" Ausreise zu bewegen.
Die Ämter beriefen sich dabei auf Einschätzungen verschiedener Innenministerien,
denen zufolge Flüchtlingen aus der Region Bosnien-Herzegowina zu diesem
Zeitpunkt eine gefahrlose Rückkehr in aller Regel zumutbar gewesen sei.
So auch in dem verhandelten Fall einer bosnischen Familie, die daraufhin
Widerspruch gegen die Kürzungen erhob. Das OVG gab der Familie nun recht
und stellte fest, daß ihr eine Rückkehr entgegen der Behauptung des Sozialamtes
zu diesem Zeitpunkt unzumutbar gewesen sei. Daher habe sie Anspruch auf
den vollen Sozialhilfesatz gehabt. Gleichzeitig verpflichtete das Gericht
den Landkreis, der Familie die Differenz nachzuzahlen, welche ihr durch
die Kürzung entstanden sei.
In der Urteilsbegründung heißt es, daß die Familie, da sie kroatischer
Volkszugehörigkeit und katholischen Glaubens ist, in dem betreffenden
Zeitraum nicht in ihren Herkunftsort in der von Serben dominierten Republik
Srpska habe zurückkehren können.
Eine Ausreise in den kroatisch dominierten Teil Bosnien-Herzegowinas sei
aber ebenfalls nicht zumutbar gewesen, da freiwillige RückkehrerInnen
nach Berichten des Flüchtlingshilfswerks der UNO zu diesem Zeitpunkt nicht
registriert worden wären. Ohne eine solche Registrierung aber hätte die
Familie weder Wohnung noch Lebensmittel von staatlichen Stellen oder internationalen
Hilfsorganisationen bekommen.
Dazu kam, daß die drei Kinder aus dem Schuljahr herausgerissen worden
wären und höchstwahrscheinlich nach der Rückkehr ein Jahr hätten wiederholen
müssen.
Nach dem Urteil könnten nun auf die Sozialämter erhebliche Rückzahlungsforderungen
zukommen. Nach Angaben des Anwalts der Familie sind allein beim Verwaltungsgericht
Göttingen über hundert ähnlich gelagerte Verfahren anhängig.
Tillmann Löhr, Göttingen
Quellen:
Urteil des OVG Lüneburg (Az. 12 L 1232/98), Frankfurter Rundschau v.
21.12.1998, junge welt v. 22.12.1998.
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