Heft 1 / 2002:
könnte besser sein
Sozialrecht
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Jean-Claude Alexandre Ho Zum ersten Artikel des Schwerpunkts Zur Rubrik Ausbildung Zur Rubrik Recht kurz Zum Sammelsurium Zur Rubrik Politische Justiz Zur BAKJ-Seite
Nichtstaatliche Verfolgung und das deutsche Asylrecht
 

Auch mit dem Entwurf des Otto Schily für ein Zuwanderungsgesetz 1 wird das deutsche Asylrecht weiterhin die nichtstaatliche Verfolgung von Flüchtlingen nicht als Asylgrund anerkennen. Im gegenwärtigen Asylrecht genießen gemäß Art. 16a GG politisch Verfolgte Asyl; die überwiegende Rechtsprechung geht allerdings grundsätzlich von einer staatlichen Verfolgung aus. 2 Die staatliche Verfolgung kann dabei auch mittelbar erfolgen. Dies ist der Fall, wenn dem Staat Verfolgungshandlungen Dritter zuzurechnen sind, z.B. wenn er einzelne oder Gruppen zu Verfolgungsmaßnahmen anregt, derartige Handlungen unterstützt oder tatenlos hinnimmt und damit Betroffenen den erforderlichen Schutz versagt, weil er hierzu nicht willens oder nicht in der Lage ist. 3

Eine solche Lesart der politischen Verfolgung ist jedoch nicht zwingend. Die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 (GFK), die auch die Bundesrepublik Deutschland völkerrechtlich verpflichtet, definiert in Art. 1 A Nr. 2 Flüchtlinge als Personen, die begründete Furcht davor haben, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung verfolgt zu werden und sich außerhalb des Staates, dessen Nationalität sie besitzen, befinden und dorthin nicht zurückkehren können oder aus Furcht den Schutz dieses Staates nicht beanspruchen wollen. Von dieser Definition geht auch die Rechtsprechung aus, für die politisch verfolgt ist, wer "wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung Verfolgungsmaßnahmen mit Gefahr für Leib oder Leben oder Beschränkung seiner persönlichen Freiheit ausgesetzt ist oder solche Verfolgungsmaßnahmen begründet fürchtet"4.

Erstaunlich ist dann um so mehr die gedankliche Leistung, mit der die deutsche Rechtsprechung, die ja von der GFK ausgeht, dem Staat zurechenbare Verfolgungsmaßnahmen fordert und damit eine täterbasierte Definition liefert, wie sie in Art. 1 A Nr. 2 GFK nicht zu finden ist. Mit dieser Interpretation steht sie jedoch nicht allein. Der französische Staatsrat, oberste Verwaltungsinstanz und damit Pendant zum deutschen Bundesverwaltungsgericht, hat in zwei Entscheidungen eine asylrelevante Verfolgung davon abhängig gemacht, dass staatliche Behörden - sofern sie die Verfolgung nicht direkt durchführen - Dritte dazu ermutigen oder dies zumindest vorsätzlich tolerieren. 5 In einer Informationsschrift zur Auslegung des Art. 1 GFK betont das Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen dagegen, dass es für den Flüchtlingsstatus auf den Mangel an staatlichem Schutz vor Verfolgung ankomme, unabhängig davon, ob dieser auf eine Absicht des Staates zurückzuführen ist. Nichtstaatliche Verfolgung kann demnach auch Asylgrund sein. Für Deutschland bildet der Wortlaut des Art. 16a GG demnach jedenfalls kein Hindernis.

Der SPD-Innenminister wird jedenfalls nicht müde zu wiederholen, dass das deutsche Asylrecht hinsichtlich der nichtstaatlichen Verfolgung keine Schutzlücke kenne. Solche Gebetsmühlen kennt man eher von der CDU, die lange Zeit predigte, Deutschland sei kein Einwanderungsland. Fraglich ist jedoch, ob Schily die Notwendigkeit eines Asylgrundes "Nichtstaatliche Verfolgung" einsieht, wenn er nur lange genug sein Märchen von der nicht vorhandenen Schutzlücke erzählt. Vielleicht vergaß er nur, dass er noch vor zwei Jahren über Asyl bei nichtstaatlicher Verfolgung nachdachte. 6 Bei den Verhandlungen zum Zuwanderungsgesetz innerhalb der Koalition konnten die GRÜNEN schließlich nichtstaatliche Verfolgung zumindest als Abschiebehindernis durchsetzen. Dieser Etappensieg könnte Makulatur werden, wenn die CDU-/CSU-Opposition sich mit ihrem Widerstand gegen einige Regelungen des Regierungsentwurfes durchsetzt. Das dürfte Otto Schily nicht allzu traurig stimmen, hat er sich doch von vornherein gegen eine solche Lösung gestemmt.

Quasistaatliche Verfolgung nach dem Fall der Taliban

Erst letztes Jahr wurde die bisherige Auslegung des Begriffes politische Verfolgung durch das BVerwG in einem Urteil des BVerfG zu einer afghanischen Flüchtlingsfrau als zu restriktiv verworfen. 7 Bis dahin hatte asylrelevante politische Verfolgung immer vom Staat auszugehen. Im Falle des vom Bürgerkrieg zerrissenen, größtenteils von den Taliban kontrollierten Afghanistan gebe es keinen Staat, da die BRD die Taliban nicht als Regierung anerkenne, und somit gebe es auch keine politische Verfolgung. Nach dem BVerfG-Urteil hat das BVerwG die Kriterien für die Annahme von sog. Quasi-Staatlichkeit gelockert: Es kommt jetzt auf eine gewisse innere Stabilität im Herrschaftsbereich an, ein Bürgerkrieg im betreffenden Gebiet schließt die Annahme politischer Verfolgung nicht automatisch aus. 8 Ob Afghanistan damit generell als quasi-staatlich qualifiziert und infolgedessen dort politische Verfolgung angenommen werden kann, wurde den Tatgerichten überlassen.

Reinhard Marx, Frankfurter Rechtsanwalt und amnesty international-Mitglied, der auch das erwähnte Verfahren vor dem BVerfG betreute, äußerte sich dahingehend, dass die Entscheidung des BVerfG weitreichend sei, sich wohl aber nur auf Afghanistan und das vornehmlich von Warlords kontrollierte Somalia auswirken würde. 9 Bekanntermaßen genügt ein Wort des Gesetzgebers, und ganze Bibliotheken werden Makulatur; manchmal jedoch reichen auch schon Bomben, etwa amerikanische... Nach den Ereignissen in Afghanistan gibt es keinen Taliban-Staat mehr, eine Interimsregierung hat sich etabliert. Ob jetzt aber die BVerwG-Rechtsprechung auf flüchtende Taliban anwendbar ist, sei dahingestellt. Jenseits aller Polemik ist jedenfalls nach dem Fall des Taliban-Regimes und damit dem Wegfall eines quasi-staatlichen repressiven Regimes eines der Hauptanwendungsgebiete der neuen Rechtsprechung des BVerwG entfallen. Die Tragweite dieser Rechtsprechung dürfte demnach leider eher begrenzt sein.

Genitalverstümmelung als Asylgrund?

Unter nichtstaatliche Verfolgung fällt insbesondere die u.a. im Sudan praktizierte Genitalverstümmlung an Frauen, die etwa in Kanada und Großbritannien längst als geschlechtsspezifischer Asylgrund anerkannt ist. Ab und zu tanzt auch ein deutsches Verwaltungsgericht mutig aus der Reihe und erkennt entgegen der überwiegenden Rechtsprechung Genitalverstümmlung als Asylgrund nach § 51 AuslG an. 10 Es ist allerdings nicht so, dass Flüchtlinge, die sich auf nichtstaatliche Verfolgung berufen und deswegen kein Asyl bekommen, Deutschland sofort verlassen müssten. Das Instrument der Duldung - das nach dem Schily-Entwurf zum Zuwanderungsgesetz abgeschafft werden soll - verschafft ihnen eine Frist von zunächst drei Monaten, dann müssen die Ausländerbehörden neu über dieses Abschiebungshindernis entscheiden. In dieser Zeit ist Arbeiten nur ganz beschränkt möglich, das weitere Los ist unklar: Der Flüchtling hängt in der Luft. Dass die Duldung keinen stabilen Status darstellt, zeigt auch der etwas kuriose Fall, dass ein britisches Gericht 1999 in einem Grundsatzurteil 11 verkündete, Deutschland sei kein sicherer Drittstaat und deshalb dürfe nicht dorthin abgeschoben werden: Den von nichtstaatlicher Seite Verfolgten drohe sonst eine Abschiebung in ihre Heimatstaaten. Dieses Urteil wurde schließlich Ende 2000 von den Lordrichtern ihrer Majestät bestätigt. 12

Schlimmer als diese kuriose und für Deutschland wenig schmeichelhafte Feststellung wiegt die Tatsache, dass Schily mit seiner Ablehnung nichtstaatlicher Verfolgung als Asylgrund den Flüchtlingsbegriff der GFK zu eng auslegt und damit gegen die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie gegen die Praxis innerhalb der Europäischen Union (EU) sowie der USA und Kanadas verstößt. Selbst in Frankreich, Italien und der Schweiz, die eine ähnliche Auffassung in der Interpretation der GFK vertreten, wird das Recht großzügiger ausgelegt als in Deutschland. Doch dies ficht Schily bisher wenig an.

Deutsches Asylrecht und die EU

Wenn Schily in der nächsten Legislaturperiode wieder Innenminister werden sollte, könnte sich dies allerdings ändern. Denn ihm würde auch nicht die früher vielzitierte Harmonisierung des Ausländer- und Asylrechts helfen, die er zur Abwehr großzügigerer Bestimmungen, wenn nicht gar zu Einschränkungen im deutschen Asylrecht missbrauchte. Die Harmonisierung des Ausländer- und Asylrechts muss laut Art. 63 EG bis zum Jahr 2004 durchgeführt werden. Der 1999 in Kraft getretene Amsterdamer Vertrag hat diesen Politikbereich in den EG-Vertrag überführt, ihn also supranational ausgestaltet und damit die Mehrheitsentscheidung bei der Setzung von Rechtsakten üblich gemacht. Vorher war die Asylpolitik im EU-Vertrag geregelt, was nur zwischenstaatliche Zusammenarbeit bedeutete. Jedoch haben sich einige Mitgliedsstaaten bei den Verhandlungen in Amsterdam das Erfordernis des einstimmigen Votums in Politikbereichen vorbehalten, die ihrer Meinung nach zu sehr ihre Souveränitätssphäre antasten, so auch Deutschland in der Asylpolitik.

Pech für Otto Schily, dass die EU bei der Harmonisierung des Ausländer- und Asylrechts den Standard der GFK einhalten will. Gemäß den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates in Tampere sollte die Kommission u.a. die Harmonisierung der nationalen Flüchtlingsdefinitionen ins Auge fassen und bis 2004 ein gemeinsames Asylverfahren und einen unionsweit einheitlichen Asylstatus erarbeiten. In spätestens drei Jahren entfällt der Zwang zum einstimmigen Votum und damit das deutsche Vetorecht im europäischen Asylrecht. Der Änderungsvertrag von Nizza aus dem Jahre 2000 schließlich, der vor seinem Inkrafttreten noch des Referendums des irischen Volkes bedarf, sieht in Art. 67 V 1. Spiegelstrich EG neu in Verbindung mit Art. 63 Nr. 1 und Art. 63 Nr. 2a EG die Einführung des Mitentscheidungsverfahrens gemäß Art. 251 EG vor; dies bedeutet u.a. einen mehr oder weniger gleichrangigen Anteil des Europäischen Parlaments bei der Setzung von Rechtsakten in der europäischen Asylpolitik und v.a. Mehrheitsentscheidung im Rat.

Auch wenn die Konferenz der Staats- und Regierungschefs in Laeken im Dezember 2001 vorerst ein Rückschlag für einen besseren Flüchtlingsschutz war, als nämlich v.a. nach massivem Einsatz der deutschen Regierung die als liberal geltenden Vorschläge der Kommission, der Vitorino-Entwurf, abgelehnt wurden: Auf die EU, die man beim Thema Asylpolitik bisher eher als "Festung Europa" kennt, kann man im Bereich der nichtstaatlichen Verfolgung durchaus setzen.

Jean-Claude Alexandre Ho, studiert Jura und lebt zur Zeit in Paris.

1 Auszug in SZ v. 4./5.8.2001, S.6.
2 BVerfGE 54, 341/ 356ff; E 80, 315/ 334; BVerwG, NVwZ 1994, 497/ 498.
3 BVerfGE 54, 341/ 358; E 80, 315/ 336; BVerwGE 67, 317/ 319.
4 BVerwGE 67, 184/ 186.
5 Conseil d'Etat, section, Entscheidungen vom 27. Mai 1983 "Dankha" und vom 19. Juni 1996 "Medjebeur".
6 FR v. 27.7.1999.
7 BVerfGE v.10.8.2000.
8 Presseerklärung BVerwG, in: Asylmagazin 3/2001, S. 2f.
9 ai-journal 10/ 2000, 17f.
10 VG München, Urt. v. 6.3.2001, in: Asylmagazin 5-6/2001, S. 51ff.
11 Court of Appeal, 23.7.1999.
12 SZ v. 21.12.2000.