Heft 4 / 2001: grenzenlos beschränkt MigrantInnenpolitik in BRD und Europa |
Florian von Alemann | |
Die Festung wird umgebaut | |
Europäisches Asylrecht nach Tampere |
Das Bild von der Festung Europa ist seit langem prägend für die kritische Debatte um europäische Asylpolitik. Schlagworte wie Schengener Abkommen und Harmonisierung auf dem niedrigsten Stand sind zu Synonymen einer Abschottung der Europäischen Union gegenüber Flüchtlingen geworden. Allgemein angenommen wird, dass ein gemeinsamer europäischer Standard niedriger sein werde, als selbst die Reste des deutschen Asylrechts. Zur Zeit wird in der Festung kräftig gewerkelt. Wie wird sie nach dem Umbau aussehen? Die Festung Europa Die europäische Ebene wurde lange Zeit in weiten Teilen der Debatte um das Asylrecht vor allem als ein Hebel wahrgenommen, den die nationalstaatliche Politik einsetzt, um restriktive Reformen durchzusetzen. Diese Sichtweise hatte auch einiges für sich. Tatsächlich funktionierte etwa die bundesdeutsche Asylpolitik in den 90'er Jahre größtenteils nach dem Muster, dass der jeweilige Innenminister sich auf europäischer Ebene für eine restriktive Haltung einsetzte, um dann Zuhause diese Politik mit dem Verweis auf vermeintliche europäische Sachzwänge durchsetzen zu können. Nur langsam hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass Asylpolitik unwiderruflich ein europäisches Thema geworden ist. Es reicht daher nicht, die europäische Asylpolitik bloß in ihrer Funktion für ihr nationalstaatliches Pendant zu betrachten. Vielmehr ist das Feld der Auseinandersetzung um ein liberales Asylrecht und offene Grenzen nun vor allem die Europäische Union selbst. Es ist daher entscheidend, die europäische Asylpolitik um ihrer selbst willen zu untersuchen und Entwicklungen und Tendenzen zu analysieren. Dabei wird man feststellen, dass sich nach dem Amsterdamer Vertrag und vor allem dem Gipfel von Tampere vom 15./16. Oktober 1999 ein Wechsel der Akteure vollzogen hat. Die Asylpolitik ist aus den Händen der staatlichen Ministerialbürokratien in die Hände der Europäischen Kommission gewechselt. Die Gründe und Auswirkungen sollen im Folgenden untersucht werden. Vorher sollen noch einmal knapp die wichtigsten Entwicklungen bis zum Vertrag von Amsterdam skizziert werden. Was geschah in Schengen und danach? Nach Vorarbeiten einer zwischenstaatlichen Arbeitsgruppe 1 wurde am 14. Juni 1985 außerhalb der Europäischen Gemeinschaften das erste Schengener Abkommen unterzeichnet. Zur Durchführung dieses Abkommens wurden dann Anfang der 90'er Jahre noch verschiedene Folgeabkommen geschlossen. Das gesamte Schengener Recht betraf ausschließlich das Asylverfahrensrecht. Es legte unter anderem fest, welcher Staat für ein Asylverfahren ausschließlich zuständig ist und führte eine Pflicht für Beförderungsunternehmen ein, die Dokumente von Flüchtlingen im Vorfeld zu überprüfen. Die Einrichtung des Schengener Informationssystem (SIS), eine europaweite Datei für personenbezogene Daten von Flüchtlingen, markierte einen Schritt in Richtung Überwachung und Abschreckung von ImmigrantInnen. Durch den Maastrichter Vertrag wurde die Asylpolitik als "Angelegenheit von gemeinsamen Interesse" in die sogenannte dritte Säule, die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres, einbezogen und blieb damit im Bereich der bloßen Regierungszusammenarbeit. Die Organe der Europäischen Union wie Kommission, Parlament und Gerichtshof blieben daher außen vor. In den folgenden Jahren fassten die für Asyl und Einwanderung zuständigen MinisterInnen eine Reihe von Beschlüssen, die die europäische Asylpolitik entscheidend prägten. Drei Entschließungen vom 30. November und 1. Dezember 1992 in London betrafen die Schaffung der Kategorie "offensichtlich unbegründeter" Asylanträge, sowie das Konzept der "sicheren Drittstaaten" und des "sicheren Herkunftslandes". 2 Die Entschließungen wurden von allem Mitgliedstaaten umgesetzt und größtenteils durch Rücknahmeabkommen mit potentiellen Drittstaaten abgesichert. Durch einen gemeinsamen Standpunkt des Europäischen Rates vom 4. März 1996 haben die Mitgliedstaaten außerdem festgelegt, was sie unter einem Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) verstehen. 3 Die Interpretation verengte den Anwendungsbereich der Konvention deutlich. Es wurden vor allem nichtstaatliche Verfolgung ausgeschlossen und Bürgerkriegsflüchtlingen nur eingeschränkt anerkannt. 4 Der Vertrag von Amsterdam Erst durch den Vertrag von Amsterdam wurde die Asylpolitik vergemeinschaftet, dass heißt in die Rechtsetzungsverfahren der sogenannten ersten Säule einbezogen, unter Beteiligung der übrigen Gemeinschaftsorgane. Allerdings gibt es für den Zeitraum von 5 Jahren Abweichungen zu dem üblichen Verfahren. So ist das Europäische Parlament auf ein Anhörungsrecht beschränkt und die Kontrollbefugnisse des Europäischen Gerichtshofes sind eingeschränkt. Der Rat entscheidet in diesen 5 Jahren nach dem Einstimmigkeitsprinzip. Außerdem dürfen neben der Kommission auch Mitgliedstaaten Gesetzgebungsinitiativen einreichen. Über die Harmonisierung des Asylverfahrensrechts hinaus ist dem Rat als Gemeinschaftsgesetzgeber ein umfangreiches Arbeitsprogramm zur Harmonisierung auch des materiellen Asylrechts aufgegeben worden. Auch wenn die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten im Bereich "der öffentlichen Ordnung und [...] der inneren Sicherheit" unberührt bleiben sollen, geht das Programm letztendlich in die Richtung eines gemeinsamen europäischen Asylrechts. Außerdem wurde der sogenannte Schengen Besitzstand in das Gemeinschaftsrecht integriert. Das heißt, dass das gesamte Schengener Recht, alle Abkommen und die darauf aufbauenden Ausführungsbeschlüsse, nun Teil des Gemeinschaftsrechts ist und nicht mehr bloß völkerrechtliches Vertragsrecht neben den Gemeinschaften. Unter anderem müssen daher Beitrittsländer den Schengen Besitzstand als acquis communautaire automatisch übernehmen. Inhaltlich änderte sich damit erst einmal nichts. Im Gegenteil wurde der bisherige Stand eher konsolidiert und durch Aufnahme in den EG-Vertrag verfassungsfest gemacht. Grundlegend hat sich damit aber das Verfahren geändert, in dem zukünftig über europäische Asylpolitik entschieden wird. Es sind nicht mehr die MinisterInnen mit ihren jeweiligen Arbeitsstäben, die im Rat hinter verschlossenen Türen Regelungen aushandeln, sondern die Initiative liegt im wesentlichen bei der Kommission. Deren Vorschläge für Rechtsakte sind öffentlich zugänglich. Während der ersten fünf Jahre wird auch das Europäische Parlament zumindest angehört, danach soll es durch einen Beschluss des Rates ein echtes Mitentscheidungsrecht wie in den meisten übrigen Bereichen erhalten. Auch wenn sich in der Sache nicht viel getan hat, stellt die Eingliederung der Asylpolitik in die "erste Säule" zunächst eine begrüßenswerte Demokratisierung dar. Die Entscheidungsstrukturen in diesem Bereich genügen allgemeinen demokratischen Standards, auch wenn sie noch erheblich demokratisierungsfähig sind. 5 Problematisch sind aber die Abweichungen von diesen Standardverfahren. Ausgerechnet für die ersten fünf Jahre, in denen das umfassende Arbeitsprogramm zur Asylrechtsharmonisierung umgesetzt werden soll, werden die Mitspracherechte des Parlaments und die Kontrollmöglichkeiten des Gerichtshofes erheblich eingeschränkt. Die Demokratisierung der Asylpolitik bleibt daher für diesen Zeitraum auf halbem Wege stehen. Tampere macht den Auftakt Im Dezember 1998 verabschiedete der Rat der Innen- und JustizministerInnen in Wien einen Aktionsplan zur Umsetzung der Bestimmungen des Amsterdamer Vertrages. Nach dessen Inkrafttreten am 1. Mai 1999 fand dann im finnischen Tampere am 15./16. Oktober eine Sondertagung des Europäischen Rates zur Umsetzung des Arbeitsprogramms des Vertrages statt. Der Tenor der Schlussfolgerungen des Vorsitzes weist erst einmal wieder in die altbekannte Richtung. So wird die "Notwendigkeit einer konsequenten Kontrolle der Außengrenze zur Beendigung der illegalen Einwanderung" betont und bezüglich SchleuserInnen werden "strenge Sanktionen zur Ahndung dieses schweren Verbrechens" gefordert. 6 Gleichzeitig wird unterstrichen, dass die Europäische Union "uneingeschränkt zu ihren Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention und aus anderen einschlägigen Menschenrechts-Übereinkünften steht". 7 Das ist eigentlich selbstverständlich. In den Vorjahren war die Konvention aber trotz Lippenbekenntnissen zu ihrer Geltung immer weiter ausgehöhlt worden. Unter anderem durch die Gemeinsamen Standpunkte aus der Maastrichter Zeit über die Flüchtlingsdefinition. Ein Strategiepapier der österreichischen Ratspräsidentschaft im Jahr 1988 schlug sogar eine Änderung oder Ersetzung der GFK vor. 8 Vor allem an dem Adjektiv uneingeschränkt wird sich die Union in Zukunft messen lassen müssen. Der Europäische Rat, der laut dem Vertrag über die Europäische Union zuständig ist für Impulse und allgemeine politische Zielvorstellungen, kam außerdem überein, auf ein "Gemeinsames Europäisches Asylsystem" hinzuwirken. 9 In diesem Sinne ersuchte er die Unionsorgane, für die Umsetzung des Programms von Amsterdam zu sorgen. Das betrifft in erster Linie die Kommission, die nun das hauptsächliche Initiativrecht für die Asylpolitik besitzt. Interessant werden durfte daher, wie die Kommission ihr Initiativrecht ausüben würde. Die Rolle der Kommission Inzwischen liegen eine Reihe von Richtlinienvorschlägen und Mitteilungen der Kommission zum Asylrecht vor. Neu ist vor allem die Öffentlichkeit der Dokumente sowie des Stands der Umsetzung. Die Kommission veröffentlicht einen halbjährlichen Anzeiger, der über die Vorhaben, die vorliegenden Vorschläge und den Stand der Bearbeitung informiert. Die einzelnen Dokumente können ebenfalls über die Internetseiten der Europäischen Union abgerufen werden. 10 Die erhöhte Transparenz ändert zwar erst einmal nichts an dem Inhalt der Rechtsakte. Sie bietet aber die Möglichkeit einer öffentlichen Debatte vor der Verabschiedung. Bürgerrechtsgruppen und Flüchtlingsinitiativen können gezieltere Kampagnen führen gegen einzelne Regelungen. Darüber hinaus werden sie von den einzelnen Organen, insbesondere der Kommission auch zunehmend offiziell zu Rechtssetzungsvorlagen angehört. Diese demokratische Selbstverständlichkeiten gelten nun auch für die europäische Asylpolitik. Von besonderer Bedeutung für das europäische Asylrecht sind drei von der Kommission zwischen Ende 2000 und Frühjahr 2001 vorgelegte Dokumente. Es handelt sich um zwei Richtlinienvorschläge über "Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung oder Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft" und über "Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten". Bei dem ersten Vorschlag geht es also um die eigentliche Asylanerkennung, bei dem zweiten um die Behandlung der Asylbewerber in den Mitgliedstaaten. Außerdem hat die Kommission eine allgemeine, an Rat und Parlament gerichtete Mitteilung "für ein gemeinsames Asylverfahren" vorgelegt. Darin werden mittel- und langfristige Überlegungen der Kommission zum europäischen Asylrecht ausgebreitet. Ein gemischtes Bild Das Bild, das sich daraus ergibt, ist gemischt. Einerseits sprechen die Entwürfe insgesamt eine andere Sprache als etwa das österreichische Strategiepapier von 1998, das nur auf Abschottung und Abschreckung setzte. In ihrer allgemeinen Mitteilung über das Asylverfahren deutet die Kommission etwa die Möglichkeit an, die Konzepte des "sicheren Drittstaates" und des "sicheren Herkunftslandes" aufzugeben. Außerdem betont sie eine auf individuelle Rechte aufgebaute Konzeption des Asylrechts, die auf einer strikten und vollständigen Anwendung der GFK aufbaut. Daneben tritt sie für ein einheitliches Verfahren und gleiche Rechte für Flüchtlinge im eigentlichen Sinn und andere schutzbedürftige Menschen ein. Andererseits enthält schon die allgemeine Mitteilung eine Reihe einschränkender Formulierungen. So ist die Rede davon, dass das der absolute Respekt der humanitären Aufnahme von Flüchtlingen gegen das Ziel der Bekämpfung illegaler Einwanderung abgewogen werden muss. Dabei bleibt unklar, worin diese Abwägung bestehen soll. Außerdem wird die Möglichkeit der kurzfristigen Wiedereinführung einer Visapflicht für ansonsten visafreie Länder im Falle von Massenzufluchten erwägt. Problematisch ist auch die Annahme, dass subsidiäre Schutzformen zur GFK in der Regel nur für kürzere Zeitspannen gelten. Das fügt sich in den Trend ein, neben der GFK einen temporären Flüchtlingsschutz zu schaffen, anstatt die GFK umfassend auch auf etwa Bürgerkriegsflüchtlinge anzuwenden. In den beiden Richtlinienvorschlägen sind diese Vorstellungen in Gesetzesform gegossen. Dabei werden jedoch deutliche Abstriche sichtbar. Die sind wohl vor allem der Tatsache geschuldet, dass die Kommission Rücksicht auf die Vorstellungen der Mitgliedstaaten genommen hat. Letztendlich müssen die Richtlinien von dem Rat der Justiz- und InnenministerInnen verabschiedet werden. Die Anerkennung des Flüchtlingsstatus Positiv zu vermerken ist, dass in der Richtlinie zum Flüchtlingsstatus das Recht auf eine individuelle, objektive, unparteiische und mit Rechts- und Sachgründen versehene Entscheidung verankert ist. Diese Entscheidung soll von einer qualifizierten Behörde getroffen werden. Bei Zweifeln an den Darstellungen eines Flüchtlings soll die Behörde zu seinen Gunsten entscheiden, wenn dieser sich "offenkundig bemüht hat, seine Behauptungen zu beweisen" und sein Antrag plausibel ist. Außerdem soll das Recht auf eine Berufung mit aufschiebender Wirkung sowohl bezüglich der Tatsachen, als auch der Rechtslage garantiert werden. Allerdings sollen die Mitgliedstaaten unter bestimmten Umständen davon abweichen können. Dazu gehören Anträge von Flüchtlingen aus "sicheren Drittstaaten", "offensichtlich unbegründete" Anträge und Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Anders als noch in der Mitteilung für ein gemeinsames Asylverfahren angedeutet, sollen die Konzepte des "sicheren Drittstaates", des "sicheren Herkunftslandes" und auch das des "offensichtlich unbegründeten" Antrags nicht abgeschafft werden. Immerhin sind sie nicht als verpflichtender Standard vorgesehen, aber den Mitgliedstaaten wird freigestellt, sie anzuwenden. Für diesen Fall werden gewisse Mindestanforderungen festgelegt. Das läuft darauf hinaus, dass etwa in einem "sicheren Drittstaat" im wesentlichen die gleichen Asylstandards gelten müssen, wie in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Darüber hinaus müssen Flüchtlinge zu dem Land in einer Beziehung stehen oder dort enge Bindungen besitzen oder während eines früheren Aufenthaltes Gelegenheit gehabt haben, den Schutz der Landesbehören in Anspruch zu nehmen. Außerdem besteht auch in diesem Fall ein Recht auf Berufung. Von dem Vorliegen eines "offensichtlich unbegründeten" Antrags darf nach dem Mindestanforderungen nicht schon dann ausgegangen werden, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative vorlag. Auch Gründe im Sinne des Art. 1 F GFK wie schwere Kriegsverbrechen oder schwere andere Verbrechen dürfen nach dem Vorstellungen der Kommission einen Antrag nicht offensichtlich unbegründet machen. Diese Einschränkungen gehen zumindest über die bundesdeutsche Praxis hinaus. Wenn sie in dieser Form Unionsrecht werden würden, könnte zum Beispiel ein Flüchtling, der in einem geschlossenen Lastwagen durch eine Nachbarland eingereist ist, nicht mehr automatisch wegen Einreise durch einen "sicheren Drittstaat" wieder abgeschoben werden. Außerdem könnten Flüchtlinge wegen angeblicher innerstaatlicher Fluchtalternativen nicht mehr in einem beschleunigten Verfahren abgelehnt werden. Die Begrenzungen durch die Kommission sind daher durchaus begrüßenswert. Trotzdem bleibt es überfällig, die drei Sonderkategorien ganz abzuschaffen. Die Rechte im Asyl Der Richtlinienentwurf über "Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern" enthält das, was allgemein als Rechte im Asyl im Gegensatz zum Recht auf Asyl bezeichnet wird. Es geht daher vor allem um Sozialleistungen, Unterbringung und Zugang zu medizinischer Versorgung sowie zu Schulbildung. Als allgemeines Ziel hält der Vorschlag die Sicherung eines würdigen Lebensstandard fest, der sich verbessern soll, wenn der Aufenthaltsstatus sich verfestigt. Sechs Monate nach der Stellung eines Asylantrags sollen Flüchtlinge Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten. Ansonsten setzt der Entwurf tatsächlich nur Mindestnormen fest. Von einem gleichen Zugang zu Sozialleistungen wie Staatsangehörige ist keine Rede. Eine Regelung wie das deutsche Asylbewerberleistungsgesetz, das Flüchtlingen systematisch Sozialleistungen kürzt und vorenthält, dürfte damit im wesentlichen vereinbar sein. Die vorgeschlagenen Mindestnormen mögen dennoch in einigen Ländern durchaus einen Fortschritt darstellen, zumal der Vorschlag auch eigene Regeln für spezielle Bedürfnisse vorsieht. Das gilt etwa für Kinder, unbegleitete Kinder und Folteropfer. Die Praxis, minderjährige Flüchtlinge in Aufnahmeeinrichtungen zu internieren, wird ausdrücklich untersagt. Vollkommen inakzeptabel ist aber, dass der Entwurf zwar ein allgemeines Bekenntnis zur Freizügigkeit von Flüchtlingen enthält, es den Mitgliedstaaten aber freistellt, die Bewegungsfreiheit auf einen Teil ihres Territoriums zu begrenzen. Die europaweit einmalige bundesdeutsche Residenzpflicht wird dadurch legalisiert. In der Begründung heißt es, dass dieser Punkt zu den umstrittensteten in der ganzen Diskussion im Vorfeld mit dem Rat gehört habe. Anzunehmen ist, das Deutschland schlicht sein Veto gegen eine Abschaffung der Residenzpflicht angedroht hat. Zu hoffen bleibt, dass diese skandalöse Regelung spätestens mit der Einführung des Mehrheitsprinzips nach der Übergangszeit von 5 Jahren kippt. Der Standard heißt GFK Eine große Schwäche der beschriebenen Richtlinienvorschläge ist das Fehlen einer gemeinsamen Definition des Flüchtlingsbegriffs. Dadurch bleiben die unterschiedlichen Interpretationen in den einzelnen Mitgliedstaaten vorerst bestehen. Der Zeitplan der EU-Organe sieht eine entsprechende Richtlinie erst zum April 2004 vor. Allerdings muss ein gemeinsamer Standard in der Europäischen Union auch nicht neu definiert werden. Es gibt ihn schon lange. Es handelt sich schlicht um die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 einschließlich ihres Zusatzprotokolls von 1967. Die gesamte Asylpolitik der Europäischen Union wie auch die aller ihrer Mitgliedstaaten muss sich daher an der GFK messen lassen. Bei einer Richtlinie zum Flüchtlingsbegriff kann es daher nur darum gehen, eine einheitliche Interpretation durchzusetzen. Dabei muss endlich klargestellt werden, dass nichtstaatliche Verfolgung durch die GFK gleichermaßen erfasst wird wie staatliche und dass Bürgerkriegsflüchtlinge ebenfalls Flüchtlingsstatus nach der GFK besitzen. Die Bundesrepublik ist auch hier in einer Sonderrolle, da sie als einzige nichtstaatliche Verfolgung nicht anerkennt. Die Kommission betont in allen ihren Vorschlägen immer wieder die volle und uneingeschränkte Geltung der GFK. Diese Geltung wird durch den neuen Artikel 18 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union noch einmal bekräftigt. Auch wenn die Vorschläge zum Asylrecht den von der GFK vorgegebenen Standard weitgehend einhalten, gibt es noch einigen Nachbesserungsbedarf. So genießen Flüchtlinge nach Art. 26 GFK in dem Aufnahmestaat Freizügigkeit. Das wird zwar auch in der Aufnahmerichtlinie betont, aber wie gesagt mit der Möglichkeit für einzelne Mitgliedstaaten, die Freizügigkeit auf einen kleinen Teil ihres Territoriums zu begrenzen. Das ist mit der GFK wohl kaum vereinbar. Eindeutig nicht vereinbar mit Art. 31 GFK ist die Internierung von AsylbewerberInnen bei ihrer Einreise. Das wird zwar in den Richtlinienvorschlägen als Prinzip anerkannt, der Vorschlag zur Annerkennungsrichtlinie ermöglicht aber ausdrücklich die Ingewahrsamnahme für Teile des Asylverfahrens. Außerdem setzt er anscheinend die Praxis der Durchführung des Asylverfahrens in "abgeschlossenen Bereichen" voraus. Beides dürfte gegen Art. 31 GFK verstoßen. Weitere Zweifel ergeben sich bei der Beschränkung des Zugangs zu Rechtshilfeorganisationen bei Asylverfahren in "abgeschlossenen Bereichen" und bei den beschleunigten Verfahren. Neben der GFK sind die Union und die Mitgliedstaaten auch an die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) von 1950 gebunden. Relevant für das Asylrecht ist daran vor allem das Folterverbot des Art 3 EMRK, das von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zu einem Abschiebeverbot ausgebaut worden ist. Diese Rechtsprechung ist zumindest für die Mitgliedstaaten verbindlich. Um diese Geltung zu verdeutlichen, wäre es wünschenswert gewesen, in den Richtlinienvorschlägen auch auf die EMRK zu verweisen. Fazit Um auf die Eingangsfrage nach der umgebauten Festung zurückzukommen: von außen wird sich zunächst wenig verändern. Die Mauern bleiben erst einmal stehen. Und diese Mauern können, wie vor allem die Südgrenze Spaniens zeigt, durchaus tödlich sein. Im Inneren tut sich dafür einiges. Wenn die Richtlinienvorschläge in dieser Form vom Rat verabschiedet werden, kehrt das europäische Asylrecht nach den Abschottungsdiskursen der 90'er Jahre im großen und ganzen wieder zur GFK zurück. Darüber hinaus könnte sich vor allem durch die Demokratisierung der Asylpolitik das Anlitz der Festung in den nächsten Jahren noch weiter ändern. Wenn das Europäische Parlament erst einmal volles Mitentscheidungsrecht hat und der Rat nach dem Mehrheitsprinzip entscheidet, können sich sicherheitsfixierte Länder wie Deutschland weniger durchsetzen. Allerdings wird es auch in vielen Bereichen bei restriktiven Regelungen bleiben. Eine Rücknahme des Schengener Rechts ist nicht in Sicht. Und auch der Umgang mit ‚Illegalen' ist durchweg repressiv. Eine Legalisierungsinitiative für in der EU lebende ‚Illegale' ist nicht in Sicht. Im Gegenteil soll illegale Einwanderung umfassend bekämpft werden. Florian von Alemann lebt in Berlin promoviert in Frankfurt/Main über Europarecht. Anmerkungen: 1 Sogenannte TREVI-Gruppe (für terrorisme,
radicalisme, extrémisme et violence internationale). Literatur: Amnesty international, Für Verfolgte geschlossen? Asylpolitik
in der Europäischen Union, 1999. |