Heft 4 / 2001: grenzenlos beschränkt MigrantInnenpolitik in BRD und Europa |
Jan Gehrken | |
Der klägliche Rest | |
Die "kleine" JuMiKo-Ausbildungsreform |
Auf ihrem Treffen im Juni 2001 hat die Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister (JuMiKo) der Bundesländer eine sogenannte "kleine" Reform der Juraausbildung beschlossen. Sie nahm dazu den Bericht eines Koordinierungsausschusses zustimmend zur Kenntnis. Auf der Grundlage dieses Berichts wollen die Justizministerinnen und Justizminister wohl noch in diesem Jahr eine Bundesratsinitiative starten, in deren Rahmen das Deutsche Richtergesetz (DRiG) und die Bundesrechtsanwaltordnung (BRAO) geändert werden sollen. Frühestens Anfang 2002 könnte dann eine bundesweite Neuregelung stehen. Entsprechende Änderungen der Länder-Ausbildungsgesetze würden dann im Laufe der nächsten Monate und Jahre folgen. Worauf sich die JustizministerInnen hier geeinigt haben, ist lediglich der kümmerliche Rest der Reformdiskussionen der letzten Jahre, zumindest, was das eigentliche Studium angeht. Bei der Berufszulassung zur AnwältInnenschaft bringt der Vorschlag aber tatsächlich einschneidende Veränderungen - diese verursachen aber nur das kalte Grausen. Wie es einmal war... Am Anfang des nun wahrscheinlich zu einem durchsetzbaren Ende gekommenen Verfahrens stand 1998 der Beschluss der JuMiKo, die gegenwärtige Juraausbildung gründlich zu reformieren. 1 Schlagwort war damals der Übergang zur Einphasigkeit, also die Abschaffung des ersten Staatsexamens und die Integration einer einjährigen Praxisphase in das Universitätsstudium. Der Vorschlag war aber aus verschiedensten Gründen harscher Kritik ausgesetzt. 2 Nichtsdestoweniger wurde dieser Prozess, der bis Herbst 1999 eine weitere Konkretisierung durch eine Arbeitsgruppe der JuMiKo erfuhr, von linker Seite immerhin einer kritischen Auseinandersetzung und dem Versuch der Einflussnahme für Wert befunden. 3 Zum Schluss überwog aber doch deutlich die Interpretation, dass mit der Reform in der konkret vorgeschlagenen Form wohl keine Verbesserungen der Juraausbildung zu erreichen seien. 4 Im Herbst 2000 zeigte sich das Rechtssystem dann allerdings - wie zuvor auch schon prognostiziert 5 - von seiner bekannt reformresistenten Seite. Aufgrund von veränderten politischen Mehrheiten in einigen Bundesländern war in der JuMiKo für das Reformmodell keine Mehrheit mehr zu erzielen. Die Einphasigkeit wurde aufgegeben. Die JuMiKo erklärte ihre "Auffassung, dass die gebotenen Verbesserungen der Jurist[Inn]enausbildung derzeit ausgehend von dem gegenwärtigen Ausbildungssystem umgesetzt werden." Einige konkretere Verbesserungsvorschläge wurden zur Prüfung an einen Koordinierungsausschuss übergeben, der rechtzeitig zur Sitzung der JuMiKo im Juni 2001 seinen Bericht vorgelegt hat. Eckpunkte Die Ergebnisse seiner Prüfungen hat der Ausschuss in fünf Punkten zusammengefasst: An erster Stelle steht dabei die Anreicherung der Studieninhalte mit sogenannten Schlüsselqualifikationen, die der Berufsfeldorientierung der Auszubildenden dienen sollen. Zweitens soll als einzige strukturelle Veränderung des Universitätsstudiums die Wahlfachprüfung im Rahmen einer "ersten Prüfung" vollständig an die Fakultäten verlagert werden. Diese soll mit einem Gewicht von 25 % in die Gesamtnote eingehen. Drittens soll die Orientierung der Auszubildenden an den "Anforderungen der beruflichen Praxis, insbesondere des Anwaltsberufs" verbessert werden. Zur Umsetzung dieses Ziels soll das Referendariat (zumindest bundesrechtlich) flexibler ausgestaltet werden, d.h. Pflichtstationen sollen nur noch ein Jahr des Vorbereitungsdienstes in Anspruch nehmen, die übrigen 12 Monate können nach Wahl und auch bei einer einzigen Ausbildungsstelle absolviert werden. Diese Flexibilisierung zieht allerdings - viertens - die gesetzliche Beschränkung des Zugangs zur AnwältInnenschaft nach sich: zur Qualitätssicherung soll die Zulassung in Zukunft davon abhängig gemacht werden, dass die BewerberInnen zuvor eine zwölfmonatige Mindestausbildungszeit bei einem/einer RechtsanwältIn absolviert haben. Als fünfter Punkt steht im Bericht das Postulat des Ausschusses, dass durch die Vorschläge die Zweistufigkeit der Ausbildung und die einheitliche Qualifikation für alle juristischen Berufe beibehalten werden. Seine Vorschläge erarbeitete der Koordinierungsausschuss nach eigener Aussage ohne die Durchführung von weiteren Anhörungen. Mit VertreterInnen der AnwältInnenschaft und der Fakultäten wurden jedoch Gespräche geführt. Das ausgerechnet diese Interessengruppen maßgeblichen Einfluss auf die Beratungen nahmen, zeigen die Ergebnisse leider in aller Deutlichkeit. Veränderungen des Studiums Das Jurastudium selbst wird sich also auf zweierlei Art und Weise verändern: durch die Aufnahme der Schlüsselqualifikationen in den Fächerkanon und durch die Verlagerung der Wahlfachprüfung an die Universitäten. Der Koordinierungsausschuss und damit die JuMiKo stellt sich unter dem gern benutzten aber doch etwas geisterhaften Begriff "Schlüsselqualifikationen" das Unterrichten von z.B. Verhandlungsmanagement, Streitschlichtung, Mediation, Rhetorik und Vernehmungslehre und fachspezifischen Fremdsprachenkenntnissen sowie die Vermittlung von Grundkenntnissen in Nachbardisziplinen wie Wirtschafts- und Sozialwissenschaften vor. Die Schlagworte "Praxisorientierung" und "Interdisziplinäres Studium" standen wohl für diese Auswahl Pate. Nun ist grundsätzlich die Vermittlung der angeführten Kenntnisse für JuristInnen sinnvoll; Skepsis ist aber trotzdem angebracht. Mit der schlichten Hinzunahme dieser Fächer wird sich das Ziel, eine stärkere Berufsfeldorientierung, nicht erreichen lassen. Verhandlungsmanagement, Streitschlichtung usw. sind praktische Fertigkeiten, die sich sinnvoll und wirkungsvoll nur in Verbindung mit Übung in der Praxis erlernen lassen. Der theoretische Unterricht mit einigen Trockenübungen neben dem sonstigen Vorlesungsstoff wird nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein. Wesentlich sinnvoller wäre die Vermittlung jedoch in Zusammenhang mit einer wirklichen Theorie-Praxis-Verzahnung, wie sie vom BAKJ und anderen schon seit Jahren gefordert wird. Zudem wird durch die Hinzunahme weiterer Fächer der ohnehin schon hoffnungslos überlastete Lehrplan des Jurastudiums noch mehr ausgeweitet. Um die Studierbarkeit des Studiums nicht noch weiter einzuschränken, schränkt der Ausschuss den Umfang der Pflichtfächer im Studium z.T. ein und behilft sich schließlich mit der Feststellung, das Gesamtvolumen des Lehr- und Prüfungsstoffes werde nicht in einem Maße ausgeweitet, das die Studierbarkeit in Frage stellen könne. 6 Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass das Jurastudium keine, auch keine geringe, Ausweitung des Lehrstoffs mehr vertragen kann. Im Gegenteil wird seit jeher von allen vernünftigen Stimmen gefordert, dass der Umfang des Lehr- und Prüfungsstoffes reduziert werden müsse. Dazu kommt, dass über die Reduzierung der Semesterwochenstunden in den Pflichtfächern zumindest faktisch die Fakultäten entscheiden. Hier haben mit den ProfessorInnen aber diejenigen das Sagen, die sich am hartnäckigsten einer Einschränkung "ihres" Lehrstoffes in den Weg stellen werden. Die Schlüsselqualifikationen werden also ein ziemlich wirkungsloses Schattendasein am Rande des Jurastudiums fristen. Dieser kümmerliche Erfolg muss allerdings zunächst einmal durch eine Verbesserung der Betreuungsrelation, d.h. mehr ProfessorInnen pro StudentIn erkauft werden, wogegen natürlich aus Sicht der relativ besser betreuten Studierenden nichts einzuwenden ist. Klar ist jedoch auch, dass eine Verbesserung der Betreuungsrelation entweder eine Reduzierung der Studienplatzzahlen oder mehr Geld für die Universitäten bedeutet. Letzteres ist dabei wohl eher eine theoretische Möglichkeit. Bezeichnenderweise findet sich in dem Abschnitt des Ausschussberichts zur Verbesserung der Betreuungsrelation hierzu keine Aussage. Mit einer Reduzierung der Studienplatzzahlen muss also gerechnet werden. So wie die Schlüsselqualifikationen ein kümmerlicher Abklatsch der Theorie-Praxis-Integration sind, ist die Verlagerung der Wahlfachprüfung ein trauriger Rest des Einstiegs in die Einphasigkeit bzw. der Abschaffung zumindest der ersten Staatsprüfung. Schade, dass der Reformwille nicht weiter ging. Referendariat Ähnliches lässt sich für die Flexibilisierung des Referendariats sagen; es ist sicherlich sinnvoll, angehenden JuristInnen mehr Freiheit bei der Auswahl ihrer Schwerpunkte und Interessen zuzugestehen. Ansonsten ist zu dieser Veränderung aber auch nicht viel zu sagen, weil sie durch den großen Haken der kleinen Reform, die Beschränkung der Zulassung zur AnwältInnenschaft, vollkommen zunichte gemacht wird. Der Ausschuss nimmt für sich in Anspruch, 7 den Forderungen der AnwältInnenschaft teilweise widerstanden zu haben, indem nicht verpflichtend ein Jahr Ausbildung bei einem/einer AnwältIn während des Referendariats vorgesehen ist. Stattdessen soll lediglich vorgeschrieben werden, dass zwölf Monate Ausbildungszeit bei einem/einer AnwältIn für die Berufszulassung nötig sind. Diese Zeit können die NachwuchsjuristInnen während des Referendariats aber auch später absolvieren. Über diesen Vorschlag kann sich die AnwältInnenschaft ebenfalls nicht beschweren. Dies zeigen die folgenden Überlegungen. Theoretisch kann mensch als jungeR JuristIn während des Vorbereitungsdienstes die ganze Freiheit genießen und die Stationen, die während der zwölf Monate frei wählbar sind, nach Interessen oder nach Berufszielen jenseits des AnwältInnenschaft auswählen. Letztlich wird jedoch nach dem zweiten Staatsexamen für die meisten dieser jungen IndividualistInnen auch weiterhin nur der Weg in den Anwältinnen- oder Anwaltsberuf offen stehen. Die evtl. fehlenden Monate müssen also nun nachgeholt werden. Wie bringt man nun niedergelassene AnwältInnen dazu, für gutes oder auch nur mittelmäßiges Geld jemanden einzustellen, der ebenso wenig Erfahrung mit der anwaltlichen Tätigkeit hat wie die Heerscharen von ReferendarInnen, die ihr anwaltliches Jahr während des Vorbereitungsdienstes (auf Staatsknete) absolvieren wollen? Schlimmstenfalls mit der Zahlung eines Ausbildungsentgeltes. Letztlich werden also bis auf diejenigen, die genau wissen, was sie anderes machen wollen und sich außerdem für ziemlich gut halten, alle Jung-JuristInnen während des Referendariats ein Anwältinnen-/Anwaltsjahr einschieben. Die AnwältInnenschaft kann sich über einen ganzen Haufen billiger und gut einsetzbarer Arbeitskräfte freuen. Herzlichen Glückwunsch zu der erfolgreichen Lobbyarbeit. Sehr fraglich ist, ob die Auszubildenden in dieser Konstellation wirklich die praktische Ausbildung bekommen, die notwendig wäre, um ihre Qualität soweit zu steigern, dass dies zumindest die Zielsetzung der Zulassungsbeschränkung rechtfertigen würde. Es dürfte nicht ausreichen, sich wie der Koordinierungsausschuss aufgrund nicht näher spezifizierter Gespräche mit dem Deutschen Anwaltverein und der Bundesrechsanwaltskammer darauf zu verlassen, dass "sich das Engagement der Rechtsanwältinnen und Rechsanwälte auch in der Einzelausbildung künftig noch verstärken wird". Es lässt sich prognostizieren, dass mensch nach diesen zwölf Monaten auch noch keineE fertigeR AnwältIn ist, jedoch wesentlich weniger gelernt hat, als dies innerhalb eines Jahres einigermaßen selbstverantwortlicher Tätigkeit der Fall gewesen wäre. Das Pflichtjahr ist damit eine ungeeignete Maßnahme der Qualitätssicherung. Was bleibt? Mit seinen Feststellungen zum fünften Eckpunkt seiner Vorschläge hat der Ausschuss zweifellos recht. Ohne Frage bleibt es bei der Zweistufigkeit der Ausbildung und damit bei der fast hermetischen Trennung von Theorie und Praxis. Daran wird dieses Reförmchen nichts ändern können. Außerdem wird es auch weiterhin den/die EinheitsjuristIn geben. Allerdings wird dies nicht die ursprünglich einmal angestrebte allseits einarbeitungsfähige Einheitsjuristin sein sondern der/die Einheits-AnwältInnen-JuristIn, der/die auf diese Rolle kaum besser vorbereitet ist, dafür aber weniger Ahnung von anderen juristischen Berufen hat und weniger ausprobieren konnte als bisher. Jan Gehrken studiert Jura und lebt in Hamburg. Anmerkungen 1 Juristische Schulung (JuS) 1999,
102. Literatur: Aden, Hartmut, Aussichtsloser Reformversuch?, Forum Recht (FoR)
1999, 130.
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