Heft 4 / 2001: grenzenlos beschränkt MigrantInnenpolitik in BRD und Europa |
Samuel Salzborn | |
Sonderrechte für Deutsche? | |
Ethnische Minderheiten im deutschen Verfassungsrecht und das Problem des Minderheitenbegriffs |
Hier findet ihr die Vorschriften zu ethnische Minderheiten im deutschen Verfassungsrecht: Länderverfassungen . Seitdem die Initiative der Gemeinsamen Verfassungskommission (GVK) zur Verfassungsänderung und damit grundgesetzlichen Verankerung des Minderheitenschutzes (Art. 20b Grundgesetz) 1994 an der fehlenden Zweidrittelmehrheit im Bundestag gescheitert ist, mehren sich die Stimmen, die die Notwendigkeit eben einer solchen Verfassungsänderung betonen. 1 Die durch das Grundgesetz (GG) auch für Angehörige ethnischer Minderheiten geltenden Schutzbestimmungen, so wurde und wird von den Befürworterinnen und Befürwortern argumentiert, reichten nicht aus und seien nicht wirksam genug. Es bedürfe vielmehr der grundgesetzlichen Verankerung einer Staatszielbestimmung zur Achtung und Förderung der Identität der ethnischen Minderheiten in der Bundesrepublik. Bisher genießen die als solches anerkannten ethnischen/nationalen Minderheiten (Sorben, Dänen, Sinti-Roma, Friesen) auf Verfassungsebene in einigen Länderverfassungen sowie auf einfachgesetzlicher Ebene als Minderheiten Schutz und Förderung unter der Maßgabe der deutschen Staatsangehörigkeit. Alle nichtdeutschen Menschen sind qua definitionem vom Minderheitenstatus ausgeschlossen. Verknüpft mit diesem Faktum ist die Tatsache einer nicht nur, aber auch im bundesdeutschen Rahmen voranschreitenden schleichenden Entwicklung zur Modifikation bzw. Ersetzung des bisherigen menschenrechtlichen Antidiskriminierungsschutzes von Individuen, wie ihn das GG kennt, durch einen kollektivrechtlichen Ethnisierungsansatz eines Volksgruppenrechts, das - wie noch gezeigt wird - auf völkischem Fundament fußt. Obgleich von konservativer Seite auf die "Gefahr" hingewiesen wurde, mit der seinerzeit geplanten Verfassungsänderung auch Ausländerinnen und Ausländern den Rechtsstatuts von Minderheiten zu verschaffen und so durch die Hintertür die "multikulturelle Gesellschaft" ins GG einzuführen, 2 wäre mit dieser Grundgesetzänderung auch ein bisher im GG nicht vorhandener kollektivrechtlicher Ansatz verankert worden. 3 Der Kern des Problems liegt auch hier in der Frage der Notwendigkeit der deutschen Staatsangehörigkeit als Voraussetzung zur Anerkennung als Minderheit: wird die deutsche Staatsangehörigkeit zur zwingenden Voraussetzung gemacht, dann liegt der Verdacht einer grundgesetzlichen Modifikation hin zu einem Volksgruppenansatz nahe; andernfalls würde das Minderheitenrecht sich auch so genannten neuen Minderheiten öffnen und das würde die Frage aufwerfen, ob der grundgesetzliche Antidiskriminierungsschutz nicht bereits ausreicht bzw. ob die zu erwartenden positiven Änderungen den negativen Beigeschmack einer möglicherweise völkischen Fundierung aufwiegen würden. Ethnische Minderheiten im deutschen Verfassungsrecht Der Minderheitenschutz ist im GG nicht ausdrücklich festgelegt, den Angehörigen von Minderheitengruppen kommen aber die durch den menschenrechtlichen Ansatz des GG garantierten Freiheitsrechte zu, 4 wie auch die "individuelle kulturelle Entfaltungsfreiheit unter der Herrschaft des Grundgesetzes fast unbeschränkt" ist. 5 Von übergeordneter Bedeutung sind insbesondere Art. 2 Abs. 1 GG, der die allgemeine Handlungsfreiheit garantiert, und Art. 3 Abs. 1 + 3 GG, in denen die Gleichheit vor dem Gesetz sowie das Verbot der Diskriminierung geregelt ist. Ergänzend ist auch auf die Relevanz von Art. 1 Abs. 1 GG hinzuweisen, da die Garantie der Menschenwürde auch ein Verbot von herabwürdigender Ungleichbehandlung beinhaltet, das sich nicht nur auf Art. 3 Abs. 3 GG stützt, sondern auch auf Art. 1 Abs. 1 GG, weil eine solche Diskriminierung, die eine Erniedrigung, Ächtung oder Geringschätzung des Diskriminierten beinhaltet, auch einen Angriff auf die Menschenwürde darstellt. Aber auch weiteren Grundrechten wie der garantierten Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4 GG), der Meinungs- und Pressefreiheit (Art. 5 GG), der Vereinigungsfreiheit (Art. 9 GG) oder dem Recht zur Gründung von Privatschulen (Art. 7 Abs. 4 GG) kommt für die Angehörigen von Minderheiten Bedeutung bei. Auf einfachgesetzlicher Ebene geht die juristische Reglementierung durch die Aufhebung der 5 %-Sperrklausel für Parteien der nationalen Minderheiten (§ 6 Abs. 6 Satz 2 Bundeswahlgesetz) sowie die Sonderregelungen die staatliche Finanzierung und die Parteispenden betreffend (§ 18 Abs. 4 Satz 3, § 25 Abs. 3b Parteiengesetz) über die grundgesetzliche Schutzgarantie hinaus (positive Diskriminierung). Der gleiche Sachverhalt der positiven Diskriminierung findet sich auf einfachgesetzlicher Ebene beispielsweise mit Bezug auf die Sorben in der Protokollnotiz 14 zu Art. 35 des Einigungsvertrages oder in der Erweiterung von § 184 Gerichtsverfassungsgesetz durch Anlage I Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt III 1 r des Einigungsvertrages, während für die dänische Minderheit § 5 Abs. 3 Bundesausbildungsförderungsgesetz positiv diskriminierende Sonderregelungen beinhaltet. Die bereits erwähnte Initiative zu einer Verfassungsänderung (Art. 20b GG) zielte darüber hinaus auf eine gruppenrechtliche Auslegung, mit der die Achtung der Identität der ethnischen, kulturellen und sprachlichen Minderheiten fixiert werden sollte, da in der GVK-Empfehlung nicht von Angehörigen von Minderheiten, sondern der Gruppe selbst ("Der Staat achtet die Identität der ethnischen, kulturellen und sprachlichen Minderheiten.") die Rede war und somit eine gruppenrechtliche positive Norm anstelle einer individuellen Schutzbestimmung verfassungsrechtlich auf Bundesebene festgeschrieben werden sollte. Auf verfassungsrechtlicher Ebene spielen ferner - neben den völkerrechtlichen Vorgaben, auf die hier nicht im einzelnen eingegangen werden kann 6 - die Länderverfassungen eine Rolle. In den Verfassungen der Bundesländer Schleswig-Holstein (Art. 5 SchlHVerf), Brandenburg (Art. 25 BbgVerf), Sachsen (Art. 5 + 6 SächsVerf), Sachsen-Anhalt (Art. 37 SaAnhVerf) und Mecklenburg-Vorpommern (Art. 18 MVVerf) werden die Rechte ethnischer Minderheiten festgelegt. Die Reglementierungen reichen von allgemeinen (Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt) über konkret an einzelne Minderheitengruppen gebundene (Brandenburg) bis hin zu umfassenden Bestimmungen, die beide Dimensionen berücksichtigen (Schleswig-Holstein, Sachsen): "In den Ländern, in denen die Siedlungsgebiete ethnischer Minderheiten liegen, enthalten die Landesverfassungen besondere Minderheitenschutzbestimmungen. Darin wird die Bewahrung der Identität, insbesondere der Kultur und Sprache der ethnischen Minderheiten i. S. eines Schutz- und Achtungsanspruchs gewährleistet. Soweit auch die positive staatliche Förderung der Volksgruppen verfassungsrechtlich vorgeschrieben wird, nämlich in Schleswig-Holstein, Sachsen und Brandenburg, nennt die Verfassung die zu fördernden Volksgruppen namentlich. Detaillierte Regelungen über die Rechte der Sorben enthalten die Verfassungen von Sachsen und besonders von Brandenburg. Alle Landesverfassungen gehen davon aus, dass der Minderheitenstatus nur deutschen Staatsangehörigen zukommen kann." 7 Besonders bemerkenswert an den Länderverfassungen, die die Minderheiten namentlich nennen, ist, dass dort nicht die Angehörigen der Minderheiten, sondern diese selbst als Rechtssubjekte angesprochen werden. Es wird also über das Prinzip der individuellen Bekenntnisfreiheit hinaus eine positive Diskriminierung nach gruppenrechtlichen Maßstäben verfolgt, die bis hin zur Staatszielbestimmung einer "Landesgrenzen übergreifenden kulturellen Autonomie" (Art. 25 Abs. 2 BbgVerf), zur Einbeziehung der "sorbischen Sprache in die öffentliche Beschriftung" in deren Siedlungsgebieten (Art. 25 Abs. 4 Satz 1 BbgVerf) und zum Schutz des "Recht(s) auf Bewahrung ihrer Identität (gemeint ist die der Bürgerinnen und Bürger "sorbischer Volkszugehörigkeit"; Anm. d. Verf.) sowie auf Pflege und Entwicklung ihrer angestammten Sprache, Kultur und Überlieferung, insbesondere durch Schulen, vorschulische und kulturelle Einrichtungen" (Art. 6 Abs. 1 Satz 2 SächsVerf) reicht. Ergänzend ist auf zahlreiche einfachgesetzliche Normen zur Umsetzung der landesverfassungsrechtlichen Minderheitenschutzbestimmungen hinzuweisen, wie etwa die so genannten Sorbengesetze in Brandenburg und Sachsen oder die analog § 6 Abs. 6 Satz 2 Bundeswahlgesetz auf Länderebene geltende Aufhebung der 5 %-Sperrklausel für die Parteien der ethnischen/nationalen Minderheiten nach den Landeswahlgesetzen von Schleswig-Holstein (Dänen) und Brandenburg (Sorben). Insgesamt zeigen sich anhand der verfassungsrechtlichen Regelungen auf Bundes- und Länderebene im Wesentlichen zwei Problemfelder. Zunächst handelt es sich um die Frage, ob ein individueller Diskriminierungsschutz wie ihn das GG vorsieht (menschenrechtlicher Ansatz) oder eine positive Diskriminierung mit kollektiven Sonderrechten für die ethnischen Minderheiten (gruppenrechtlicher Ansatz) sinnvoll erscheint und auch, welche politischen Implikationen mit den jeweiligen Modellen verknüpft sind. Außerdem ist zu hinterfragen, ob es im Kontext von Minderheitenschutz als sinnvoll gelten kann, deutsche Staatsbürger mit Sonderrechten auszustatten, die dem Gleichheitsgrundsatz des GG folgend über die gleichen Rechte wie alle anderen Deutschen auch verfügen oder ob stattdessen der Minderheitenbegriff von dem Kriterium Staatsangehörigkeit gelöst werden müsste. Minderheiten und Volksgruppen Der Differenz zwischen einem menschenrechtlichen und einem gruppenrechtlichen Ansatz des Minderheitenschutzes liegen zwei konkurrierende Rechtsauffassungen zugrunde, die gleichsam Ausdruck konkurrierender politischer Gesellschaftsmodelle sind. Die menschenrechtliche Interpretation stellt in der Tradition von Aufklärung und Französischer Revolution auf den Schutz des Individuums vor Diskriminierungen und Herabwürdigungen jeder Art ab. Die gruppenrechtliche Auffassung eines Volksgruppenrechts argumentiert hingegen in Abgrenzung zum Gleichheitspostulat von der Basis einer grundsätzlichen Differenz zwischen den Menschen ausgehend, die diese aufgrund nicht-sozialer und nicht-politischer Kriterien - also solcher aus dem vorpolitischen Bereich - voneinander abgrenzbar mache. Ihr Ziel ist nicht eine durch die Überwindung historisch bedingter Ungleichheit sich fortschreibende Integration von Menschen, sondern die Segregation nach ethnisch-völkischen, sprachlichen, kulturellen und bisweilen auch "rassischen" Kriterien. In Interaktion treten beide Modelle, da sie sich scheinbar an dem gleichen Ziel orientieren: dem Schutz von Menschen vor Diskriminierung; in einem Fall soll das Individuum, im anderen die Gruppe geschützt werden - nur daß der eine Schutz die Gleichheit der Menschen, der andere jedoch ihre Ungleichheit zur Prämisse hat und zugleich zum Ziel sich setzt. Die auf ein völkisches Menschen- und Gesellschaftsbild gegründeten Modelle eines europäischen Volksgruppenrechts forcieren innerstaatlich (bzw. in ihrem Duktus: regionalstaatlich) ein auf Homogenität angelegtes Konzept der Ethnizität, bei dem die Staatsangehörigkeit mit einer völkisch definierten Volkszugehörigkeit verknüpft sein soll; eine Vorstellung, die etwa in der Betonung der "sorbischen Volkszugehörigkeit" in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 SächsVerf bereits erste Anknüpfungspunkte im bundesdeutschen Verfassungsrecht gefunden hat. So soll ein Volksgruppenrecht stets nur für "andersvölkische" Angehörige des jeweiligen "Mehrheitsstaates" gelten, die faktisch nach Gesetzeslage als Staatsbürger nicht diskriminiert und somit in ihrer Lebensausübung nicht strukturell-administrativ beeinträchtigt werden, und nicht für Flüchtlinge oder Migrantinnen und Migranten. 8 Innergesellschaftliche Widersprüche sollen qua völkischer Segregation zur Deckungsgleichheit transformiert werden, wobei das Volk als natürliche Gemeinschaft begriffen wird, "die eine gemeinsame Abstammung aufweist und sich von anderen natürlichen Gemeinschaften durch kulturelle und geistige, meist sprachliche Eigenartung und ein entsprechendes Bewusstsein" unterscheiden soll. 9 In dieser Vorstellung fungiert die ethnische Identität als das den Menschen konstituierende Moment. Den Angehörigen der nach ethnischen Kriterien differenzierten Menschengruppen wird eine "starke Wesensgemeinschaft" zugesprochen, ja gar eine "ethnische Determinierung", die zu "mehr Gleichförmigkeiten des sozialen Handelns" zwischen den Angehörigen der jeweiligen ethnischen Gruppe führe, als dies zwischen Mitgliedern verschiedener ethnischer Gruppen der Fall sei. 10 Innerhalb der ethnischen Gemeinschaften bestehende soziale Interessenwidersprüche werden aus der Lebensrealität der Menschen herausredigiert, da aufgrund des ethnischen Primats ihnen ihre tatsächliche Relevanz abgesprochen wird. Statt eines wirksamen Diskriminierungsschutzes und einer entsprechenden (antirassistischen) Bildungspolitik und politischen Praxis, bedarf es im Sinne eines Volksgruppenrechts der Anerkennung, Sicherung und Förderung der Ethnizität der Minderheiten als Gruppen. Was in vielen Fällen überhaupt erst zur Verstetigung ihrer völkischen Kollektividentität durch Einleitung eines Ethnisierungsprozesses führt, "in dessen Verlauf zunächst konstitutiv belanglose Momente schrittweise in konstitutiv relevante Eigenschaften transformiert werden, um eine gesonderte soziale Gruppe zu erzeugen." 11 Und, so ließe sich mit Jürgen Habermas ergänzen, "selbst wenn solche Gruppenrechte im demokratischen Rechtsstaat zugelassen werden könnten, wären sie nicht nur unnötig, sondern normativ fragwürdig. Denn der Schutz von identitätsbildenden Lebensformen und Traditionen soll ja letztlich der Anerkennung ihrer Mitglieder dienen; er hat keineswegs den Sinn eines administrativen Artenschutzes. Der ökologische Gesichtspunkt der Konservierung von Arten lässt sich nicht auf Kulturen übertragen." 12 Die Massierung einer durch irrational-subjektive Gründe legitimierten kollektiven Separatidentität birgt ein kulturelles und/oder territoriales Autonomisierungspotenzial in sich, wie etwa Art. 25 Abs. 2 BbgVerf es implizit andeutet. Denn die Schaffung eines subjektiven Gruppenzugehörigkeitsgefühls produziert neben dem Bild vom Eigenen strukturell auch das Bild vom Anderen, wobei die reale Segregation bereits theoretisch vorweg genommen wird. Beispielsweise die Konstruktion einer eigenen Volksgeschichte macht die Exklusion all der Faktoren nötig, die das homogene Bild vom eigenen (Kollektiv-)Selbst unterminieren könnten. Das "Andere" wird bereits im Prozess des Ausschließens zur potenziellen Bedrohung für die eigene Kollektividentität, denn sobald die starren Grenzen der Selbstvergewisserung aufweichen, wäre auch die geschaffene Separatidentität gefährdet. Um deren Legitimation aufrecht zu erhalten, werden die ihr zugrunde liegenden Differenzierungsmuster alltäglich reproduziert, die nicht nur das menschliche Gleichheitspostulat in Frage stellen. Sondern sie bewirken politisch auch die Forderung nach Umsetzung des Postulats einer kulturell oder "rassisch" bedingten Differenz von Menschen durch Schaffung autonomer Verwaltungsstrukturen auf substaatlicher Ebene. Diese der Theorie des Volksgruppenrechts strukturell innewohnende Tendenz zur Desintegration hat jedoch für die Bundesrepublik innenpolitisch faktisch keine Bedeutung, da sie "über vollintegrierte Vorzeigeminderheiten von symbolischer Größe verfügt", 13 wobei deren so genannte Modellfunktion so oft hervorgehoben und nachdrücklich betont wird, dass allein die Darstellung der bundesdeutschen Situation einen immensen moralischen Druck auf die Minderheitenpolitik anderer Staaten herstellt. 14 Für andere europäische Nationalstaaten, namentlich jene, die wie etwa Frankreich über ein republikanisches Bürgerverständnis verfügen, sowie die ehemals realsozialistischen Länder, birgt das Fortschreiten volksgruppenrechtlicher Vorstellungen hingegen erhebliche Gefahren in sich: "Es liegt auf der Hand, dass eine im internationalen Vergleich vorbildliche Ausgestaltung des Minderheitenschutzes auf der innerstaatlichen Ebene die Bemühungen der Bundesrepublik um eine Verbesserung der Lage der deutschen Minderheiten im Ausland erheblich unterstützen würde. [...] Deutschland kann sich eine minderheitenfreundliche Haltung um so eher 'erlauben', als es selbst keinen Zerreißproben durch nach Eigenstaatlichkeit strebenden nationalen Minderheiten ausgesetzt ist; die hier bestehenden nationalen Minderheiten streben nach Kulturautonomie und staatlicher Förderung, aber nicht nach staatlicher Abspaltung." 15 So finden sich in den von der Bundesrepublik mit osteuropäischen Staaten seit der osteuropäischen Transformation 1989/90 geschlossenen Nachbarschafts- und Freundschaftsverträgen auch zahlreiche Regelungen zugunsten der deutschen Minderheiten im Ausland, die jedoch in den meisten Fällen keine reziproken Entsprechungen zugunsten der jeweiligen "Personen" (in diesem Terminus Teil der bilateralen Vertragspraxis) in der Bundesrepublik haben. Denn die förmliche Nicht-Anerkennung als Minderheit für diese "Personen" hat eine abstrakte und reale Ungleichheit und auch -behandlung zur Folge und das obgleich, wie das Kleine Lexikon der ethnischen Minderheiten in Deutschland vermerkt, zahlreiche nichtdeutsche Minderheiten in der Bundesrepublik leben. Die Zahl der Ausländerinnen und Ausländer in der Bundesrepublik liegt bei etwa 7,34 Millionen Menschen, was einem Anteil von neun Prozent an der Gesamtbevölkerung entspricht, 16 während die anerkannten ethnischen/nationalen Minderheiten in der Bundesrepublik zusammen etwa 0,2 Prozent der Bevölkerung stellen, was in absoluten Zahlen ungefähr folgende Verteilung auf die vier ethnischen/nationalen Minderheiten ergibt: 60.000 Sorben, 50.000 Dänen, 30.000 Sinti-Roma und 12.000 Friesen. 17 Dem genannten Kleinen Lexikon der ethnischen Minderheiten in Deutschland liegt allerdings eine beschreibende Definition von Minderheit zu Grunde, die diese im Wesentlichen anhand der nichtdeutschen Staatsangehörigkeit klassifiziert. 18 Diese Definition ist nicht nur in der juristischen Minderheiten-/Volksgruppendiskussion atypisch, sondern widerspricht auch der bilateralen Vertragspraxis der Bundesrepublik. Denn in beiden Fällen werden Minderheiten ethnisch/völkisch definiert, so dass das Fehlen der Staatsangehörigkeit des jeweiligen Wohnsitzstaates gerade zur Versagung der Anerkennung als Minderheit führen würde. Deutsche Staatsangehörigkeit Dass das Kriterium der deutschen Staatsangehörigkeit im GVK-Entwurf für Art. 20b GG nicht mehr expressis verbis genannt wurde, wie noch in einigen der Vorentwürfe, nährte auf konservativer Seite die Befürchtungen, auch nichtdeutsche Menschen könnten in den Genuss des Minderheitenstatus kommen. Kritik mit gleicher Stoßrichtung kam auch im Kontext der Diskussion um eine doppelte Staatsangehörigkeit auf, als die These vertreten wurde, dass auf diese Weise "durch die Hintertür" beispielsweise Türkinnen und Türken aufgrund ihrer dann auch vorhandenen deutschen Staatsbürgerschaft in der Bundesrepublik Anspruch auf Anerkennung als Minderheit geltend machen könnten und sich somit nicht nur haushaltspolitisch die zur Minderheitenförderung zur Verfügung zu stellenden Finanzmittel erhöhen würden, sondern auch potenziell eine Autonomisierungsdynamik bei gleichzeitiger Unterminierung der "deutschen Nation" an Boden gewinnen könnte: "Da allochthone Minderheiten nicht über ein traditionelles Siedlungsgebiet verfügen, sondern über ganz Deutschland zerstreut sind, sich aber insbesondere in Großstädten konzentrieren, wäre der nächste Schritt, um Konflikte zu 'neutralisieren', die Forderung nach Gewährleistung einer eigenen politischen Organisation (Autonomie bzw. Selbstbestimmung) für jede Sprachgemeinschaft (Ethnie) von Minderheiten. Allmählich würden auch die Konturen zwischen ausländischen und nationalen Minderheiten verwischt werden." 19 Mit der sich hier andeutenden terminologischen Unterscheidung zwischen autochthonen (etwa: alteingesessen, eingeboren, bodenständig) und allochthonen (etwa: an anderer Stelle entstanden, nicht heimisch) Minderheiten drückt sich zugleich auch das Problem eines Tribalismus aus. Denn diese Unterscheidung geht von der Annahme einer politischen Bedeutsamkeit von "traditionellen Siedlungsgebieten" aus, die als Kriterium zur Statusbestimmung für die jeweiligen Minderheiten fungieren. Ob eine solche vorbürgerliche Vorstellung mit den Kriterien des modernen National- und demokratischen Verfassungsstaates in Einklang steht, darf mindestens bezweifeltwerden. Kehrte man die konservative Unterminierungsthese im Hinblick auf die doppelte Staatsbürgerschaft in ihr Gegenteil - also in die Forderung, dass die Doppelstaatlerinnen und Doppelstaatler Minderheitenstatus bekommen sollen - ergäbe sich jedoch das bereits beschriebene Ethnisierungsdilemma und die Frage, was sich faktisch ändern würde, da die neuen Minderheiten ja aufgrund ihrer (auch) vorhandenen deutschen Staatsbürgerschaft wiederum die gleichen Rechte hätten, wie andere deutsche Staatsangehörige. Neben dieser juristischen Dimension bleibt der Einwand, dass ethnische Minderheiten (seien es die anerkannten oder seien es die "neuen") in der politischen Realität und im alltäglichen gesellschaftlichen Verkehr Diskriminierungen ausgesetzt seien - nur dass das kein juristisches, sondern ein politisches Problem ist, dem nicht durch Gesetzesänderungen, sondern durch praktische Antidiskriminierungsarbeit und antirassistische Politik beizukommen ist, wie es auch Norman Paech auf den Punkt bringt: "Das zentrale Problem der Minderheitenpolitik liegt jedoch nicht im juristischen Bereich, sondern im nicht nur in der deutschen Gesellschaft auftretenden Rassismus und in den auch in Europa schärfer werdenden sozialen Auseinandersetzungen um die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums." 20 Aufgrund des mit der deutschen Staatsbürgerschaft verknüpften Minderheitenstatus ist diesem eine gewisse Tautologie eben so wenig abzusprechen, wie eine Paradoxie. Legitimieren sich doch die Sonderrechte für ethnischen Minderheiten - also für Deutsche - über Kriterien, deren rationaler Kern etwa am Beispiel der "Volkszugehörigkeit" weder empirisch präzise bestimmbar, noch theoretisch schlüssig legitimierbar ist, wobei ihre normative Konformität dem Bevorzugungsverbot nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG zufolge zudem mindestens zweifelhaft ist. Wird jedoch der Minderheitenbegriff konträr seiner bisweilen implizierten irrationalen Kategorien diskutiert und in Beziehung zu seinem demokratischen Kern gesetzt, zeigt sich Klassifizierungsbedarf für genau jene Menschen als Minderheiten, die nicht die gleichen Rechte haben wie alle anderen auch, denn sie bedürfen tatsächlich de facto und de jure Schutz vor Diskriminierung: die Ausländerinnen und Ausländer. Der Minderheitenbegriff würde dabei nicht von der Staatsangehörigkeit als Klassifizierungskriterium gelöst, sondern hätte sie zur Negativbedingung; nur diejenigen, die nicht über die Staatsangehörigkeit des jeweiligen Wohnsitzstaates verfügen, würden als Minderheiten gelten. Ein Nebeneffekt dieser Negation könnte freilich die Tilgung des völkischen Konstrukts der "Volkszugehörigkeit" aus der juristischen und politischen Argumentation sein. Und eine nicht-völkische Menschendefinition wäre sicher nicht die schlechteste Voraussetzung einer antirassistisch ausgerichteten Minderheitenintegration. Samuel Salzborn, Diplom-Sozialwissenschaftler und Doktorand, hat Politikwissenschaft, Soziologie, Psychologie und Rechtswissenschaft studiert. Anmerkungen: 1 Vgl. Ermisch, Harald: Minderheitenschutz
ins Grundgesetz? Die politische Diskussion über den Schutz ethnischer
Minderheiten in der BRD im Rahmen der Beratungen der Gemeinsamen Verfassungskommission
von Bundestag und Bundesrat, Münster 2000; Lemke, Jan: Nationale Minderheiten
und Volksgruppen im schleswig-holsteinischen und übrigen deutschen Verfassungsrecht
(Diss.), Kiel 1998; Siegert, Anja: Minderheitenschutz in der Bundesrepublik
Deutschland. Erforderlichkeit einer Verfassungsänderung, Berlin 1999. Literatur zum Weiterlesen: Butterwegge, Christoph / Hentges, Gudrun (Hg.): Zuwanderung im
Zeichen der Globalisierung. Migrations-, Integrations- und Minderheitenpolitik,
Opladen 2000
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