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Politische Justiz   Heft 1/2003
Szenen einer Ehe
Zum Verhältnis von Recht und Macht

Seite 32/33
   
 

Grabengeschichten

Seit März vergangenen Jahres und seit über 100 Verhandlungstagen findet am Berliner Kammergericht Moabit ein Mammutprozess statt, den die Bundesanwaltschaft gegen vier Männer und eine Frau wegen der Mitgliedschaft in den "Revolutionären Zellen" (RZ) und der Beteiligung an mehreren Aktionen der Gruppe führt. Grundlage der Anklage bilden Aussagen des Kronzeugen Tarek Mousli, die mit Fortschreiten des Prozesses aber immer märchenhafter erscheinen.
Das aktuelle Mysterium rankt sich um ein Sprengstoffpaket, das Mousli im Frühjahr 1995 in einem Seegraben im Norden Berlins versenkt haben will. In diesem Paket sollten die restlichen Stangen des Sprengstoffes "Gelamon 40" enthalten gewesen sein, deren Hauptteil Kleinkriminelle aus seinem Keller gestohlen hatten und das anschließend in die Hände der Polizei geraten war. Mousli behauptet, dass ihm das Gelamon von Mitgliedern der RZ zur Aufbewahrung überlassen worden sei. Die Suche des BKA nach dem im Seegraben versteckten Paket blieb zunächst erfolglos. Erst als Mousli aus der Untersuchungshaft entlassen worden war, konnte im August 1999 der Sprengstoff in einen blauen Plastiksack an einer anderen als der zuvor beschriebenen Stelle gefunden werden. Zwei von der Polizei bestellte Chemiker bezweifelten jedoch, dass es sich bei dem explosiven Material um die Sprengstoffart Gelamon 40 handelt.

Nachdem zwei sogenannte Grabenläufer, die in den angegebenen Jahren die städtischen Gewässer auf Verunreinigungen und Schäden kontrollierten, ausgesagt hatten, dass ihnen nie ein entsprechender Plastiksack aufgefallen war, hakte die Verteidigung nach. Sie befragte nach der Sommerpause einen Bauingenieur sowie Mikro- und HydrobiologInnen und selbst Beschäftigte der Klebebandfirma "Tesa", um festzustellen, ob das ominöse Paket tatsächlich über eine so lange Zeit in dem Seegraben versteckt war. Der Zustand des Klebebandes, mit dem das Sprengstoffpaket umwickelt worden war, sollte Aufschluss über die tatsächliche Verweildauer des Paketes geben. Dabei verdichteten sich die Hinweise, dass Mouslis Story einmal mehr nichts weiteres als eine vorm Krepieren stehende Räuberpistole ist. Die Bundesanwaltschaft tat das Bemühen der Verteidigung zunächst als Verschwörungstheorien ab und auch Gericht zeigte sich an einer Aufklärung der Ungereimtheiten in der Seegraben-Geschichte wenig interessiert. Mittlerweile musste aber auch der Sachverständige des Bundeskriminalamtes (BKA) einräumen, dass das Klebeband kaum Veränderung aufweise und das Sprengstoffpaket "höchstens wenige Monate", aber "keinesfalls Jahre" im Wasser gelegen hätte. Ende Oktober ergab nun ein weiteres Gutachten des BKA, dass es unmöglich sei, den Sprengstoff in der von Mousli beschriebenen Weise zu versenken. Danach hätte das Paket mindestens zu einem Drittel über die Wasseroberflächen herausragen müssen, um untergehen zu können.

Mouslis Geschichten gelten mittlerweile wohl auch unter der BAW alles andere als wasserdicht. Bundesanwalt Nehm zog es zumindest vor, ein weiteres, ebenfalls auf Mouslis Aussagen basierendes Ermittlungsverfahren gegen Rudolf Sch. und Sabine E. einzustellen. Sie sollen nach Erzählungen des Kronzeugen an der Erschießung des früheren hessischen Wirtschaftsministers Karry im Jahre 1981 beteiligt gewesen sein. Die Tat wurde zwar der RZ zugeordnet. Nach Auskunft Nehms reichten die Wahrnehmungen des Kronzeugen aber nicht aus, um einen Tatnachweis der beiden belegen zu können.
(strz, aus: Die Rote Hilfe 4/2002)

Aufklären

In der Nacht vom 17. auf den 18. Oktober 1977 brachten sich die RAF-Angehörigen Jan Carl Raspe, Gudrun Ensslin und Andreas Baader in ihren Einzelzellen in der Justizvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim selbst um, Irmgard Möller überlebte ihre selbst zugefügten schweren Verletzungen nur knapp. Die "Mitglieder einer terroristischen Vereinigung" setzten das "Mittel der Selbstzerstörung" ein, nachdem sie erfuhren, dass das von einem palästinensischen Kommando entführte Lufthansa-Flugzeug "Landshut" in Mogadischu gestürmt worden war und damit ihre Hoffnung auf eine erpresste Freilassung enttäuscht wurde.
So lautet die offizielle Version über jene Nacht im sogenannten Toten Trakt des 7.Stocks im Hochsicherheitsknast Stammheim, die so stark von Regierungsstellen und Untersuchungsausschuss sowie Gerichten und Staatsanwaltschaften festgeklopft wurde, dass Menschen, die diese Version stark anzweifeln und stattdessen von einem staatlich veranlassten Mord sprechen, oft mit einem Verfahren wegen Staatsverunglimpfung und Verleumdung zu rechnen haben.

Dabei hört sich die Geschichte in der Tat nicht wirklich rund an. Zwar sprechen mittlerweile einige ehemalige RAF-Mitglieder ebenfalls von Selbstmord, sie können sich jedoch dabei nur auf Wissen vom Hörensagen und auf Vermutungen beziehen. Die einzige Überlebende, Irmgard Möller, bestreitet hingegen nachdrücklich, dass es Absprachen zwischen den Gefangenen derart gegeben hat, sich im Falle des Scheiterns des Freilassungsversuches selbst zu töten. Entsprechend weist sie die Behauptung zurück, dass sie sich selbst die diversen bis zu sieben Zentimeter tiefen Stiche in Herz und Lunge zugefügt hat. Die ErmittlerInnen konnten seinerzeit auch keine geeignete Tatwaffe präsentieren. Ohnehin ist es äußerst fraglich, wie die Gefangenen ihre Waffen haben aufbewahren können. Der Stammheimer Komplex galt als sicherstes Gefängnis in Deutschland, und in den Tagen der Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer wurden die Zellen der InsassInnen nicht nur peinlichst genau durchsucht, sondern auch häufig gewechselt. Unter solchen Umständen soll Andreas Baader die Pistole, die später neben seiner Leiche gefunden wurde, in einem Plattenspieler versteckt und durch die Kontrollen des Landeskriminalamtes geschleust haben. Und Jan Carl Raspe soll seine Waffe in einem "mutmaßlichen Versteck in der Fensterwand" einer Zelle verborgen haben, in die er nur zwei Wochen vor der Tat verlegt worden war. Der Gefangenen kannte weder den Zellenverlegungsplan, noch war jemals zuvor in dieser Zelle. Unklar ist bis heute auch, wie sich Gudrun Ensslin mit einem Kabel erhängen konnte, das sofort riss, als die BeamtInnen die Leichen herunternehmen wollten.

Archive öffnen!

Die Strafverfolgungsbehörden gingen diesen und zahlreichen anderen Widersprüchen der Selbstmordversion nie ernsthaft nach, sondern stellten ein entsprechendes Verfahren schnell mit der lapidaren Begründung ein, dass "eine strafrechtlich relevante Beteiligung Dritter" nicht vorliegen würde. Dritte hatten aber im Verlauf des Deutschen Herbstes lebhaft über die Einführung der Todesstrafe, über "Standrecht" oder "kurzen Prozess" diskutiert und auch im Krisenstab der Bundesregierung soll seinerzeit über die Tötung der Gefangenen und andere "exotische Lösungen" geredet worden sein.

25 Jahre nach der Todesnacht in Stammheim hat nun im vergangenen Jahr ein Aufruf gefordert, die Frage zu klären, wie die Gefangenen zu Tode kamen. Die Klärung hätte nicht nur historischen, sondern auch politisch bedeutsamen Wert. "Vor dem Hintergrund der aktuellen Maßnahmen zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus könnten daraus Schlüsse gezogen werden, was in einem demokratisch verfassten Staatswesen wie der Bundesrepublik in einer Krisensituation möglich ist oder inwieweit die politischen Kontrollmechanismen auch in solcher Lage noch wirken", schreiben die ErstunterzeichnerInnen des Aufrufs. Für ein entsprechende Aufklärung ist es notwendig, die staatlichen Archive zu öffnen und die Protokolle der Krisenstabssitzungen und über die abgehörten Gespräche in Stammheim sowie Akten des Bundesnachrichtendienstes, der Kriminalämter und des Bundesamtes für Verfassungsschutz einsehen zu können.
Auf die gesetzliche Regelung des Bundesarchivgesetzes, das eine Veröffentlichungspflicht nach 30 Jahren vorsieht, kann im übrigen nicht gebaut werden. Es hält den Geheimdiensten vielfältige Möglichkeiten offen, entsprechende Akten als Verschlusssache zu qualifizieren und nicht zur Veröffentlichung freizugeben.

Der Aufruf: "Die Archive öffnen!" kann unter Angabe des Namen, der Adresse und der Funktion unterstützt werden: Archiveauf@aol.com.
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Pathologisch

Was in den Zeiten des Deutschen Herbstes 1977 von staatlicher Seite alles möglich gewesen ist und mit welcher selbstverständlich erscheinenden Verfügungsgewalt der Staat über das Schicksal seiner Gefangenen entschied, dokumentierten jüngst die Enthüllungen über den Umgang der Rechtsmedizin mit den Leichen der Gefangenen aus der RAF.
So war Ulrike Meinhofs Gehirn 1976 von dem gerichtlich bestellten Obduktionsarzt Mallach entnommen und dem Neuropathologen Jürgen Pfeiffer übergeben worden. Dieser untersuchte das Gehirn der Verstorbenen und stellte zunächst eine durch einen operativen Eingriff verursachte Veränderung der Gehirnstruktur und dann zugleich auch eine "Kausalität zwischen der Hirnveränderung und den realitätsverlustigen Terrorhandlungen" fest. Dieses "Untersuchungsergebnis" griff gut 20 Jahre später der Magdeburger Professor Bernhard Bogerts auf, schnitt Meinhofs Gehirn in Scheibchen und verglich es mit dem eines schwäbischen Amokläufers. Dieses Vorgehen, das offiziell mit einer Überprüfung der strafrechtlichen Schuldfähigkeit und mit wissenschaftlichem Interesse begründet wurde, entbehrt nicht nur jeglicher Rechtsgrundlage, sondern dürfte nach Paragraf 168 Strafgesetzbuch (Störung der Totenruhe) auch strafbewährt sein.
Diesem offensichtlichen Versuch, die Entscheidung Meinhofs für den bewaffneten Kampf als pathologisch darzustellen, folgte ein ähnlich kranker Umgang mit den Leichen der ebenfalls in Stammheim ungekommenen RAF-Angehörigen Andreas Baader, Jan Carl Raspe und Gudrun Ensslin. Der oben genannte Rechtsmediziner Mallach, als Mitglied der Waffen-SS und Unterscharführer der SS-Panzerdivision "Hitlerjugend" offenbar ein ausgewiesener Nazi, drückte 1977 die Köpfe der drei in Gips und bewahrte die Totenmasken in seinem Institut auf. Und auch ihre Gehirne landeten rechtswidrig in der Sammlung des Tübinger Professors Pfeiffer. Heute sind sie allerdings nicht mehr auffindbar.
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Ehrlos

Die interne Diskussion in der sächsischen Strafjustiz um die Nazi-Parole "Ruhm und Ehre der Waffen-SS" scheint kein Ende zu nehmen. Bei einem Aufmarsch von Neonazis am 1. September 2001 wurde die Parole von mehreren Teilnehmern skandiert. Die Leipziger AmtsrichterInnen lehnten es aber mehrheitlich ab, Anklage u.a. gegen Horst Mahler und Christian Worch zuzulassen, weil ihrer Meinung nach keine Ähnlichkeit der Parole zu dem Spruch der SS: "Unsere Ehre heißt Treue" besteht und somit auch keine Straftat wegen des Verwendens verfassungswidriger Kennzeichen nach Paragraf 86a Strafgesetzbuch vorliege. Die Staatsanwaltschaft legte nun mit einem Hinweis auf einen Beschluss des Bundesgerichtshof (BGH) vom 31. Juli 2002 Beschwerde ein. Der BGH hatte entschieden, dass ein solches Verwenden verfassungswidriger Symbole auch dann bejaht werden müsse, wenn das Kennzeichen noch keinen bestimmten Bekanntheitsgrad erreicht habe. Der BGH bezog sich seinerzeit auf einen Nazi, der auf seinen Jackenärmel das dem Zeichen der Hitlerjugend nachempfundene schwarzgoldene Dreieck mit dem Wort "Schlesien" trug. (BGH v. 31.7.2002, Az.: 3 StR 495/01).

Klandestin

In Hannover ist der Einsatz einer Verdeckten Ermittlerin bekannt geworden, die in diversen Gruppen der dortigen Linken agierte. So war die unter dem Tarnnamen "Kirsti Weiß" agierende Spitzel zunächst unter anderem in Frauen- und Antifa-Zusammenhängen tätig und beteiligte sich an Aktionen gegen die Weltausstellung EXPO 2000 sowie gegen die Castor-Transporte in das Wendland. Von Mai 1999 bis einschließlich April 2001 war sie Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Allgemeinen StudentInnenausschusses (ASTA) der Universität Hannover und hatte so Einblick in alle studentischen Strukturen wie auch Zugang zu personenbezogenen Daten politisch aktiver StudentInnen. Ferner saß sie in dieser Funktion auch den bundesweiten Asten-Treffen bei. Im Sommer letzten Jahre gab sich die Ermittlerin einer befreundeten Person schließlich zu erkennen. Dabei ist unklar, ob sie ausschließlich für das Bundesamt für Verfassungsschutz arbeitete, wie sie behauptet, oder auch für die verschiedenen Kriminalämter, wofür es mehrere Hinweise in ihrer Geschichte gibt.