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Ein deutsches Anti-Doping-Gesetz   Heft 2/2003
Ohne Substanz
Drogenpolitik

Seite 52-53
- in der Begründung kraftlos -  
 

Es scheint - nicht nur im Zusammenhang mit Betäubungsmitteln - ein staatliches Grundbedürfnis zu sein, Menschen etwas zu verbieten. Anders kann man sich kaum erklären, warum ohne die Ergebnisse noch laufender Studien zur Wirksamkeit des § 6a AMG auf die Dopingpraxis abzuwarten aus den Regierungsfraktionen erneut und lauter der Wille zur Schaffung eines Anti-Doping-Gesetzes vernehmbar wird, das SportlerInnen selbst strafbar stellen soll.1
Seit 1998 verbietet das Arzneimittelgesetz (AMG) das Inverkehrbringen, Verschreiben und Anwenden von Arzneimitteln am Menschen zu Dopingzwecken im Sport (§ 6a AMG) und stellt es unter Strafe (§ 95 Abs. 1 Nr. 2a, Abs. 3 Nr. 4 AMG). TäterIn der ersten Alternative kann jedeR sein, TäterIn der zweiten Alternative nur Angehörige eines Heilberufes2 und TäterIn der dritten Alternative wiederum jedeR, außer SportlerInnen selbst. Nicht strafbar sind damit bisher sich selbst dopende SportlerInnen.
Dieses Verbot gilt nicht nur für den Leistungssport, sondern auch für den Breiten- und Freizeitsport. Die praktische Relevanz der Vorschrift ergibt sich daraus, daß deutschlandweit 24 Mio. Mitglieder in Sportvereinen organisiert sind. Der Deutsche Sportbund ist damit die größte Personenvereinigung Deutschlands.3 Zudem ist auch der nichtorganisierte Freizeitsport betroffen, wobei insbesondere an Fitness-Studios zu denken ist - und den dort vermuteten Anabolikamißbrauch.
Wenn den neuen Forderungen entsprechend nun sich selbst dopende SportlerInnen strafbar gestellt würden, soll jedoch eine Unterscheidung zwischen Profi- oder Leistungsport einerseits und Breiten- bzw. Freizeitsport andererseits nicht erfolgen. Damit wäre jedeR, der oder die auf irgendeine Art auch nur unregelmäßig Sport treibt, von einer solchen Regelung umfaßt.

Die Frage ist, was durch ein solches Gesetz geschützt werden soll. Ein strafbewehrtes Verbot des Selbstdopens greift in die in Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) grundrechtlich geschützte allgemeine Handlungsfreiheit von SportlerInnen ein und bedarf einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung. Die in der Diskussion zur Rechtfertigung eines Eingriffes herangezogenen Rechts- oder Schutzgüter halten einer kritischen Prüfung nicht stand.
Chancengleichheit und Fairness im Sport unterliegen nicht der staatlichen Regelungskompetenz.4 Welche Art von Chancengleichheit und Fairness er verwirklichen will, liegt alleine in der Kompetenz des Sportes selbst.5 Die Vereine und Verbände haben ihr durch Art. 9 Abs. 1 GG (Vereinigungsfreiheit) gesichertes Recht, ihre inneren Angelegenheiten selbst zu regeln. Dazu gehört das Aufstellen von Sportregeln, zu denen auch Dopingregeln zählen.6 Ein Rekurs des Gesetzgebers auf diese Güter bei der Schaffung einer Strafnorm ist damit ausgeschlossen.
Vereinzelt wird die Einführung eines am strafrechtlichen Schutz des lauteren Wettbewerbs (§§ 298, 299 Strafgesetzbuch) orientierten Straftatbestandes gefordert7. Voraussetzung dafür soll sein, dass zumindest Vermögensinteressen von SportlerInnen betroffen sind.8 Von einer solchen Regelung wären allerdings nicht ausschließlich Profi-SportlerInnen betroffen. Schon kleine Preise, z.B. auf Vereinsfesten, stellen einen Vermögensvorteil dar und können damit Gegenstand von Vermögensinteressen sein. Von den VertreterInnen dieses Vorschlages wird selbst eingestanden, daß letztlich nicht die Vermögensinteressen der SportlerInnen geschützt werden sollen, sondern durch deren Schutz gleichsam reflexartig das Sportethos als Rechtsgut.9 Hier darf nun die Frage erlaubt sein, warum gerade das Sportethos eines strafrechtlichen Schutzes bedarf. Der Sport definiert seine Interessen selbst und hat mit den sportinternen Dopingregeln genügend Mittel an der Hand, sportliches Fehlverhalten zu sanktionieren. Nimmt man dazu die ultima-ratio-Funktion des Strafrechts in den Blick, bleibt wenig legislatorische Berechtigung für die Schaffung eines Anti-Doping-Gesetzes.

Es bestehen auch keine Erkenntnisse, daß die gegenwärtige Dopingpraxis zu Körperschädigungen bei SportlerInnen in einem Ausmaß zu führen droht, die die "Volksgesundheit" zu beinträchtigen vermögen. Dazu bedürfte es großer Gefahren für Einzelne und die Allgemeinheit.10 Zwar werden Dunkelziffern von bis zu 500.000 sich dopenden SportlerInnen genannt, wobei diese vornehmlich in Fitness-Studios vermutet werden.11 Aber selbst unterstellt, diese Zahl sei richtig, fehlt es derzeit an Studien zu Anzahl und Umfang der Körperschädigungen durch Doping im Breiten- und Freizeitsport. Das Schutzgut "Volksgesundheit" könnte damit nur über Dunkelziffern und Vermutungen für eine Gesetzesbegründung fruchtbar gemacht werden. Dies ist aber für den Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG nicht ausreichend.
An den Gesundheitsschutz der SportlerInnen selbst kann der Gesetzgeber nicht anknüpfen. Im deutschen Strafrecht gilt der Grundsatz der straflosen Selbstschädigung. Daher ist der bloße Konsum auch schwerer Drogen wie Heroin nicht strafbar. Vor diesem Hintergrund ist die Strafbarkeit des Konsums von Dopingmitteln im Sport, wie z.B. Koffein, nicht nur NormalbürgerInnen nicht zu vermitteln, sondern stellte einen fundamentalen Systembruch im deutschen Strafrecht dar.

Ist ein Anti-Doping-Gesetz derzeit folglich nicht ausreichend zu begründen, stellt sich die Frage, warum sich die Regierungsfraktionen dieses Projektes voller - sonst oft vermißter -Tatkraft annehmen. Könnte es sein, daß die Politik sich einen positiven Imagetransfer vom Sport auf sich selbst erhofft, daß sie hofft, ein Eintreten für einen sauberen Sport würde als saubere Politik wahrgenommen werden, auch dann noch, wenn rechtlich unsauber gearbeitet wird?

Der Autor arbeitet als Rechtsanwalt in Müllheim/Baden und war Mitarbeiter an einer von der EU finanzierten Studie zum Rechtsvergleich von Doping in Europa.

Anmerkungen

1 Vgl. Frankfurter Allgemeine (FAZ) vom 10.11.2001, 36; 20.12.2001, 44; 16.09.2002, 34.
2 Kloesel/Cyran, Arzneimittelgesetz (73. Ergänzungslieferung) § 6a Nr. 12.
3 FAZ vom 6.12.2000, 48.
4 Steiner, Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1991, 2729, 2733.
5 Steiner, Die öffentliche Verwaltung 1983, 173, 175.
6 Vgl. Krogmann, Grundrechte im Sport, 1998, 57.
7 Vgl. Fritzweiler, Zeitschrift für Sport und Recht 1998, 234, 235; Cherkeh/Momsen NJW 2001, 1745 ff. Ähnliche Vorstellungen im Regierungslager, FAZ vom 20.12.2001, 44.
8 Vgl. Cherkeh/Momsen, NJW 2001, 1745, 1751.
9 Vgl. ebd., 1747 ff. u. 1751.
10 BR-Drs. 1970, 665/70, zit. nach Körner, BtMG, 5. Auflage 2001, Einl. Rdnr. 17.
11 Der Spiegel, Nr. 38 vom 15.09.2001, 62 f.