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Leserinnenzuschrift und Stellungnahme der Forum Recht Redaktion | Heft
2/2003 Ohne Substanz Drogenpolitik Seite 68/69 |
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LeserInnenzuschrift Im folgenden dokumentieren wir einen Leserinnenbrief. Er enthält Passagen, die den in der Redaktion vertretenen Meinungen so stark widersprechen, dass es eine Diskussion darüber gab ob wir ihn überhaupt abdrucken. Wir haben uns dazu entschlossen, weil wir es als unsere Aufgabe ansehen, Diskussionen im Bundesarbeitskreis Kritischer Juragruppen (BAKJ) zu fördern und uns diesen zu stellen, wenn sie an uns herangetragen werden. Wegen der starken inhaltlichen Differenzen haben wir eine Antwort der Redaktion auf den Brief verfasst. LeserInnenbrief Nach einem Austausch mit der Redaktion über den folgenden, im vergangenen Herbst entstandenen Leserbrief, ist es mir wichtig, eine kurze Bemerkung voranzustellen: Ich war gegen den Kosovo-Krieg und sehe ihn auch im nachhinein nicht durch das Geschehene legitimiert. Ich bin grundsätzlich gegen die Anwendung kriegerischer Mittel. Aber gerade aufgrund des Prinzipiellen in dieser Haltung muss ich mich der Frage stellen, ob nicht doch unter bestimmten Voraussetzungen ein Krieg legitimiert sein kann. Gegenstand des Leserbriefes ist die Frage, ob innerhalb der Disskusion, ob bzw. ab wann ein Krieg tatsächlich legitimiert sein könnte, der Holocaust als Vergleichsobjekt herangezogen werden darf. Dies habe ich im Leserbrief, der konkret den Kosovo-Krieg nennt, nicht deutlich herausgearbeitet. Ich bedanke mich bei der Redaktion, die mich auf die Missverständlichkeit meiner Formulierungen aufmerksam gemacht hat, und bitte, das Gesagte bei der Lektüre im Hinterkopf zu behalten. In dem AutorInnenaufruf für das Heft 1/2003 heißt es im Zusammenhang
mit der Rechtfertigung des Kosovo-Krieges: Diese Aussage halte ich für missglückt. Denn die VerfasserInnen des Aufrufes
differenzieren nicht zwischen einer manipulativen Berufung auf den Holocaust
und der einer aktiven Erinnerung an die damaligen Ereignisse. Eine Unterscheidung
ist jedoch notwendig, will man nicht den Umgang mit der Vergangenheit
durch einseitige moralische Vorgaben zum Privileg Einzelner oder bestimmter
Gruppen machen. Dies ist es nicht, wenn das Vergleichsergebnis Grundlage für die Entscheidung ist, ob eine Intervention (ob friedlich oder kriegerisch) gerechtfertigt und notwendig erscheint. Natürlich ist der Holocaust in Ausmaß und Durchführung einzigartig, aber die perfide, weil straffe Organisation der antijüdischen Maßnahmen, die eines der besonderen Merkmale des Holocausts ist, entwickelte sich erst mit den Jahren (Stichwort Wannseekonferenz). Will man also eine Wiederholung der Geschichte verhindern, kann nicht gewartet werden, bis ähnliche Strukturen wie im Dritten Reich aufgebaut werden. Vielmehr müssen bereits die Anfänge oder Einzelelemente des Holocausts als Vergleichsobjekt herangezogen werden und auf Grundlage einer Prognose, wie die Situation sich weiter entwickeln könnte, über mögliche Interventionen entschieden werden. Natürlich wurden inzwischen mit der UN-Charta und anderern international
geltenden Rechtsregeln abstrakte Maßstäbe für zulässiges staatliches Handeln
oder statthaftes Intervenieren durch andere Staaten aufgestellt. An sich
würde also eine ordentliche Subsumtion unter diese Regeln die Frage, wie
auf eine menschenrechtsverletzende Situation zu reagieren ist, ausreichen.
Doch auch hier hat die Vergangenheit gezeigt, dass dort, wo grundlegende
politische Interessen betroffen sind, ein abstrakter Entscheidungsmechanismus
nicht funktioniert. Zudem muss ein abstraktes Regelsystem seine Funktionalität
und Qualität beweisen - so dass es auch unter diesem Gesichtspunkt einer
Bewertung und einem Vergleich unterliegt. Solches manipulatives Verhalten im Rahmen der Diskussion um eine Intervention im Kosovo ist auch berechtigterweise Gegenstand der Kritik der VerfasserInnen des AutorInnenaufrufs. Tatsächlich schlägt diese berechtigte Kritik jedoch ins Leere. Denn die AutorInnen nutzen zur Untermauerung ihrer Position ebenfalls die mit dem Holocaust verhafteten Emotionen und instrumentalisieren sie. Im AutorInnenaufruf wird behauptet, die PolitikerInnen bezweckten, dass unter die jüngere deutsche Geschichte ein Schlussstrich gezogen werde. Durch die Walser-Debatte hat sich deutlich gezeigt, dass schon allein die Überlegung, den Umgang mit dem Holocaust zu verändern, Emotionen berührt und strenger moralischer Bewertung unterfällt. Das Beenden einer Auseinandersetzung mit dem Holocaust (oder was ist unter dem Ziehen eines Schlusstriches unter die Geschichte zu verstehen?) wäre gesellschaftlich nicht tragbar - jeglicher Versuch in diese Richtung wäre ein Affront gegen Opfer und gegen diejenigen, die sich der Diktatur widersetzten. Wird im AutorInnenaufruf gerade solches Vorgehen aber behauptet, so werden tiefe Emotionen freigesetzt und der Verdächtigte steht im moralischen Abseits. Eine sachliche Diskussion ist nur noch schwerlich möglich. Dies ist nicht zu beanstanden, wenn tatsächlich ein Abschluss mit der Geschichte bezweckt wird. Eine entsprechende Behauptung muss aber gerade wegen der Sensibilität des Themas und der Ungeheuerlichkeit des vorgeworfenen Verhaltens belegt werden. Dies haben die VerfasserInnen unterlassen. Gleiches gilt auch für die Behauptung, die PolitikerInnen würden die
Relativierung des Holocausts vorantreiben, denn hierdurch werden diese
in die Nähe solcher Gruppen gerückt, die Ausschwitz negieren oder verharmlosen.
Nele Meyer, Referendarin in Wuppertal |
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Stellungnahme der Forum Recht Redaktion Einleitend möchten wir zu der geäußerten Kritik bemerken, dass die Kritik mit dem AutorInnenaufruf das falsche Medium trifft. Denn ein AutorInnenaufruf soll nur einzelne Aspekte anreißen, um einen Überblick über die in Frage kommenden Themen zu geben. Demgegenüber ist die differenzierte Herleitung einer These Aufgabe eines Artikels. Neben diesem eher formalen Argument stehen wir zu den im Aufruf enthaltenen
Thesen. Wir halten die maßgebliche Beteiligung Deutschlands am Krieg gegen
Jugoslawien und deren Legitimation für eine der einschneidendsten Entwicklungen
deutscher Außen- und Innenpolitik der letzten Jahre. Ein wesentlicher
Aspekt dabei ist die Vereinnahmung des Holocausts in der tagespolitischen
Diskussion. Ein derartig verstandener Begriff von Vergleich ist aber etwas grundlegend
anderes als das, was sich insbesondere seit dem Kosovokrieg in der tagespolitischen
Diskussion abspielt und Gegenstand der im AutorInnenaufruf enthaltenen
Kritik ist: die Gleichsetzung. Die Geschehnisse im Kosovo wurden unmittelbar
mit den Geschehnissen im Dritten Reich gleichgesetzt, um dann, von dieser
Gleichartigkeit ausgehend, die Frage weiterzudiskutieren, wie nun damit
umzugehen sei. Ein Vergleich im oben geschilderten Sinne, der nicht stattfand,
hätte demgegenüber zu der Bewertung führen müssen, dass die Geschehnisse
im Kosovo schlimm gewesen sein mögen, aber unabhängig vom Holocaust zu
beurteilen sind, da sie schlicht und ergreifend etwas anderes waren. Erstens hatte man das, was man bekämpfen wollte, auf die Ebene des schlimmstmöglichen Bösen gehoben. Damit wurde jede Stimme, die es noch wagte, sich gegen eine Intervention zu stellen, moralisch diskreditiert. Zweitens zeigte sich Deutschland rehabilitert: endlich sollten auch mal die anderen böse sein, und die Deutschen wähnten sich, endlich nicht mehr in ihrer Schuld allein zu sein. Zudem meinten sie mit der vermeintlichen Verhinderung von Verbrechen ausgerechnet dort Wiedergutmachung leisten zu können, wo einst deutsche Truppen schlimmstes Unwesen trieben. Drittens war der Dammbruch geschafft, Deutschland als international agierende Militärmacht zu reetablieren. Abgesehen von diesen Konsequenzen fiel vor dem Hintergrund des moralisch einwandfreien Standpunktes, den man sich in der Diskussion nun als Retter der Vertriebenen erarbeitet hatte, unter den Tisch, dass die in ihr enthaltene Relativierung der Shoah nichts anderes war als ein Schlag ins Gesicht der Opfer. Vor diesem Hintergrund kann die im Leserinnenbrief aufgeworfene Frage,
ob es verwerflich sei, Massenerschießungen im Kosovo mit Massenerschießungen
von Juden im Dritten Reich zu vergleichen, nur mit einem klaren Ja beantwortet
werden. Zuletzt taucht der Schriftsteller Walser in dem Brief auf. Bei der sog.
Walserdebatte habe sich gezeigt, dass "schon allein die Überlegung, den
Umgang mit dem Holocaust zu verändern, Emotionen berührt und strenger
moralischer Bewertung unterfällt." Gleichzeitig steht die Feststellung
im Konjunktiv, die Forderung nach einem Schlussstrich, wenn sie das Beenden
einer Auseinandersetzung mit dem Holocaust bedeutete, wäre gesellschaftlich
nicht tragbar. Das legt nahe, dass der von Walser angeregte "andere" Umgang
etwas anderes wolle als eben diese Beendigung. Redaktion Forum Recht Anmerkungen 1 Vgl. z.B. Wetzel, Krieg ist Frieden,
S. 60.
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