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Alljährlich werden die Zahlen der Drogentoten bekanntgegeben, alljährlich
weiß der oder die jeweilige Drogenbeauftragte der Bundesregierung etwas
mehr oder weniger Geistvolles dazu zu sagen, und alljährlich sind die
Zahlen eine Meldung unter vielen - es passiert halt, und man darf sich
glücklich schätzen, nicht zum Kreis der Verelendeten zu gehören. Abgerissene
Junkies fallen aber nicht einfach vom Himmel, um sich anschließend auf
den Bahnhöfen dieses Landes anzusiedeln. Nicht Heroin tötet, sondern die
Bedingungen, unter denen es konsumiert wird.
Heroin als chemische Substanz führt zu keinen Organschädigungen und hat,
abgesehen von physischer Abhängigkeit, nur wenige körperliche Folgen.1
Die Geschichte des Opiatkonsums in Europa kennt bis heute zahlreiche KonsumentInnen,
bei denen sich der Konsum von Drogen sehr gut mit der Führung eines "normalen"
Lebens verträgt, sofern der Zugang zu reinem, korrekt dosierbarem Stoff
gesichert und finanziell erschwinglich ist. Konsumierende ÄrztInnen und
ApothekerInnen zu Beginn dieses Jahrhunderts dürften ein Beispiel dafür
sein.
Zum gesundheitlichen Problem wurde Heroin erst in dem Moment, in dem der
Staat es dem Verbot unterwarf. Unbestritten hat Heroin Abhängigkeitspotential,
und die einmal entstandene Abhängigkeit muss in Illegaliät gelebt werden.
Die Abhängigen müssen auf dem illegalen Markt den immensen Preis zahlen,
den dieser aufgrund seiner besonderen Rahmenbedingungen mit sich bringt.
Meist sind sie dafür auf Anschaffen oder Beschaffungskriminalität verwiesen.
Neben die so entstehende doppelte Kriminalisierung tritt nun die materielle
Verelendung, die dadurch bedingt ist, dass das Geld oft gerade mal zur
Deckung des Drogenbedarfs ausreicht.
Das bringt auch gesellschaftliche Ausgrenzung mit sich. Die Betroffenen
gehören nicht nur einer gesellschaftlich stigmatisierten Subkultur an,
sondern können den Anforderungen in Schule, Arbeit und sozialen Strukturen
unter dem Diktat des täglichen Beschaffungsdruckes nicht mehr gerecht
werden.
Dazu kommen Krankheiten und körperliche Zerrüttung. Sie ergeben sich nicht
nur aus materieller Verelendung sowie gegebenenfalls Obdachlosigkeit und
Straßenprostitution, sondern zusätzlich aus den Gefahren, die das auf
dem Schwarzmarkt gehandelte Heroin mit sich bringt. Oft treten allergische
Reaktionen aufgrund des regelmäßig hohen Anteils an enthaltenen Streckmitteln
auf. Vor allem aber ist es wegen des nicht bestimmbaren Streckmittelanteils
schwer dosierbar. Wer also ausnahmsweise mal an etwas reineren Stoff gelangt,
tappt, ohne es zu wissen, in die tödliche Falle und setzt sich eine Überdosis.
Das Verbot wird so konsequent durchgehalten, dass es noch im letzten Winkel
tödlich wirkt. Durch Beschaffungskriminalität im Knast gelandet, sehen
sich Häftlinge mit dem Verbot des Erwerbs sauberer Spritzbestecke konfrontiert.
Denn es kann nicht sein, was nicht sein darf, und so werden zusammen mit
gebrauchten Spritzbestecken auch HIV und Hepatitis ausgetauscht.
Warum Verbote?
Wenn das Verbot als der Faktor ausgemacht ist, der die bekannten Verelendungserscheinungen
hervorbringt, so sollten seine BefürworterInnen mit verdammt guten Gründen
aufwarten können, um es zu rechtfertigen. Tun sie aber nicht.
Jeder Verbotslogik liegt der Ansatz zugrunde, eine Gesellschaft ohne Drogen
- zumindest ohne bestimmte, staatlich katalogisierte Drogen - sei möglich.
Nun dürfte aber bei nüchterner Betrachtung offensichtlich sein, dass radikale
VertreterInnen der "just say no"-Fraktion, deren Anliegen die Verteidigung
des Abendlandes als drogenfreie Gesellschaft ist, einer Schnapsidee anhängen.
Wenn es in der Geschichte der Menschheit noch nie eine drogenfreie Gesellschaft
gegeben hat, so ist dies sicher nicht darauf zurückzuführen, dass es an
den entsprechenden Verboten gemangelt hätte. Daneben bleibt die Frage
unbeantwortet, warum eine - regelmäßig als Selbstzweck dargestellte -
drogenfreie Gesellschaft überhaupt erstrebenswert ist.
Außerdem ist der Verbotsansatz ideologisch fragwürdig. Ihm liegt die
Annahme zugrunde, der Staat könne dem Individuum vorschreiben, wie es
mit seinem Körper und seiner Psyche umzugehen habe. Dieser kontrollierende
staatliche Zugriff auf das Individuum stellt eine deutliche Absage an
die Idee der Selbstbestimmung des Einzelnen dar. Gleichzeitig steht er
für den Abschied von der Idee, dass es Dinge gibt, die den Staat schlicht
nichts angehen und sich von vornherein seinem Zugriff entziehen. Einer
Idee, der gerade im Bereich des Körperlichen an anderen Stellen Gültigkeit
beigemessen wird, wie beispielsweise an der Straflosigkeit von körperlicher
Selbstschädigung bis hin zum Suizid deutlich wird.
Nun ließe sich an dieser Stelle einwenden, dass man an der durch Drogensucht
entstehenden Verelendung sehe, dass jedeR in diesem Punkt vor sich selbst
und der Gefahr, die von Drogenkonsum ausgehe, geschützt werden müsse.
Doch beißt sich die Katze in den Schwanz, wenn man eingesteht, dass eben
diese Gefahr vor allem in der Verelendung liegt, die erst durch die staatliche
Kriminalisierung entsteht.
Wenn also das Verbot nicht dem Schutz vor Verelendung dient, sondern
diese gerade hervorbringt, stellt sich die Frage, welchen Nutzen es sonst
haben könnte. Hier kann man dem öffentlichen Dahinsiechen sicher einen
gesellschaftlichen Stabilisierungsnutzen zusprechen. Der Junkie, der von
der Norm abweicht, verreckt daran. Damit bestätigt er die gesellschaftliche
Norm. Denn sein Elend folgt dem Abweichen von den Konventionen, die die
Gesellschaft von ihm erwartet. Er hat sich aus gesellschaftlich vorgegebenen
ökonomischen Verwertungszwängen ausgeklinkt. Sein Alltag, ganz der Droge
gewidmet, stellt eine gründliche Absage an Disziplin, Selbstkontrolle
und rationalen Umgang mit sich selbst dar. Und von bürgerlichen Lebensentwürfen
ist er ebenso weit entfernt wie von der Idee, sich an bestehende Gesetze
zu halten. Der angepasste Mensch braucht in der U-Bahn nur auf die abgerissenen
Gestalten blicken oder von ihrem Tod in der Zeitung zu lesen, um versichert
zu sein, an der richtigen Stelle in dieser Gesellschaft zu stehen. Das
mag zynisch sein, es ist aber nicht weniger zynisch als ein weiterer "Nutzen",
auf den manche Hardliner in der Diskussion verweisen: die Drogentoten
erfüllten wenigstens den Zweck, als abschreckendes Beispiel vor Drogenkonsum
zu warnen. Besser kann menschenverachtende Instrumentalisierung von Einzelschicksalen
kaum auf den Punkt gebracht werden.
Kontrollierte Abgabe oder Kontrolle durch Abgabe?
Bleibt also die Frage nach dem Weg, der einer rein repressiven Politik
den Rücken kehrt. Es gibt diverse Modellprojekte, die an verschiedenen
Stellen ansetzen. Da sind beispielsweise Fixerstuben, die das Leben mit
Heroin weniger lebensgefährlich gestalten. Daneben treten zahlreiche Methadonprogramme
und, in anderen Ländern praktiziert, auch die kontrollierte Abgabe von
Heroin.
Zwar liegt es vor dem Hintergrund der derzeitigen Situation nah, erst
einmal alles gut zu finden, was mit dem Bestehenden bricht. Und tatsächlich
ist in den Methadonprogrammen ein Fortschritt zu sehen, denn sie stellen
eine Abkehr von der reinen Repression dar und haben sicher manchen Junkie
vor dem Tod bewahrt.
Dennoch kann die Lösung des Problems nicht in einem Ausbau dieser Programme
liegen. Das Konzept der kontrollierten Abgabe folgt weiterhin einer Vorgabe,
die nicht haltbar ist: dem staatlichen Verbot von Heroin. Es bleibt verboten,
und wer trotzdem abhängig wird, wird vom Methadonprogramm aufgefangen.
Gegen ein Verbot wurden aber bereits oben mehrere grundsätzliche Einwände
angeführt. Dabei fällt zwar zumindest für die im Programm aufgenommenen
Personen das Hauptargument der Verelendung als Folge des Verbots weg.
Neben den Methadonprogrammen existiert aber weiterhin ein schwarzer Markt
und wird auch weiterhin existieren, denn selbst wenn alle Junkies in Ersatzprogramme
aufgenommen würden, müssten sie hierfür ersteinmal "anerkannt süchtig"
werden, was die Existenz einer illegalisierten Drogenszene voraussetzt.
Und warum überhaupt Methadon? Es ist der Substanz Heroin pharmakologisch
sehr ähnlich und macht mindestens ebenso stark abhängig. Der entscheidende
Unterschied ist der, dass der Kick fehlt. Die Betroffenen bleiben abhängig,
haben am Drogenkonsum bloß keinen Spaß mehr. Damit ist das ganze als medizinische
Behandlung gerechtfertigt. Gute Medizin, böses Heroin - die Vergabe von
Methadon kommt fortschrittlich daher, löst sich aber nicht aus den ideologischen
Mustern, die der bisherigen Drogenpolitik zugrundeliegen.
Also bliebe als nächster Schritt, die kontrollierte Abgabe von Heroin
selbst an Süchtige zu fordern. Doch auch dies sähe sich, ebenso wie Methadonprogramme,
der Kritik ausgesetzt, dass eine illegalisierte Szene bestehen bleiben
wird und das Verbot im Grundsatz aufrechterhalten bleibt.
Hinzu kommt, dass Kontrolle Entmündigung heißt. Die TeilnehmerInnen an
diesen Projekten müssen sich von MedizinerInnen und SozialarbeiterInnen
daraufhin untersuchen lassen, ob sie noch Kontakt zur Szene haben, noch
andere Drogen konsumieren, sich in Arbeitsvermittlungsprojekten kooperativ
verhalten etc. - kurz gesagt, ob sie sich endlich den Normen unterwerfen,
deren Erfüllung die Gesellschaft von ihnen erwartet. Die staatliche Kontrollausübung
über die einzelnen wird durch institutionalisierte Überwachung aller Lebensbereiche
auf ein beachtliches Niveau angehoben.
Eins bleibt dabei aber zu sagen: bei aller grundsätzlichen Kritik an kontrollierter
Abgabe sind die bestehenden Programme unter pragmatischen Aspekten derzeit
zu verteidigen. In der aktuellen Entwicklung setzen sich im Bereich der
Kriminalpolitik repressive law-and-order-Konzepte durch, die in der Drogenpolitik
derzeit sicher wenig Aussicht auf ein Vorantreiben progressiver Ansätze,
sondern eher das Gegenteil befürchten lassen. Sicher ist aber, dass so
ziemlich alles würdiger ist, als allein auf einem Bahnhofsklo zu verrecken,
das eigene Leben bedingungslos auf die Beschaffung des notwendigen Geldes
für Stoff auszurichten oder sich, zu störendem gesellschaftlichen Abfall
umdefiniert, von der Polizei aus den Innenstädten prügeln zu lassen. Und
hier können die genannten Programme unter den derzeitigen Bedingungen
sicher einigen Betroffenen helfen.
Was bleibt?
Was bleibt, ist die Forderung nach einer Aufhebung von Verboten aller
derzeit kriminalisierten Drogen und ihr Verkauf in lizensierten Geschäften.
Dabei sollte das einzige, was einer Kontrolle unterliegt, die Qualität
der Ware sein.
Diese Forderung soll nicht missverstanden werden. Es geht nicht darum,
Drogenkonsum übermäßig zu verklären oder ihn mit Attributen zu versehen,
die ihm eine emanzipatorische Wirkung zusprechen. Ein weiteres mal die
Befreiung des Individuums durch bewusstseinserweiternde Erfahrungen zu
bemühen, dürfte zumindest für den Massenkonsum mächtig am Thema vorbeigehen.
Dass Drogen Spaß machen können, ist wohl ebenso klar wie die Tatsache,
dass sie geeignet sind, sich absolut verheerend auf die Psyche und teilweise
auch auf den Körper auszuwirken. Doch wenn die Erfahrung lehrt, dass sie
trotzdem massenhaft konsumiert werden, so muss jenseits von einer Dämonisierung
einzelner Substanzen ein rationaler Umgang mit dieser Tatsache gesucht
werden. Dessen zentrales Anliegen sollte es sein, wenigstens nicht noch
mehr Schaden anzurichten. Dem wird die Aufrechterhaltung eines Verbotes
sicher nicht gerecht.
Tillmann Löhr lebt in Göttingen und ist Referendar.
Anmerkung
1 Freye, in: Anästhesiologie und
Intensivmedizin 1998, S. 73 (80).
Literatur:
Freye, E., Der opioidabhängige Patient - Der Konsum nimmt zu,
in: Anästhesiologie und Intensivmedizin 1998, S. 73 - 85.
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