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Zur sozialen und rechtlichen Konstruktion der Droge/n   Heft 2/2003
Ohne Substanz
Drogenpolitik

Seite 42/43
 
 

Nach heutigem Verständnis ist der Begriff der "Droge" im Alltagssprachgebrauch in der Regel negativ besetzt. "Drogen" sind gemeinhin zu einer Bezeichnung für Rauschgifte (bzw. im jur. Sprachgebrauch für "Betäubungsmittel") geworden. Gerade diese Alltagsvorstellung macht es schwierig, vorurteilsfrei von Drogen zu sprechen, auch wenn WissenschaftlerInnen z.B. nicht müde werden, zwischen legalen (Nikotin, Kaffee, Tee) und illegalen, harten (Kokain, Heroin, Ecstacy, LSD) und weichen (Cannabis) Drogen zu unterscheiden und sogar Substanzen benennen, die gar nicht als Drogen angesehen werden, aber ähnlich wirken (Betelnuß, Muskat, Schokolade).
Erklärungsversuche, wie es zu dieser Unterscheidung kommt, gibt es hinreichend. Der wichtigste bezieht sich auf den Ursprung der Substanzen. Viele "Drogen" stammen aus anderen Kulturen und sind zu unterschiedlichen Zeiten nach Europa importiert worden. Um als "legal" zu gelten, muß sich eine "neue" Substanz zunächst einmal etablieren, langsam ihren Weg in die Gesellschaft finden und einen bestimmten Stellenwert gewinnen. Kulturfremde Substanzen haben es da ungleich schwerer als solche, die ohnehin schon zur entsprechenden Kultur gehören. Wir sehen dies z.B. am Alkohol, der auch in Europa immer schon bekannt war und folgerichtig auch heute legal ist. Kaffee, importiert aus Südamerika, hat es im Laufe der Jahrhunderte ebenso wie der Tabak geschafft, sich zu etablieren, während andere (historisch in Europa jüngere) Substanzen dies (noch?) nicht geschafft, bzw. ihren Status wieder verloren haben (Opium, Kokain). Andererseits ist in klassischen Koka-Anbau-Gebieten Südamerikas der Koka-Konsum Teil der dortigen Kultur und Koka ließe sich nur schwerlich verbieten.
Schaut man in den Duden 7 - das Herkunftswörterbuch - so findet man dort unter "Droge" den folgenden Eintrag: "Das Wort wurde Ende des 16. Jh.s in der Bedeutung ‚(tierischer und pflanzlicher) Rohstoff' aus gleichbed. frz. drogue entlehnt [...] Im 20. Jh. wird ‚Droge' auch im Sinne von ‚medizinisches Präparat' und ‚Rauschgift' gebraucht."1
Vor diesem Hintergrund ist es schwierig, zu bestimmen, wie der Begriff der Droge zu definieren ist. Grundsätzlich sollte darauf abgestellt werden, daß Drogen solche Substanzen sind, die als erwünschte Folgen eine berauschende, ggf. auch bewußtseinsverändernde Wirkung haben, bzw. die zu einer veränderten Selbstwahrnehmung führen. Unerwünschte Folgen sind Gewöhnung, "Flucht aus der Wirklichkeit", psychische oder körperliche Abhängigkeit. Alles dies gilt gleichermaßen für die heute legalen, wie für die illegalen Drogen.

Die historische Konstruktion der Droge/n

Nicht immer waren dieselben Substanzen verboten: was heute legal ist, war zeitweilig illegal; was heute illegal ist, war früher frei zugänglich, oder wurde gar als wichtiges Heilmittel angesehen. Tabak, seit seinem Aufkommen in Europa als Genußmittel verwendet, durchlebte eine Zeit des Verbots; ebenso der Alkohol (man denke an die Prohibition in den USA). Andere heute bekannte "Drogen", wie z.B. das Heroin, aber auch LSD wurden ursprünglich als Medikamente entwickelt, bis aus ihnen illegalisierte Substanzen wurden.
Auch gesellschaftlich waren in weiten Kreisen Stoffe, die heute als illegale Drogen gelten, akzeptiert.
Bemerkenswert im übrigen ist, daß ein Verbot entsprechender Substanzen nie dazu geführt hat, daß auf diese vollständig verzichtet wurde. Auch hierfür ist die Alkohol-Prohibition in den USA beredtes Beispiel. Allenfalls an der gesellschaftlichen Akzeptanz ändert sich mit einem Verbot etwas. Hierdurch werden bestimmte Stoffe in die Illegalität und damit ihre BenutzerInnen an den gesellschaftlichen Rand gedrängt. Die gesellschaftliche Einstellung verschiebt sich nicht nur gegenüber der Droge, sondern auch gegenüber denjenigen, die sie verwenden. Man betrachte hierzu nur die Darstellung des Rauchens im Film: gehörte dies früher zum guten Ton, so ist das Rauchen in vielen Filmen (insbesondere in Hollywood-Produktionen) heute absolut verpönt - oder es sind die "Bösen", die zu Zigaretten greifen und schon daran als solche auszumachen sind.

Die gegenwärtige Konstuktion der Droge/n

In Deutschland wird von weichen, harten, legalen, illegalen, Einstiegs-Drogen gesprochen; (objektiv gültige) Begründungen für diese Einordnung gibt es indes nicht. Am Ehesten kann man diese Kategorisierung noch an der Gefährlichkeit, also den Nebenwirkungen, aber auch der Gefahr der Abhängigkeit festmachen. Daß dies als Grundlage einer Zuordnung jedoch nicht immer zutreffend ist, zeigt ein Blick auf den Tabakkonsum, der allgemein als sehr viel gefährlicher angesehen wird als z.B. der Genuß von Cannabis. Legale Drogen werden oft als Genußmittel angesehen, wie Kaffee, Alkohol oder Tabak. Aus diesem Grunde wird z.B. auch von einem "Recht auf Rausch" bzw. von "Drogen als Genußmittel" (Schmidt-Semisch)2 gesprochen. Beides betont, daß es sich im Grunde um eine höchst willkürliche Kategorisierung in legal/ illegal handelt.
Grenzen zwischen legal, illegal und halb-legal verwischen: eine solche Entwicklung (Verbot einer bislang legalen Substanz) deutet sich mit dem Tabak an: in den USA ist Rauchen in der Öffentlichkeit weitgehend verboten und es ist nur ein kleiner Schritt bis zu einem vollständigen Tabakverbot. In Europa zeichnet sich eine ähnliche Tendenz ab, die mit dem Werbeverbot für Zigaretten einsetzt.
Neben den heute schon bekannteren "legalen Drogen", gibt es eine Vielzahl anderer Stoffe, die berauschende Wirkungen haben, jedoch in der Öffentlichkeit (auch der aufgeklärten) überhaupt nicht als Drogen angesehen werden. Zu nennen sind hier Gewürze wie Muskat, Betelnuß, unter Umständen aber auch Schokolade.

Die rechtliche Konstruktion der Droge/n

Drogendelikte sind zunächst einmal "opferlose" Straftaten, da sich ein/e (täterfremde/r) Geschädigte/r, anders als bei anderen Straftaten auf den ersten Blick nicht ausmachen läßt. Unter Strafe steht nicht nur das Herstellen, Einführen und der Handel mit Drogen, sondern auch der Besitz (der Konsum ist straflos, indes läßt sich Konsum ohne Besitz nur schwer vorstellen). Hierdurch werden alle zu TäterInnen gemacht, die in irgendeiner Form mit Drogen (bewußt) in Kontakt kommen. Es betrifft nicht nur die HändlerInnen, die einen Gewinn erzielen wollen, sondern auch die KonsumentInnen, die oftmals nicht anders können. Letztere sind dann auch die eigentlichen Opfer, die vom Staat in der Sucht oftmals allein gelassen und entweder direkt mit der Sucht oder als Folge der Sucht (sog. Beschaffungskriminalität) strafrechtlich verfolgt werden.
Die Kriminalisierung der (illegalen) Drogen führt zu einer Vielzahl von Nachteilen: hohe Kosten für die Substanzen zwingen die Abhängigen dazu, Straftaten zu begehen, da sie anders das Geld nicht auftreiben können. Durch die Illegalität werden Hemmschwellen aufgebaut, bei Mißbrauch und Krankheit Hilfe zu suchen; Krankheiten wie HIV und die Hepatitiden verbreiten sich in Folge einer zunehmende Verelendung.
Zusätzlich wird mit dem Begriff der Droge ein Feindbild konstruiert, das sich, wie Christie/ Bruun nachgewiesen haben, in vielerlei Hinsicht als "nützlicher Feind" erweist.

In erster Linie kann sich vor dem Angesicht des Feindbildes die Kriminalpolitik profilieren. In markigen Worten hat der damalige US-Präsident Reagan vor vielen Jahren den (noch andauernden) "war on drugs" ausgerufen. Hartes Durchgreifen gegen die als illegal konstruierten Drogen symbolisiert Handlungsfähigkeit. Daß es ein "Krieg" ist, der nicht zu gewinnen ist, interessiert nicht3. Es geht vielmehr um den symbolischen Gehalt: jeder Schlag gegen einen Drogenring wird in der Öffentlichkeit als Erfolg dargestellt. Nicht zuletzt dieser Krieg gegen die Drogen war es, der zu einer grundlegenden Veränderung in der US-amerikanischen und - etwas später - auch in der europäischen Kriminalpolitik geführt hat. Die Folge harten Durchgreifens gegen jede/n, der/die mit Drogen zu tun hatte, war jedoch kein Sinken der Kriminalitätsrate, sondern ein beständiger Anstieg der Inhaftierungszahlen. US-amerikanische Haftanstalten sind insbesondere aufgrund der hohen Zahl inhaftierter DrogenhändlerInnen und DrogengebraucherInnen überfüllt.

Mit dem unerbittlich geführten Kampf gegen die Drogen geht auch ein wichtiger Gesichtspunkt verloren: viele heute illegale Drogen haben durchaus wertvolle Wirkungen und/oder Inhaltsstoffe, die in der heutigen Welt durchaus ihren Platz haben könnten. Cannabis gilt vielen MedizinerInnen4 als wirkungsvolles Heil-, Schlaf- und Schmerzmittel, das aufgrund dessen, daß es verboten ist, nicht verschrieben werden darf. Viele PatientInnen, denen auf diese Weise geholfen werden könnte, müssen mit Schmerzen leben - oder mit Medikamenten, die weit schädlichere Nebenwirkungen haben. Hanf gehört im übrigen auch zu jenen Pflanzen, die bei vergleichsweise geringem Nährstoffbedarf einen großen Ertrag bringen. Es war zu früheren Zeiten einer der wichtigsten Rohstoffe für die Seil- aber auch die Bekleidungsherstellung und bietet in einer Zeit, in der selbst nachwachsende Rohstoffe immer knapper werden, eine wichtige, jedoch fast vergessene Alternative.

Schlußbetrachtung

Als Fazit nach diesem knappen Überblick bleibt festzuhalten: der Begriff der illegalen Droge ist ein auf den ersten Blick willkürlicher. Die Wahl dessen, was illegale Drogen sind, und was legale, ist nur durch historische Entwicklung zu klären.
Dabei muß es nicht immer dabei bleiben: was einmal verboten war, kann wieder erlaubt sein und umgekehrt. Die (Kriminal-)Politik macht es sich mit dem Feindbild der illegalen Drogen indes zu einfach. Der "war on drugs" ist keine zwangsläufig erforderliche Reaktion auf Drogenhandel und Drogengebrauch. Vielmehr bieten viele Drogen, die heute illegalisiert sind, wichtige Inhaltsstoffe an. Letzteres stellt ein wichtiges Argument für ein Umdenken in der gegenwärtigen Drogenpolitik dar. Dieses scheint - nicht nur, aber auch - der DrogenkonsumentInnen wegen geboten, die ohne Verschulden in die Illegalität und damit in die Rolle als StraftäterInnen gedrängt werden.

Kai Bammann ist Diplom-Kriminologe und Jurist. Zur Zeit wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Ruhr-Universität Bochum, Lehrstuhl für Kriminologie.

Anmerkungen

1 Duden 7, Herkunftswörterbuch, 3. Auflage 2001, 157.
2 Schmidt-Semisch, Henning, Drogen als Genußmittel. Ein Modell zur Freigabe illegaler Drogen, 1992.
3 "Gute Feinde bleiben immer am Leben", Christie / Bruun 1991, 54.
4 vgl. z.B. Greenspoon, Lester / Bakalar James B., Marihuana, die verbotene Medizin, 1994 (zahlreiche weitere Auflagen).

Literatur:

Bammann, Kai, Zur sozialen Konstruktion von Kriminalität und Strafrecht, in: Forum Recht 2002, 40-43.
Christie, Nils / Bruun, Kettil, Der nützliche Feind, 1991.
Kupfer, Alexander, Göttliche Gifte. Kleine Kulturgeschichte des Rausches seit dem Garten Eden, (Taschenbuchausgabe) 2002.
Schneider, Wolfgang, Drogenmythen. Zur sozialen Konstruktion von "Drogenbildern" in Drogenhilfe, Drogenforschung und Drogenpolitik, 2000.
Schmidbauer, Wolfgang / vom Scheid, Jürgen, Handbuch der Rauschdrogen, 1989 (zahlreiche, auch überarbeitete Auflagen).