|
Niemand weiß, was organisierte Kriminalität eigentlich genau ist. Wenn
nach konkreten Manifestationen in einem Land wie der Bundesrepublik gefragt
wird, wird vorrangig auf Phänomene wie den Drogenhandel und den Handel
mit anderen illegalen Gütern und Dienstleitungen verwiesen. Aus den dazu
gehörigen Fallzahlen wird abgeleitet, dass die Gefahr aufgrund organisierter
Kriminalität hoch sei. Diese Gefahr wiederum wird zur Untermauerung der
Forderung angeführt, dass der Staat diese Kriminalitätsform mit allen
Mitteln bekämpfen und deswegen neue weit reichende Maßnahmen der Strafverfolgung
einführen müsse.
Allerdings stellt sich die Frage, was genau an organisierter Kriminalität
so gefährlich ist. Ein besonderes Gefährdungspotential kann ohne weiteres
mafiosen Strukturen unterstellt werden, die durch den Aufbau einer Parallelgesellschaft
demokratische Errungenschaften unterwandern. Solche mafiosen Strukturen
sind gemeinhin das, was im öffentlichen Diskurs als organisierte Kriminalität
verstanden wird. Darüber, ob die im Drogenhandel oder anderen illegalen
Märkten tätigen Gruppierungen tatsächlich solche Strukturen bilden, sagen
die Fallzahlen von Drogen- oder anderen illegalen Marktdelikten nichts
aus. Um ein realistisches Bild der tatsächlichen Gefährdung zu erhalten,
muss vielmehr der illegale Markt an sich genauer betrachtet werden.
Nach dem vom Bundeskriminalamt (BKA) jährlich erstellten "Lagebild Organisierte
Kriminalität" wurden im Jahr 2001 787 Ermittlungsverfahren geführt, die
Fälle der so genannten organisierten Kriminalität betrafen.1
Die Definition organisierter Kriminalität, die das BKA diesem Lagebild
zugrunde legt, lautet:
"Organisierte Kriminalität ist die von Gewinn- oder Machtstreben bestimmte
planmäßige Begehung von Straftaten, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit
von erheblicher Bedeutung sind, wenn mehr als zwei Beteiligte auf längere
oder unbestimmte Dauer arbeitsteilig
a) unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen,
b) unter Anwendung von Gewalt oder anderer zur Einschüchterung geeigneter
Mittel oder [Hervorhebung Verf.]
c) unter Einflussnahme auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung, Justiz
oder Wirtschaft zusammenwirken."2
Diese Definition ist so weit, dass daraus keine Rückschlüsse auf das tatsächliche
Gefährdungspotential zu ziehen sind, das darunter zu subsumierende Fälle
mit sich bringen. Sie trifft sowohl auf hierarchisch und mit klarer vertikaler
Aufgaben- und Machtverteilung ausgestattete Syndikate als auch auf kleinste
Jugendbanden zu, die mehr zufällig gemeinsam Tankstellen ausrauben. Eine
spezifische Gefahr der Fälle, die im so genannten Lagebild als Fälle der
organisierten Kriminalität hervorgehoben und damit implizit als besonders
schwerwiegend präsentiert werden, ergibt sich also nicht ohne weiteres
aus einer Eingrenzung durch die Definition. Dadurch, dass eine spezifische
Gefahr der Fälle des Lagebilds nicht klar bewiesen ist, bleibt dann ebenfalls
unklar, ob der Hinweis darauf im Zuge grundsätzlicher Reformen des Strafprozessrechts
begründet ist. Dasselbe gilt für die Frage, ob der in der Praxis zu beobachtende
besonders hohe Ermittlungsaufwand in diesen Fällen gerechtfertigt ist.
Dunkle Gegenwelten
In seiner Bedeutung im öffentlichen Diskurs impliziert der Begriff "organisierte
Kriminalität" eine besondere Art der Verbindung zwischen Kriminellen.
Er verweist auf medial vermittelte Bilder von dunklen Gegenwelten der
Illegalität. Damit gemeint sind die Mafia oder auch Kartelle bzw. Syndikate,
wie andere Ausdrücke für dasselbe Phänomen lauten. Darunter werden allgemein
Gruppierungen großen Ausmaßes verstanden, die hierarchisch strukturiert
und nach außen abgeschottet, eigenen Regeln entsprechend sowohl in der
illegalen wie der legalen Ökonomie aktiv sind und insgesamt eine Art Gegenmacht
zum Staat bilden. Die Vorstellung von solchen kriminellen Verbindungen
ist in der Tat erschreckend und könnte durchaus Verständnis für besonderes
Engagement von gesetzgebenden Organen und Strafverfolgungsbehörden wecken.
Ob diese kriminellen Verbindungen real zu beobachten sind, kann jedoch,
wie gesagt, aus den Angaben des Lagebilds aufgrund der weiten Definition
nur schwerlich abgeleitet werden.
Einen anderen Ansatz, um das Ausmaß der tatsächlichen Gefahr dessen festzustellen,
was unter organisierter Kriminalität verstanden wird, bietet die Untersuchung
der Kriminalitätsfelder, auf denen deren Engagement verortet wird. Die
Verfahren, die als solche der organisierten Kriminalität eingeschätzt
wurden, betrafen laut BKA im Berichtsjahr 2001 zu über einem Drittel das
Kriminalitätsfeld des Rauschgifthandels und -schmuggels.3
Diese enge Verknüpfung von organisierter Kriminalität und Drogenhandel
findet sich nicht nur bei der deutschen Polizei, sondern weltweit.4
Generell lässt sich festhalten, dass heute ein wichtiges Element des Verständnisses
organisierter Kriminalität deren Betätigung im Rahmen illegaler Märkte
ist.
Künstliche Schöpfung
Unter dem Begriff des illegalen Marktes sind Handelsplätze zu verstehen,
auf denen verbotene oder besonderen Reglementierungen unterliegende Güter
und Dienstleistungen angeboten und ausgetauscht werden. Solche Güter und
Dienstleistungen sind neben Drogen, die das zahlenmäßig bedeutendste einschlägige
Produkt darstellen, Menschen, Waffen, gestohlene oder gefälschte Waren,
das Ermöglichen von illegaler Einwanderung, die Investition illegal erwirtschafteter
Gelder, Prostitution oder Glücksspiel.
Illegale Märkte sind künstliche Schöpfungen, da ihr Ursprung in seit dem
19. Jahrhundert von Staaten oder Staatenbünden eingeführten Unterscheidungen
zwischen besonderen Beschränkungen unterliegendem und freiem Handel liegt.5
Die Begründungen für derartige Beschränkungen sind dabei nicht unbedingt
als rational zu bezeichnen, sondern eher moralischer oder machtpolitischer
Art.6 Die ersten Bereiche, in denen
solche Beschränkungen eingeführt wurden, waren der Sklaven- und der Drogenhandel.
Dass damit existierende Handelsströme von einem Augenblick zum nächsten
von der legalen in die illegale Ökonomie verlagert wurden, hatte zur Folge,
dass die Abläufe, Produktionsstätten und Vertriebswege weitgehend gleich
blieben und sich der Handel insofern insgesamt nicht grundlegend vom legalen
unterschied. Dasselbe ist für die Phase der Alkohol-Prohibition in den
USA in den zwanziger Jahren nachgewiesen, in der sich die weiterhin produzierenden
industriellen Brennereien zwar andere Vertriebsverbindungen suchten, grundsätzlich
aber die gewohnten Bahnen nicht verlassen haben;7
insbesondere kam es dabei nicht zu Monopolbildungen. Vielmehr hatten
auch kleine Familienunternehmen, die in der Küche Schnaps brannten, Anteil
am Marktgeschehen.
In der Anfangszeit der Verbote bestimmter Waren zeichneten sich die diese
Verbote umgehenden Märkte also durch ihre relative Nähe zu den legalen
Wirtschaftszusammenhängen aus. Wenn man nicht sowieso jeden kapitalistischen
Markt als kriminell und gefährlich bezeichnet, so lässt sich aus der Entstehungsgeschichte
der illegalen Märkte nicht ableiten, wieso die damit verbundene Kriminalitätsform
"organisierte Kriminalität" eine spezifische Bedrohung bedeutet, die mit
allen erdenklichen Mitteln bekämpft werden muss.
Sanduhr
Der heutige Drogenmarkt unterscheidet sich von dem des 19. Jahrhunderts
grundsätzlich hinsichtlich der gehandelten Substanzen, die im Laufe der
Zeit immer mehr synthetisiert wurden.8
Die Ergänzung der traditionellen Stoffe Opium und Coca um daraus gewonnene
halbsynthetische Stoffe wie Heroin und Kokain sowie um vollsynthetische
Stoffe wie Barbiturate, Amphetamine oder als Entwicklung der achtziger
Jahre Ecstasy ging damit einher, dass sich Produktionsweisen, Handelsrouten
und Verteilungskreisläufe diversifizierten.
Diese Veränderungen hatten jedoch gerade nicht zur Folge, dass der Drogenhandel
nunmehr Monopolcharakter oder überhaupt einen klaren Aufbau aufweist.
Es gibt keinen vertikal hierarchisch strukturierten, pyramidenförmigen
illegalen Handelsweg, in dem eine Gruppierung - sei es eine "Mafia" oder
ein "Verbrechenssyndikat" - von Anbau bis Straßenverkauf alles kontrolliert.9
Im Gegenteil spricht man von der so genannten Sanduhr, bei der an den
beiden Enden des Handelswegs auf der einen Seite eine Vielzahl von Produktionsstätten
und auf der anderen Seite eine Vielzahl von Einzelverkaufsstellen steht,
die durch eine geringere Zahl von Vermittlungsposten verbunden sind. Organisiert
sind diese Zusammenhänge nur in dem Sinne, dass es auf den jeweiligen
Ebenen eines gewissen Maßes an Planung und Absprache bedarf, um die Geschäfte
abzuwickeln. Konkret muss im Einzelfall "organisiert" werden, wann zu
welchem Preis welche Menge durch welche Botenperson an welchen Ort verbracht
wird. Es gibt gerade keine dauerhaften Abläufe und festen Strukturen,
denen gemäß zum immer gleichen Zeitpunkt dieselben Personen Waren austauschen,
oder eine über allen Handelsverbindungen stehende Macht, die den gesamten
Warenaustausch kontrolliert. Im Ergebnis heißt das: organisiert ist die
Durchführung eines einzelnen Geschäfts und eben nicht der Markt an sich.10
Dabei unterscheidet sich der illegale Markt des Drogenhandels wiederum
nicht von legalen Märkten, in denen ebenso "organisiert" werden muss,
wie Waren importiert oder verkauft werden. Der Drogenmarkt insgesamt bildet
also nicht die "mafiose Gegenwelt" zur legalen Ökonomie.
Überall Netzwerke
Auch die einzelnen Ebenen des Marktes unterstehen keineswegs einer bestimmten
Kontrollinstanz, haben keine klare Struktur und sind nicht nach abstrakten
Regelungen bestimmt. Weder die Produktion, noch Groß- oder Kleinhandel
werden von mafiosen oder syndikatsähnlichen Gruppierungen dominiert.
Am ehesten leuchtet das auf der Ebene des Kleinhandels, bei den so genannten
Dealern, ein. Zwar gibt es auch dort Vereinbarungen zwischen Einzelnen
und rudimentäre Arbeitsteilung, jedoch gehen diese Organisationsformen
auf unverbindliche Netzwerke von Bekannten- und Freundeskreisen zurück
und bilden keine bürokratischen und zentralisierten oder auch nur einigermaßen
festen Zusammenschlüsse.11
Der öffentlichen Vorstellung würde entsprechen, dass jedenfalls auf der
mittleren Ebene des Groß- beziehungsweise Zwischenhandels finanzstarke
und machtvolle Gruppierungen wirken würden. Im Gegenteil stellt sich jedoch
die Situation auf dieser nächsten Stufe des Drogenmarkts als ebenso offen
und variabel wie die Verbindungen im Kleinhandel dar.12
Die Verteilungsebene machen Netzwerke voneinander unabhängiger Figuren
(trader and broker)13 aus und nicht
hierarchisch strukturierte, komplexe eigenständige Gebilde.
Selbst in Italien, wo der Mafia als kulturell begründeter sozialer Struktur
eine machtvolle Position gegenüber dem Staat zugeschrieben wird,14
ist ihr Einfluss auf den Drogenmarkt, der in Italien genauso wie in anderen
Ländern offenem und ungeordnetem Wettbewerb unterliegt, nachweislich gering.15
Schließlich scheinen auf der Ebene der Produktion die Voraussetzungen
dafür gegeben zu sein, dass starr gegliederte Gruppierungen Kontrolle
darüber ausüben können, da die Produktionsstätten der großen Drogenmärkte
relativ kleine geographische Räume betreffen - Heroin kommt fast ausschließlich
aus Afghanistan und Myanmar und Kokain vorrangig aus Kolumbien, Peru und
Bolivien. Dem entspricht es, dass die so genannten kolumbianischen Kartelle
als besonders gefährliche Form organisierter Kriminalität in der öffentlichen
Vorstellung verankert sind. Allerdings zeichnen sich selbst dort die Verbindungen
zwischen den Anbauenden und den weiter Vermittelnden nicht durch Abhängigkeit,
Starrheit und formalisierte Rechtsbeziehungen aus, sondern beruhen auf
verwandtschaftlichen und freundschaftlichen Bindungen, deren entscheidendes
Strukturelement eher Kooperation als Hierarchie ist.16
disorganized crime
Weder der Drogenmarkt insgesamt noch seine einzelnen Ebenen sind also
in dem Sinne "organisiert", dass eine bestimmte Macht nach formellen Regeln
die Kontrolle ausübt. Vielmehr ist der Marktzugang offen, die MarktteilnehmerInnen
agieren autonom über verbindende Netzwerke, der Markt selbst ist fragmentarisch
und instabil sowie in seinen Abläufen veränderlich und flexibel. Dieses
Bild erstaunt zwar, wenn man es in Zusammenhang mit der Verbindung des
Drogenhandels zur so genannten organisierten Kriminalität sieht, ist es
doch der diesbezüglichen öffentlichen Vorstellung fundamental entgegengesetzt,
die mit dem Begriff der organisierten Kriminalität eine Gegenmacht zum
Staat mit nach außen abgeschotteter und starrer innerer Struktur verbindet.
Es lässt sich aber ohne weiteres mit dem Charakter des illegalen Marktes
erklären. Zunächst gründet sich der Drogenmarkt wie jeder Markt im Kapitalismus
auf die Gewinnerzielung, er funktioniert insofern generell nicht nach
mysteriösen Logiken, sondern zweckrational.17
Es geht um die Abwägung des Risikos gegen das Gewinnpotential einer bestimmten
Handelsoption.
Aus dieser Ausrichtung an der Risikoabschätzung, die für sich genommen
genauso in der legalen Ökonomie zu beobachten ist, ergeben sich aufgrund
der besonderen Umstände, die illegale Transaktionen mit sich bringen,
auch die oben genannten Eigentümlichkeiten des Drogenhandels, die Offenheit,
Instabilität und Flexibilität der Netzwerkstruktur. Sie leiten sich daraus
ab, dass der illegale Markt besondere Risiken birgt, die in die rationale
Logik des Marktes miteinbezogen werden müssen. Die besonderen Risiken
sind prinzipiell darauf zurückzuführen, dass es aufgrund der Illegalität
des Handels keinen formalen Apparat gibt, der die Einhaltung von Handelsabsprachen
garantiert. In den illegalen Märkten können diejenigen, die sich um die
Gegenleistung betrogen sehen, nicht vor Gericht ziehen, wie es bei legalen
Geschäften möglich ist, sondern müssen auf die Anwendung von Gewalt zurückgreifen.
Darüber hinaus ist ein illegales Geschäft auch immer davon bedroht, dass
die Strafverfolgungsbehörden die Waren sicherstellen und so seine Durchführung
verhindern.
Beide Punkte bedeuten ein spezifisches Risiko, dem illegale Geschäfte
ausgesetzt sind und das sich nur dann verringern lässt, wenn entweder
der Wert des Geschäfts nicht so hoch ist, dass bei einem Fehlschlag große
Verluste drohen, oder die einzelnen Beteiligten einander vertrauen und
deswegen von den Strafverfolgungsbehörden unbehelligt in klandestinen
Netzwerken den illegalen Austausch vollziehen können. Somit erklärt sich,
weshalb der Drogenmarkt nicht in seiner Gesamtheit vertikal "durchorganisiert"
beziehungsweise von einer Organisation kontrolliert werden kann, sondern
über eine Vielzahl kleiner, überschaubarer und veränderbarer Verknüpfungen
läuft.
Welche Gefahr?
Den Drogenhandel an sich zeichnet aus, dass die dort tätigen Personenverbindungen
eher desorganisiert als organisiert sind. Gleichzeitig gibt es sehr genaue
Erkenntnisse über Produktionsstätten, Handelswege und Verkaufsstellen.18
Der Drogenmarkt kann also weder deswegen als spezifische Gefahr eingeschätzt
werden, weil die dort handelnden Gruppierungen eine besondere hierarchisch
strukturierte, abgeschottete und kontrollierende Macht repräsentieren,
noch weil die tatsächliche Ausformung des Marktes im Dunklen liegt. Im
Gegenteil ist das Bild des Drogenmarktes nicht nur in Bezug auf die äußeren
Umstände, also den Weg von der Produktion bis zum Verkauf, sondern auch
in Bezug auf die inneren Verhältnisse relativ klar erforscht. Die tatsächliche
offene und fragmentarische Struktur der Personenverbindungen, die an die
besonderen Risiken des illegalen Marktes angepasst ist, steht dabei in
krassem Gegensatz zu der allgemein verbreiteten Vorstellung von organisierter
Kriminalität als "Mafia". Somit läuft eine auf die besondere Gefahr der
"organisierten Kriminalität" im herkömmlichen Sinne gestützte Begründung
gesetzlicher wie praktischer Maßnahmen fehl, wenn sie die Realisation
der Gefahr im kriminellen Geschehen des Drogenhandels verortet. Denn der
Drogenmarkt kann weder in seiner äußeren Form noch in seiner inneren Beschaffenheit
mit der spezifischen Gefahr einer mafiosen Gegenwelt in Zusammenhang gebracht
werden.
Es bleibt indes die Frage, ob seine tatsächliche Struktur nicht gleichwohl
ein eigenes Gefahrenpotential in sich birgt. Aus der Tatsache, dass die
Personenverbindungen offen und flexibel sind, könnte zwar abgeleitet werden,
dass sie besonders anpassungsfähig und deswegen gegen Strafverfolgungsbemühungen
gefeit seien. Das jedoch ist nicht das Argument, das zur Begründung der
besonderen Maßnahmen zur Bekämpfung der spezifischen Gefahr der organisierten
Kriminalität angeführt wird. Vielmehr knüpft diese Begründung an die Vorstellung
einer abgeschotteten, undurchlässigen Gegenwelt an, die mit vormals den
Geheimdiensten vorbehaltenen heimlichen und täuschenden Maßnahmen (wie
Verdeckten Ermittlungen oder akustischen Überwachungsmethoden) unterlaufen
werden muss.
Zudem finden die genauen Kenntnisse über Aufbau und Abläufe des Drogenmarkts
faktisch bereits in effektiven Gegenmaßnahmen Umsetzung. Von den circa
925 t Kokain, die jährlich produziert werden, werden 360 t, also annähernd
40% abgefangen.19 Grundsätzlichere
Ansätze zur Verringerung der Produktion auf internationaler Ebene werden
dagegen nicht konsistent verfolgt.20
Ein eigenes Gefahrenpotential des Drogenmarktes, das von der allgemeinen
Vorstellung von organisierter Kriminalität entkoppelt ist, kann also weder
als Begründungshintergrund für die mit dem Verweis auf organisierte Kriminalität
eingeführten Maßnahmen dienen, noch kann behauptet werden, dass diese
denkbare Gefahr außer Kontrolle zu geraten droht, ohne dass Gegenstrategien
existieren.
Zahlenlogik
Insgesamt erscheint nach genauer Betrachtung des Phänomens "Drogenhandel"
unklar, wieso eben diese Art der kriminellen Betätigung so eng mit dem
Begriff "organisierte Kriminalität" und dem ihr zugeschriebenen spezifischen
Gefahrenpotential verknüpft wird. Zur Erklärung dessen kann das Spannungsverhältnis
zwischen der Tatorientierung der heutigen westeuropäischen Strafrechtssysteme
einerseits und der Vorstellung von organisierter Kriminalität als der
Kriminalität bestimmter Personenverbindungen andererseits herangezogen
werden.
Der Erfolg eines Strafverfahrens ist in den heutigen westeuropäischen
Strafrechtssystemen mit der Aburteilung von Straftaten verbunden. Das
Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden gegen organisierte Kriminalität
hingegen fokussiert auf bestimmte Personenverbindungen, die der organisierten
Kriminalität zugeordnet werden - der Erfolg dieses Vorgehens kann also
nicht unmittelbar nach strafrechtlichen, also tatorientierten Kategorien
gemessen werden. In diesem Spannungsfeld stellen die marktförmigen Delikte
eine Übergangsmöglichkeit dar. Die Existenz eines Marktes für illegale
Drogen bietet den Strafverfolgungsbehörden einen beständigen Anknüpfungspunkt
für Ermittlungen gegen bestimmte Personengruppierungen, bringt aber parallel
mit relativ großer Wahrscheinlichkeit auch strafrechtlich zählbare Erfolge
im Sinne von Verurteilungen und Sicherstellungen von Drogen und Drogengeldern
mit sich. Die Doppelbedeutung des Bereichs "Drogen" als Marktstruktur
einerseits und Handlungsfeld andererseits verknüpft insofern die abstrakte
Zielrichtung der modernen polizeilichen Ermittlungen gegen Kriminelle
und die traditionelle Ausrichtung des Strafrechts auf Straftaten.
Insofern stellt die Verknüpfung von Drogenhandel mit organisierter Kriminalität
ein effektives Mittel dar, gleichzeitig das polizeiliche Vorgehen gegen
organisierte Kriminalität und die diesbezüglichen gesetzgeberischen Maßnahmen
als notwendig wie als erfolgreich zu präsentieren, indem auf die gleichmäßig
hohen Fallzahlen, die aus der Kontinuität der Nachfrage im Drogenmarkt
resultieren, rekurriert wird. Die Fehldeutung des Drogenmarkts als monopolistischer
Struktur, in der kriminelle Organisationen tätig seien, die eine spezifische
Gefahr für das Gemeinwesen darstellten, dient insofern dazu, kriminalpolitische
Wünsche nach Veränderung zu untermauern.
Anna Luczak promoviert am Max-Planck-Institut für ausländisches
und internationales Strafrecht in Freiburg zum Thema "organisierte Kriminalität".
Anmerkungen
1 BKA, Lagebild Organisierte Kriminalität
2001 Bundesrepublik Deutschland - Kurzfassung -. 2002, 4.
2 Gemeinsame Richtlinie der Justizminister/-senatoren
und der Innenminister/-senatoren der Länder über die Zusammenarbeit von
Staatsanwaltschaft und Polizei bei der Verfolgung der Organisierten Kriminalität,
veröffentlicht in: Kleinknecht / Meyer-Goßner (2001), RiStBV Anlage E,
Punkt 2.1.
3 BKA 2002, 10, 15.
4 Siehe nur: National Criminal Intelligence
Service (NCIS), UK Threat Assessment 2002, 2002, 6; Fijnaut, Cyrille /
Bovenkerk, Frank / Bruinsma, Gerben / Van de Bunt, Henk, Organized Crime
in the Netherlands, 1998, 60 ff.
5 Arlacchi 1989, 225 f.
6 siehe zum Heroinverbot in diesem Heft:
Löhr, Tillmann, Was bleibt? Heroin freigeben., in: Forum Recht (FoR) 2003,
40 f.
7 Lampe 1999, 230 ff.
8 United Nations Office for Drug Control
and Crime Prevention 2001, 13.
9 Besozzi 2001, 61.
10 Naylor 1995, 42.
11 z. B. (für den Verkauf im Südwesten
der USA): Adler 1985, 145.
12 Ruggiero / South 1995, 98.
13 z. B. (für die Vertriebstruktur
in England): Pearson / Hobbs 2001, vi.
14 Vgl. (zur Mafia allg.): Hess, Henner,
Mafia. Ursprung, Macht und Mythos, Taschenbuchausgabe 1993.
15 Becchi 1996, 125 f.
16 Ambos 1993, 38.
17 Arlacchi 1989, 229.
18 Vgl. United Nations Office for
Drug Control and Crime Prevention 2001.
19 ebenda, 127.
20 siehe in diesem Heft: Zechmeister,
David, Der Drogenkrieg, in: FoR 2003, 48 f.
Literatur:
Adler, Patricia, Wheeling and Dealing. An Ethnography of an Upper-Level
Drug Dealing and Smuggling Community, 1985.
Ambos, Kai, Die Drogenkontrolle und ihre Probleme in Kolumbien,
Perú und Bolivien, 1993.
Arlacchi, Pino, Mafiose Ethik und der Geist des Kapitalismus, 1989.
Becchi, Ada, Italy: "Mafia-dominated Drug Market"?, in: Dorn, Nicholas
/ Jepsen, Jørgen / Savona, Ernesto (Hrsg.): European Drug Policies
and Enforcement, 1996, 119-130.
Besozzi, Claudio, Illegal, legal - egal? Zu Entstehung, Struktur
und Auswirkungen illegaler Märkte, 2001.
Lampe, Klaus von, Organized Crime. Begriff und Theorie organisierter
Kriminalität in den USA, 1999.
Naylor, Robert T., From Cold War to Crime War: The Search for a
New "National Security" Threat, in: Transnational Organized Crime, Vol.
1, No. 4 1995, 37-56.
Pearson, Geoffrey / Hobbs, Dick, Middle market drug distribution,
2001.
Ruggiero, Vincenzo / South, Nigel, Eurodrugs. Drug use, markets
and trafficking in Europe, 1995.
United Nations Office for Drug Control and Crime Prevention, ODCCP
Studies on Drugs and Crime: Global Illicit Drug Trends 2001.
|
|