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Nachhaltiges Täuschungsmanöver   Heft 3/2003
nachhaltig gestört
Das ökologisch-ökonomische Gleichgewicht

Seite 83-86
Die europäische Umweltpolitik  
 

Die Umweltpolitik der Europäischen Gemeinschaften (EG) wird in der Politikwissenschaft häufig als "Erfolgsgeschichte" bezeichnet. Die bislang rund 300 Rechtsakte im Umweltbereich führten zu einigen ökologischen Fortschritten. Viele Umweltregelungen wurden in den Mitgliedsstaaten erst eingeführt, nachdem "Europa" tätig wurde. Eines der bekanntesten Beispiele ist sicherlich der Aufbau von Klärwerken. Die Wasserqualität hat sich in den letzten Jahren deutlich verbessert. Gleiches gilt für die Qualität der Luft. Der Ausstoß bestimmter Schadstoffe wie Schwefeldioxid, hauptverantwortlich für den "sauren Regen" und damit das Waldsterben, wurde deutlich gesenkt. Die hohe Produktivität in der Umweltgesetzgebung hat den Zustand der europäischen Umwelt insgesamt jedoch nicht wesentlich verbessert. Dieser ist laut Europäischer Umweltagentur noch immer "besorgniserregend"1, auch nach dreißig Jahren gemeinschaftlicher Umweltpolitik.

Die institutionelle Verankerung der Umweltpolitik

Aus ökologischer Sicht ist die Umweltpolitik der EG bislang keine wirkliche Erfolgsgeschichte. Der Erfolg einzelner Maßnahmen darf nicht darüber hinweg täuschen, dass in vielen Bereichen nichts oder zu wenig erreicht wurde. Selbst die wenigen Verbesserungen wie der Gewässerschutz leuchten weniger hell, als es auf den ersten Blick erscheint. Denn das beste gemeinschaftliche Recht ist nichts wert, wenn es auf der nationalen oder lokalen Ebene nicht konsequent angewandt wird. Das beste Beispiel ist die Stadt Brüssel selbst: Bis heute gibt es für die Abwässer der europäischen "Hauptstadt" keine Kläranlage.
Das Bild von der "Erfolgsgeschichte" ist weniger aus einer ökologischen Perspektive entstanden, als vielmehr aus einer institutionellen. Faszinierend ist, dass überhaupt so früh und schnell auf der europäischen Ebene eine Umweltpolitik entstanden ist, obwohl die EG anfangs nicht über vertraglich verankerte Umweltkompetenzen verfügte. Bis zur Einführung dieser Kompetenzen im Jahre 1987 wurden trotzdem über 200 Rechtsakte im Umweltbereich verabschiedet. Als Grundlage diente Art. 94 EGV (Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft). Dieser sieht die Angleichung von Rechtsvorschriften vor, die sich auf die Errichtung oder das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes auswirken. Zudem wurde in einigen Fällen Art. 308 EGV angewandt, der der EG eine Handlungskompetenz für "unvorhergesehene Fälle" zuspricht. Daneben trug der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit seiner Rechtsprechung dazu bei, dass schon vor Schaffung einer vertraglichen Grundlage eine gemeinsame europäische Umweltpolitik existierte. Im Altöle-Urteil von 19852 deklarierten die Luxemburger Richter den Umweltschutz als "eines der wesentlichen Ziele der Gemeinschaft".

Angesichts dessen war die Aufnahme des Umweltschutzes in den Vertrag im Jahre 1987 nicht mehr als die Anerkennung bestehender Tatsachen, die nichts an der gemeinschaftlichen Umweltpolitik änderte. Als Ziele der gemeinschaftlichen Umweltpolitik wurden die Erhaltung und der Schutz der Umwelt, die Verbesserung der Umweltqualität, ein Beitrag zum Gesundheitsschutz sowie eine schonende Ressourcennutzung festgeschrieben. Um diese Ziele zu erreichen, sollen die Prinzipien der Vorsorge und Vorbeugung angewandt werden, d.h. umweltschädliche Stoffe und Substanzen sollten erst gar nicht entstehen. Weiter ist das Verursacherprinzip festgehalten, das im allgemeinen so verstanden wird, dass der Verursacher eines Schadens für dessen Beseitigung aufkommt. Ferner ist das Ursprungsprinzip verankert. Es bedeutet, dass ein Umweltproblem möglichst an der Quelle des Problems bekämpft werden soll. Zudem gilt auch für die Umweltpolitik das Subsidiaritätsprinzip, wonach politische Probleme immer auf der Ebene (Gemeinde, Region, Mitgliedstaat, Europa) gelöst werden sollen, auf der das am besten möglich ist. Damit ist die EG auf grenzüberschreitende Umweltprobleme beschränkt. Schließlich wurde festgeschrieben, dass die Erfordernisse des Umweltschutzes Bestandteil der anderen Politiken der Gemeinschaft sein sollen.
Im Gegensatz zur institutionellen Erfolgsgeschichte steht der geringe Gehalt der europäischen Umweltpolitik. Dies liegt an mehreren Faktoren: An inhaltlichen Mängeln der europäischen Umweltrechtsakte und ihrer mangelnden Um- und Durchsetzung sowie an der Verursachung neuer Umweltprobleme durch die europäische Politik selbst.

Europäisches Umweltrecht mit Schwächen

Sämtliche Entscheidungen im Umweltbereich standen und stehen unter dem Primat der Ökonomie3. Bis zur vertraglichen Verankerung der Umweltpolitik wurden alle Maßnahmen daran gemessen, dass sie die in Artikel 2 EGV genannten Ziele der "harmonischen Entwicklung des Wirtschaftslebens" und der "beschleunigten Hebung der Lebenshaltung" förderten. Inzwischen gehört zu den gleichberechtigten Zielen auch ein "hohes Maß an Umweltschutz". Mit dem Binnenmarktregime bleibt das ökonomische Primat jedoch erhalten, da zahlreiche Umweltrechtsakte nicht dem Umweltschutz, sondern der Verwirklichung des Binnenmarktes dienen. Nationale Umweltmaßnahmen dürfen nach Art. 95 Abs. 6 EGV keine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten darstellen und das Funktionieren des Binnenmarktes nicht behindern. Diese Vorschrift ist problematisch, da sich die EG anfangs auf Richtlinien einigte, die minimale europäische Standards festsetzten, aber die Möglichkeit zur Einführung strengerer nationaler Werte ließ. Damit wurde gewährleistet, dass einige Staaten überhaupt erst Grenzwerte einführten, während andere Mitgliedstaaten eigene höhere Standards festsetzten. Mit dem Binnenmarktprojekt stehen alle strengeren Grenzwerte unter dem Vorbehalt, ein Handelshemmnis darzustellen.
Leider steht bisweilen tatsächlich hinter der Einführung konkreter Maßnahmen eher eine ökonomische denn eine ökologische Motivation. So war die deutsche Regierung Mitte der 80er Jahre treibende Kraft, um die gemeinschaftlichen Bestimmungen für Schadstoffemissionen von Pkws so festzusetzen, dass Katalysatoren zwingend wurden. Doch steckte dahinter ein handfestes ökonomisches Interesse. Denn es wurden die seit 1983 für die USA geltenden Bestimmungen eingeführt. Da die USA für die deutsche Automobilindustrie ein Hauptexportmarkt war, musste sie diese Normen längst durch kostspielige Innovationen erfüllen. Mit der Einführung der Standards in Europa hatten die deutschen Auto-hersteller jedoch einen Vorteil gegenüber ihren europäischen Konkurrenten, die erst noch in die Entwicklung von Katalysatoren investieren mussten.

Weitere Schwachpunkte der europäischen Umweltgesetzgebung sind die unzureichende Umsetzung und Anwendung. So werden bereits die im EGV verankerten Prinzipien der Umweltpolitik im Alltag des europäischen Rechtsetzungsprozesses ungenügend berücksichtigt. Das Verursacherprinzip harrt noch immer einer wirklich sichtbaren Befolgung. Eine Möglichkeit wäre es, die Verursachung von Umweltschäden mit Kosten zu belegen. Ein klassisches Instrument hierfür ist die Besteuerung von Energie. Der im März 2003 nach über zehnjähriger Diskussion erreichte Kompromiss über die Energiesteuerrichtlinie kommt dem Verursacherprinzip nicht in Ansätzen nach. Die Mindeststeuersätze für Benzin, Heizöl, Gas und andere Energieträger liegen überwiegend unter den schon bestehenden nationalen Steuersätzen. Für energieintensive Unternehmen ist eine völlige Steuerbefreiung möglich. Lediglich die Beitrittskandidaten werden zu einer deutlichen Erhöhung ihrer Kraftstoffsteuern gezwungen werden. Damit haben die jetzigen Mitgliedstaaten die Chance genutzt, ohne Beteiligung der künftigen Mitgliedstaaten diesen kurzfristig noch einen Wettbewerbsvorteil zu nehmen. So ist die Einigung in erster Linie als ökonomisch motiviert zu verstehen. Zugleich werden eine Vielzahl von Ausnahmen und Schlupflöchern langfristig verankert. Denn einmal Beschlossenes zu revidieren, ist im europäischen Institutionengefüge kaum möglich. Wechselseitige Abhängigkeiten der einzelnen Institutionen und Ebenen sowie die Notwendigkeit, für die Revision einer Entscheidung erneut einen positiven Beschluss mindestens mit qualifizierter Mehrheit zu erlangen, sind nur zwei von vielen Gründen.4 Die dennoch verabschiedeten Rechtsakte im Umweltbereich werden von den Mitgliedstaaten teilweise nur ungenügend umgesetzt. Bei Richtlinien kommt hinzu, dass die Umsetzung in nationales Recht oft schon mangelhaft ist. Selbst die praktische Anwendung des auf EG-Richtlinien basierenden nationalen Rechts sowie von EG-Verordnungen, die unmittelbar gelten, funktioniert nicht problemlos.

Die EU als Verursacherin von Umweltproblemen

Für die Umsetzung des Vorsorgeprinzips wäre es erforderlich, dass Umweltbelange auch in den Politikbereichen, in denen Umweltprobleme verursacht werden, berücksichtigt werden. Sonst schafft die Europäische Union (EU) durch ihre eigenen Maßnahmen und Regelwerke nur die Umweltprobleme, die sie an anderer Stelle zu lösen versucht. Das liegt neben dem Primat der Ökonomie auch an der Entscheidungsstruktur.
Europäische Rechtsakte werden vom Ministerrat verabschiedet, in dem die RessortministerInnen je nach Thematik unter sich sind und sich nicht mit den Ansichten anderer Ressorts auseinandersetzen müssen. In Einzelfällen mag diese Konstruktion positiv für die Umwelt sein, da auch die UmweltministerInnen unter sich sind. Entscheidender ist, dass umweltpolitische Maßnahmen durch andere Politiken konterkariert werden. Die gemeinschaftliche Agrar-, Energie- oder Verkehrspolitik fördern die Beanspruchung und den Verbrauch natürlicher Ressourcen systematisch. Dass die gemeinsame Agrar-politik mit ihrer Subventionspolitik Anreize zur Überproduktion und zur fortlaufenden Intensivierung der Landwirtschaft gibt, weiß heute fast jedes Kind. In der Energiepolitik gehören die garantierte Energieversorgung und billigste Preise zu den Zielen. Und bei der Verkehrspolitik geht es im Prinzip darum, Mobilität dadurch zu garantieren, dass die Verkehrsinfrastruktur ausgebaut wird und möglichst niedrige Preise für Transportdienstleistungen garantiert werden.

Der Versuch einer integrierten Umweltpolitik

Damit die EG nicht länger zur Verursacherin von Umweltproblemen wird, ist eine integrierte Umweltpolitik notwendig, in der Verursacherressorts wie Agrar, Energie und Verkehr sich mit den Umweltfolgen ihrer Handlungen auseinandersetzen. Deshalb gilt seit 1987 das Prinzip der Berücksichtigung von Umweltbelangen für alle EG-Politiken. Dessen Umsetzung ist enorm wichtig, da die Verursacherressorts auch über die Einführung wichtiger Umweltinstrumente (z.B. Energiesteuern) oder die Abschaffung umweltschädlicher Maßnahmen (z.B. Subventionen für intensive Landwirtschaft) weitgehend autonom beschließen. Erst 1998 begann eine systematische Umsetzung des Prinzips. Die Staats- und Regierungschefs beauftragten den Ministerrat, in seinen unterschiedlichen Zusammensetzungen (Agrar, Energie, Verkehr usw.) Strategien auszuarbeiten, wie Umweltbelange im jeweiligen Bereich berücksichtigt werden sollen.
Bei einer Bewertung der Strategien "zeigt sich, dass kein allgemein akzeptiertes Verständnis der Umweltpolitikintegration existiert"5. Das wird schon am mangelnden Problembewusstsein der einzelnen Fachministerräte deutlich. Lediglich die VerkehrsministerInnen erkennen an, dass die bisherige Verkehrsentwicklung nicht nachhaltig sei. Bei den anderen Räten fehlt die Problemanalyse entweder oder die Problemlage wird schlicht bestritten, wie bei den AgrarministerInnen, die Landwirtschaft als grundsätzlich positiv für die Umwelt bezeichnen und daraus ableiten, dass bei der Verabschiedung von Umweltmaßnahmen der Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Landwirte zu berücksichtigen ist. Den Vogel schießt der Ministerrat für den Binnenmarkt ab. Er erklärt als höchstes Ziel der EU den Binnenmarkt, der Umweltschutz sei nur eine Randbedingung neben vielen. Damit interpretieren sie den Zielkatalog des Art. 2 EGV höchst eigenwillig, da eigentlich alle Ziele gleichwertig sind.6
Angesichts der überwiegend fehlenden Problemanalyse ist es nicht verwunderlich, wenn die Zielsetzungen für umweltpolitische Maßnahmen insgesamt unbefriedigend sind. Es fehlen konkrete, quantifizierte und mit Zeitvorgaben versehene Ziele. So muss schon als sehr positiv gelten, wenn zumindest die VerkehrsministerInnen das allgemeine Ziel vorgeben, Verkehrsaufkommen und Umweltbelastungen zu entkoppeln. Die EnergieministerInnen möchten prinzipiell die Energieeffizienz steigern und so zu einer Minderung des CO²-Ausstoßes gelangen. Die Steigerung der Energieeffizienz ist aber spätestens seit Ende der 70er Jahre (2. Ölkrise) Ziel der gemeinsamen Energiepolitik. Von den Ministerräten für Binnenmarkt, Industrie oder Wirtschaft und Finanzen werden sogar Ziele zur Beschränkung umweltpolitischer Belange formuliert. Sie verfolgen also eher das Ziel der "umgekehrten Integration" ihrer eigenen Belange in die als störend empfundene Umweltpolitik.

Die vorgeschlagenen Maßnahmen und die Benennung konkreter Akteure, die für die Umsetzung dieser Maßnahmen verantwortlich sein sollen, sind bei einigen Räten (Verkehr, Energie) auf den ersten Blick positiv zu bewerten. Doch handelt es sich dabei lediglich um bereits bestehende Maßnahmen, wie z.B. die Senkung des Schadstoffausstoßes von PKW oder die Förderung erneuerbarer Energien. Neue Maßnahmen, gar visionäre Schritte, werden nicht benannt. Der deutsche Sachverständigenrat für Umweltfragen gesteht zu, dass Umweltpolitikintegration eine langfristige Aufgabe sei, die nicht in ein bis zwei Jahren zu völlig problemadäquaten Lösungen führen kann7. Es ist aber äußerst zweifelhaft, ob auf diesem Weg jemals angemessene Vorschläge zur Lösung europäischer Umweltprobleme zu erreichen sind. Solange die Aufgabe der Berücksichtigung von Umweltbelangen allein den FachministerInnen überlassen wird, werden diese nicht aus ihrer Ressortlogik ausbrechen können. Die Durchsetzung erfolgversprechender Maßnahmen kann nur erreicht werden, wenn die Staats- und Regierungschefs im Europäischen Rat sich dieser Aufgabe in wirklicher Überzeugung annehmen und ihre FachministerInnen dazu verdonnern. Die Initiierung des bisherigen Prozesses zeigt, dass dies möglich ist. Doch das Verflachen der Dynamik seit dem Ende der Vorbereitungen des Gipfels von Johannesburg 2002 weckt Zweifel, ob die Staats- und Regierungschefs wirklich dazu gewillt sind.
Momentan befindet sich die Umweltpolitik der EU in einer Warteschleife. Neben den Sektorstrategien zur Berücksichtigung von Umweltbelangen gibt es das Sechste Umweltaktionsprogramm, das programmatische Signale setzen will, und die europäische Nachhaltigkeitsstrategie mit einer ökologischen Komponente. In welchem Verhältnis sie zueinander stehen, ist völlig ungeklärt.8 Widerspruchsfrei sind sie nicht. Der große Wurf zur Lösung der bestehenden Probleme sind sie auf keinen Fall. Da die Sektorstrategien und die Nachhaltigkeitsstrategie zudem weiter entwickelt werden, werden konkrete Maßnahmen teilweise verschoben, um der finalen Strategie nicht vorzugreifen. Dies ist zwar prinzipiell verständlich. Es wäre jedoch fatal, wenn es in der laufenden Umweltpolitik zu einem Stillstand käme, weil die große Gesamtstrategie noch fehlt. Dann wäre die lange Arbeit an den großen Strategiepapieren nur ein Täuschungsmanöver, das umweltpolitischen Stillstand durch die Produktion von Papieren kaschieren soll.

Jetzt handeln, statt auf Europa zu vertrauen

Der Entwurf einer europäischen Verfassung des Verfassungskonvents gibt kaum Anlass zur Hoffnung, dass der Stillstand überwindbar ist. Die ökologisch nachteiligen Zielsetzungen der Agrar- und Verkehrspolitik wurden aus den bestehenden Verträgen übernommen. In der Entscheidungsstruktur bleibt die zentrale Rolle des Ministerrats erhalten. Bei den Zielen der EU fehlt die Erwähnung der ökologischen Dimension einer nachhaltigen Entwicklung. Diese wird allein auf ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum reduziert. Das Primat der Ökonomie wird damit noch verstärkt. Zwar wurde die Verpflichtung zur Berücksichtigung der Umweltbelange in allen Politikbereichen aufgenommen. Insgesamt spiegelt der Verfassungsentwurf das umweltpolitische "Roll-Back" aber gut wieder. Ohne Gleichrangigkeit der ökonomischen mit den sozialen und ökologischen Zielen der Union wird auch der Spielraum des EuGH für eine umweltfreundliche Rechtssprechung eingeschränkt.
Es gilt, die institutionellen Erfolge der Umweltpolitik der EU, die vertraglich erreicht wurden, zu erhalten. An der Entwicklung starker Sektorstrategien und einer Nachhaltigkeitsstrategie, die auch ökologische und soziale Fragen ernst nimmt, ist entschieden mitzuarbeiten. Doch ebenso relevant ist es für Europas Umwelt, bei konkreten Politikprojekten im Umweltbereich schon jetzt gegen Rückschläge für die Umweltpolitik anzukämpfen.

Ein Gradmesser für die Qualität der europäischen Umweltpolitik wird die Umsetzung des Kyoto-Protokolls sein. Hier müssen die EU-Mitgliedsstaaten dem eigenen Anspruch als Vorreiter gerecht zu werden. Die Lücken und Schlupflöcher des Protokolls dürfen den EU-Mitgliedern nicht offen stehen. Dänemark, das Mutterland der Windenergie, ist gerade dabei, sich komplett seiner Verantwortung zu entziehen und die Reduzierung des eigenen CO²-Ausstoßes nur durch die Finanzierung von Projekten in Entwicklungsländern zu erreichen. Angesichts der Schwächen des Klimaschutzabkommens wäre aber ein starkes Signal der EU nötig, um Klimaschutz nicht zum lästigen Randthema verkommen zu lassen. Die europäischen Staaten sollten sich selbst zur Einhaltung des ursprünglichen Verhandlungsangebotes, nämlich Senkung der Treibhausgase um 15% (statt der vereinbarten 8%) durch Maßnahmen im eigenen Kontinent, verpflichten!
Weitere Gradmesser werden die Projekte sein, denen sich die Europäische Kommission in der nächsten Zeit widmen will. Bei der Neuentwicklung der Chemikalienpolitik wird über die Qualität des Vorsorgeprinzips entschieden. Zwar sieht der Entwurf ein neues System der Bewertung von Chemikalien vor, dass die schädlichsten Stoffe klar erkennbar macht. Ein Verbot ist jedoch nicht vorgesehen. Dieses soll nur dann greifen, wenn vom Hersteller keine Informationen zur Chemikalie vorgelegt werden ("no data, no market"). Das Aus für eindeutige Gefahrstoffe darf jedoch keine Marktaufgabe sein. Diese gehören verboten, erst recht, wenn sichere Alternativen vorliegen. Alles andere würde das Vorsorgeprinzip konterkarieren!

Die endgültige Verabschiedung der Richtlinie für Umwelthaftung wird zeigen, ob das Verursacherprinzip ernst genommen wird. Der Entwurf sieht vor, neben Boden und Wasser auch die Artenvielfalt zu schützen. Mit Einbeziehung dieser "Allgemeingüter" in die juristische Bewertung würde das neue Recht viel weiter als die bisherigen nationalen Ansätze reichen. Der Entwurf hat aber viele Schwachstellen. Am gravierendsten sind die Nichteinbeziehung von Schäden durch Atomenerige und Gentechnik sowie die Haftungsausschlusskritierien (z.B. Einhaltung der Betriebsgenehmigung, Unkenntnis über schädigende Effekte einer Handlung). Äußerst problematisch ist auch die fehlende Verpflichtung zur Versicherung. Ohne europaweite Umwelthaftpflicht wird sich kaum ein Unternehmen mit den Kosten für eine entsprechende Versicherung belasten wollen.
So wünschenswert eine bessere Umweltpolitik der europäischen Ebene auch ist, darf das Thema einer ökologischen und nachhaltigen Politik auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene nicht vernachlässigt werden. Einiges kann auch in privater Initiative erreicht werden, wie eine Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien. Die Reduktion des städtischen Verkehrs oder des Stromverbrauchs in privaten Haushalten können auch durch kommunale Initiativen nachhaltiger gestaltet werden. Eine Vielzahl an "best practices" aus den Kommunen macht es einfacher, auf europäischer Ebene eine erfolgreiche Umweltpolitik, die als Querschnittsaufgabe aller Fachressorts verstanden wird, durchzusetzen. Europäisch handeln, heißt auch: lokal handeln!

Michael Gwosdz arbeitet als Seminarleiter für Europa- und Umweltpolitik in der Politischen Bildung im HAUS RISSEN - Internationales Institut für Politik und Wissenschaft (www.hausrissen.org).

Anmerkungen:

1 Europäische Umweltagentur 1999, 7 ff.
2 Urteil vom 07.02.1985, Procureur de la République / ADBHU, Rs. 240/83, Rn. 13 (http://europa.eu.int/smartapi/cgi/sga_doc?smartapi!celexplus!prod!CELEXnumdoc&numdoc=61983J0240&lg=DE).
3 Vgl. hierzu Gerloff, Forum Recht (FoR) 2000, 8 ff.
4 Scharpf, Fritz W. (1985): Die Politikverflechtungs-Falle: Europäische Integration und deutscher Föderalismus in: Politische Vierteljahresschrift 26 (4): 323-356. Pierson, Paul (1996): The Path to European Integration: A Historical Institutionalist Analysis, in: Comparative Political Studies 29 (2): 123-163 (besonders 142-148).
5 SRU (2002): Umweltgutachten des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen "Für eine neue Vorreiterrolle", Wiesbaden, Rn. 258.
6 Kraemer, R. Andreas (2001): Ergebnisse des "Cardiff-Prozesses" zur Integration der Erfordernisse des Umweltschutzes in andere Politiken - Bewertung des Zwischenstandes, Berlin, ecologic - Institut für internationale und Europäische Umweltpolitik [Forschungsbericht (BMU/UBA) Nr. 299 19 120, März 2001], hier: 32.
7 SRU 2002, Rn. 259.
8 Vgl. auch SRU 2002, Rn. 254.

Literatur:

Demmke, Christoph, Nationale Verwaltung und europäische Umweltpolitik - die Umsetzung und der Vollzug von EG-Umweltrecht, in: ders. (Hrsg.), Europäische Umweltpolitik und nationale Verwaltungen: Rolle und Aufgaben nationaler Verwaltungen im Entscheidungsprozeß, 1998, 85-127.
Gerloff, Volker (2000): Gefahren für Mensch und Umwelt als Innovationen für den Markt?, in: Forum Recht (FoR) 2000, 8 ff.
Kraack, Michael / Pehle, Heinrich / Zimmermann-Steinhart, Petra, "Europa auf dem Weg zur integrierten Umweltpolitik?", 2001.
Krämer, Ludwig (2000): Differentiation in EU Environmental Policy, in: European Environmental Law Review 9 (5): 133-140.
SRU, Umweltgutachten des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen "Für eine neue Vorreiterrolle", 2002 (unter www.bundestag.de als Drucksache 14/8792 kostenlos herunterzuladen).
Wepler, Claus, Europäische Umweltpolitik. Die Umweltunion als Chance für die materielle und institutionelle Weiterentwicklung der europäischen Integration, 1999.
Wojak, Norman, Von alten Autos und neuem Recht. Für mehr Transparenz und Partizipation in der europäischen Umweltpolitik, in: FoR 2000, 11 ff.

Links:

www.eeb.org: Europäisches Umweltbüro (Dachverband der Europäischen Umweltverbände)
www.dnr.de/publikationen/eur: EU-Rundschreiben des Deutschen Naturschutzringes
www.eea.eu.int: Europäische Umweltagentur