Michael Gwosdz |
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Nachhaltiges Täuschungsmanöver | Heft
3/2003 nachhaltig gestört Das ökologisch-ökonomische Gleichgewicht Seite 83-86 |
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Die europäische Umweltpolitik |
Die Umweltpolitik der Europäischen Gemeinschaften (EG) wird in der Politikwissenschaft häufig als "Erfolgsgeschichte" bezeichnet. Die bislang rund 300 Rechtsakte im Umweltbereich führten zu einigen ökologischen Fortschritten. Viele Umweltregelungen wurden in den Mitgliedsstaaten erst eingeführt, nachdem "Europa" tätig wurde. Eines der bekanntesten Beispiele ist sicherlich der Aufbau von Klärwerken. Die Wasserqualität hat sich in den letzten Jahren deutlich verbessert. Gleiches gilt für die Qualität der Luft. Der Ausstoß bestimmter Schadstoffe wie Schwefeldioxid, hauptverantwortlich für den "sauren Regen" und damit das Waldsterben, wurde deutlich gesenkt. Die hohe Produktivität in der Umweltgesetzgebung hat den Zustand der europäischen Umwelt insgesamt jedoch nicht wesentlich verbessert. Dieser ist laut Europäischer Umweltagentur noch immer "besorgniserregend"1, auch nach dreißig Jahren gemeinschaftlicher Umweltpolitik. Die institutionelle Verankerung der Umweltpolitik Aus ökologischer Sicht ist die Umweltpolitik der EG bislang keine wirkliche
Erfolgsgeschichte. Der Erfolg einzelner Maßnahmen darf nicht darüber hinweg
täuschen, dass in vielen Bereichen nichts oder zu wenig erreicht wurde.
Selbst die wenigen Verbesserungen wie der Gewässerschutz leuchten weniger
hell, als es auf den ersten Blick erscheint. Denn das beste gemeinschaftliche
Recht ist nichts wert, wenn es auf der nationalen oder lokalen Ebene nicht
konsequent angewandt wird. Das beste Beispiel ist die Stadt Brüssel selbst:
Bis heute gibt es für die Abwässer der europäischen "Hauptstadt" keine
Kläranlage. Angesichts dessen war die Aufnahme des Umweltschutzes in den Vertrag
im Jahre 1987 nicht mehr als die Anerkennung bestehender Tatsachen, die
nichts an der gemeinschaftlichen Umweltpolitik änderte. Als Ziele der
gemeinschaftlichen Umweltpolitik wurden die Erhaltung und der Schutz der
Umwelt, die Verbesserung der Umweltqualität, ein Beitrag zum Gesundheitsschutz
sowie eine schonende Ressourcennutzung festgeschrieben. Um diese Ziele
zu erreichen, sollen die Prinzipien der Vorsorge und Vorbeugung angewandt
werden, d.h. umweltschädliche Stoffe und Substanzen sollten erst gar nicht
entstehen. Weiter ist das Verursacherprinzip festgehalten, das im allgemeinen
so verstanden wird, dass der Verursacher eines Schadens für dessen Beseitigung
aufkommt. Ferner ist das Ursprungsprinzip verankert. Es bedeutet, dass
ein Umweltproblem möglichst an der Quelle des Problems bekämpft werden
soll. Zudem gilt auch für die Umweltpolitik das Subsidiaritätsprinzip,
wonach politische Probleme immer auf der Ebene (Gemeinde, Region, Mitgliedstaat,
Europa) gelöst werden sollen, auf der das am besten möglich ist. Damit
ist die EG auf grenzüberschreitende Umweltprobleme beschränkt. Schließlich
wurde festgeschrieben, dass die Erfordernisse des Umweltschutzes Bestandteil
der anderen Politiken der Gemeinschaft sein sollen. Europäisches Umweltrecht mit Schwächen Sämtliche Entscheidungen im Umweltbereich standen und stehen unter dem
Primat der Ökonomie3. Bis zur vertraglichen
Verankerung der Umweltpolitik wurden alle Maßnahmen daran gemessen, dass
sie die in Artikel 2 EGV genannten Ziele der "harmonischen Entwicklung
des Wirtschaftslebens" und der "beschleunigten Hebung der Lebenshaltung"
förderten. Inzwischen gehört zu den gleichberechtigten Zielen auch ein
"hohes Maß an Umweltschutz". Mit dem Binnenmarktregime bleibt das ökonomische
Primat jedoch erhalten, da zahlreiche Umweltrechtsakte nicht dem Umweltschutz,
sondern der Verwirklichung des Binnenmarktes dienen. Nationale Umweltmaßnahmen
dürfen nach Art. 95 Abs. 6 EGV keine verschleierte Beschränkung des Handels
zwischen den Mitgliedstaaten darstellen und das Funktionieren des Binnenmarktes
nicht behindern. Diese Vorschrift ist problematisch, da sich die EG anfangs
auf Richtlinien einigte, die minimale europäische Standards festsetzten,
aber die Möglichkeit zur Einführung strengerer nationaler Werte ließ.
Damit wurde gewährleistet, dass einige Staaten überhaupt erst Grenzwerte
einführten, während andere Mitgliedstaaten eigene höhere Standards festsetzten.
Mit dem Binnenmarktprojekt stehen alle strengeren Grenzwerte unter dem
Vorbehalt, ein Handelshemmnis darzustellen. Weitere Schwachpunkte der europäischen Umweltgesetzgebung sind die unzureichende Umsetzung und Anwendung. So werden bereits die im EGV verankerten Prinzipien der Umweltpolitik im Alltag des europäischen Rechtsetzungsprozesses ungenügend berücksichtigt. Das Verursacherprinzip harrt noch immer einer wirklich sichtbaren Befolgung. Eine Möglichkeit wäre es, die Verursachung von Umweltschäden mit Kosten zu belegen. Ein klassisches Instrument hierfür ist die Besteuerung von Energie. Der im März 2003 nach über zehnjähriger Diskussion erreichte Kompromiss über die Energiesteuerrichtlinie kommt dem Verursacherprinzip nicht in Ansätzen nach. Die Mindeststeuersätze für Benzin, Heizöl, Gas und andere Energieträger liegen überwiegend unter den schon bestehenden nationalen Steuersätzen. Für energieintensive Unternehmen ist eine völlige Steuerbefreiung möglich. Lediglich die Beitrittskandidaten werden zu einer deutlichen Erhöhung ihrer Kraftstoffsteuern gezwungen werden. Damit haben die jetzigen Mitgliedstaaten die Chance genutzt, ohne Beteiligung der künftigen Mitgliedstaaten diesen kurzfristig noch einen Wettbewerbsvorteil zu nehmen. So ist die Einigung in erster Linie als ökonomisch motiviert zu verstehen. Zugleich werden eine Vielzahl von Ausnahmen und Schlupflöchern langfristig verankert. Denn einmal Beschlossenes zu revidieren, ist im europäischen Institutionengefüge kaum möglich. Wechselseitige Abhängigkeiten der einzelnen Institutionen und Ebenen sowie die Notwendigkeit, für die Revision einer Entscheidung erneut einen positiven Beschluss mindestens mit qualifizierter Mehrheit zu erlangen, sind nur zwei von vielen Gründen.4 Die dennoch verabschiedeten Rechtsakte im Umweltbereich werden von den Mitgliedstaaten teilweise nur ungenügend umgesetzt. Bei Richtlinien kommt hinzu, dass die Umsetzung in nationales Recht oft schon mangelhaft ist. Selbst die praktische Anwendung des auf EG-Richtlinien basierenden nationalen Rechts sowie von EG-Verordnungen, die unmittelbar gelten, funktioniert nicht problemlos. Die EU als Verursacherin von Umweltproblemen Für die Umsetzung des Vorsorgeprinzips wäre es erforderlich, dass Umweltbelange
auch in den Politikbereichen, in denen Umweltprobleme verursacht werden,
berücksichtigt werden. Sonst schafft die Europäische Union (EU) durch
ihre eigenen Maßnahmen und Regelwerke nur die Umweltprobleme, die sie
an anderer Stelle zu lösen versucht. Das liegt neben dem Primat der Ökonomie
auch an der Entscheidungsstruktur. Der Versuch einer integrierten Umweltpolitik Damit die EG nicht länger zur Verursacherin von Umweltproblemen wird,
ist eine integrierte Umweltpolitik notwendig, in der Verursacherressorts
wie Agrar, Energie und Verkehr sich mit den Umweltfolgen ihrer Handlungen
auseinandersetzen. Deshalb gilt seit 1987 das Prinzip der Berücksichtigung
von Umweltbelangen für alle EG-Politiken. Dessen Umsetzung ist enorm wichtig,
da die Verursacherressorts auch über die Einführung wichtiger Umweltinstrumente
(z.B. Energiesteuern) oder die Abschaffung umweltschädlicher Maßnahmen
(z.B. Subventionen für intensive Landwirtschaft) weitgehend autonom beschließen.
Erst 1998 begann eine systematische Umsetzung des Prinzips. Die Staats-
und Regierungschefs beauftragten den Ministerrat, in seinen unterschiedlichen
Zusammensetzungen (Agrar, Energie, Verkehr usw.) Strategien auszuarbeiten,
wie Umweltbelange im jeweiligen Bereich berücksichtigt werden sollen.
Die vorgeschlagenen Maßnahmen und die Benennung konkreter Akteure, die
für die Umsetzung dieser Maßnahmen verantwortlich sein sollen, sind bei
einigen Räten (Verkehr, Energie) auf den ersten Blick positiv zu bewerten.
Doch handelt es sich dabei lediglich um bereits bestehende Maßnahmen,
wie z.B. die Senkung des Schadstoffausstoßes von PKW oder die Förderung
erneuerbarer Energien. Neue Maßnahmen, gar visionäre Schritte, werden
nicht benannt. Der deutsche Sachverständigenrat für Umweltfragen gesteht
zu, dass Umweltpolitikintegration eine langfristige Aufgabe sei, die nicht
in ein bis zwei Jahren zu völlig problemadäquaten Lösungen führen kann7.
Es ist aber äußerst zweifelhaft, ob auf diesem Weg jemals angemessene
Vorschläge zur Lösung europäischer Umweltprobleme zu erreichen sind. Solange
die Aufgabe der Berücksichtigung von Umweltbelangen allein den FachministerInnen
überlassen wird, werden diese nicht aus ihrer Ressortlogik ausbrechen
können. Die Durchsetzung erfolgversprechender Maßnahmen kann nur erreicht
werden, wenn die Staats- und Regierungschefs im Europäischen Rat sich
dieser Aufgabe in wirklicher Überzeugung annehmen und ihre FachministerInnen
dazu verdonnern. Die Initiierung des bisherigen Prozesses zeigt, dass
dies möglich ist. Doch das Verflachen der Dynamik seit dem Ende der Vorbereitungen
des Gipfels von Johannesburg 2002 weckt Zweifel, ob die Staats- und Regierungschefs
wirklich dazu gewillt sind. Jetzt handeln, statt auf Europa zu vertrauen Der Entwurf einer europäischen Verfassung des Verfassungskonvents gibt
kaum Anlass zur Hoffnung, dass der Stillstand überwindbar ist. Die ökologisch
nachteiligen Zielsetzungen der Agrar- und Verkehrspolitik wurden aus den
bestehenden Verträgen übernommen. In der Entscheidungsstruktur bleibt
die zentrale Rolle des Ministerrats erhalten. Bei den Zielen der EU fehlt
die Erwähnung der ökologischen Dimension einer nachhaltigen Entwicklung.
Diese wird allein auf ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum reduziert.
Das Primat der Ökonomie wird damit noch verstärkt. Zwar wurde die Verpflichtung
zur Berücksichtigung der Umweltbelange in allen Politikbereichen aufgenommen.
Insgesamt spiegelt der Verfassungsentwurf das umweltpolitische "Roll-Back"
aber gut wieder. Ohne Gleichrangigkeit der ökonomischen mit den sozialen
und ökologischen Zielen der Union wird auch der Spielraum des EuGH für
eine umweltfreundliche Rechtssprechung eingeschränkt. Ein Gradmesser für die Qualität der europäischen Umweltpolitik wird die
Umsetzung des Kyoto-Protokolls sein. Hier müssen die EU-Mitgliedsstaaten
dem eigenen Anspruch als Vorreiter gerecht zu werden. Die Lücken und Schlupflöcher
des Protokolls dürfen den EU-Mitgliedern nicht offen stehen. Dänemark,
das Mutterland der Windenergie, ist gerade dabei, sich komplett seiner
Verantwortung zu entziehen und die Reduzierung des eigenen CO²-Ausstoßes
nur durch die Finanzierung von Projekten in Entwicklungsländern zu erreichen.
Angesichts der Schwächen des Klimaschutzabkommens wäre aber ein starkes
Signal der EU nötig, um Klimaschutz nicht zum lästigen Randthema verkommen
zu lassen. Die europäischen Staaten sollten sich selbst zur Einhaltung
des ursprünglichen Verhandlungsangebotes, nämlich Senkung der Treibhausgase
um 15% (statt der vereinbarten 8%) durch Maßnahmen im eigenen Kontinent,
verpflichten! Die endgültige Verabschiedung der Richtlinie für Umwelthaftung wird zeigen,
ob das Verursacherprinzip ernst genommen wird. Der Entwurf sieht vor,
neben Boden und Wasser auch die Artenvielfalt zu schützen. Mit Einbeziehung
dieser "Allgemeingüter" in die juristische Bewertung würde das neue Recht
viel weiter als die bisherigen nationalen Ansätze reichen. Der Entwurf
hat aber viele Schwachstellen. Am gravierendsten sind die Nichteinbeziehung
von Schäden durch Atomenerige und Gentechnik sowie die Haftungsausschlusskritierien
(z.B. Einhaltung der Betriebsgenehmigung, Unkenntnis über schädigende
Effekte einer Handlung). Äußerst problematisch ist auch die fehlende Verpflichtung
zur Versicherung. Ohne europaweite Umwelthaftpflicht wird sich kaum ein
Unternehmen mit den Kosten für eine entsprechende Versicherung belasten
wollen. Michael Gwosdz arbeitet als Seminarleiter für Europa- und Umweltpolitik in der Politischen Bildung im HAUS RISSEN - Internationales Institut für Politik und Wissenschaft (www.hausrissen.org). Anmerkungen: 1 Europäische Umweltagentur 1999, 7
ff. Literatur: Demmke, Christoph, Nationale Verwaltung und europäische Umweltpolitik
- die Umsetzung und der Vollzug von EG-Umweltrecht, in: ders. (Hrsg.),
Europäische Umweltpolitik und nationale Verwaltungen: Rolle und Aufgaben
nationaler Verwaltungen im Entscheidungsprozeß, 1998, 85-127. Links: www.eeb.org: Europäisches Umweltbüro (Dachverband der
Europäischen Umweltverbände) |