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Die UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992 verabschiedete
ein Programm zur "nachhaltigen Entwicklung", das auf einen Bericht der
UN-Kommission für Umwelt und Entwicklung zurückgeht.1
Die nachhaltige Entwicklung ist eine "Entwicklung, in der die Bedürfnisse
der heutigen Generation befriedigt werden sollen, ohne die Bedürfnisse
der kommenden Generation zu gefährden". Seitdem werden dieses Schlagwort
und das dahinter liegende Konzept vermehrt diskutiert.
Die politische Funktion dieses Konzeptes ist, viele unterschiedliche Interessen
zu integrieren und an den Verhandlungstisch zu bekommen und nicht, eindeutige
Leitlinien zu definieren. Bei dem Versuch, das Leitbild der nachhaltigen
Entwicklung attraktiv und praktikabel zu gestalten, wurde dieser Begriff
von den verschiedenen Interessengruppen sehr frei interpretiert und auf
strenge Reduktionsziele verzichtet. In typisch ökonomischer Lesart wird
die Betonung auf "Entwicklung" gelegt statt auf "Nachhaltigkeit" und ökonomische
Entwicklung mit Wachstum gleichgesetzt. Mit dem euphemistischen Schlagwort
der "Entkoppelung von Wirtschafts-wachstum und Umweltbelastung" wird suggeriert,
dass es sowohl für die Industrienationen als auch für die Entwicklungsländer
noch Spielraum für Wirtschaftswachstum gebe und sich das ökonomische und
soziale Ziel der Wohlstandssteigerung einerseits und das ökologische Ziel
der Nachhaltigkeit andererseits nicht widersprächen.
Tatsächlich werden aber ökologische Verbesserungen im Bereich des individuellen
Umweltverhaltens oder der Technik in der Regel durch Steigerung des Konsums,
d.h. durch be-wusst forciertes Wirtschaftswachstum, überkompensiert.2
Das Argument, dass Wirtschaftswachstum in den reichen Ländern notwendig
sei, um Transferzahlungen für Entwicklungshilfe in den armen Ländern zu
leisten, erinnert stark an den "Münchhausen-Effekt", der sich an seinem
eigenen Zopf aus dem Sumpf zieht, und steht im krassen Widerspruch zur
Empfehlung, "der Dritten Welt ein anderes als unser derzeitiges Entwicklungsmodell
zu empfehlen und gleichzeitig vorzuleben".3
Im Gegensatz zu diesem Vorsatz ist eben gerade nicht zu erkennen, dass
sich die sogenannten Schwellenländer ökologischer oder nachhaltiger entwickeln
als die Industrienationen (z.B. beim Individualverkehr und der Kernenergie),
oder dass die Entwicklung der reichen Länder Vorbildcharakter angenommen
hätte. Dabei liegt das Hauptproblem gerade in den Industrienationen, die
bei Debatten um globale Nachhaltigkeit von den ärmeren Ländern deshalb
mit Recht aufgefordert werden, vor ihrer eigenen Tür zu kehren, bevor
sie globale Zukunftspläne entwerfen. 4
Viele der Widersprüche bei der Interpretation des Leitbildes der nachhaltigen
Entwicklung lassen sich auf den Unterschied zwischen Effizienz und Suffizienz
reduzieren. Die Effizienzstrategie versucht, beim gleichen Einsatz von
Ressourcen mehr Wohlstand zu erzielen, indem diese effizienter genutzt
werden. Der Suffizienzgedanke besteht darin, dass ein Wohlstandsniveau
oder bestimmte Errungenschaften als ausreichend betrachtet werden. Je
nach Ideologie wird das eine oder andere zur Lösung der Zukunftsaufgaben
vorgezogen.
Auch wenn der Glaube, dass sich ökonomische, soziale und ökologische
Ziele nicht widersprechen, der sich im gemeinen Verständnis des Begriffs
Nachhaltigkeit offenbart, falsch ist, ist die dahinter stehende Grundidee
einer gegenseitigen Beeinflussung der drei Bereiche umso wichtiger. Diese
Idee ist im Prinzip problemorientiert. Es ist aber fraglich, ob dieses
Leitbild zu einer Verbesserung der Umweltpolitik oder zu tatsächlichen
Verhaltensänderungen geführt hat. In jedem Fall hat das Konzept aber dazu
geführt, dass der Zusammenhang von sozialen und ökologischen Problemen
besser bekannt wurde, um den es im Folgenden geht. Zur Vereinfachung des
komplexen Themas werden im Folgenden ökonomische und soziale Ziele nicht
weiter unterschieden, denn bei den meisten sozialen Forderungen handelt
es sich um Forderungen nach mehr Wohlstand zumindest eines Teils der Bevölkerung.
Sozial-ökologische Probleme
Die Erkenntnis, dass global betrachtet die Lösung der ökologischen Frage
nur gemeinsam mit der Lösung der sozialen Frage gelingen kann, stellt
einen wichtigen Fortschritt im Verständnis der globalen Problemzusammenhänge
dar. Andererseits ist diese Botschaft zum billigen Kernsatz progressiver
Sonntagsreden geworden. Im Folgenden möchte ich den sozial-ökologischen
Zusammenhang diskutieren und auf einige Missverständnisse hinweisen.
Zweifellos untermauern die Mehrzahl der konkreten Probleme und die daraus
abzuleitenden Argumente diesen Zusammenhang. Zum Beispiel ist die Beendigung
von Kriegen in vielen afrikanischen Staaten eine Voraussetzung für den
Aufbau einer Landwirtschaft. Gleichzeitig brauchen diese Regionen ein
funktionierendes Ökosystem, um die Menschen zu ernähren. Dennoch sollte
nicht vergessen werden, dass es sich beim Ökosystem und der Gesellschaft
um völlig verschiedene Systeme handelt, z.B. weil die Natur keine Werte
kennt und ohne die Menschen überleben kann, die Menschen aber nicht ohne
die Natur. Das Ökosystem kann trotz Ungerechtigkeit, Ausbeutung, Hunger
und gewaltsamem Tod von Menschen gut funktionieren. Andererseits kann
es Teilen der Menschheit aber auch gelingen, ihre sozialen Probleme zu
lösen und dabei die Natur zu zerstören. Diese Zuspitzung macht deutlich,
dass Aussagen über den Zusammenhang von sozialen und ökologischen Problemen
zumindest einer groben raum-zeitlichen Einordnung bedürfen. Dabei ist
die regionale und kurzfristige Ebene hervorzuheben, denn hier kann die
Lösung sozialer unabhängig von der Lösung ökologischer Probleme sein:
Eine große Minderheit der Weltbevölkerung hat soziale Probleme durch Wohlstandssteigerung
und technischen Fortschritt gelöst, ohne dass auf ökologische Probleme
geachtet werden musste.
Diese Überlegungen zeigen, dass die enge Verknüpfung sozialer und ökologischer
Probleme nicht falsch ist, aber dennoch eine wesentliche Eigenschaft kultureller
Entwicklung ignoriert: die Trennung von sozialen und ökologischen Problemen
durch Externalisierung, also Verlagerung im weitesten Sinne; zeitlich,
räumlich oder sozial. Auch kann von der Lösung sozialer oder ökologischer
Probleme nicht automatisch eine Besserung der Situation im jeweils anderen
Bereich erwartet werden, denn immerhin ist das historisch dominante Gegenbeispiel
gegen solchen Optimismus die bekannte Schaffung von Wohlstand und materieller
Sicherheit zu Lasten der Umwelt.
Interpretation des Zusammenhangs
Der bisher geäußerte Zweifel am Zusammenhang von ökologischen und sozialen
Problemen sollte nicht missverstanden werden: Grundsätzlich besteht dieser
Zusammenhang und er bildet den Hintergrund zum Verständnis ökologischer
Probleme. Die erwähnte Schaffung von Wohlstand und materieller Sicherheit
in den reichen Ländern ist nicht wirklich eine umfassende Lösung sozialer
Probleme, denn viele Probleme wurden nur in die armen Länder abgeschoben.
Aber aus dem sozial-ökologischen Zusammenhang sollte deshalb nicht auf
eine Art übergeordneter, natürlicher Ordnung oder gar Gerechtigkeit geschlossen
werden in dem Sinne, dass alle Menschen in Bezug auf ihre Abhängigkeit
von der Natur "im gleichen Boot" sitzen. Das hört sich gut an, aber endgültige
Szenarien wie "eine heile Welt für alle" oder "der gemeinsame Untergang"
sind eben unrealistisch. Es ist viel realistischer, dass die oben erwähnte
Externalisierung das Naturverhältnis der reichen Gesellschaften schon
jetzt und in Zukunft noch mehr bestimmt.
Das Beispiel der sozialen Externalisierung oder einfach "Ungerechtigkeit"
zeigt, dass der Zusammenhang von ökologischen und sozialen Problemen doch
immerhin so veränderbar ist, dass er innerhalb der reichen Welt praktisch
keine Bedeutung hat. Für die armen Länder besteht er hauptsächlich darin,
dass sie oft gleichzeitig große ökologische und soziale Probleme haben,
ohne die Chance, die einen mit den anderen lösen zu können.
Für die weitere Betrachtung des Verhältnisses von sozialer und ökologischer
Problematik ist das Verhältnis von Wohlstand und Umweltzerstörung bedeutsam.
Im nächsten Abschnitt soll dieser Zusammenhang auf internationaler Ebene
am Modell der Kuznets-Kurve und am Beispiel des CO²-Ausstoßes diskutiert
werden, bevor dann im übernächsten Abschnitt die nationale Ebene behandelt
wird.
Der Zusammenhang von Wohlstand und Umweltzerstörung
Die meisten Umweltprobleme wurden durch die Wohlstandssteigerung der
letzten Jahrhunderte verursacht. Bei der Produktion dieses Wohlstandes
wurden Ressourcen ausgebeutet, Energie verbraucht und Schadstoffe produziert,
so dass wichtige Stoffkreiskäufe stark und teilweise irreversibel geschädigt
sind. Diese Kausalität ist klarer als allgemein und in politischen Debatten
zu vernehmen ist. Zugegeben, es ist für die KonsumentInnen und für Regierungen
gleichermaßen unattraktiv, Wohlstand als Regelgröße zum Schutz der Umwelt
pauschal zu vermindern. Deshalb wird darüber diskutiert, wie eng der Zusammenhang
zwischen Wohlstand und Umweltzerstörung denn wirklich ist und ob Wohlstand
mit weniger Umweltschäden zu erreichen ist. Die meisten derartigen Überlegungen
folgen der Vorstellung, die in der Kuznets-Kurve5
deutlich wird, nämlich dass der Zusammenhang von Bruttosozialprodukt pro
Kopf und Umweltzerstörung auf internationaler Ebene nicht linear ist,
sondern der Umweltverbrauch ab einem gewissen Wohlstandsniveau wieder
sinkt. Diese Effizienzsteigerung bei der Erzeugung von Wohlstand wird
vor allem von technischen Entwicklungen (alternative Energien, Schadstoffreduktion)
und Verhaltensänderungen (nachhaltiger Konsum, immaterielle Konsumgüter)
erwartet, zusammen mit einem entwickelten System von Normen, Strafen und
Anreizen.
Mir ist kein überzeugender empirischer Versuch bekannt, diesen geringeren
Umweltverbrauch sehr reicher Länder nachzuweisen. Das Hauptproblem dabei
ist sicherlich, die Ökobilanz eines Landes zu erstellen, dessen Wirtschafts-
und Stoffkreisläufe die ganze Welt umspannen. In Ermangelung einer solchen
Bilanz wird häufig die Entwicklung einzelner Parameter pro Kopf oder in
der Gesamtsumme angegeben, die in einigen Fällen tatsächlich positive
Entwicklungen zeigen (z.B. Gewässerverunreinigungen oder der CO²-Austoß
pro Kopf in der BRD).
Das Kuznets-Modell bleibt aber abstrakt, optimistisch und wohl nur in
Teilbereichen der Umweltbelastung zutreffend. Wie stark der in der Kurve
angedeutete positive Effekt eines sehr hohen Wohlstandsniveaus sein müsste,
um zum Umweltschutz beizutragen, soll am Beispiel des CO²-Reduktionsziels
verdeutlicht werden. Bei der CO²-Emission, wie auch bei zahlreichen anderen
Umweltgefährdungen, liegt der pro Kopf Beitrag in den Industrienationen
ungefähr zehnmal höher als in den Entwicklungsländern.
Werden die oben erwähnten Prinzipien der Nachhaltigkeit auf den Ausstoß
des Treibhausgases CO² angewendet, entsteht ein Reduktionsszenario, das
von drei Variablen abhängt. Dies sind die Aufnahmekapazität der Ozeane
und der terrestrischen Biomasse für CO², die Entwicklung der Weltbevölkerung
sowie die CO²-Produktion pro Kopf.
Um die Halbierung der CO²-Produktion bis zum Jahr 2050, die auch von der
deutschen Politik als Klimaschutzziel festgelegt wurde, zu erreichen,
müsste sich die utopisch anmutende Veränderung einstellen, dass in den
Entwicklungsländern weiterhin eine Tonne CO² pro Kopf und Jahr emittiert
wird und in den Industrienationen der Ausstoß von 16 auf 1 Tonne reduziert
wird. Aus dieser Reduktion ergäbe sich beispielsweise ein Kontingent von
einem Liter Treibstoff pro Tag und Person für die gesamten Fortbewegungszwecke.6
Als weiteres Argument für die positive Wirkung eines hohen Entwicklungsstandes
wird häufig angeführt, dass aufgrund von Armut oder mangelnder wirtschaftlicher
Leistungsfähigkeit die Umwelt zerstört wird, z.B. die Abholzung von Regenwäldern
oder verschiedene spektakuläre Umweltkatastrophen im ehemaligen Ostblock
(Aralsee, Tschernobyl etc.). Dass solche Katastrophen von den reichen
und besser organisierten Staaten vor allem im Inland vermieden werden
können, heißt nicht, dass diese Staaten umweltfreundlicher wirtschaften.
Die Luxusgut- oder Postmaterialismus-These
Auch auf nationaler Ebene gibt es Theorien, die der Kuznets-Kurve entsprechen.
Die Luxusgut-These7 oder auch Wohlstands-/Postmaterialismus-These8
besagt, dass ab einem gewissen individuellen Wohlstandsniveau eine Sättigung
materieller Bedürfnisse auftritt und unter anderem durch ein hohes Bildungsniveau
die Selbstverwirklichung und die Suche nach sozialer Partizipation in
den Vordergrund treten. Damit verbunden sei eine zunehmende Sorge und
Verantwortung für die Umwelt. Folgende Zitate nennen weitere Argumente:
Da umweltfreundliches Verhalten oft mit konkreten monetären Kosten verbunden
ist, liegt die Vermutung nahe, dass ein geringeres Einkommen eher auf
ein weniger umweltfreundliches Verhalten schließen lässt. [...] Personen
[sind] nur dann dazu bereit sind, sich mit Umweltproblematiken zu beschäftigen,
wenn primäre Bedürfnisse bereits erfüllt sind.9
Personen aus höheren sozialen Klassen [...] kümmern sich ausgehend von
der Motivationstheorie von Maslow eher um den Luxus der Umweltqualität
als Personen aus niedrigeren sozialen Klassen. [...] Außerdem sprechen
empirische Ergebnisse dafür, dass sich Personen aus einer höheren sozialen
Klasse für effektiver in ihrem Handeln [...] halten als Personen aus einer
niedrigeren Klasse.10
Diese Einschätzungen halte ich für abwegig, denn womit Menschen sich beschäftigen
oder wofür sie sich halten, sagt wenig über die Nachhaltigkeit ihres Verhaltens
aus. Der Fehler liegt darin, dass Umweltbewusstsein als umweltfreundlich
aufgefasst wird. Hier täuscht die Wortwahl einen Zusammenhang vor, den
es nicht gibt, denn wie unten gezeigt wird, hat umweltbewusstes Verhalten
viel weniger ökologische Relevanz als z.B. Verzicht aus Armut.
Zum Konsum auf hohem Wohlstandsniveau kann gesagt werden, dass bei herkömmlichen
Gütern, die in den Nachkriegsjahrzehnten Symbole für Wohlstand waren (Kühlschrank,
Haus, Auto) eine Sättigung möglich ist. Aber in Zukunft ist eine Sättigung
kaum zu erwarten, denn neue Konsumbereiche mit einer anderen Konsumlogik
lösten die alten ab. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie zwar postmaterialistisch,
aber eben nicht antimaterialistisch sind: Reisen und der gesamte Bereich
der Mobilität dienen der Selbstverwirklichung, sind immateriell aber in
hohem Maße umweltschädlich. Die Sozialforschung im Bereich von Konsum
und Lebensstilen hat herausgestellt, dass das Marketing die Entstehung
neuer Lebensstile eng verfolgt, ihr teilweise vorauseilt und erfolgreich
abstrakte, immaterielle Endzwecke wie Gesundheit, Schönheit, Freiheit
und Glück definiert. Auf dem Weg zu diesen Idealen werden KundInnen dann
eine Vielzahl materieller Symbole verkauft, die prinzipiell allein schon
deshalb unerschöpflich sind, weil ihre Hauptfunktion das Erlebnis ist
und nicht ihr Gebrauch.
Der Grund dafür, dass trotz der eindeutig materiellen Konsum-orientierung
reicher Menschen die Luxusgut-These aufrecht erhalten wird, liegt darin,
dass die Konstrukte Umweltbewust-sein und Umweltverhalten verwechselt
werden. Die Luxusgut-These trifft insofern zu, als sich Umweltbewusstsein,
so wie es in Industrienationen verstanden wird, erst auf hohem Wohlstandsniveau
ausbildet. Insgesamt ist die Sorge um die Umwelt in Deutschland aber schwach
ausgeprägt und unterliegt häufig in der Konkurrenz mit anderen Sorgen.
Der Anteil der BundesbürgerInnen, der sich große Sorgen um den Schutz
der Umwelt macht, ist von 61 % im Jahre 1990 auf 27 % im Jahr 2000 gefallen.11
Zwei Gründe wurden für diesen Rückgang festgestellt: Bereits erfolgter
und erfolgreicher Umweltschutz wirkt beruhigend und andere Sorgen, vor
allem um die wirtschaftliche Situation und den Arbeitsplatz, drängen in
den Vordergrund. Der Anteil der Menschen in Deutschland, die sich Sorgen
um die wirtschaftliche Situation machen, ist von 22 % 1990 auf 50 % im
Jahre 1997 gestiegen. Die sozialstrukturelle Verteilung zeigt, dass junge
Menschen, Frauen, Akademikerinnen, Deutsche, GroßstadtbewohnerInnen und
Menschen mit mittlerem Einkommen häufiger Umweltsorgen haben.12
Der entscheidende Kritikpunkt an den obigen Zitaten ist aber wie gesagt,
dass Umweltverhalten für die Natur wichtiger ist als das Umweltbewusstsein.
Interessanterweise verhalten sich Menschen mit größerem Umweltbewusstsein
oder Umweltsorgen nämlich weniger umweltfreundlich. Das liegt nicht daran,
dass Umweltbewusstsein das Verhalten etwa negativ beeinflussen würde,
sondern daran, dass die wichtigste Variable für die Bestimmung von Umweltverhalten
im Sinne von nachhaltigem Konsum das Einkommen ist. Da das Einkommen mit
der Bildung korreliert, ergibt sich eine Art Widerspruch zwischen dem
negativen Einfluss des materiellen Wohlstands und dem positiven der Bildung.
Leider ist der Einfluss des Einkommens auf unseren Konsum viel größer
als der Einfluss der Bildung, so dass letztere allenfalls kleine Korrekturen
bei der Umsetzung des Einkommens in Konsum und damit Umweltbelastung bewirken
kann. Konkret sind dies Möglichkeiten des Umweltschutzes, die sich besonders
den Reichen anbieten: Langlebige Gebrauchsgüter, Konsum von ökologischen
und fair gehandelten Produkten und fortschrittliche Technik zum Energiesparen.
Der Effekt eines solchen nur wenig praktizierten Konsums auf die Umwelt
ist wesentlich geringer als der eher unfreiwillige Beitrag zum Umweltschutz,
den ärmere Menschen dadurch leisten, dass sie weniger Wohnraum und Gegenstände
haben, weniger konsumieren und verreisen.13
Nachhaltigkeit so nicht erreichbar
Die Darstellung des national wie international sehr engen Zusammenhangs
von Wohlstand und Umweltzerstörung ist von Bedeutung für die oben behandelte
Frage nach dem Verhältnis von ökologischen und sozialen Problemen. Wenn
von diesen zusammenhängenden Problemen die Rede ist, sollte deutlich gemacht
werden, dass es dabei nicht in erster Linie um soziale Probleme geht,
die wir alle gern lösen würden (Krieg, Hunger, Gewalt oder Krankheit),
sondern um das soziale Problem unseres Wohlstands, das so betrachtet niemand
in den reichen Ländern "lösen" möchte. Wenn von reichen BefürworterInnen
einer nachhaltigen Entwicklung die Lösung dieses Problems darin gesehen
wird, dass für arme Menschen der Wohlstand vergrößert wird, dann lügen
sie sich in die Tasche oder glauben wirklich, dass eine Effizienzsteigerung
solche Spielräume eröffnet.
Ich glaube eher, dass die Lösung sozialer Probleme durch Wohlstandssteigerung
auf Kosten der Umwelt geht. Eine Lösung ist nur dann umweltneutral, wenn
sich Reiche und Arme beide in Bezug auf das Wohlstandsniveau auf einander
zu bewegen und zwar in gleichem Tempo!
Die Zustimmung für diese Perspektive dürfte in den reichen Ländern nahe
Null liegen. Dort überwiegt die Hoffnung, dass die armen Länder ihre sozialen
und ökologischen Probleme gemeinsam lösen können und die reichen Länder
auf viel höherem Niveau das gleiche tun. Unabhängig davon, ob dieses falsche
Ziel erreicht wird: Die beiden wichtigsten Ziele einer nachhaltigen Entwicklung,
Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlage des Menschen und gerechte Verteilung
von Ressourcen, werden mit der heute dominierenden Auffassung von Nachhaltigkeit
verfehlt.
Rasmus Hoffmann ist Doktorand am Max-Planck-Institut für
demografische Forschung in Rostock.
Anmerkungen:
1 Brundtland-Bericht 1987.
2 Bodenstein, Gerhard et al., Strategische Konsumentscheidungen: Langfristige
Weichenstellungen für das Umwelthandeln, 1997, 82.
3 Sibum, Doris, Zwischen Mythen und wünschbaren Zukünften. Zur Diskussion
über ökologisch nachhaltige Lebensstile, in: Zukünfte 1994, 12-16.
4 Larrère 1997, 218.
5 Siehe Abbildung; vgl. Dasgupta, Susmita et al., Confronting the environmental
Kuznets curve, in: The Journal of Economic Perspectives 2003, 147-168.
6 Milieudefensie, Sustainable Netherlands. Aktionsplan für eine nachhaltige
Entwicklung der Niederlande, deutsch: Institut für sozial-ökologische
Forschung (Hrsg.), 1994.
7 Baumol, William J. / Oates, Wallace E., Economics, Environmental Policy
and the Quality of Life, 1979.
8 Dunlap / Mertig 1996.
9 Luber, Silvia / Scherer, Stefani: Umweltbewusstsein und Umweltverhalten
in den alten und neuen Bundesländern, in: Müller, Walter: Soziale Ungleichheit,
1996, 235-265.
10 Herker, Armin, Eine Erklärung des umweltbewussten Konsumverhaltens:
Eine internationale Studie, 1992, 60.
11 Preisendörfer 1999 und Sozial-Ökonomisches Panel (SOEP) 2001.
12 Citlak, Banu / Kreyenfeld, Michaela, Wahrnehmung von Umweltrisiken
- Empirische Ergebnisse für die Bundesrepublik Deutschland, in: Zeitschrift
für angewandte Umweltforschung 1999, 112-119.
13 Hoffmann 2000.
Literatur:
Brundtland-Bericht: Unsere gemeinsame Zukunft. Bericht der Weltkommission
für Umwelt und Entwicklung, deutsch: Hauff, Volker (Hrsg.) 1987.
Dunlap, Riley E. / Mertig, Angela G., Weltweites Umweltbewusstsein.
Eine Herausforderung für die sozialwissenschaftliche Theorie, in: Diekmann,
Andreas / Jaeger, Carlo C. (Hrsg.), Umweltsoziologie, Sonderheft 36 der
Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 1996,
193-218.
Hoffmann, Rasmus, Nachhaltiger Konsum nur für Reiche? Zum Zusammenhang
von Wohlstandsniveau und Konsumverhalten, Magisterarbeit an der Universität
Freiburg, 2000.
Larrère, Catherine / Larrère, Raphaël, Du bon usage de la Nature.
Pour une philosophie de la Nature, 1997.
Preisendörfer, Peter, Umwelteinstellungen und Umweltverhalten in
Deutschland, 1999.
Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie, Zukunftsfähiges
Deutschland. Ein Beitrag zu einer global nachhaltigen Entwicklung, BUND
/ Misereor (Hrsg.), 1996.
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