Tobias Mushoff |
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Kein Ende der Begehrlichkeiten | Heft
3/2003 nachhaltig gestört Das ökologisch-ökonomische Gleichgewicht Seite 97-99 |
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Folter droht zur polizeilichen Zwangsmaßnahme zu werden |
Der Frankfurter Vizepolizeipräsident Wolfgang Daschner wähnte sich in einer Ausnahmesituation. Er habe die Hände nicht in den Schoß legen dürfen, so der Kriminalbeamte, sonst hätte er sich wegen unterlassener Hilfeleistung oder gar wegen Tötung durch Unterlassen strafbar gemacht. Also wies er die im Entführungsfall Jakob von Metzler ermittelnden BeamtInnen schriftlich an, dem Verdächtigen Magnus G. zunächst mit Gewalt zu drohen und ihm später gezielt Schmerzen zuzufügen, sollte er den Aufenthaltsort des gekidnappten Bankierssohns nicht verraten. Daschners Untergebene zeigten sich in derartigen Foltermethoden offenbar geübt. Die BeamtInnen, so berichtete Magnus G. später seinem Anwalt, hätten unter anderem gedroht, ihm die Zähne auszuschlagen und ihn in eine Zelle zu sperren, in der ihn "zwei Neger" vergewaltigen würden. Daschner ließ gleichzeitig nach einer Wahrheitsdroge suchen und besorgte einen "Übungsleiter", der dem Jura-Studenten erhebliche Schmerzen hätte zufügen sollen, ohne ihn dabei zu verletzen. Bevor es dazu kam, machte der eingeschüchterte Magnus G. seine Aussage. Gegen Daschner und die beteiligten BeamtInnen wurde ein Strafverfahren wegen Aussageerpressung nach § 343 Strafgesetzbuch (StGB) eingeleitet. Was danach folgte, kam einem inszenierten Tabubruch gleich. Der Polizeiführer hatte den ausführlich dokumentierten Vorgang bekannt gemacht und nahm nun allerorts dazu Stellung. Die deutsche Öffentlichkeit quittierte das mit Verständnis, Unterstützung und offenem Beifall. Während Hessens Ministerpräsident Roland Koch noch um menschliches Einsehen warb, begannen das hessische Innenministerium und der Frankfurter Polizeipräsident Weiss-Bollandt bereits, die Folterübungen der Frankfurter PolizistInnen ausdrücklich zu verteidigen. Auf Bundesebene bemühte sich Bundesjustiz-ministerin Brigitte Zypries zusammen mit anderen JuristInnen um Entschuldigungs- und Rechtfertigungsgründe. Und der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes Geert Mackenroth erklärte unverblümt, es seien "Fälle vorstellbar, in denen auch Folter und ihre Anwendung erlaubt sein können", bevor er auf massiven Druck seines Verbandes kräftig zurück rudern musste.1 Sinnvolle Schmerzen Wie bereits in anderen Bereichen der Gefahrenabwehr zeigte sich auch
in der Debatte um die Folter ein alles relativierender Utilitarismus.
Daschner leugnet sogar, dass es sich bei der Gewaltandrohung um Folter
gehandelt habe: "Wenn eine unaufschiebbare polizeiliche Maßnahme getroffen
werden muss und eine andere Möglichkeit nicht besteht, halte ich es nicht
für gerechtfertigt, von Folter zu sprechen. Folter ist die Zufügung von
Schmerzen um der Schmerzen willen, nicht um ein Ziel zu erreichen."2
Körperliche Misshandlungen von potentiellen StraftäterInnen sind also
nach Daschner nur dann unzulässig, wenn sie "sinnlos" sind oder - so müsste
man ergänzen - ausnahmsweise dem Verhältnismäßigkeitsprinzip widersprechen.3
Dass Daschners Folter-Definition reiner Humbug ist, zeigt allein Art.
1 Abs. 1 der UN-Folterkonvention. Danach ist Folter "jede Handlung, durch
die einer Person vorsätzlich schwere körperliche oder seelische Schmerzen
oder Leiden zugefügt werden, z.B. um von ihr oder einem Dritten eine Aussage
oder ein Geständnis zu erlangen [...]." Keine Folter zur Gefahrenabwehr Nach eigenen Angaben versuchte die Frankfurter Polizei mit der Gewaltandrohung
ausschließlich, den Aufenthaltsort des Entführungsopfers zu erfahren und
so dessen Leben zu retten. Sie betrachte ihr Vorgehen als eine Befragung,
also als eine Maßnahme der polizeilichen Gefahrenabwehr. Strategien zur Aufweichung Die Gesetzeslage in Deutschland ist also völlig eindeutig: Das Folterverbot
kennt keine Ausnahme. Das wollen, wie die aktuelle Debatte deutlich gemacht
hat, nicht alle akzeptieren. In den letzten Jahren hat sich insbesondere
der Heidelberger Universitätsprofessor Winfried Brugger um eine Legalisierung
der Folter bemüht.7 Er nimmt eine "Wertungslücke"
bei den gesetzlichen Folterverboten an.8
Der Staat habe eine Schutzpflicht für das Leben und die Gesundheit seiner
BürgerInnen aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 i.V.m. Art. 1 Grundgesetz (GG), die
durch eine zu weite Regelung des Folterverbots eingeschränkt sei und so
zu einem Wertungswiderspruch führe. Diese Wertungslücke müsse vom Staat
geschlossen werden, indem er Ausnahmen vom grundsätzlichen Folterverbot
zulässt. Vom unmittelbaren Zwang zur Folter Ausnahmen vom absoluten Folterverbot sieht das Polizeirecht nicht vor.
Es beinhaltet jedoch Regelungen, welche den Einsatz unmittelbaren Zwangs
gegen "StörerInnen" zulassen. Brugger schlägt eine analoge Anwendung der
in einigen Landespolizeigesetzen normierten Regelung über den so genannten
finalen Rettungsschuss vor.10 Der
Fall des polizeilichen Todesschusses - die Polizei erschießt als letzte
Möglichkeit den/die EntführerIn, um das Leben der Geisel zu retten - sei
mit der Situation vergleichbar, in der sich PolizeibeamtInnen befänden,
wenn es darum gehe, mittels Aussageerpressung, sprich Folter, lebensrettende
Informationen zu erlangen. Auch hier müsse das "unschuldige Leben des
Opfers" nicht zugunsten der Rechtsgüter der StörerInnen geopfert werden.
Eine entsprechende Anwendung dieser Vorschrift schaffe die Möglichkeit,
den Einsatz von Folter als körperlichen Zwang nach den Landespolizeigesetzen
zu vollstrecken. Es ist bezeichnend, dass auch Daschner behauptete, er
habe lediglich "normalen polizeilichen Zwang" angeordnet. Das Folterverbot ist absolut Der von Brugger vorgeschlagene Weg zur Überwindung des Folterverbots
ist jedoch nicht haltbar. Der Möglichkeit einer analogen Anwendung der
Regelung über den polizeilichen Todesschuss ist zu widersprechen. Einmal
abgesehen davon, dass bereits diese Vorschrift in erheblichen Maße bedenklich
ist und auch nicht in allen Bundesländern Eingang gefunden hat,11
liegen beim Verbot der Folter die Voraussetzungen einer Analogie, insbesondere
eine planwidrige Regelungslücke, nicht vor.12
Wirklichkeit und Konsequenz Das entspricht auch der "ratio legis", also dem Kern des absoluten Folterverbots,
der weniger die Körperverletzung betrifft, sondern den Angriff auf die
Würde des Menschen. Und Folter ist ein eklatanter Verstoß gegen die Menschenwürde.
Durch sie werden die Betroffenen zum Objekt staatlicher Maßnahmen. Folter
hat erhebliche Traumatisierungen der Opfer zur Folge. Noch Jahre später,
wenn nicht lebenslang, leiden viele Opfer an den Folgen der Folter in
Form von Selbsthass, Schlafstörungen, Angstzuständen und Depressionen,
die oftmals nicht mehr gänzlich zu therapieren sind.14 Das Folterverbot schützt die Zivilität Weitere Versuche zur Aufweichung des absoluten Folterverbotes und damit
verbunden des Schutzes der Menschenwürde müssen deshalb vehement abgewiesen
werden. Wenn einmal die Schwelle zur legalen Folter überschritten ist,
gibt es nach allen Erfahrungen kein Halten mehr. Denn eingeführte Eingriffsbefugnisse
werden von der Polizei auch extensiv genutzt, wie die jüngste Studie über
das Ausmaß der in der Bundesrepublik stattfindenden Telefonüberwachung
zeigt. Die Aufweichung des Folterverbots würde der Polizei in entsprechenden
Konfliktsituationen den Freibrief geben, Folter als Methode einzusetzen.
Einem grenzenlosen Utilitarismus nach dem Grundsatz "Der Zweck heiligt
die Mittel" wäre Tür und Tor geöffnet, unantastbare rechtsstaatliche Konstanten,
wie die Verbürgung der Menschenwürde, ad absurdum geführt. Beliebig lassen
sich weitere Szenarien entwerfen, in denen der Einsatz von Folter durch
einfache Güterabwägung legitim erscheint. Tobias Mushoff lebt in Bielefeld und promoviert über Polizeirecht. Anmerkungen: 1 Vgl. diverse Zeitungsberichte und
Interviews in: Frankfurter Rundschau (FR) vom 18., 22., 24. und
25.02 sowie 01.03.2003 und Süddeutsche Zeitung (SZ) vom 19.,22.,24.
u. 28.02.2003. |