Stephen Rehmke |
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Deutsche Sühne | Heft
4/2003 Arbeit Ausgrenzung und Ausbeutung Seite 136 |
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Am 10. Juni 1944 überfiel eine Kompanie der SS-Polizeidivision unter Kommando des Hauptsturmführers Lautenbach das mittelgriechische Dorf Distomo, um sich für einen im Nachbarort verübten Angriff der Partisanen zu rächen. Die Deutschen brannten das Dorf nieder und ermordeten wahllos Frauen, Männer und Kinder, darunter Greisinnen und Säuglinge. Heute erinnert eine Gedenkstätte mit den Gebeinen von 218 Opfern an das Massaker. Die Täter wurden nie zur Rechenschaft gezogen, ebenso wie Deutschland eine Entschädigung stets verweigerte. Zu den seinerzeit Getöteten gehörten auch die Eltern der Geschwister Sfountouris, die selbst das Verbrechen knapp überlebten. Sie verlangen nun Schadensersatz. Mit einer entsprechenden Klage waren sie vor griechischen Gerichten anfangs auch erfolgreich, bis das Sondergericht in Athen die Zwangsvollstreckung in deutsches Vermögen in Griechenland verhinderte. Der parallel in Deutschland begangene Rechtsweg scheiterte bislang, zuletzt an dem nun gesprochenen Urteil des Bundesgerichtshofes vom 26. Juni 2003 (Az.: III ZR 245/98). Das Gericht verwies insbesondere auf die völkerrechtliche Lage zur Tatzeit. Danach gebe es bei Verstößen gegen das Kriegsvölkerrecht für einzelne geschädigte Personen keine Ansprüche auf Schadensersatz gegen den verantwortlichen fremden Staat. Auch eine Amtshaftung käme nicht in Betracht, weil es sich bei der Tathandlung um Kriegsgeschehen handelte, das eine Einstandspflicht des Staates generell nicht begründen könne. Tatsächlich lässt sich die diesbezüglich maßgebliche Haager Landkriegsordnung von 1907 auch anders lesen. So sieht das Haager Abkommen nicht nur eine Schadensersatzpflicht für die Kriegspartei vor, deren Streitkräfte gegen humanitäres Völkerrecht verstoßen, sondern beispielsweise auch detaillierte Entschädigungsregelungen für einzelne Betroffene, deren Eigentum in Anspruch genommen wird. Ebenso dürfte die Bewertung der "Sühnemaßnahme" der SS als "Kriegshandlung" kaum zutreffen. Griechenland hatte bereits im April 1941 kapituliert und war seit Monaten von deutschen Truppen besetzt. Die hatten nicht nur die militärische Kontrolle inne, sondern übten auch die Hoheitsgewalt mitsamt sämtlicher Polizeiaufgaben aus. Die Drohung, die der Anwalt der Bundesregierung und einige KommentatorInnen mit dem Hinweis aussprachen, bei einem anders lautenden Urteil wären die deutschen Opfer der alliierten Bombenangriffe ebenfalls klageberechtigt, geht deshalb auch mehr als fehl. Zu deren Zeitpunkt waren die Deutschen noch nicht unter Kontrolle, sondern wehrten sich mit allen Kräften gegen die Konsequenzen ihres Vernichtungsfeldzuges in Europa. Offensichtlich bis heute. Stephen Rehmke, Hamburg |