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  Matthias Lehnert und Thilo Scholle   Forum Recht Home

 

Über Sinn oder Unsinn eines Internationalen Strafgerichtshofs   Heft 4/2003
Arbeit
Ausgrenzung und Ausbeutung

Seite 135-136
Eine Stellungnahme  
 

Das Für und Wider eines ständigen Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) ist in Forum Recht intensiv diskutiert worden.1 Ablehnende Meinungen machten vor allem prinzipielle Einwände gegen den Begriff der Menschenrechte, aber auch die Gefahr der politischen Instrumentalisierung eines solchen Gerichtshofes geltend.2 Diese Einwände sind ernst zu nehmen. Man darf zum einen nicht von Vornherein der Illusion verfallen, den Grund für die Errichtung des Gerichtshofes allein in ideellem, auf die Durchsetzung von Menschenrechten gerichteten Staatshandeln zu sehen. Im Übrigen kann auch die tatsächliche Wirksamkeit durchaus in Frage gestellt werden.
Aus dieser Argumentation aber Konsequenzen für die aktuelle rechtspolitische Praxis abzuleiten, fällt schwer. Sie scheinen von den genannten AutorInnen auch nicht gewollt.3 Denn die Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofs kann durchaus als - wenn auch kleiner - Baustein hin zu einem besseren Schutz elementarer Lebensbedingungen von Menschen dienen.

Menschenrechte im Licht des Kapitalismus

Eine durchweg negative Einschätzung des Gerichtshofs erfolgt im Beitrag von Marek Schauer.4 Schauer stützt sich dabei auf eine bestimmte, sich auf Karl Marx berufende Schule, nach der die Menschenrechte nur Ausfluss bestimmter Funktionsbedürfnisse des kapitalistischen Systems seien. Einzige Funktion von Menschenrechten sei demnach, den Menschen den Verwertungsinteressen des Kapitals genehm zu erhalten. Hauptanknüpfungspunkt ist hier vor allem die Warenzirkulation, deren reibungsloser Ablauf beispielsweise durch die klassischen Freiheits- und Gleichheitsrechte gesichert werden soll.
An dieser Stelle erhält die Argumentation einen ersten Knick. Zum einen ist nicht einsichtig, warum die Ahndung von Tötungsdelikten ausschließlich im Interesse des Kapitalisten an der weiteren Verwertung der Arbeitskraft des Getöteten sein soll. Zynisch kalkuliert mag unter Umständen sogar der Tod von Menschen billiger sein, als deren Erhaltung. Im Übrigen: Sinn auch von Marx' Überlegungen ist es doch wohl, eine Welt zu schaffen, die den menschlichen Bedürfnissen genügt. Das Recht auf Leben dürfte dort enthalten sein.
Wirft man den Blick nun auf das Völkerrecht, entdeckt man dort nach Schauer die gleichen Grundprinzipien: Staaten seien demnach nur existent, um ihrer jeweiligen Wirtschaft im internationalen Konkurrenzkampf die beste Position zu verschaffen; im Rahmen der Globalisierung rücke dies immer mehr in den Mittelpunkt. Der IStGH würde sich in diesen Kampf mit einfügen. Der Streit zwischen den USA und vor allem der EU um die Ratifizierung des Statuts spiegele ebenfalls diesen Konflikt wieder. Die EU befürworte den Gerichtshof vor allem deshalb, um den USA mit Hilfe seiner Instrumente im beiderseitigen Wettlauf um Märkte und Profite Knüppel zwischen die Beine zu werfen.
Eine solche Sichtweise greift unserer Ansicht nach zu kurz. Alle politischen Institutionen bewegen sich im Kontext ihrer jeweiligen historischen und gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse. Mögliche wirtschaftliche Interessen der EU sind Teil dieses Kontextes und können durch gesellschaftlichen Druck beeinflusst und verändert werden!

Den IStGH nicht zu unterstützen, wäre gefährlich

"Jede Stimme für den ICC5 ist eine Stimme für Deutschland und seine hegemonialen Interessen. Wer nach einer kriegsfreien, also einer gewaltfreien und emanzipatorischen Form menschlichen Zusammenlebens strebt, der sollte für die Emanzipation von kapitalistischen Verhältnissen werben anstatt deutsche Plädoyers zu halten" - so das Postulat Schauers.
Die massenhafte Tötung von Menschen ist eine Grausamkeit. Sie zerstört genau das, worum es allen auf die Emanzipation und Freiheit des Menschen zielenden Vorstellungen geht. Dem Menschen eine seiner Würde angemessene Lebensgrundlage zu ermöglichen, ist dann nicht (mehr) möglich. Es kann dahinstehen, warum und wofür getötet wird. Es ist auch möglich, die Gründe, welche die internationalen Vertragsparteien zur Unterschrift unter das IStGH-Statut bewogen haben, durch knallharte wirtschaftliche Interessen zu beschreiben. Diese Feststellung für sich entbindet aber nicht von der Beantwortung der Frage, warum ein solches Gericht nicht trotzdem in bestimmten Grenzen eine positive Entwicklung darstellt. Die schlichte Ablehnung ohne das Aufzeigen tatsächlicher alternativer Anknüpfungspunkte für eine Ahndung schwerster Vergehen gegen die Menschlichkeit ist zu bequem.

Ohne den ganzen Weg sofort zurückzulegen, macht das Statut des IStGH wichtige Schritte. Die Straftatbestände des Völkermordes (Art. 6), des Verbrechens gegen die Menschlichkeit (Art. 7) sowie des Kriegsverbrechens (Art. 8) bilden zusammengenommen eine neuartige Kodifikation. Sie werden der Verantwortung grundsätzlich gerecht, grausame Verbrechen zu verfolgen. Bemerkenswert ist insbesondere, dass weder die Verjährung von Verbrechen noch irgendeine Strafimmunität vorgesehen sind. Auf diese Weise wird es möglich, die Hauptverantwortlichen bis an das Ende ihres Lebens zu verfolgen.
Zwar ist die generalpräventive Wirkung des IStGH skeptisch zu beurteilen. Wirkung zeigen kann der IStGH deshalb aber unserer Ansicht nach vor allem in eine andere Richtung. Insbesondere im Interesse der Opfer und der jeweiligen Gesellschaft sind eine Aufarbeitung und Verfolgung von Verbrechen, die ganze Gesellschaften existentiell bedrohten, unverzichtbar. Eine solche Aufarbeitung und Verfolgung erscheint jedoch ohne eine strafrechtliche Komponente kaum möglich. Es hat sich gezeigt, dass Wahrheitskommissionen - wie beispielsweise in Südafrika - einen Beitrag zu einer solchen Aufarbeitung leisten können.
Eine solche Aufarbeitung setzt aber eine Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse voraus. Die Aufarbeitung der Apartheid wäre ohne ihre vorherige Abschaffung nicht möglich gewesen. Gerade für Länder, in denen die ehemaligen Diktatoren und Folterknechte noch immer gesellschaftlich respektiert und gesetzlich geschützt werden - Chile hier als Beispiel - könnte eine Anklage vor dem IStGH einen Anstoß auch für eine nationale Strafverfolgung bieten.

Die Effektivität des IStGH wird die Zukunft zeigen

Welche Rolle der Internationale Strafgerichtshof bei der Verfolgung und Bekämpfung schwerster Menschenrechtsverletzungen in Zukunft wird effektiv spielen können, ist noch nicht absehbar. Chancen und Risiken seiner Errichtung sind abzuwägen. Den Gefahren der Instrumentalisierung vor allem durch westliche Industriestaaten, dem Mangel eigener Vollzugsorgane sowie der fehlenden Unterstützung durch die mächtigsten Staaten der Erde steht die grundsätzliche Möglichkeit gegenüber, mit Hilfe des IStGH die Ahndung und Aufarbeitung gröbster Menschenrechtsverletzungen zu ermöglichen. Die Ausrichtung Internationaler Institutionen spiegelt die jeweiligen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Machtverhältnisse wieder. Diese Ausrichtung kann durch politische Aktionen verändert werden.
Über die generelle Funktion von Menschenrechten in kapitalistischen Gesellschaften lässt sich diskutieren. Mangels augenblicklicher Alternativen halten wir ein schlichtes "Nein" zum Gerichtshof aber nicht für wegweisend für die weitere Entwicklung zu einer etwas friedlicheren Welt.

Matthias Lehnert und Thilo Scholle studieren Jura in Münster.

Anmerkungen:

1 Susanne Benöhr, "Wir kriegen euch alle - früher oder später", in: Forum Recht (FoR) 2002, 53 ff.; Marek Schauer, Dem deutschen Idealismus entkommen!, in: FoR 2002, 133 ff.
2 Schauer FoR 2002, 133 ff.; Stephen Rehmke, Nachfolgeprozess, in: FoR 2003, 27.
3 Schauer FoR 2002, 135 verneint auch explizit jeden tatsächlichen Nutzen des IStGH.
4 Schauer FoR 2002, 133 ff.
5 International Criminal Court = Internationaler Strafgerichtshof.