Tobias Mushoff |
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Im Zweifel gegen die Freiheit... | Heft
4/2003 Arbeit Ausgrenzung und Ausbeutung Seite 131-134 |
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Einige Überlegungen zur (nachträglichen) Sicherungsverwahrung1 |
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat am Freitag, den 18. Juli 2003 den Eilantrag eines Strafgefangenen aus Sachsen-Anhalt abgelehnt, ihn aus der nachträglichen Sicherungsverwahrung (SV) zu entlassen. Nach summarischer Prüfung stellte das BVerfG fest, dass im konkreten Fall das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit gegenüber dem Interesse des Antragstellers überwiege. Damit sei jedoch keineswegs eine Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des sachsen-anhaltinischen "Gesetzes über die Unterbringung besonders rückfallgefährdeter Personen zur Abwehr erheblicher Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung (UBG)" getroffen worden.2 § 1 I UBG bestimmt: "Gegen eine Person, die in einer Justizvollzugsanstalt des Landes unter den Voraussetzungen von § 66 I Nr.1, 2, II-IV StGB eine zeitige Freiheitsstrafe verbüßt, kann das Gericht die Unterbringung in der Justizvollzugsanstalt anordnen, wenn aufgrund von Tatsachen, die nach der Verurteilung bekannt geworden sind, davon auszugehen ist, dass von dem Betroffenen eine erhebliche gegenwärtige Gefahr für das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung anderer ausgeht, insbesondere weil er im Vollzug der Freiheitsstrafe beharrlich die Mitwirkung an der Erreichung des Vollzugsziels (...) verweigert, namentlich eine rückfallvermeidende Psycho- oder Sozialtherapie ablehnt oder abbricht."3 Eine Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der nachträglichen SV nach dem sachsen-anhaltinischen UBG ist noch in diesem Jahr zu erwarten4 und vor dem Hintergrund weiterer nahezu wortidentischer Regelungen in Baden-Württemberg und Bayern von erheblicher rechtspolitischer Bedeutung. Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit Bemerkenswert ist, dass das BVerfG in seiner Pressemitteilung lediglich formelle Probleme bei der Gesetzgebungskompetenz anklingen lässt5, obschon die SV aus gutem Grunde seit langem kritisiert und ihre Abschaffung gefordert wird.6 Die Möglichkeit, die SV neuerdings nachträglich anzuordnen, spitzt die für die Betroffenen ohnehin schon unerträgliche Situation weiter zu. Nach einem kurzen Überblick zur Geschichte der SV sollen deren verfassungsrechtliche Probleme generell sowie die besonderen Bedenken gegen die nachträgliche SV dargestellt werden. Geschichte der Sicherungsverwahrung Die SV wurde zusammen mit den anderen Maßregeln der Besserung und Sicherung
durch das "Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln
der Sicherung und Besserung" von 24. November 1933 eingeführt.7 Überlegungen
zur Einführung sichernder Maßnahmen wurden - insbesondere durch die Arbeiten
Franz von Liszts - jedoch bereits vor der "Machtergreifung" getroffen,
so dass der SV von der herrschenden Meinung kein spezifisch nationalsozialistisches
Gedankengut bescheinigt wird.8 "Sicherheitshaft für Gewohnheitsverbrecher: Arbeitshaus mit militärischer
Strenge ohne Federlesen und so billig wie möglich, wenn auch die Kerle
zugrunde gehen. Prügelstrafe unerlässlich (...) Der Gewohnheitsverbrecher
(...) muss unschädlichgemacht werden, und zwar auf seine Kosten und nicht
auf die unseren. Ihm Nahrung, Luft, Bewegung usw. nach rationellen Grundsätzen
zuzumessen, ist Missbrauch der Steuerzahler."11 Naucke resümiert treffend,
dass ein "Teil des NS-Strafrechts konsequente Kriminalpolitik im Sinne
des Marburger Programms" Liszts ist.12 Während der NS-Zeit wurden zwischen
15.000 und 16.000 Menschen zur SV verurteilt.13 Die SV fügte sich mithin
in die NS-Kriminal- und Sozialpolitik der "Ausmerzung" missliebiger Personengruppen
ohne weiteres ein. Freiheitsgrundrechte Die SV knüpft i.d.R. an eine bereits langjährige Freiheitsstrafe an.
Auf Grund ihrer unbestimmten Dauer sehen Betroffene oftmals keine Chance,
jemals wieder ein Leben in Freiheit führen zu können. Die Gewissheit,
mit großer Wahrscheinlichkeit niemals wieder aus dem Gefängnis zu kommen,
ist wohl für jeden Menschen eine unerträgliche Vorstellung. Ein solcher
unbestimmter Freiheitsvollzug stellt daher eine enorme Belastung für die
Betroffenen dar. Psychische Erkrankungen (Depression, Hospitalismus, allgemeines
"Abstumpfen") und Suizide sind mit dem Langzeitvollzug der SV verbunden.19
Lang andauernde Haft bringt generell erhebliche gesundheitliche Nachteile
mit sich. Die Kumulation von Freiheitsstrafe und SV führt insofern zu
einer weiteren Verschärfung der gesundheitlichen Situation der Betroffenen.20
Dies wird im Falle der SV bewusst - im Interesse der Allgemeinheit - einkalkuliert.
Die SV verstößt aus diesen Gründen gegen das Verbot seelischer und körperlicher
Misshandlung bzw. unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung
[Art. 104 I 2 Grundgesetz (GG); Art. 3 Europäische Menschenrechtskonvention].21
Ne bis in idem-Grundsatz Die SV verstößt darüber hinaus gegen das Doppelbestrafungsverbot des Art. 103 III GG.24 Nach dieser Vorschrift darf niemand wegen derselben Tat mehrmals bestraft werden. Zwar handelt es sich bei der SV um keine Strafe, sondern um eine Maßregel der Besserung und Sicherung. Doch mit einer solchen formalistischen Sichtweise macht man es sich zu leicht. Der/die Sicherungsverwahrte wird weiterhin im Strafvollzug unterbracht. Den Alltag der Betroffenen berührt der Wechsel von der Strafe in die SV kaum.25 Schon früh etablierte sich von Seiten der KritikerInnen der SV das Stichwort des "Etikettenschwindels".26 Damit ist gemeint, dass die SV für die Betroffenen strafgleichen Charakter hat. Die Behauptung der BefürworterInnen, es handele sich bei der SV nicht um Strafe, ist so lange "Etikettenschwindel", wie sich die Verwahrten weiterhin im Strafvollzug befinden. Vorschläge liberaler StrafrechtlerInnen, die SV in einen "Hotelvollzug" umzuwandeln27, stoßen bei der Bevölkerungsmehrheit auf wenig Verständnis. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz besagt, dass staatliche Maßnahmen, die in die Grundrechte der BürgerInnen eingreifen, geeignet, erforderlich und angemessen sein müssen, um ein legitimes Ziel zu erreichen. Beweispflichtig ist der Staat. Dieser rechtsstaatliche Grundsatz wird bei der Frage, ob vermeintlich gefährliche StraftäterInnen weiterhin eine Gefahr darstellen und ob es keine milderen Mittel gibt, als die TäterInnen in Haft zu belassen - zu denken wäre an ambulante Maßnahmen - nicht hinreichend ernst genommen. Im Falle von Sexualstraftätern besteht die Tendenz, den Straftäter im Zweifel nicht "heraus" zu lassen. Dabei sind geeignete Prognosekriterien, erneute Straftaten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen, aber auch vorauszusehen, nicht bekannt. Insbesondere sind die Kriterien - z.B. der Begriff des "Hangtäters" - völlig unbestimmt, so dass "im Einzelfall (...) ihre hinreichend sichere Handhabung in der Praxis oft kaum möglich ist."28 Letztlich bleibt GutachterInnen nichts anderes übrig als -"nahezu zirkelschlüssig" - eine "aus der bisherigen kriminellen Karriere" des/der Täters/in "hergeleitete Prognose weiterer Auffälligkeit" zu treffen.29 Im Falle der Prüfung der Entlassung von vermeintlich gefährlichen StraftäterInnen
aus der Haft hat ein/e GutachterIn eine Prognose künftiger Rückfälligkeit
abzugeben. Die GutachterInnen stehen dabei unter erheblichem gesellschaftlichen
Druck. Solange "alles gut geht", wird ihre Tätigkeit selten zur Kenntnis
genommen. Wenn ein/e StraftäterIn jedoch rückfällig wird, ist der Sündenbock
- der/die GutachterIn - bereits ausgemacht. Dieser Druck führt dazu, dass
viele GutachterInnen oftmals nicht die Courage aufbringen, Sexualstraftätern
eine Chance zu geben und sich im Zweifel gegen eine Entlassung aussprechen.30
Wenig beachtet wird jedoch, dass auch das Belassen nicht mehr gefährlicher
StraftäterInnen in Haft eine Fehldiagnose darstellt, die ein Leben zerstören
kann. Kriminologische Untersuchungen belegen hohe Fehlerquoten zu Lasten
der Inhaftierten. Die Situation ist aus der Sicht der Betroffenen fatal:
Faktisch müssen sie den Nachweis einer nicht mehr bestehenden Gefährlichkeit
erbringen. Es findet eine Beweislastumkehr statt.31 Wie aber soll der/die
Inhaftierte im Strafvollzug den Nachweis erbringen, dass er/sie keine
Gefahr mehr darstellt? Defizite im Vollzug Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sollen auch die Sicherungsverwahrten Resozialisierungshilfen erhalten. § 129 S. 2 Strafvollzugsgesetz fordert, dass den Sicherungsverwahrten geholfen werden solle, sich in das Leben in Freiheit einzugliedern. Die Praxis der SV wird diesem Anspruch nicht gerecht. Der Vollzug der SV ist i.d.R. bloße Verwahrung.33 Man muss vermuten, dass sich in den Justizvollzugsanstalten auf Grund der Personalknappheit eine Praxis eingeschlichen hat, dass nur noch diejenigen hinreichende sozialtherapeutische Hilfe erhalten, die gemeinhin als resozialisierungsfähig gelten. Auf Grund der zu erwartenden langen Haftdauer bei Sicherungsverwahrten werde diese mehr oder weniger "abgeschrieben." Verschärfung durch nachträgliche SV Die SV ist mit grundlegenden Verfassungsprinzipien in der BRD, insbesondere mit der Achtung der Menschenwürde, nicht zu vereinbaren. Der öffentliche Diskurs über bekannt gewordene - zugegebenermaßen schlimme - Sexualverbrechen an Kindern führte zu einer gesellschaftlichen Stimmung, in welcher die weitere Verschärfung des Sexualstrafrechts und die Einführung der nachträglichen SV möglich wurden. Die nachträgliche SV ist weiteren erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt. Rückwirkungsverbot Das Rückwirkungsverbot des Art. 103 II GG, § 1 StGB garantiert, dass
eine Tat nur bestraft werden darf, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt
war, bevor die Tat begangen wurde. Ob das Rückwirkungsverbot auf die Maßregeln
der Besserung und Sicherung (§§ 61 ff. StGB) anzuwenden ist, ist lebhaft
umstritten, insbesondere weil § 2 VI StGB das Rückwirkungsverbot ausdrücklich
nicht auf die Maßregeln anwendet. 34 Behandlungszwang Die Regelungen der nachträgliche SV manifestieren darüber hinaus einen mit der Würde des Menschen nicht zu vereinbarenden Behandlungszwang. In der sanktionsrechtlichen Wissenschaft herrscht weitgehende Einigkeit, dass eine Zwangsbehandlung verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen ist.37 Das UBG geht von der unhaltbaren Annahme aus, dass der/ diejenige, der/die sich den "Behandlungs"-maßnahmen verweigert, automatisch gefährlich ist, was als Indiz für die Notwendigkeit der SV gilt. Dies läuft jedoch darauf hinaus, dass jede/r Strafgefangene, auf den/die die Voraussetzungen der SV nach dem StGB zutreffen, gezwungen ist, aktiv an seiner/ihrer "Behandlung" mitzuwirken, auch wenn er/sie dies nicht will. Die "Behandlung" unter der Drohung, anderenfalls erfolge u.U. lebenslange SV, ist eine Zwangsbehandlung. Die SV ist mit der Verbürgung der Unantastbarkeit der Menschenwürde in Art. 1 I GG nicht zu vereinbaren. Fragwürdigkeit von Diagnosen Die nachträgliche SV soll der Justiz ein flexibleres Instrument geben, um die Gesellschaft vor Personen, die sich erst im Strafvollzug als gefährlich erweisen, zu schützen. Ein Rückschluss von dem Verhalten einer/s Gefangenen im Strafvollzug auf ihr/sein Verhalten in Freiheit ist jedoch nicht möglich.38 Es ist denkbar, dass Inhaftierte im Vollzug enorm aggressiv sind und anschließend in Freiheit ein völlig normkonformes Leben führen. Doch auch das Gegenteil ist denkbar: Der/die Gefangene beugt sich dem Druck des Gefängnissystems und verhält sich angepasst, wird jedoch nach der Entlassung erneut gewalttätig. Resozialisierungsgebot Darüber hinaus verstößt die nachträgliche Anordnung der SV gegen das
Resozialisierungsgebot. Das BVerfG hat unter Heranziehung des Sozialstaatsgebotes
ein Recht der Strafgefangenen auf Resozialisierung entwickelt.39 Diese befinden sich jedoch in einer unauflöslichen Konfliktsituation zwischen nicht miteinander zu vereinbarenden Anforderungen: Erfolgversprechende Resozialisierung setzt ein Vertrauensverhältnis zwischen den Strafgefangenen und den BetreuerInnen voraus. Der/die Strafgefangene muss sich, damit Therapie einen Sinn macht, gegenüber dem/der BetreuerIn öffnen können, muss von seinen/ ihren u.U. noch vorhandenen Aggressionen sprechen können. Gleichzeitig sind jedoch die PsychologInnen auch GutachterInnen, wenn es um die Frage der Entlassung geht. Die Möglichkeit nachträglich die SV zu verhängen, hängt nun wie ein Damoklesschwert über den Strafgefangenen. Wenn man sich den PsychologInnen öffnet, so die (nachvollziehbare) Vorstellung der Strafgefangenen, bedeutet dies die Gefahr der Anordnung der SV und damit u.U. ein Leben im Gefängnis. Darum scheint es aus der Sicht der StraftäterInnen sinnvoller zu sein, sich nicht zu offenbaren, sich unauffällig zu verhalten, wenn man sich nicht den Weg in die Freiheit verbauen will. Mit diesen Ängsten sind TäterInnen schwerer Straftaten nun ständig konfrontiert. Vertrauen zu einem/einer PsychologIn - und damit Erfolg versprechende Therapie - wird damit unmöglich. Bedrohter Rechtsstaat
Tobias Mushoff lebt und promoviert in Bielefeld. Anmerkungen: 1 Vgl. zur nachträglichen Sicherungsverwahrung bereits: Middelberg, Verena,
Mehr Sicherheit durch Sicherungsverwahrung? In: Forum Recht 2002,
47-48. Literatur: Kamalatta Flugschrift, Totgesagte leben länger, 1992. |