Carsten Stölting |
|
||||
Warten auf ein Antidiskriminierungsgesetz | Heft
4/2003 Arbeit Ausgrenzung und Ausbeutung Seite 128-130 |
||||
Bundesregierung lässt Frist zur Umsetzung europäischer Vorgaben verstreichen |
Mit Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages am 1. Mai 1999 wurde in den EG-Vertrag (EGV) ein neuer Art. 13 eingefügt, welcher eine besondere Kompetenz zur Bekämpfung von "Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung" vorsieht. Die Europäische Union hat daraufhin eine Reihe von Rechtsakten verabschiedet, die Benachteiligungen auf Grund der in Art. 13 EGV genannten Merkmale verhindern soll. So wurde z.B. im Jahre 2000 ein Aktionsprogramm der Gemeinschaft zur Bekämpfung von Diskriminierungen beschlossen, das bis zum Jahr 2006 läuft.1 Zum gleichen Zweck wurden auch mehrere Richtlinien erlassen, die sich z.B. mit Benachteiligungen im Erwerbsleben2 oder der Gleichbehandlung von Frauen und Männern3 befassen. Europäische Vorgaben Teil der auf Art. 13 EGV gestützten Rechtsakte ist auch die im Jahre
2000 erlassene "Richtlinie zur Anwendung des Gleichbehandlungssatzes ohne
Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft".4 Das Ziel eines einheitlichen,
hohen Schutzniveaus vor Diskriminierungen in allen Mitgliedsstaaten soll
durch ein ganzes Bündel von Maßnahmen erreicht werden. Die Mitgliedsstaaten
müssen gem. Art. 3 der Richtlinie unabhängig von Rasse und ethnischer
Herkunft der Betreffenden den gleichen Zugang zu Bildung, Berufsberatung
und anderen sozialen Vergünstigungen gewährleisten. Umsetzungsentwurf Die Bundesregierung war zunächst bemüht, die Frist einzuhalten und wollte sogar noch über die europäischen Vorgaben hinausgehen, was den Mitgliedsstaaten gem. Art. 6 der Richtlinie unbenommen bleibt (sog. überschießende Umsetzung). Zu diesem Zweck legte die damalige Bundesjustizministerin Däubler-Gmelin schon Ende 2001 einen Entwurf für ein "Gesetz zur Verhinderung von Diskriminierungen im Zivilrecht" (BGB-E) vor.5 Danach sollte in das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) ein neuer Untertitel "Verbotene Benachteiligung" mit den §§ 319a bis e eingefügt werden. Der Entwurf erklärte nicht nur eine Diskriminierung wegen der Rasse oder der ethnischen Herkunft für unzulässig, sondern untersagte darüber hinaus auch eine Benachteiligung wegen des Geschlechts, einer Behinderung oder der sexuellen Identität. Soweit dem Verbot zuwider gehandelt wurde, gab § 319e BGB-E der/dem Diskriminierten einen Anspruch auf Abschluss des Vertrages bzw. auf Zugang zu der Organisation, "wenn er ohne Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot geschlossen oder ermöglicht worden wäre". Ein Vertragsschluss sollte jedoch nur dann verlangt werden können, wenn es sich nicht um ein "Beschäftigungsverhältnis oder einen Vertrag, der ein persönliches Vertrauensverhältnis zur Grundlage hat" handelt. Neben diesem Kontrahierungs- bzw. Aufnahmezwang konnten die Geschädigten nach dem Entwurf Unterlassung der Diskriminierung und, soweit die beiden anderen Ansprüche nicht durchgreifen, eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Mit diesen Rechtsfolgen entsprach der Entwurf den europäischen Vorgaben und hätte, wenn er umgesetzt worden wäre, einen sehr weitgehenden Schutz vor Diskriminierungen geboten. Polemische Diskussion Er stieß aber in der rechtswissenschaftlichen Diskussion überwiegend
auf Ablehnung. Befürchtet wurde vor allem, dass durch ein solches Gesetz
die Freiheit der BürgerInnen, selbst zu entscheiden, mit wem sie einen
Vertrag abschließen möchten, zu stark eingeschränkt werde.6 Einige Autoren
prophezeiten gar das "Ende der Privatautonomie". Der Staat wolle den BürgerInnen
mit dem Gesetz seine Moral aufdrücken, wodurch eine "Tugendrepublik der
neuen Jakobiner" entstehen würde, an der "Robespierre seine Freude hätte".7
Wie dieses Zitat schon deutlich macht, wurde die Diskussion von den Gegnern
jedoch in weiten Teilen äußerst polemisch geführt. Einige Professoren
führten bewusst falsche Argumente ins Feld, um den Entwurf zu kritisieren. Mit diesem Beispiel lässt sich der Entwurf jedoch nicht kritisieren,
weil es von ihm aus drei Gründen gar nicht erfasst wird: Zunächst fällt
die Pädophilie nicht unter den Begriff der sexuellen Orientierung in §
319a Abs. 1 BGB-E, denn damit sind ausweislich der Entwurfsbegründung
nur Homosexuelle und Transsexuelle gemeint. Darüber hinaus handelt es
sich bei der Anstellung eines Klavierlehrers um ein Beschäftigungsverhältnis
auf Grundlage eines persönlichen Vertrauensverhältnisses, so dass ein
Anspruch auf Begründung eines Vertrages von vornherein ausscheidet. Und
schließlich ist auch nicht jede Unterscheidung wegen eines in § 319a BGB-E
genannten Merkmals eine Diskriminierung. Diese kann nämlich gem. § 319c
BGB-E zulässig sein, wenn sie durch sachliche Gründe gerechtfertigt ist,
die in dem Beispiel sicher vorliegen. Umsetzungsbedarf Die Richtlinie verpflichtet, wie bereits erwähnt, die Mitgliedsstaaten,
privatrechtliche Organisationen und die einzelnen BürgerInnen. Für die
Bundesrepublik als Mitgliedsstaat bringen die Vorgaben der EU indes nicht
viel Neues, weil es dem Staat schon bisher durch Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz
(GG) verboten war, jemanden aus Gründen der Rasse oder der Herkunft zu
benachteiligen. Was den Anspruch auf Abschluss eines Vertrages betrifft, der aus diskriminierenden
Gründen abgelehnt wird, so lässt sich ein solcher Kontrahierungszwang
ebenfalls aus § 826 BGB herleiten. Die Vorschrift setzt aber eine "vorsätzliche
sittenwidrige Schädigung" voraus, die nur im Ausnahmefall bejaht werden
kann. Dies genügt den europäischen Vorgaben jedoch nicht, zumal der Europäische
Gerichtshof an die Umsetzung von Richtlinien hohe Anforderungen stellt.11
Vertragsfreiheit oder Persönlichkeitsschutz Auch durch diese Rechtsprechung wird die Richtlinie somit nicht umgesetzt.
Deutschland ist daher verpflichtet, eine Regelung zu schaffen, die eine
Diskriminierung auf Grund der Rasse oder ethnischen Herkunft bei Rechtsgeschäften,
"die den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen,
die der Öffentlichkeit angeboten werden, einschließlich von Wohnraum"
sanktioniert. Der Gesetzgeber hat bei der Umsetzung aber einen gewissen
Spielraum, der genutzt werden sollte, um den in der Wissenschaft geäußerten
Bedenken Rechnung zu tragen. Vorschläge für die Umsetzung Ein Antidiskriminierungsgesetz muss effektiven Schutz bieten, ohne die
Vertragsfreiheit zu ersticken. Letzteres ist immer dann der Fall, wenn
überhaupt keine Wahl der VertragspartnerInnen mehr möglich ist, also z.B.
VermieterInnen gezwungen werden, mit Menschen unter einem Dach zu wohnen,
die sie als Personen nicht akzeptieren. Kontrahierungszwänge stellen regelmäßig
keine "verhältnismäßige Sanktion" i.S.v. Art. 15 der Richtlinie dar, sondern
schränken die Vertragsfreiheit übermäßig ein. Sie müssen daher auf die
Ausnahmefälle beschränkt bleiben, die bereits von § 826 BGB erfasst werden. In Bezug auf die Diskriminierungstatbestände ist zu begrüßen, dass nicht nur die Rasse und die ethnische Herkunft in das Gesetz aufgenommen werden, sondern auch noch weitere Merkmale. Dabei sollte man sich an dem in Art. 3 Abs. 3 GG aufgestellten Katalog orientieren, welcher die Merkmale nennt, auf Grund derer besonders häufig diskriminiert wird. Die davon Betroffenen bedürfen eines verstärkten Schutzes, der sich am besten über das Zivilrecht gewährleisten lässt. Ein solches Gesetz würde sicher auch Akzeptanz in der öffentlichen Diskussion finden und könnte kurzfristig umgesetzt werden. Das muss jedenfalls geschehen, wenn sich Deutschland nicht der Gefahr eines Vertragsverletzungsverfahrens aussetzen will. Ein solches wurde von der zuständigen EU-Kommissarin Diamantopoulou bereits angekündigt.17 Carsten Stölting ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bielefeld. Anmerkungen: 1 Beschluss v. 27. 11. 2000, Amtsblatt EG 2000 L 303/23. Literatur: Hennig, Wiebke/Baer, Susanne, Europarecht als Chance, in: Streit 2002, 169-175. |