Reingard Zimmer |
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Die Durchsetzung internationaler Mindeststandards von Arbeitsbedingungen | Heft
4/2003 Arbeit Ausgrenzung und Ausbeutung Seite 125-127 |
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Verhaltencodizes als Ergänzung zum Völkerrecht |
Im Rahmen der Globalisierung sind die meisten Regionen dieser Welt in
die Wirtschaftsstrategien global operierender Unternehmen einbezogen.
Standorte für Produktion und Vertrieb werden nach Marktanalysen und Wirtschaftlichkeitserwägungen
ausgewählt. Die vorgefundene Menschenrechtssituation muss sich diesen
Kriterien unterordnen, z.T. sichern sich multinationale Konzerne maximalen
Profit auch durch erhebliches Unterschreiten der gesetzlichen Mindestlöhne,
Zwangsüberstunden oder drakonische Disziplinarstrafen.1 Das Interesse
vieler Staaten des Südens an ausländischen Direktinvestitionen eröffnet
multinationalen Unternehmen als Gegenleistung oftmals rechtliche Freiräume
in den Gaststaaten, die in Freistellung der Unternehmen von menschenrechtsrelevanten
Teilen der nationalen Gesetzgebung gipfeln, wie beispielsweise in den
"freien Produktionszonen" mittelamerikanischer Länder, wo in "Maquilas"
der Textilindustrie, wie die Nähbatterien dieser Region genannt werden,2
unter menschenverachtenden Bedingungen produziert wird. Kernarbeitsnormen und Mindesstandards der ILO Soziale Mindeststandards beinhalten Regeln für das Verhalten von Unternehmen in den Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen. Als Sonderorganisation der UNO ist die Internationale Arbeitsorganisation (IAO, auf Englisch und im Folgenden ILO) damit befasst, internationale Mindeststandards in den Arbeitsbeziehungen zu erarbeiten und durchzusetzen. 1998 hat sie in der "Declaration on fundamental principles and rights at work" folgende grundlegenden Rechte und Prinzipien zu Kernarbeitsnormen erklärt: Verbot von Zwangs- und Pflichtarbeit, Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen, Abschaffung der Kinderarbeit sowie das Verbot der Diskriminierung bei der Arbeit. Diese Kernarbeitsnormen der ILO ergeben sich aus deren Verfassung sowie den acht ILO-Übereinkommen zu den genannten Bereichen und verpflichten alle ILO-Mitglieder unabhängig von einer Ratifizierung.3 Dagegen verpflichten die von der Internationalen Arbeitskonferenz (IAK) als dem obersten Organ der ILO verabschiedeten Übereinkommen die ILO-Mitgliedstaaten erst nach einer Ratifikation dazu, ihre innerstaatliche Gesetzgebung und Praxis mit deren Bestimmungen in Einklang zu bringen.4 Da die Kernarbeitsnormen der ILO nur die schärfsten Formen von Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft erfassen, sind weiter gehende Schutzmechanismen notwendig, um ein Minimum an sozialer Absicherung zu erreichen. Unter Mindestsozialstandards, die über die Kernarbeitsnormen der ILO hinausgehen,5 fallen Forderungen wie Gesundheitsschutz und Arbeitssicherheit unter Berücksichtigung der vorhandenen Kenntnisse der Industrie und allen besonderen Gefahren, sowie keine übermäßig langen Arbeitszeiten und keine unfreiwilligen Überstunden. Die Vergütung der Arbeitsleistung muss angemessen sein und den Grundbedarf von ArbeitnehmerInnen und ihren Familien decken. Auch ein festes Beschäftigungsverhältnis ist anzustreben. Einige dieser Standards sind ebenfalls Inhalt von ILO-Übereinkommen und in diesen näher definiert. Sanktionsmechanismen der ILO Art. 22 ILO-Verfassung sieht jährliche Staatenberichte über die Umsetzung
ratifizierter Übereinkommen vor. Gewerkschaften und ArbeitnehmerInnenverbände
können dazu Stellungnahmen abgeben. Diese Berichte werden durch einen
unabhängigen Sachverständigenausschuss der IAK geprüft, der die Regierungen
über direkte Anfragen und Bemerkungen auf Unklarheiten oder Widersprüche
zwischen der innerstaatlichen Gesetzgebung und Praxis und den Bestimmungen
der Übereinkommen hinweist.6 Das weitreichendste Kontrollmittel ist die Klage nach Art. 26 der ILO-Verfassung.
Sie kann von Amts wegen durch den Verwaltungsrat, von den Mitgliedstaaten,
vor allem aber durch die Delegierten der ArbeitnehmerInnen oder ArbeitgeberInnen
in der IAK eingeleitet werden. Ist die Klage zulässig, so fordert der
Verwaltungsrat den beklagten Staat zur Stellungnahme auf und richtet eine
Untersuchungskommission ein. Deren Bericht enthält neben Bestandsaufnahme
und Analyse Empfehlungen für Abhilfemaßnahmen und Fristen für deren Durchführung.
Nimmt die betroffene Regierung die Empfehlungen nicht an, so kann sie
den Streitfall dem IGH unterbreiten, was aber in der Praxis noch nie vorkam.7
Werden Empfehlungen nicht befolgt, so kann der Verwaltungsrat der IAK
zwar Maßnahmen empfehlen, die ihm zur Sicherung der Ausführung zweckmäßig
erscheinen, dies ist jedoch in der gesamten Geschichte der ILO nur einmalig
im Falle von Myanmar im März 2000 geschehen.8 Mindeststandards in Verhaltenskodizes Verhaltenkodizes können deshalb unter näher zu beleuchtenden Voraussetzungen
dazu beitragen, Mindeststandards von Arbeitsbedingungen sowohl rechtlich
als auch faktisch durchzusetzen. Solche Codes of Conduct sind Zusagen
und Selbstverpflichtungen von Unternehmen, grundlegende ArbeitnehmerInnenrechte
einzuhalten und zu überwachen.9 Zumeist wird in Verhaltenskodizes Bezug
genommen auf die Kernarbeitsnormen der ILO, teilweise gehen sie auch über
diese hinaus. Verhaltenskodizes können in Abkommen zwischen ArbeitnehmerInnenvertretungen
und Unternehmen festgelegt werden. In der Praxis gibt es Vereinbarungen
zwischen Europäischem Betriebsrat (EBR), Konzernbetriebsrat (KBR) oder
ggf. Weltbetriebsrat (WeltBR) und Unternehmensleitung.12 Eine wichtige
Rolle kommt Rahmenvereinbarungen auf Verbands- oder Konzernebene zu, die
mit Gewerkschaften oder Gewerkschaftsverbänden abgeschlossen werden (Framework
Agreements) - mittlerweile gibt es 16 solcher Vereinbarungen.13 Für Gewerkschaften
stellen die ILO-Kernarbeitsnormen das Minimum dar; Ziel ist es, darüber
hinaus gehende Mindeststandards zu vereinbaren,14 wobei die Abkommen in
der Praxis oft nur die Kernarbeitsnormen beinhalten.15 Kontrollmechanismen Zur Überwachung der Einhaltung von Codes of Conduct ist ein vielfältiges Kontrollsystem entstanden. Aus der Arbeit von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) entwickelten sich Gütesiegel (labels), wie z.B. das Transfair-Siegel, das unter "fairen Handel" auch soziale Mindeststandards fasst, die über die Kernarbeitsnormen hinausgehen.17 Andere Initiativen kommen aus der Wirtschaft oder sind Produkt von Übereinkommen von NGOs und Wirtschaft, wie das Flower Label Programm (FLP). Da sich langsam ein profitabler Markt für das Monitoring von Verhaltenskodizes herausgebildet hat, bieten auch kommerzielle Agenturen diese Dienstleistung an. Eine Zertifizierung erfasst Berichte und Kontrollen durch Wirtschaftsprüfungsunternehmen, die zumeist angekündigte Betriebsbesuche machen und Abläufe sowie Buchhaltung anhand von Checklisten überprüfen.18 Die Zertifizierungsagentur Social Accountability International entwickelte die Norm SA 8000, die unangekündigte Besuche sowie Gespräche mit Beschäftigten und ihren RepräsentantInnen voraussetzt. SA 8000 bezieht sich direkt auf die Kernarbeitsnormen der ILO und geht über diese hinaus. Im Bereich der Auswertung arbeiten, wenngleich in der Minderheit, VertreterInnen von Gewerkschaften und NGOs mit.19 Schwachstellen im Bereich der Überwachung befinden sich auch bei umfassender
Prüfung durch externe und unabhängige Stellen, im Bereich der Subunternehmen
und Zulieferer. Bei langen Produktionsketten mit vielen Zulieferern, wie
beispielsweise in der Bekleidungsindustrie, wo in vielen kleinen Fabriken
oder sogar in Heimarbeit produziert wird, ist eine Kontrolle extrem schwierig,
so dass einige Zertifizierungen wie SA 8000 die Unternehmen ohne Zulieferer
kontrollieren. Vorbildlich ist in dieser Hinsicht etwa das Gütesiegel
Forest Stewardship Council (FSC), welches die Zertifizierung der gesamten
Zulieferungskette voraussetzt.20 Notwendigkeit starker sozialer Bewegungen Das mit der Globalisierung verbundene Anschwellen der weltweiten Güter-,
Dienstleistungs- und Finanzströme hat zwar zu einem rasanten Anstieg des
Weltsozialproduktes geführt, aber die Globalisierungsgewinne sind mehr
als ungleich verteilt. Zudem leben rund 90% der Weltbevölkerung ohne jeglichen
oder mit gänzlich unzureichendem Sozialschutz, jedes Jahr sterben mehr
als eine Million Menschen infolge eines Arbeitsunfalls oder erliegen einer
Berufskrankheit.23 Mindeststandards von Arbeitsbedingungen sind mehr denn
je vonnöten. Zwar hat die ILO in den letzten Jahren Fortschritte bei der
rechtlichen Durchsetzung von Mindeststandards verzeichnen können - so
gab es von 1995 bis 2000 allein 234 neue Ratifikationen der Übereinkommen
zu den Kernarbeitsnormen24 - diese werden jedoch von den Unternehmen oftmals
nicht eingehalten. Reingard Zimmer lebt in Hamburg und promoviert an der Universität Bremen in Rechtswissenschaft. Anmerkungen: 1 Schmalenbach, Multinationale Unternehmen und Menschenrechte, in: Archiv
des Völkerrechts, 2001, 57. |