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Im Zweifel für den Angeklagten   Heft 1/2004
Europavisionen
Ode an die Freude?

Seite 33
 
 

Monatelang verhandelte das Hanseatische Oberlandesgericht (OLG) im Verfahren gegen den Marokkaner Abdelghani Mzoudi. Die Anklage lautete auf Beihilfe zu tausendfachem Mord, Straferwartung: 15 Jahre. Im Näheverhältnis des Angeklagten zu den mutmaßlichen Terror-Piloten des 11. September 2001 erblickte die Bundesanwaltschaft seine Beihilfehandlungen. Mzoudi habe für andere GEZ oder Semesterbeiträge gezahlt und gegen das Meldegesetz verstoßen. Seine Geisteshaltung sei antijüdisch, islamistisch-fundamentalistisch.
In einem fairen Verfahren hat jede Partei gemäß der in Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention garantierten Waffengleichheit das Recht, ihre Sicht des Falles hinreichend unter Bedingungen darzulegen, die sie nicht gegenüber der anderen Partei benachteiligen. Mzoudi war dies lange verwehrt: Die USA verweigerten ihre Zustimmung zur Vernehmung der mutmaßlichen Drahtzieher Ramsi Binalshibh und Kalid Sheik Mohammed. Sperrerklärungen des Bundes verhinderten die Herausgabe der den deutschen Sicherheitsbehörden vorliegenden Aussageprotokolle dieser Zeugen über die Anschlagsvorbereitung - die Unterlagen seien mit der Auflage übergeben worden, sie nicht in Gerichtsverfahren zu verwenden. Wenn so aus Staatsräson die gerichtliche Wahrheitsermittlung weit eingeschränkt und eine gerechte Entscheidung über die Anklage unmöglich gemacht wird, muss ein Staatsschutzsenat sich entscheiden.
In einem vergleichbaren Verfahren in den USA hat das Gericht wegen des fehlenden Zugriffs auf den Zeugen Binalshibh u.a. verfügt, dass gegen den Angeklagten über den 11. September nicht mehr verhandelt werden darf: "Es ist einfach nicht gerecht, vom Angeklagten zu erwarten, sich gegen solche Vorverurteilungen verteidigen zu müssen, während ihm die Möglichkeit genommen ist, Zeugenaussagen vorzulegen, die ihm helfen könnten, diese Anklage zu widerlegen." Andernfalls sei der Angeklagte seines verfassungsmäßigen Rechtes auf ein faires Verfahren beraubt.

Am 27. Verhandlungstag schien das Maß voll zu sein: Aus dem Faxgerät des OLG quoll frühmorgens ein Fax vom BKA. Der Angeklagte sei in die Planungen des 11. September nicht einbezogen gewesen, lautete die Botschaft des behördlichen Schreibens. Konsequenter Weise und zum Schrecken der Anklage nahm es der Vorsitzende zum Anlass, den Angeklagten sofort frei zu lassen, denn er sei der angeklagten Tat nicht mehr dringend verdächtig. Damit bleibt von der Anklage gegen Mzoudi kaum etwas übrig. Die Bundesanwaltschaft kann sich jetzt nur noch damit aus der Affäre ziehen, dass sie ungenügend informiert war. Effektive Zusammenarbeit zwischen Sicherheitsbehörden sieht eigentlich anders aus.

Alex Kratzin, Hamburg