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Kriegswichtig   Heft 1/2004
Europavisionen
Ode an die Freude?

Seite 33
 
 

Zum Mittag des 30. Mai 1999 zog ein kleines Geschwader von F-16-Kampfjets über dem fast wolkenlosen Himmel von Varvarin auf. Die serbische Gemeinde beging an jenem Tag das Dreifaltigkeitsfest und wie jeden Sonntag fanden sich zahlreiche Menschen beim Wochenmarkt ein. In Jugoslawien herrschte Krieg, die NATO hatte das Land zur Verhinderung einer humanitären Katastrophe - wie es hieß - angegriffen. In Varvarin befand sich aber kein Militär, in den Ort führte keine Fernstraße und auch die Brücke konnte mit ihren gerade viereinhalb Metern Breite und der maximalen Belastbarkeit von acht Tonnen kein schweres Kampfgerät tragen. Was hatte Varvarin also von den herannahenden Fliegern zu befürchten? Schreckliches.
Die Kampfpiloten der NATO feuerten mehrere Raketen auf die Brücke. Als schockierte EinwohnerInnen den ersten Opfern zur Hilfe eilten, flogen die Bomber die zweite Angriffswille auf das bereits zerstörte Bauwerk. Das Bombardement kostete zehn Menschen das Leben, 30 weitere wurden schwer verletzt. Das Hauptquartier der Militärallianz erklärte später, ihre Flugzeuge hätten einen legitimen Angriff gegen eine "Autobahnbrücke" geflogen. Eine Lesart, die sich mit den seit 1907 geltenden Regeln des internationalen Kriegsrechts nicht in Übereinstimmung bringen lässt. Nach der Haager Landkriegsordnung und insbesondere dem I. Zusatzprotokoll der Genfer Konventionen von 1977 stellt der Überfall auf Varvarin einen unterschiedslosen, unverhältnismäßigen und ungerechtfertigten Angriff auf die Zivilbevölkerung dar und ist mithin ein Kriegsverbrechen. In Deutschland, dessen Regierung sich vor der Weltöffentlichkeit hinsichtlich des Internationalen Strafgerichtshofs gerne als Wegbereiterin des humanitären Völkerrechts inszeniert, wurde es stets verstanden, die Verantwortlichen des Angriffskrieges vor strafrechtlichen Konsequenzen zu schützen.

35 EinwohnerInnen von Varavarin haben sich deshalb entschlossen, den deutschen Staat nun zumindest in "gesamtschuldnerischer Haftung" zivilrechtlich zur Verantwortung zu ziehen, und klagen auf Entschädigung. Denn die Bundesrepublik plante mit ihren Bündnispartnern nicht nur den Krieg und alle einzelnen militärischen Operationen, sondern besorgte mittels ihrer Luftwaffe auch die Zielaufklärung. Entscheidender ist aber, ob sich die bereits auf völker- wie europarechtlicher Ebene entwickelte Anerkenntnis, dass auch Einzelpersonen wegen Menschenrechtsverletzungen gegenüber Staaten Entschädigungsansprüche geltend machen können, in der Bundesrepublik durchsetzt.
Das Landgericht Bonn lehnte dies in seinem Urteil vom 10. Dezember ab. Die Klagevertretung kündigte Berufung an.

Stephen Rehmke, Hamburg

Infos: www.nato-tribunal.de/varvarin