Klemens Himpele |
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Über Studiengebühren und ihre Erscheinungsformen | Heft
2/2004 freie Leere Bildung für den Wettbewerb Seite 42-44 |
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In der aktuellen politischen Debatte finden sich zahlreiche Vorschläge
zur Begrenzung des Hochschulzugangs- und -verbleibs und zur Neudefinition
des Bildungsbegriffes. Die Angriffe finden hierbei auf zahlreichen Ebenen
statt und fokussieren sich aktuell in der Eliten-Debatte der SPD. Scharnier
und Kristallisationspunkt aller gehandelten Modelle sind verschiedene
Studiengebührenmodelle, die im Folgenden diskutiert werden sollen. Studiengebühren sind gerecht Studiengebühren, so eines der vorgebrachten Argumente der BefürworterInnen,
seien gerecht; schließlich bezahlten ja alle über ihre Steuern das Hochschulstudium,
davon profitierten jedoch nur die Studierenden1. Daher, so eine populäre
Forderung, sollen diejenigen für das Studium bezahlen, die auch unmittelbare
NutznießerInnen des Studiums sind - die Studierenden eben. Es wird übersehen,
dass AkademikerInnen schon heute durch den entgangenen Glättungsvorteil
der progressiven Einkommensbesteuerung mehr an den Staat zahlen als NichtakademikerInnen.
Die durch die längere (Aus-)Bildungszeit bedingte kürzere Lebensarbeitszeit
bei durchschnittlich höherem Lebenseinkommen gegenüber NichtakademikerInnen
führt dazu, dass Studierende in höhere Steuerklassen fallen und somit
nicht nur absolut, sondern auch relativ mehr Einkommensteuern an den Staat
abführen. Somit refinanzieren sie ihren Studienplatz im Durchschnitt schon
durch den höheren Steuersatz. Und: Sollte man das oben genannte Argument
ernst nehmen, so würden zwangsläufig Menschen mit geringerem finanziellen
Hintergrund noch schlechter gestellt, könnten sie sich ein Studium doch
endgültig nicht mehr leisten. Das ‚Langzeit'-Studium Eine gängige Methode zur Steuerung des Bildungsverhaltens ist die Bestrafung
der Studierenden ab einer gewissen Semesterzahl durch so genannte Langzeitstudiengebühren.2
Dies wird gemeinhin als "gerecht" empfunden, suggeriert doch schon der
Begriff, dass "Langzeitstudierende" den Studienplatz über Gebühr beanspruchen.
Dabei wird ignoriert, dass sich diese Studierenden i.d.R. nicht dadurch
auszeichnen, dass das gleiche Seminar drei Mal besucht wird. Vielmehr
strecken sie ihr Studium auf einen längeren Zeitraum und nehmen somit
nicht mehr Leistungen der Hochschulen in Anspruch als Studierende in der
Regelstudienzeit. Des Weiteren sind finanzielle Gründe Ausschlag gebend für lange Studienzeiten.
Je "ärmer" die Eltern sind, desto wahrscheinlicher ist es, LangzeitstudierendeR
zu werden.3 Dies leuchtet ein, verbringen doch 2/3 der Studierenden einen
Teil des Studienlebens damit, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen
- Zeit, die für das Studium nicht zur Verfügung steht. Diese hohe Zahl
jobbender Studierender verweist im Übrigen auch darauf, dass staatliche
Transferleistungen wie das BAföG völlig unzureichend sind. Bildungsgutscheine und nachfrageorientierte Hochschulfinanzierung Als innovative Idee zur Verhinderung von ‚Langzeit'-Studiengebühren stellten die Länder Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz ein Studienkontenmodell vor, das auch in anderen Ländern wie Berlin diskutiert wird. Abgesehen davon, dass die Studienkonten, die in NRW eingeführt worden sind, faktische ‚Langzeit'-Studiengebühren sind, sind Studienkonten lediglich eine Version von Bildungsgutscheinen - und diese sind nicht sonderlich innovativ, sondern lassen sich mindestens auf Milton Friedman, den "maßgebliche[n] Anführer der Keynesschen Gegenrevolution"5 zurückführen.6 Grundgedanke der Bildungsgutscheinmodelle ist, dass jedeR Studierende ein gewisses Kontingent - öffentlich oder privat finanziert - an Semesterwochenstunden oder ähnlichen Maßeinheiten erhält und diese Gutscheine an Hochschulen einlösen kann. Die Hochschulen wiederum erhalten pro eingenommenem Gutschein einen gewissen Geldbetrag vom Staat. Somit wird die Finanzierung einzelner Fachbereiche an die Nachfrage geknüpft. Bildungsgutscheine sind demnach ein allokatives Instrument zur Verteilung öffentlicher Mittel, welche dadurch, dass man zu den Gutscheinen einen private Zahlung verlangt, eingeschränkt werden können und so Studiengebühren ermöglicht werden. Kern dieses Modells ist die nachfrageorientierte Hochschulfinanzierung.
Damit könne man, so die BefürworterInnen, die Hochschulen zwingen, ihr
Angebot zu optimieren, sind sie doch auf viele Studierende angewiesen.
Was bedeutet es aber, wenn die Hochschulen auf Massen angewiesen sind?
Sie werden zunächst gezwungen, Studiengänge mit einer starken Nachfrage
bereitzustellen. Da sich so genannte "Orchideenfächer" gerade nicht durch
eine starke Nachfrage auszeichnen, droht diesen wie auch kleinen Hochschulen
die Pleite. Konsequenter Weise würde eine solche Nicht- bzw. nicht hinreichende
Finanzierung wegen der zu ‚geringen' Nachfrage zur Schließung solcher
Angebote führen. Sollen die Hochschulen über die Nachfrage finanziert
werden, so müssen auch die Arbeitsverhältnisse der Angestellten der Hochschule
weiter prekarisiert werden, schließlich muss das Ausbleiben der Nachfrage
aus Finanzierungsgründen mit Personalabbau beantwortet werden.7 Weitaus tragischer sind jedoch die Konsequenzen für den Hochschulzugang,
unterstellt das Konzept der nachfrageorientierten Hochschulfinanzierung
doch, dass potentielle Studierende auf "Qualitätsmerkmale" reagieren,
d.h., dass ein qualitativ hochwertiges Angebot auch zu einer verstärkten
Nachfrage führt. Wenn dies stimmt, so wird zumindest ein großer Teil der
Studierenden an die beste Hochschule wollen. Da diese ihre Qualität bspw.
durch ein gutes Betreuungsverhältnis und ausreichend Hörsaalkapazitäten
begründet, ist die Hochschule gezwungen, eine Zulassungsschranke einzuführen.
Diese Zulassungsschranke muss jedoch berücksichtigen, dass weniger Studierende
auch Mindereinnahmen bedeuten. Es bietet sich demnach eigentlich nur die
Variation des Preises der Bildungsgutscheine als systemisch logisch an.
Dies wiederum führt zu einer Aufspaltung in teuere ‚Elite'-Hochschulen
und günstigere Hochschulen für den Rest. Auch wenn das derzeitig in NRW
(noch) ausgeschlossen ist, haben wir hier die Folgen der Elite-Debatte
deutlich vor Augen. Nachgelagerte Studiengebühren In der aktuellen Debatte fällt immer wieder das australische Modell der
nachgelagerten Studiengebühren, das Higher Education Contribution Scheme
(HECS) als Vorbild. Dies hat sowohl der thüringische SPD-Chef Matschie
als auch die baden-württembergische Landesregierung schon benannt. Dabei
soll man während des Studiums die Studiengebühren in Form von Schulden
anhäufen und diese Schulden nach dem Studium einkommensabhängig zurück
zahlen. Damit, so die BefürworterInnen, seien diese Gebühren sozial gerecht
und brächten den Hochschulen mehr Geld. Die weiteren Probleme des australischen Modells, wie etwa die Möglichkeit der Direktzahlung bei teilweisem Gebührenerlass oder die Tatsache, dass nur ein Teil der Studienplätze HECS-Plätze sind, seien hier außen vor gelassen, um noch ein paar Spezifika der deutschen Debatte aufzugreifen. So wird in Deutschland davon ausgegangen, dass die Schulden zu verzinsen seien, im Gespräch waren 7 % Zinsen. Damit würden die Schulden weiter explodieren. Bedenkt man, dass die Bundesregierung im Jahr 2001 die Bafög-Schulden auf 10.000 Euro begrenzt hat, weil zu hohe Schulden Menschen aus bildungsfernen Schichten vom Studium abschrecken, so wird deutlich, was für eine Auswirkung nachgelagerte Studiengebühren auf die soziale Zusammensetzung der Studierendenschaften haben. Die Eintreibung von Geldern bei ökonomisch Potenten ist richtig, kann jedoch sinnvoll und gerecht nur über eine progressive Einkommensteuer gewährleistet werden und nicht mit einer Sondersteuer, die sich am formalen Bildungsgrad fest macht. Exzellent und elitär Die Debatte um Elitehochschulen, Einschränkung der Hochschulzugangsberechtigung und Studiengebühren sind jeweils andere Seiten der gleichen Medaille. Es geht darum, soziale Risiken zu individualisieren, d.h., das Studium zu einer Investition umzudefinieren. Bei Investitionen muss eben auch das Risiko der "Fehlinvestition" selbst getragen werden. Studiengebühren verbessern die Stellung von Studierenden nicht, da sie als "KundInnen" noch weniger Einfluss auf die Ausgestaltung der Hochschule werden ausüben können als als Mitglieder mit den derzeit rudimentären Mitbestimmungsrechten. Die Hochschulen müssen sozial durchlässiger werden. Noch immer entscheidet die Herkunft über die Wahrscheinlichkeit eines Studiums. Dies kann weder durch Studiengebühren noch durch Zulassungsbeschränkungen aufgehoben werden - im Gegenteil. Die Debatte über Elitehochschulen lenkt dabei von einem Problem ab, das heute schon existiert, da die Bildungsbeteiligung von ArbeiterInnenkindern denkbar schlecht ist: Wer von Elite spricht, darf von der Masse nicht schweigen. Klemens Himpele ist Geschäftsführer des bundesweiten Aktionsbündnisses gegen Studiengebühren (ABS) beim fzs, Projektleiter Bildungspolitik im AStA der Uni Köln und Mitglied der dortigen Juso-Hochschulgruppe. Anmerkungen: 1 Vgl. Aktionsbündnis gegen Studiengebühren (ABS) beim freien Zusammenschluss
von StudentInnenschaften (fzs) (Hg.), Argumente gegen Studiengebühren.
Eine Widerlegung von Behauptungen, 3. Auflage 2003, 5 ff. |