Tobias Mushoff |
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Bildungslücke | Heft
2/2004 freie Leere Bildung für den Wettbewerb Seite 40-41 |
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Die studentischen Proteste gegen die Studiengebühren lassen deren Hintergründe außer Acht |
Mit dem massiven Sozialabbau verschlechtern sich auch zunehmend die Studien- und Lebensbedingungen der Studierenden. Alle Jahre wieder wird von Seiten der Politik versucht, Studiengebühren einzuführen. Auch wenn sich die an den jüngsten Protestaktionen aktiven Studierenden über großen Zuspruch seitens der Bevölkerung freuen können - in Berlin sollen die Proteste zeitweilig auf bis zu 80 % Zustimmung stoßen1 - scheint ihre Forderung, auf die Einführung von Studiengebühren für alle zu verzichten, auf taube Ohren zu stoßen. Die Niederlage im Kampf um ein gebührenfreies Studium zeichnet sich ab. Dies ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass im bisherigen Diskurs um die Einführung der Studiengebühren nicht im hinreichenden Maße Ideologiekritik an dem Mythos geübt wurde, dass die Studiengebühren von niemandem gewollt, aber aus finanziellen Sachzwängen unumgänglich seien. Der drohende Sozialabbau als Ausgangslage Glaubt man den Verlautbarungen aus der Politik, befindet sich Deutschland
in einer großen Krise. Die Zahl der Arbeitslosen sei so hoch wie lange
nicht mehr und Gesundheitswesen und die Renten seien nicht mehr ohne grundlegende
Kürzungen im Sozialbereich zu bezahlen. Mit der "Agenda 2010" soll "Deutschland
wieder an die Spitze gebracht" werden. Neue Verantwortung wird beschworen,
was nur eine euphemistische Bezeichnung dafür ist, dass die sozial Schwachen
in Zukunft auf sich selbst angewiesen sein werden.2 Die Reaktion der Studierenden Wie schwierig sich die Studierenden im Umgang mit den neoliberalen Forderungen
im Bildungssektor tun, zeigen viele ihrer Protestformen. Diese lassen
oftmals jegliche politische Analyse vermissen. Unter dem Motto "Wir geben
unser letztes Hemd" liefen Gruppen von Studierenden nackt über den Weihnachtsmarkt,
um auf die prekäre Situation an der Uni aufmerksam zu machen, oder schwammen
unter der Parole "Bildung geht Baden" bei eisigen Temperaturen in der
Spree. Ein neuer Sozialdarwinismus Im bisherigen Diskurs hat man den Eindruck, als sei die Forderung nach
der Einführung von Studiengebühren ausschließlich auf die öffentliche
Haushaltslage zurückzuführen.5 Angesichts solcher vermeintlicher Sachzwänge
verwundert es nicht, dass eine Vielzahl der Studierenden sich mit den
Gebühren abfindet, wenn die fälligen Gelder wenigstens ihrer Universität
und damit ihrer Karriere zu gute kommen. Selektive Kürzungen im Bildungsbereich In der Tat steht in vielen Bereichen an den Universitäten heute deutlich
weniger Geld zur Verfügung als noch vor einigen Jahren. Dies merkt man
nicht zuletzt an der schlechteren Bücherausstattung der Universitätsbibliotheken.
Studiengänge werden geschlossen oder in kostengünstigere Bachelor-Studiengänge
umgewandelt. Dass dies aber nicht daran liegt, dass kein Geld da ist,
sondern daran, dass das vorhandene Geld für andere Dinge ausgegeben wird,
liegt auf der Hand. Beobachtet man die Rezeption der Studierendenproteste
in den öffentlichen Medien, bekommt man den Eindruck, als seien die geplanten
Studiengebühren ausschließlich aus Kostengründen gewünscht. Aussagen wie:
"Wenn die Kürzungen im Bildungssektor so weiter gehen, erreichen wir in
zehn Jahren das Bildungsniveau eines Dritte-Welt-Staates"7 sind überzogen
und treffen nicht den Kern. Ähnlich ging es schon immer bei der Förderung der Wissenschaft durch
Drittmittel zu: Diese stehen überall dort großzügig zur Verfügung, wo
sich die Industrie und andere Geldgeber ökonomisch verwertbares Wissen
und Nachwuchs versprechen. Kritischer Output ist nicht gefragt und wird
von vielen ProfessorInnen, die auch in Zukunft auf Drittmittel angewiesen
sind, nicht hervorgebracht. Sozialdisziplinierung durch Studiengebühren Tatsächlich geht es bei den Studiengebühren und dem Abbau von Studiengängen
nicht ausschließlich, ja vielleicht sogar nicht einmal in erster Linie
um fehlende Mittel im Bildungssektor. Diese Einschätzung Bultmanns wird durch jüngste Äußerungen des bayerischen Wissenschaftsministers Thomas Goppel (CSU) gestützt. Bei der Diskussion um die Einführung von Studiengebühren gehe es "nicht darum, das Problem zu lösen, wie man die Hochschulen finanziert, sondern darum, dass wir ein anderes Verhältnis an den Hochschulen schaffen."10 Die Universität soll nicht mehr Bildungs-, sondern Ausbildungsstätte für dem "Wirtschaftsstandort Deutschland" dienlichen Berufen sein. Was die Studierenden davon halten, ist den neoliberalen BildungsreformerInnen egal. Offensive Sollen die Proteste gegen die neoliberalen Bestrebungen im Bildungssektor auf die Dauer Gewinn bringend sein, muss stärker herausgestellt werden, dass die jetzigen Einschnitte in besonderem Maße das Ziel verfolgen, den Studierenden zu diktieren was und wie sie in Zukunft zu studieren haben. Gegen den neoliberalen Diskurs muss das Recht auf ein selbstbestimmtes Studium und auf ein Leben jenseits wirtschaftlicher Verwertungslogik wieder offensiv eingefordert werden. Wenn sich die Kritik an den geplanten und teils schon vollzogenen Umstrukturierungen im Bildungssektor auf die Frage der Gebührenfreiheit bzw. der zweckentsprechenden Verwendung erhobener Gebühren reduzieren lässt, wird es seitens der Politik ein Leichtes sein, dem Protest durch eine Umschichtung der Haushaltsmittel und den zweckgebunden Einsatz der Studiengebühren den Wind aus den Segeln zu nehmen. Tobias Mushoff promoviert in Bielefeld. Anmerkungen 1 die tageszeitung v. 13.12.2003; vgl. Lenzen, Dieter, Präsident
der FU Berlin, Frankfurter Rundschau (FR) v. 13.12.2003. |