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Die einen schreiben sie sich in den Forderungskatalog, die anderen haben
sie sowieso schon im (Partei)Programm: Sowohl bei Studierenden als auch
bei PolitikerInnen wird Chancengleichheit als eine der wichtigsten Einrichtungen
angesehen, die ein demokratischer Staat zu bieten bzw. zu gewährleisten
hat. Im Zuge der aktuellen Proteste wird von Seiten der Studierenden Chancengleichheit
beim Hochschulzugang eingefordert. So lässt sich z.B. in einer Erklärung
des Studierendenparlaments der Uni Duisburg-Essen (und andere im selben
Wortlaut) von der Forderung nach "Reformen zur Sicherung der Chancengleichheit
beim Hochschulzugang"1 lesen oder in der Resolution einer Vollversammlung
der Kölner Uni, dass "nur mit einer Garantie auf kostenfreie Bildung die
Chancengleichheit im Bildungssystem"2 gewährleistet bleibe. Es scheint
sich also um ein hohes Gut zu handeln.
Dabei missverstehen die Studierenden die Intention des Staates. Es wird
angenommen, die prinzipielle Möglichkeit für alle, nach Absolvieren des
Abiturs zu studieren, sei zu ihrem Wohl geschaffen worden. Das gleiche
gilt in Bezug auf weitere vom Staat hergestellte Bedingungen wie die Subvention
von weniger bemittelten AbiturientInnen durch Ausbildungsförderung oder
umgekehrt durch Studiengebührenfreiheit. Was vor und nach dem Studium
war und ist, welche Zwecke der Staat mit diesen Einrichtungen verfolgt
und worum es sich bei der Forderung nach Chancengleichheit eigentlich
handelt, soll hier geklärt werden.
Die studentische Forderung nach Chancengleichheit
Erst mal kann man sich über diese Forderung wundern: Grundsätzlich hat
im Rechtsstaat BRD jede(r) die Chance, sich um einen Studienplatz zu bewerben.
Es gibt ja kein Kastenwesen, in dem nur bestimmte Menschen aufgrund ihrer
Abstammung o.ä. überhaupt etwas lernen dürfen. Das Recht hat hier jede(r)
deutsche StaatsbürgerIn! Explizit von der Erlangung einer Hochschulzugangsberechtigung
und anschließender Hochschulbildung ausgeschlossen ist also von vornherein
niemand. Das hat der Staat so eingerichtet und hält sich dies zugute (es
gibt schließlich Länder, in denen z.B. Frauen überhaupt keine institutionelle
Bildung erfahren). Den FordererInnen der Chancengleichheit muss es also
um etwas anderes gehen als um diese von allen konkret personalen Voraussetzungen
abstrahierende Möglichkeit.
Chancengleichheit in Bezug auf den Hochschulzugang bedeutet bei den Studierenden,
dass alle Menschen dieselbe Chance erhalten, sich unter gleichen äußeren
Bedingungen an einer Hochschule bilden zu können - und dies dergestalt,
dass sie nicht aufgrund ihres Geschlechts, körperlicher Behinderungen
oder materieller Unterbemitteltheit Nachteile im Lehrbetrieb erfahren
oder gar nicht erst zu ihm zugelassen werden. Sie sollen also nicht durch
Umstände in ihren Chancen beeinträchtigt werden, für die sie persönlich
gar nichts können.
Dass Frauen heute studieren, ist nichts Besonderes mehr und RollstuhlfahrerInnen
gehören auch zum normalen Bild in Universitäten. Allein der Nachwuchs
aus materiell weniger begüterten Familien lässt sich das von außen nicht
ansehen; da ist er dennoch - und damit ihm das nicht zum Nachteil gereicht,
soll beispielsweise das Studium nichts kosten, denn Studiengebühren gelten
bei den Studierenden als "sozialer Numerus Clausus", der die weniger Begüterten
vom Studieren abhält. Geschlechtliche, körperliche oder materielle Voraussetzungen
sollen also keine Hürden sein, dafür habe der Staat Chancengleichheit
zu garantieren. Anstandslos vorausgesetzt ist dabei freilich der Besitz
einer Hochschulzugangsberechtigung, zumeist das Abitur. Diese Einschränkung
wird nicht kritisiert, gilt sie doch als der Befähigungsbeweis, an höherer
Bildung teilnehmen zu können.
Zusammenfassen lässt sich das, was Chancengleichheit beim Hochschulzugang
aus Sicht der Studierenden leisten soll, folgendermaßen: "Jede, die will
(und eine Hochschulzugangsberechtigung in der Tasche hat), soll studieren
können." Diejenigen, die es bis zum Abitur geschafft haben, sollen nicht
ausgerechnet wegen ihres leeren Portemonnaies vom Studieren abgehalten
werden. Dass der Staat die Chancengleichheit von Zeit zu Zeit auch mal
anders sieht und dass sie sowieso rein gar nichts mit einem Dienst für
benachteiligte Menschen zu tun hat, sondern dass der Staat sich bei der
Ausgestaltung und Finanzierung des Hochschulwesens etwas ganz anderes
denkt, klärt sich im letzten Abschnitt. Die Zwecke des Staates lassen
sich aber auch schon an der historischen Entwicklung ablesen.
Das war ja nicht immer so ...
Tatsächlich gab es in der Bundesrepublik Deutschland eine Zeit nach dem
zweiten Weltkrieg, in der nur wenige Menschen studierten. So machten in
der Regel weniger als 10 % eines Jahrgangs Abitur, weniger als 10 % durften
also überhaupt studieren. Diese Menschen rekrutierten sich damals fast
ausschließlich aus den besser bemittelten Teilen der Bevölkerung. ArbeiterInnenkinder
waren kaum an Universitäten zu finden, sei es, dass sowieso klar war,
dass sie eine bodenständige Ausbildung machen sollten, sei es, dass ihnen
beziehungsweise ihren Eltern das nötige Kleingeld fehlte, um überhaupt
ans Abitur oder gar an ein Studium denken zu können, wenn die Lehrlingsvergütung
der Kinder im Familienhaushalt schon fest einberechnet war.
10 % waren eindeutig zu wenig, so dass 1964 ein Herr namens Georg Picht,
seines Zeichens Philologe und Philosoph, der sich im "Deutschen Ausschuss
für Bildungs- und Erziehungswesen" engagierte, eine "Bildungskatastrophe"
ausrief.3 Der Grund, warum dies auf einmal zu wenig waren - und dem Aufschrei
voraus gegangen - war die Angst, dass Deutschland in der internationalen
Konkurrenz ins Hintertreffen geraten könne. Dieser Vorgang zeigt, dass
es nicht darum ging, ob SchülerInnen prinzipiell ihr eigenes Interesse
an bestimmtem Wissen befriedigen konnten, etwa ob sie den Satz des Pythagoras
verstanden hätten und falls dies nicht der Fall gewesen wäre, zu überlegen,
wie er ihnen besser zu erklären wäre. Vielmehr waren die Leistungen der
SchülerInnen konkurrierender Nationen der Maßstab und es wurde allein
verglichen, ob der Lernstoff in anderen Staaten besser oder schlechter
verstanden wurde.4 Der Sputnik-Schock versetzte 1957 die gesamte westliche
Welt in die Furcht, gegenüber dem Ostblock auf dem Gebiet der technologischen
Entwicklung zurückzufallen. Aber nicht nur Blockkonkurrenz, sondern v.a.
das Abfallen der deutschen gegenüber anderen Nationen war oberstes Staatsproblem,
das es in jedem Fall zu verhindern galt. Dies war denn auch der Grund
für die Ausrufung eines Bildungsnotstands.
Der Bildungsnotstand
Picht malte dabei das Schreckensbild eines von Frankreich angeführten
Europas der 70er Jahre. Deutschland würde seine führende Rolle in Europa
verlieren, da sein geistiges Potential (nach Picht die AbiturientInnen)
gegenüber dem Frankreichs aufgrund der Rückständigkeit des deutschen Bildungswesens
schwer ins Hintertreffen geraten würde. Denn, so wusste Picht, an diesem
geistigen Potential hängt die wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit und
politische Stellung des Staates. Mit dieser Schreckensvision vor Augen
machte sich die deutsche Politik daran, Instrumente zu schaffen, die es
ermöglichen sollten, die AbiturientInnenquote (und damit die Zahl der
potentiellen Studierenden) zu erhöhen.
Dieser behauptete, direkte Zusammenhang von wirtschaftlichem Wachstum
und einer großen Anzahl studierter Menschen existiert in dieser Form allerdings
nicht. AkademikerInnen sind nie der Grund für wirtschaftliches Wachstum,
ihre Anwesenheit stellt lediglich eine günstige Bedingung für Investitionen
und damit Wachstum dar. Der ausschließliche Grund für wirtschaftliches
Wachstum im Kapitalismus ist die Investition von Kapital. Dies wird eher
investiert, wenn der Standort die passend ausgebildeten Arbeitskräfte
vorweisen kann - es wird aber nie investiert, nur weil es am Standort
studierte Arbeitskräfte gibt, sie stellen lediglich einen Faktor in den
Kalkulationen der KapitalistInnen dar.
Um dafür zu sorgen, dass mehr Eltern ihre Kinder auf Gymnasien schickten,
wurde z.B. das SchülerInnen-BAföG eingeführt. Auch die Werbetrommel wurde
für die Bildung gerührt, um den Menschen die Vorteile einer universitären
Ausbildung nahe zu bringen. Denn das eigene Kind "sollte es ja mal besser
haben" als man selber. Die Hochschulbildung sollte also der Schlüssel
sein, der nicht nur geistigen Reichtum herbei-, sondern auch aus materieller
Misere herausführen sollte. Ergebnis der Bemühungen war ein Anstieg der
AbiturientInnenquote auf ca. 35 %, das Ziel war also erreicht. Endlich,
so die Kalkulation der Politik, sei Deutschland wieder in der Lage, den
anderen Nationen in der Staatenkonkurrenz Paroli zu bieten.
Diese Instrumente stellten eine Ergänzung des deutschen Bildungssystems
dar, mit der sich je nach staatlicher und wirtschaftlicher Bedarfsprognose
eine einigermaßen bestimmte Verteilung der Kinder auf die verschiedenen
Schultypen bewerkstelligen ließ. Es ging also bei der damaligen Bildungsreform
nicht darum, die Menschen besser auszubilden, Wissen zu vermitteln, damit
das gemeinsame Zusammenleben qua effektiverer Beherrschung der Natur durch
gut ausgebildete Individuen angenehmer und luxuriöser für alle wird. Der
Zweck bestand, wie gezeigt, vielmehr darin, einem befürchteten Versagen
Deutschlands in der Staatenkonkurrenz entgegen zu wirken - das Mittel,
mit dem dies erreicht werden sollte, war, eine größere Zahl von HochschulabsolventInnen
zu schaffen, die sich dann für Staat und Kapital nützlich machen bzw.
selbst Führungsaufgaben übernehmen konnten. Der entscheidende Witz, auf
den später noch näher einzugehen ist: Chance bedeutet nicht Sicherheit!
Man ist vollständig davon abhängig, dass die eigenen Fähigkeiten von KapitalbesitzerInnen
nachgefragt werden.
Bildungspolitisch firmieren diese staatlichen Maßnahmen nun unter dem
Label "Chancengleichheit", die, schaut man genauer hin, noch einiges an
Überraschungen bereithält.
Was es mit der Chancengleichheit auf sich hat ...
Wer über Chancengleichheit spricht, muss sich erst einmal klar machen,
worin die Chance besteht, die da für alle gleich sein soll. Erst dann
lohnt es sich, darüber nachzudenken, ob die Forderung danach überhaupt
ein sinnvolles Unterfangen ist (und dann vielleicht noch, ob Forderungen
an den Staat allgemein sinnvoll sind).
Es gibt in diesem Staat zu einem bestimmten Zeitpunkt ein bestimmtes Quantum
an zu besetzenden Arbeitsplätzen. Auf die Art und Anzahl hat man keinen
Einfluss, denn Arbeitsplätze werden vom Kapital ausschließlich je nach
Nutzen für den Profit geschaffen, erhalten, aber auch gestrichen; klar
ist nur: Einen dieser Arbeitsplätze will man haben. Dass man das will,
weiß auch der Staat, schließlich hat er die Verhältnisse so eingerichtet,
dass das Leben ohne Lohnarbeit ziemlich mies aussieht - womit nicht gesagt
sein soll, dass es mit Lohnarbeit unbedingt viel rosiger wäre. Denn um
die eigenen Bedürfnisse zu befriedigen, braucht man bekanntlich Geld,
und das gibt es nur gegen Lohnarbeit. Dabei sind die gut bezahlten Jobs
etwas rarer und an mehr Voraussetzungen geknüpft. Ein Haupt- oder Realschulabschluss
zählt hier nicht, es muss schon ein höherer Abschluss her. In der Regel
fängt man u.a. deswegen auch ein Studium an: Am Ende soll auf dem Gehaltsscheck
mehr drauf stehen als bei normalen ArbeiterInnen, sei es als besser bezahlte
LohnarbeiterIn, als Führungsperson in einem Unternehmen oder im Staatsapparat.
Die Menschen stehen also gegenüber den verschiedenen Lohnarbeiten (der
Quelle ihres Lebensunterhalts) in Konkurrenz zueinander. Es wird nun aber
nicht gewürfelt, wer den Job bekommt, sondern der/die am besten dafür
geeignete BewerberIn soll ihn bekommen. Um herauszufinden, wer der/die
Beste ist, wird beginnend mit der Grundschule ein Konkurrenzverhältnis
eingerichtet, durch das sich Leistungshierarchien ergeben sollen. In der
Schule sieht dies so aus, dass anhand eines für alle gültigen Maßstabs,
den Noten, die Leistungen "objektiv" verglichen werden können. Auch so
genannte Alternativschulen bilden hier keine Ausnahme, da auch dort spätestens
beim Abitur Noten vergeben werden.
Leistung statt Herkunft
In Deutschland unterliegen alle Menschen der Schulpflicht, kommen also
um den Leistungsvergleich in der Schule nicht herum, der diese Hierarchie
herstellen soll. Neben der Vermittlung einer grundlegenden Bildung ist
also die Selektion von SchülerInnen Hauptzweck der Schule. Ein bestimmter
(kleinerer) Teil verlässt die Grundschule mit einer Empfehlung für das
Gymnasium, der Rest verteilt sich auf Haupt- und Realschule.
Und damit auch wirklich die Leistungsbesten herausgefunden werden, werden
alle SchülerInnen denselben Bedingungen ausgesetzt. Söhne reicher Eltern
bekommen keine besseren Noten, weil sie reiche Eltern haben, dass der
Vater Minister ist, hat auf die Bewertung seiner Tochter durch den Lehrer
keinen Einfluss, und dass jemand eine adelige "Abstammung" hat, verschafft
ihm auch noch keinen Vorteil in der Schule. Zumindest sollte das aus Sicht
des Staates so sein. Wenn dies in der Realität manchmal anders läuft,
geht das den Interessen des Staates zuwider und er versucht beständig,
solche Bevorzugung zu verhindern. Alle TeilnehmerInnen sollen einer formalen
Gleichheit ausgesetzt werden, um dadurch ihre Ungleichheit in ihren schulischen
Leistungen festzustellen - und danach zu sortieren.
Dass dabei regelmäßig ArbeiterInnenkinder schlechter abschneiden und
sich die Leistungsbesseren doch in einem gewissen Rahmen aus der materiellen
Oberschicht rekrutieren, ist dem Staat herzlich egal. Denn, wie schon
gesagt, ist der Staat eben kein Kastenstaat, der den Kindern von Papis
im Blaumann und Muttis mit Schürze verbieten will, sich dem Kapital auch
in höheren Positionen zur Verfügung zu stellen: Wenn jemand dem Profit
nützlich sein kann, dann soll er das natürlich auch dürfen. Umgekehrt
hat der Staat kein besonderes Interesse daran, dies solchen Kindern zu
ermöglichen, falls es bereits genug Arbeitskräfte gibt. Sein Interesse
an der Chancengleichheit besteht nicht darin, eine planmäßige Verteilung
der notwendig anfallenden Arbeiten zu gewährleisten, sondern einen Pool
zu schaffen, der eine bestimmte Nachfrage von Arbeitskräften decken kann.
Das ist auch der Unterschied zwischen den IdealistInnen unter den FordererInnen
von Chancengleichheit und dem Staat: Chancengleichheit ist eben kein Dienst
für die Menschen, sondern das Mittel für ihre zahlenmäßige Sortierung
in bestimmte Qualifikationsniveaus (z.B. über AbiturientInnenquoten).
Die ungefähre Menge ergibt sich aus staatlichen Bedarfsprognosen und am
Ende steht eine mal größere und mal kleinere Anzahl höher qualifizierter
Menschen. Wenn der Staat merkt, dass es genug ausgebildetes Personal in
einem bestimmten Bereich gibt, konstatiert er z.B. eine "Akademikerschwemme"
und sorgt mit seinen Mitteln dafür, dass diese "Schwemme" wieder eingedämmt
wird, z.B. durch die Verschärfung der Zugangsbeschränkungen oder die Kürzung
seiner Ausbildungsförderung.
Die FordererInnen von Chancengleichheit unterliegen hier einer Verwechslung
von Zweck und Mittel: Zweck ist es, einen bestimmten Bedarf an qualifiziertem
Arbeitspersonal zu bedienen. Das Mittel dafür (- das die Fans der Chancengleichheit
für den Zweck halten) ist, einen gewissen Ausgleich für die materiell
Unterbemittelten zu schaffen. Wenn der Bedarf kleiner wird, werden auch
diese Zuwendungen geringer, denn sie waren lediglich Mittel. Härter ausgedrückt:
Menschenmaterial, bestimmt zur späteren Verwertung, sonst nichts. Daher
machen auch Forderungen nach mehr Chancengleichheit nicht den geringsten
Sinn, sondern zeugen eher vom Unverständnis der eingerichteten Verhältnisse.
Chancengleichheit ist immer die Voraussetzung und das Mittel, um Ungleichheit
in der Leistungsfähigkeit herauszufinden, die für die ständige Konkurrenz
benötigt wird. Das ist das Interesse des Staates, und dessen BerufsnationalistInnen,
die auch die derzeitigen bildungspolitischen Maßnahmen beschließen, wissen
ganz genau, welche Härten sie den Studierenden aufbürden.
So muss jede Forderung in dieser Sache an den Staat notwendig ins Leere
laufen: Er hat das so eingerichtet und gestaltet es den Zwecken entsprechend
aus, die Staat und Kapital gerecht sind. Dass dabei den Studierenden (und
derzeit nicht nur denen!) ordentlich durch Studienkonten o.ä. geschadet
wird, ist kein Widerspruch, sondern notwendiges Resultat der Brutalität
des Bildungswesens in der sozialen Marktwirtschaft. Wenn der prognostizierte
Bedarf an universitär ausgebildeten Menschen größer ist, wird die Förderung
verstärkt, das BAföG erhöht, die Kriterien abgesenkt etc. und wenn der
Bedarf sinkt, das Ganze einfach umgedreht. Daran ist ersichtlich, dass
Bildung keine gesellschaftlich bestimmende Größe ist, sondern nur eine
Variable im kapitalistischen Konkurrenzkampf.
Diese staatlichen Bedarfsprognosen können sich durchaus als falsch erweisen,
wird in ihnen doch zumeist wirtschaftliches Wachstum unterstellt. Tritt
dieses z.B. nicht ein oder verlagert sich der wirtschaftliche Bedarf auf
andere Bereiche, so haben zwar viele Menschen einen Hochschulabschluss,
der zu Beginn des Studiums wie ein Garant auf einen Beruf aussah, am Ende
des Studiums aber auf einmal nicht mehr nachgefragt wird.
Auch die Schaffung der Chancengleichheit für Frauen und körperlich Behinderte
ist keine Menschenfreundlichkeit. Denn was gibt es gegen einen "genialen"
Physiker im Rollstuhl (um eines der Klischees zu bedienen) einzuwenden?
Das denkt sich auch der Staat und gibt auch solchen die Möglichkeit, an
der Konkurrenz teilzunehmen. Es wäre ja auch schön blöd, wenn dem Staat
oder dem Kapital so ein schlauer Kopf durch die Lappen geht und zu minderen
Arbeiten herangezogen würde.
Garantierte Chancen
In der Grundschule wird also über die grundsätzlichen Lebenschancen des
Kindes entschieden. Wer auf ein Gymnasium kommt, wird dafür schon etwas
geleistet, nämlich sich im Vergleich der schulischen Lernleistung hervorgetan
haben. Auf dem Gymnasium geht es mit der Konkurrenz weiter, nicht wenige
geben unterwegs auf (und landen auf einer Realschule, mit entsprechend
schlechteren Aussichten) oder beenden nach der zehnten Klasse das Gymnasium.
Diejenigen, die bis zum Abitur durchhalten, werden mit der Möglichkeit
belohnt, ihre Bildung an einer Hochschule fortzusetzen - ab jetzt allerdings
freiwillig und ohne den Zwang einer Schulpflicht, aber notwendig für die
Chance auf die besser bezahlten Arbeitsplätze.
Der Witz an der Sache ist, dass alles immer nur Chance bleibt. Man kann
sich in der Konkurrenz noch so anstrengen, nicht die Leistung selbst und
schon gar nicht der Wille dazu zählen, sondern der Platz in der Leistungshierarchie.
Die eigenen Anstrengungen erfahren hier eine Relativierung an denen anderer.
Ob sich eine Chance in einen Erfolg verwandelt, hängt vom Vergleich ab,
ist also ein Ergebnis von Konkurrenz. Das ist spätestens dann spürbar,
wenn man es von 50 BewerberInnen auf einen Job auf Platz zwei geschafft
hat. Dann hat nämlich die ganze Anstrengung nichts gebracht, den Job hat
trotzdem einE andereR. Gleichzeitig ist das auch der Grund, warum man
die Anstrengung nicht einfach weglassen kann. Denn um überhaupt eine Chance
zu bekommen, es zu etwas zu bringen, ist die Leistung unerlässlich - nur:
Leistung allein garantiert noch gar nichts, erst im Vergleich zu anderen
lässt sich absehen, ob sie sich gelohnt hat oder nicht.
Der eigene Erfolg in der Konkurrenz ist damit aber auch immer ein Schaden
für die Anderen. Wenn man selbst den Job bekommt, haben andere ihn nicht.
Das erworbene Wissen wird zudem völlig entwertet, wenn es nicht nachgefragt
wird, sprich, wenn man sich damit nicht nützlich für das Kapital oder
den Staat machen kann, z.B., weil der Bedarf am eigenen Wissen gedeckt
oder nicht (mehr) vorhanden ist. So kann der Dipl. phil. zwar auf Partys
mit seinem tiefgründigen Wissen über allerlei kategorische Imperative
und das kollektive Händeschütteln beim Gesellschaftsvertrag großen Eindruck
schinden; wenn dieses Wissen keine anderweitige Verwertung erfährt, bleibt
dem Philosophen oft wenig anderes übrig, als sein Wissen als Taxifahrer
an seine Fahrgäste weiterzugeben - wenn er denn Auto fahren kann.
Erst wenn alles bis jetzt Gesagte als gegeben akzeptiert ist, kann man
ohne schlechtes Gewissen Chancengleichheit beim Hochschulzugang fordern.
Der eigentliche Zweck dieser Gleichheit (so er überhaupt erkannt wurde),
wird überhaupt nicht in Frage gestellt, es solle halt etwas gerechter
ablaufen, soll wohl bedeuten, es sollten doch ein paar mehr ArbeiterInnenkinder
studieren können - dann ist ja auch erst mal wieder gut. Diejenigen, die
mehr Gerechtigkeit fordern, können nur meinen, dass es eben ungerecht
sei, wenn das im Vergleich zum Kind reicher Eltern viel leistungsfähigere
ArbeiterInnenkind nicht auf die Uni darf, nur weil es sich das nicht leisten
kann. Als Kritik bedeutet dies nicht mehr, als dass die Leistungsbesten
ganz und gar unabhängig von den personalen Voraussetzungen nach oben kommen
sollten - hier wird lediglich ein Konkurrenzideal postuliert!
Die Kritik der Einführung eines "sozialen Numerus Clausus", wenn die Hochschulbildung
nicht umsonst ist oder kein materieller Ausgleich geschaffen wird, entbehrt
nicht einer gewissen Lächerlichkeit: Wenn die Beschwerde darüber überhaupt
stattfinden muss, dann sollte sie nicht erst da beginnen, wo die Chose
bereits gelaufen ist und es nur noch um die Ausbildungsbedingungen derjenigen
geht, die es eh schon geschafft haben. Dass ein Großteil der Bevölkerung
von dieser höheren Bildung per se ausgeschlossen ist, interessiert nicht.
Die Beschwerde über fehlende oder mangelnde Chancengleichheit macht eigentlich,
egal wo sie anfängt, nur sehr begrenzt Sinn, denn selbst wenn alle Menschen
einen materiellen Ausgleich zur Herstellung der Chancengleichheit erhielten,
so wären sie immer noch gezwungen, gegeneinander zu konkurrieren - das
Ergebnis bestünde lediglich darin, dass ein paar ArbeiterInnenkinder mehr
auf ManagerInnenposten säßen und die, die dort eigentlich gesessen hätten,
arbeitslos wären. Höflich gefragt: Greift die Forderung nach Chancengleichheit
also nicht ein wenig zu kurz?
Sozialreferat des AStA FU Berlin
Anmerkungen:
1 Resolution vom 11.11.03, www.uni-duisburg.de/ASTA/fs-referat/texte
2 http://de.indymedia.org/2003/11/68140.shtml
3 Picht, Georg: Die deutsche Bildungskatastrophe, 1964.
4 Gleiches gilt auch heute für PISA. Nicht eine Ausbildung im und nach
den Interessen des Einzelnen steht im Vordergrund, sondern ob die Einzelnen
im Vergleich zu anderen Staaten besser oder schlechter ausgebildet wurden.
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