Julia Kühn |
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Vorsicht Kamera! | Heft
3/2004 Dataismus - eine Gesellschaft überwacht sich selbst Seite 79-81 |
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Staatliche Videoüberwachung der Öffentlichkeit |
"Alle Menschen haben das Grundrecht, sich in der Öffentlichkeit zu bewegen, ohne dass ihr Verhalten durch Kameras aufgezeichnet wird."1 Mehr als 100.000 Videokameras von privater, kommunaler oder polizeilicher Seite überwachen in Deutschland die Öffentlichkeit.2 Öffentliche Stellen können die Verkehrslage, bestimmte einzelne öffentliche Einrichtungen und so genannte Kriminalitätsschwerpunkte im Rahmen der kriminalpolitischen Prävention überwachen. Nachfolgend beziehe ich mich auf die Videoüberwachung von Kriminalitätsschwerpunkten, die in den Landespolizeigesetzen geregelt ist. Diese erlauben eine Videoüberwachung an einzelnen öffentlichen Orten, an denen wiederholt Straftaten begangen wurden und deren Beschaffenheit die Begehung von Straftaten begünstigt. Erste Modellversuche solcher polizeilicher Videoüberwachung gab es in Leipzig, Stuttgart und Bielefeld, seit längerem schon existieren sie in großem Stil in Großbritannien. Der gläserne Mensch Besorgnis erregend ist dabei insbesondere die Weiterentwicklung der Videotechnik,
beispielsweise mittels Gesichtserkennungssoftware, ebenso wie die stetige
Zunahme des Einsatzes von Videotechnik in vielen Bereichen des täglichen
Lebens. Mittels der modernen Datenverarbeitungstechnologie ist es auf
einfache und schnelle Art und Weise möglich, verschiedene Informationsquellen
zusammen zu führen. Somit kann ein umfassendes Bild des Menschen und seiner
Lebensumstände entwickelt werden. Der Bundesbeauftragte für Datenschutz
warnt vor einer zunehmenden Gefahr der Manipulierbarkeit und Berechenbarkeit
der Menschen. Wen trifft die Videoüberwachung Insofern wundert es kaum, dass die Observation keineswegs objektiv funktioniert, sondern häufig gerade spezielle Personengruppen ohne besonderen Anlass beobachtet werden. Videoüberwachung wird zum Mittel im Kampf gegen Obdachlose und andere "nicht ins Stadtbild passende", sozial schwache Personengruppen. Anstatt Armut oder Obdachlosigkeit zu bekämpfen werden die betroffenen Personen stigmatisiert. Frauen können leichte Beute für Voyeure werden, gerade mit den Möglichkeiten der Verbreitung übers Internet. Aber auch Erinnerungen an die allgegenwärtige Überwachung in der deutschen Geschichte und die daraus resultierenden Ängste vor dem allmächtigen Staat werden geweckt. Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht Die Videoüberwachung ist im Hinblick auf das grundgesetzlich garantierte allgemeine Persönlichkeitsrecht in Artikel 2 Absatz 1 i.V.m. Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz problematisch. Für die rechtliche Beurteilung ist vor allem die Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung relevant. Es wird als Befugnis verstanden, grundsätzlich selbst zu bestimmen, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden, insbesondere im Hinblick auf die Bedingungen der automatisierten Datenverarbeitung. Umfasst ist der Schutz des/der Einzelnen gegen die Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten, die eine Identifizierung über persönliche oder sachliche Verhältnisse ermöglichen. Werden Videobilder an Kriminalitätsschwerpunkten aufgezeichnet - dabei ist unerheblich, ob diese gespeichert, gezoomt oder ungesehen gelöscht werden - so hat es der/die Einzelne gerade nicht mehr in der Hand, ob er/sie aufgenommen wird und ob diese Aufnahmen gespeichert werden. Kamera als Streife vor Ort Zum Teil wird behauptet, dass das im Rahmen der Videoüberwachung durchgeführte
Kamera-Monitor-Verfahren, welches quasi eine Vorstufe der Speicherung
von Daten darstellt, im Hinblick auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung
unerheblich sei. Bei diesem Verfahren werden die Bilder sofort nach der
Aufnahme ohne weitere Verzögerung an einen Bildschirm gesendet, hinter
dem eine Beamtin/ein Beamter sitzt, der die Bilder unmittelbar beurteilt.
Als Argumente werden angeführt, dass nur Übersichtsaufnahmen hergestellt
werden und keine gezielte Beobachtung stattfindet.7 Daher sei der Vorgang
einer allgemeinen Beobachtung durch eine(n) StreifenpolizistIn vergleichbar,
die auch keine Rechtsverletzung darstelle. Staatliche Ziele Die Beeinträchtigungen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung
werden staatlicherseits mit der Erreichung bestimmter Ziele gerechtfertigt.
Zunächst wird das Ziel der Gefahrenabwehr genannt. Durch Abschreckung
sollen bestimmte Straftaten verhindert werden. Als weiteres, wenn auch
vielleicht nicht so "wertvolles" Motiv wird die Kosteneinsparung genannt.
Durch Videoüberwachung könnten die Personalkosten der Polizei reduziert
und deren Einsätze besser gesteuert werden. Nicht legitim ist es, wenn
in diesem Zusammenhang die Sicherung von Beweismitteln als Ziel genannt
wird. Ein solcher Zweck gehört zu den repressiven Aufgaben der Polizei,
also in den Bereich der Strafprozessordnung, wo eine spezielle Ermächtigungsgrundlage
vorhanden ist, und nicht in den Bereich der Gefahrenabwehr. Anpassung um jeden Preis Die mit der Videoüberwachung verfolgten Ziele sind teilweise bedenklich oder sogar illegitim. Wie die folgenden Ausführungen zeigen, ist der Einsatz der Videoüberwachung zudem nicht einmal geeignet die gewünschten Ziele zu erreichen. Zwar könnte argumentiert werden, dass der Einsatz von Videokameras effektiver und kostengünstiger ist als der Einsatz von StreifenpolizistInnen, denn StreifenpolizistInnen haben nicht den Blinkwinkel optisch-technischer Mittel. Hingegen kann bei der Videoüberwachung einE PolizistIn durch mehrere Monitore und Kameras viele Plätze gleichzeitig überwachen. Außerdem sind die Personalkosten für einen verstärkten Einsatz einer vergleichbaren Anzahl von StreifenpolizistInnen weitaus höher als die Kosten für eine Videoüberwachung. Bezogen auf die Verhütung von weiteren Straftaten aber hilft Videoüberwachung, also die Datenerhebung an Orten, an denen wiederholt Straftaten begangen wurden, konkret keinem Opfer. Sofortige Hilfe beispielsweise bei einem Überfall kann durch Videoüberwachung häufig nicht gewährleistet werden. Lediglich die Aufklärungsarbeit wird erleichtert.9 Sicherheitsgefühl, Sicherheitsbedürfnis, Sicherheitserwartung Es wird auch argumentiert, dass sich die Bevölkerung vor StraftäterInnen
sicherer fühle. Andererseits ist sie aber einem stetigen Überwachungsdruck
des Staates ausgesetzt. Zwar setzen die Landespolizeigesetze in der Regel
Straftaten von erheblicher Bedeutung voraus, daher könnte man sagen, dass
dann das Sicherheitsbedürfnis gegenüber den Einschränkungen durch die
Videoüberwachung überwiegt. Es ist aber nicht unproblematisch, wenn die
Sicherheitserwartungen der BürgerInnen tatsächlich steigen würden. Sie
könnten enttäuscht werden, wenn sich an eine Videoüberwachung nicht auch
ein schneller Zugriff der Polizei anschließt.10 In einem solchen Fall
benötigte die Polizei aber wieder eine wesentlich größere, aber auch teurere
Personalausstattung. Abgesehen davon beweisen im Hinblick auf das subjektive
Sicherheitsgefühl Studien aus Großbritannien, dass Videoüberwachung keineswegs
das allseits angepriesene Allheilmittel darstellt. Eine Steigerung des
Sicherheitsgefühls konnte kaum festgestellt werden. In einer Studie wurde
nach dem Sicherheitsempfinden bei Nacht gefragt. Vor der Videoüberwachung
fühlten sich 27 % der Befragten (sehr) sicher und 73 % etwas oder sehr
unsicher. Mit der Videoüberwachung fühlten sich dann 2 % der befragten
Personen sicherer.11 Kameras an jeder Ecke Die Verdrängung von Kriminalität in andere Stadtteile hat die logische
Konsequenz, dass der Ruf nach einer Flächen deckenden Videoüberwachung
laut wird, um Verdrängungseffekte zu vermeiden. Eine Flächen deckende
Videoüberwachung würde jedoch das Gebot der Rechtsstaatlichkeit verletzen.
Die Unschuldsvermutung wäre außer Kraft gesetzt, wenn alle Menschen dauernd
überwacht und damit als potentielle StraftäterInnen behandelt würden.
Es wären dann unvermeidbar völlig unverdächtige Menschen mit ihren individuellen
Verhaltensweisen betroffen.13 Damit dies nicht überhand nimmt, muss die
heimliche Beobachtung, eine Flächen deckende Überwachung und auch die
gezielte Überwachung von Personen mit bestimmten Verhaltensmustern vermieden
werden. Ist eine Beobachtung einzelner Plätze aber erst einmal erlaubt,
entscheidet der/diejenige PolizistIn, der/die vor dem Monitor sitzt und
nicht beispielsweise ein(e) RichterIn bzw. ein unabhängiger Ausschuss,
welche Personen herangezoomt werden und wessen Bilder aufgezeichnet werden.
Erfahrungsgemäß findet dabei aber immer eine Selektion nach den Äußerlichkeiten,
wie z.B. Hautfarbe oder Kleidung, statt. Julia Kühn studiert Jura in Münster. Anmerkungen 1 59. Konferenz der Datenschutzbeauftragten vom 14./15. März 2000. Literatur Christoph Gusy, Polizeibefugnisse im Wandel, in: Nordrhein-Westfälisches
Verwaltungsblatt (NWVBl.) 2004, 1 ff. |