xxx

  Alexander Farkas   Forum Recht Home

 

Betriebsgeheimnis versus Presse- und Meinungsfreiheit   Heft 4/2004
unmenschlich -
Migrationspolitik

Seite 133
Analyse der Rechtsprechung zum öffentlichen Interesse an illegal beschafften Informationen  
 

Berichten JournalistInnen über Missstände in Unternehmen, sind sie auf Insiderinformationen angewiesen. Häufig erhalten sie diese streng geheimen Daten durch InformantInnen oder sie schleichen sich selbst unter Täuschung als KundIn oder sogar ArbeitnehmerIn in das Unternehmen ein. Bekannt wurde diese Form des investigativen Undercover-Journalismus in Deutschland durch den Autor Günter Wallraff. Wallraff war u.a. bei Thyssen, McDonalds und als Hans Esser beim Springer-Blatt "Bild". Er deckte dort die Ausbeutung und Diskriminierung von AusländerInnen und ArbeitnehmerInnen der Unterschicht sowie die parteipolitisch angehauchte Verblödungsberichterstattung auf. Ebenso bemerkenswert wie Walraffs Recherche sind die hierzu ergangenen Urteile. Insbesondere das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) aus dem Jahr 19841, das den Streit zwischen Wallraff und der "Bild"-Zeitung entschied, ist bis heute eine wesentliche Grundlage der rechtlichen Bewertung dieser Form des investigativen Journalismus.

Der Grundrechtskonflikt und die Lösung des BVerfG

Undercover gewonnene Informationen sind meist vertrauliche, betriebsbezogene Daten. Ihre Vertraulichkeit ist verfassungsrechtlich durch das Unternehmens-Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) bzw. nach anderer Ansicht durch das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, dass aus der Eigentumsgarantie (Art. 14 GG) abgeleitet wird, geschützt. Auf der anderen Seite würde die Kontroll- und Konstituierungsfunktion der Presse leiden, würde es ihr verwehrt werden über Betriebsgeheimnisse zu berichten, die nur deshalb vertraulich behandelt werden, weil sie erhebliche Missstände aufdecken würden. Bei derartigen Grundrechtskonflikten zwischen der Presse- und Meinungsfreiheit und dem verfassungsrechtlich geschützten Betriebsgeheimnis kommt es regelmäßig auf eine Mittel-Zweck-Abwägung an. Die Informationsverbreitung kann einerseits der Verfolgung eigennütziger, profitorientierter Ziele, andererseits aber auch als Beitrag zum politischen Meinungskampf dienen. Das Gewicht des auf die Meinungsbildung gerichteten Zwecks ist um so bedeutsamer, je höher das öffentliche Interesse an den beschafften Informationen ist. Des weiteren kommt es regelmäßig darauf an, wie schwer in die Vertraulichkeitssphäre des Unternehmens eingegriffen wird. Für die Bestimmung der Eingriffsintensität in verschiedene Grundrechte wurden durch die Rechtsprechung Grundsätze entwickelt, welche bei der freien richterlichen Abwägung als Orientierungshilfe dienen sollen.2 Im Bereich des investigativen Undercover-Journalismus hat das BVerfG - im Gegensatz zum Bundesgerichtshof (BGH) - dagegen einen hiervon abweichenden, relativ starren Grundsatz entwickelt. Das BVerfG geht zutreffend davon aus, dass das öffentliche Interesse an der Verbreitung von Informationen nur dann das Interesse des Unternehmens an der Geheimhaltung überragt, wenn die aufgedeckten Missstände erheblich sind. Ein erheblicher Missstand soll nach Ansicht des BVerfG nur vorliegen können, wenn der aufgedeckte Sachverhalt selbst rechtswidrig ist. Im Ergebnis kommt es nicht mehr darauf an, wie schwer der Eingriff in die Rechte des Unternehmens wiegt, sondern nur noch darauf, ob es dem Journalisten gelungen ist, auch rechtswidrige Sachverhalte aufzudecken.

Analyse des Rechtswidrigkeitsgrundsatzes: Kritik am System unerwünscht

Meinungen dürfen nicht auf Grund ihrer Meinungsrichtung verboten werden. Eine Meinung darf also nicht beschränkt werden, nur weil sie kommunistisch, faschistisch oder sonstwie politisch nicht erwünscht ist. Dieser Anforderung des "allgemeinen Gesetzes" wird der Rechtswidrigkeitsgrundsatz nicht gerecht. Die hohe Bedeutung der Presse- und Meinungsfreiheit liegt in ihrer konstituierenden Funktion; die staatliche Willensbildung - insbesondere die des Gesetzgebers - soll von unten nach oben erfolgen. Die Gleichung, dass nur ein rechtswidriger Missstand ein erheblicher Missstand ist, an dessen Aufdeckung ein überragendes öffentliches Interesse besteht, geht nicht auf. Derjenige / Diejenige, welche(r) durch ausreichende Gesetze geschützt wird, kann sich durch staatliche Hilfe gegen die Verletzung seiner Rechte zur Wehr setzen. Anders sieht es jedoch bei unzureichender Rechtslage aus. Soll die Presse hier nicht berichten dürfen, wenn sie die Informationen undercover beschafft hat? Genauer gesagt: Soll die Presse also nur über Missstände berichten, die der Gesetzgeber bereits als rechtswidrig geregelt hat und Kritik an (noch) rechtmäßigen Missständen unterlassen? Diese Fragen zu stellen, heißt sie zu verneinen. Grundrechte sind in erster Linie Abwehrrechte gegen den Staat. Presse- und Meinungsfreiheit sollen gerade die Kritik am System fördern. Das Recht soll leben und sich verändern können. Aus Rechtmäßigem soll Rechtswidriges und aus Rechtswidrigem soll Rechtmäßiges werden können. Die kommunikativen Grundrechte müssen also gerade auch die geltende Rechtslage kritisieren können, da sonst die staatliche Willensbildung immer mehr von oben nach unten durchgesetzt wird, ohne an die Vorstellungen des Volkes gekoppelt zu sein. Der Rechtswidrigkeitsgrundsatz setzt insofern eine unzulässige Differenzierung zwischen dem pluralistischen Prozess der Meinungsbildung einerseits und dem Prozess der Gesetzgebung andererseits voraus.

Aktuelle Auswirkungen

Eine der ersten Undercover-Recherchen wurde durch eine Journalistin in einer Nervenheilanstalt durchgeführt. Viele der aufgedeckten, menschenverachtenden Missstände waren zu diesem Zeitpunkt völlig legal. Legt man den Grundsatz des BVerfG zu Grunde, hätte sie nicht darüber berichten dürfen. Zum Glück tat sie es dennoch und die öffentliche Empörung sorgte für die stärkere Reglementierung des Verhältnisses zwischen ÄrztInnen, PflegerInnen und psychisch kranken PatientInnen. 2003 schlich sich ein Undercover-Journalist in das größte deutsche Affenlabor bei Münster ein. Er sammelte dort verdeckt Informationen zum schockierenden Umgang des Personals mit den Affen und der völlig unzureichenden Affenhaltung in Form von Bild- und Videodaten. Anfang 2004 wurde ihm durch das LG Münster die Verbreitung des Videomaterials untersagt. Da die zuständigen Behörden die tierquälerischen Zustände im Affenlabor als rechtmäßig und das Unternehmen diese als ganz normalen Laboralltag ansehen, bestand nach Ansicht des LG Münsters kein erheblicher Missstand und damit kein überragendes öffentliches Interesse an der Aufdeckung des Sachverhalts. Das Massenblatt "Bild" dagegen druckte nach dem Veröffentlichungsverbot die Bilder dennoch ab und titelte am 15.06.04 "Was wir hier sehen, ist in Deutschland ganz legal" und am 19.06.2004 unter dem Titel "Sie verstecken sich hinter Paragraphen und machen einfach weiter". Nicht die Tierquälerei eines schwarzen Schafes der Branche sondern gerade die Tatsache, dass diese Tierquälerei branchenüblich und nach Ansicht der Behörden völlig legal ist, begründet ein besonderes öffentliches Interesse. Das OLG Hamm, welches in zweiter Instanz über diesen Fall zu entscheiden hatte, betonte, dass die gesammelten Informationen nicht aus einem besonders geschützten Vertrauensbereich stammen und verwarf die Anwendung des Rechtswidrigkeitsgrundsatzes. Innerhalb einer freien Abwägung kam das Gericht dann zu dem Ergebnis, dass das öffentliche Interesse an der Aufdeckung der Missstände das Geheimhaltungsinteresse des Affenlaborunternehmens überwiegt.
Dem Unternehmen war es jedoch bis dahin mit Hilfe des vom BVerfG entwickelten Rechtswidrigkeitsgrundsatzes gelungen, das Bildmaterial für einen Zeitraum von über einem halben Jahr zu unterdrücken.
Das OLG Hamm ist nicht das erste Zivilgericht, welches vom Rechtswidrigkeitsgrundsatz abweicht, wenn die Informationen nicht aus einem besonders geschützten Vertrauensbereich stammen.3 Es ist davon auszugehen, dass das Affenlabor die Sache vor das BVerfG zu bringen versucht. Das BVerfG würde gut daran tun, wenn es den Rechtswidrigkeitsgrundsatz aufgibt und die Fortentwicklung sachgerechter und rechtssicherer Kriterien für die freie Abwägung dieses Grundrechtskonflikts fördert.

Pressefreiheit als vierte Gewalt im Staat

Der französische Philosoph und Gesellschaftskritiker Jean Jaques Rousseau hat in Anlehnung an die auf Thomas Hobbes und Charles de Montesquieu zurückgehende Gewaltenteilung von der Presse als einer "vierten Säule" im Staat gesprochen. Die Pressefreiheit nimmt eine eminent wichtige Funktion als Wächterin und Hüterin der Demokratie wahr. Sie ist eine zusätzliche Kontrollinstanz von Legislative, Exekutive und Judikative. Die Presse ist oft die einzige und wesentliche Institution, die zu neuen Impulsen in der Gesetzgebung und zur Kontrolle der Staatsgewalt in der Lage ist. Vor allem die Parlamentsmehrheit ist mit der Regierung so viefältig verflochten, dass sie weder bereit noch fähig ist, die Kontrolle der Exekutive wirkungsvoll zu ermöglichen.4 Ein Gesetz oder ein richterlicher Grundsatz, welcher Kritik nur an Zuständen zulässt, die ohnehin schon rechtswidrig sind - nichts anderes tut der Rechtswidrigkeitsgrundsatz - beraubt die Pressefreiheit damit ihrer demokratischen Funktion.

Alexander Farkas studiert Jura in Berlin. Er arbeitete zuvor selbst als investigativer Bildjournalist im Bereich Tierschutz. (www.tierschutz-medienarchiv.de)

Anmerkungen:

1 BverfG, Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1984, 1742ff.
2 Am Beispiel des Persönlichkeitsrechts: Beaucamp, Juristische Ausbildung (JA) 2004, 539 m.w.N. in Rechtsprechung und Literatur; Zur allgemeinen Abwägung im Presserecht vs. eingerichteter und ausgeübter Gewerbetrieb: Löfler/Ricker, 42 Rn. 52ff.
3 Ein besonders geschützter Vertrauensbereich liegt beispielsweise bei Informationen aus einer vertraulichen Redaktionskonferenz vor.
4 Vgl. Löfler/Ricker, 3 Rn 25.