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"Was damals Recht war..."   Heft 4/2004
unmenschlich -
Migrationspolitik

Seite 136
Die NS-Justiz in der JuristInnen-Ausbildung  
 

Die NS-Justiz war indirekt im Mai 2004 kurz Thema öffentlicher Diskussion: Die CDU hatte in die Bundesversammlung Hans Filbinger berufen, der als Marinerichter im "Dritten Reich" bis kurz vor Kriegsende Todesurteile gegen Deserteure gefällt hatte. Berühmt wurde sein Satz, als er 1978 vom Posten des baden-württembergischen Ministerpräsidenten zurücktreten musste: "Was damals Recht war, kann heute kein Unrecht sein". Doch trotz Protest u.a. von Rolf Hochhuth sah der neue Bundespräsident Horst Köhler überhaupt kein Problem darin, sich auch mit Filbingers Stimme wählen zu lassen.
Dass die so offenbarte Gleichgültigkeit gegenüber Justizunrecht im Nationalsozialismus kein Einzelfall ist, sondern in Deutschland Methode hat, zeigt die Beschäftigung mit dem Thema in der JuristInnen-Ausbildung.1 In den deutschen Vorlesungsverzeichnissen muss man Veranstaltungen zum dunkelsten Kapitel der deutschen Rechtsgeschichte mit der Lupe suchen, auch in der ReferendarInnen-Ausbildung wird es fast überall komplett ausgeklammert: Es gibt nicht einmal in allen Bundesländern auch nur eintägige Pflichtveranstaltungen dazu.
Und das Defizit wird mitnichten behoben, es werden im Gegenteil sogar noch einige der wenigen erfreulichen Ausnahmen beseitigt. Jüngstes Beispiel ist Hessen, wo eine seit 1997 im Rahmen der ReferendarInnen-Ausbildung angebotene dreitägige Fortbildungsveranstaltung zum Thema Justiz im NS-Staat ab 2004 gestrichen wurde. Nicht wegen mangelnder Nachfrage, denn die lag weit über dem Platzkontingent. Man hielt es offensichtlich für überflüssig, dass sich angehende JuristInnen damit beschäftigen, wie die deutsche Justiz ab 1933 Unrecht mit dem Schein des Rechts legitimieren konnte, wie deutsche Juristen2 "gleichsam über Nacht zu Mördern in der Robe" (Kramer3) werden konnten.

Furchtbare Juristen

Dabei kann doch die Beschäftigung mit dem Versagen der Vorgänger den Blick dafür schärfen, dass zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Recht mehr gehört als die sichere Beherrschung der Dogmatik. Denn die "furchtbaren Juristen" kamen nicht trotz, sondern gerade mit Hilfe ihrer rechtstechnischen Kenntnisse zu ihren Ergebnissen.4 Die meisten von ihnen hatten zu Zeiten der Weimarer Republik "gelernt", nicht erst danach. Und dennoch hatten sie, als es darauf ankam, der NS-Ideologie keine irgendwie gefestigten Vorstellungen von Rechtsstaatlichkeit oder Gerechtigkeit entgegen zu setzen, ließen sich vielmehr zu willfährigen Werkzeugen des Unrechtsstaates machen. Bei genauerer Betrachtung offenbart sich die gefährlichste Funktion des angeblich so neutralen juristischen Instrumentariums: Verbrechen im Namen einer mörderischen Rassenideologie wurde ein legaler Anstrich gegeben, Juristen trugen gerade durch ihre scheinbare Neutralität zur Legitimierung des Systems bei.
In den von Kontinuität und Verdrängung geprägten Anfangsjahren der Bundesrepublik erklärte man dies mit der so genannten Wehrlosigkeitsthese: Die auf korrekte Anwendung des positiven Rechts bedachten Juristen seien geradezu Opfer ihres Berufsethos geworden. Mittlerweile ist das Positivismus-Märchen längst widerlegt, ist bekannt, dass nationalsozialistische Richter mit großem Eifer oft sogar über die Gesetzeslage hinaus gingen und wegen kleinster Vergehen die Todesstrafe gegen "Volksschädlinge" fällten. An den Entscheidungen der NS-Justiz wirkten deutsche Richter nicht bloß mit, indem sie vor lauter "Unparteilichkeit" ihnen unangenehmes, aber geltendes Recht anwendeten. Schon gar nicht mussten sie unter vorgehaltener Pistole dazu gezwungen werden - es gibt übrigens keinen dokumentierten Fall eines NS-Richters, der persönlich die Konsequenzen einer unliebsamen Entscheidung hätte tragen müssen -, sondern sie ließen sich nur zu gerne einspannen. Hans Filbinger zum Beispiel braucht selbst heute noch keinen Hehl aus seiner Haltung zu machen: In einem Interview mit der Badischen Zeitung im September 2003 rechtfertigte er seine Todesurteile mit dem Satz "Wer meuterte, gefährdete das Ganze".

Rein in die Köpfe

Insofern sollte dem kritischen Reflektieren der gesellschaftlichen Funktion von JuristInnen ein größerer Stellenwert eingeräumt werden als der eines Gemeinplatzes in Festreden. Aber im Zuge der fortschreitenden Neoliberalisierung der JuristInnen-Ausbildung sind die Aussichten auf Besserung trübe. Doch will man mehr als nur perfekte AnwenderInnen der Auslegungsregeln, nämlich JuristInnen, die auch Kenntnisse und Charakter genug haben, um die Ergebnisse jeder Rechtsanwendung vor dem Hintergrund von Demokratie, Rechts- und Sozialstaatlichkeit zu hinterfragen, muss die JuristInnen-Ausbildung anders werden. Die NS-Justiz bietet das abschreckendste Beispiel dafür, wozu JuristInnen sonst fähig sind. Ihre mangelhafte Aufarbeitung - es gibt nicht einen einzigen deutschen Richter oder Staatsanwalt, der sich in der BRD für seine in der Robe begangenen Verbrechen hätte verantworten müssen - ist bezeichnend für das deutsche Geschichtsbewusstsein. Damit das Thema rein in die Köpfe kommt, muss es rein in die Ausbildung.

John Philipp Thurn studiert in Freiburg.

Anmerkungen:

1 Ich danke Helmut Kramer für die Anregung und umfangreiche Information zu diesem Thema.
2 Hier wird bewusst auf die geschlechtsneutrale Form verzichtet - Frauen wurden ab September 1935 nicht mehr als Richter- oder Staatsanwältinnen beschäftigt.
3 H. Kramer, Nationalsozialistische Justiz - überflüssiger Gegenstand der Juristenausbildung?, ÖTV in der Rechtspflege Nr.64 (April 1998), S.9.
4 Kramer, aaO, S.10.

Literatur:

Ingo Müller, Furchtbare Juristen - Die unbewältigte Vergangenheit unserer Justiz, 1987.