John Philipp Thurn |
|
||||
"Was damals Recht war..." | Heft
4/2004 unmenschlich - Migrationspolitik Seite 136 |
||||
Die NS-Justiz in der JuristInnen-Ausbildung |
Die NS-Justiz war indirekt im Mai 2004 kurz Thema öffentlicher Diskussion:
Die CDU hatte in die Bundesversammlung Hans Filbinger berufen, der als
Marinerichter im "Dritten Reich" bis kurz vor Kriegsende Todesurteile
gegen Deserteure gefällt hatte. Berühmt wurde sein Satz, als er 1978 vom
Posten des baden-württembergischen Ministerpräsidenten zurücktreten musste:
"Was damals Recht war, kann heute kein Unrecht sein". Doch trotz Protest
u.a. von Rolf Hochhuth sah der neue Bundespräsident Horst Köhler überhaupt
kein Problem darin, sich auch mit Filbingers Stimme wählen zu lassen. Furchtbare Juristen Dabei kann doch die Beschäftigung mit dem Versagen der Vorgänger den
Blick dafür schärfen, dass zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Recht
mehr gehört als die sichere Beherrschung der Dogmatik. Denn die "furchtbaren
Juristen" kamen nicht trotz, sondern gerade mit Hilfe ihrer rechtstechnischen
Kenntnisse zu ihren Ergebnissen.4 Die meisten von ihnen hatten zu Zeiten
der Weimarer Republik "gelernt", nicht erst danach. Und dennoch hatten
sie, als es darauf ankam, der NS-Ideologie keine irgendwie gefestigten
Vorstellungen von Rechtsstaatlichkeit oder Gerechtigkeit entgegen zu setzen,
ließen sich vielmehr zu willfährigen Werkzeugen des Unrechtsstaates machen.
Bei genauerer Betrachtung offenbart sich die gefährlichste Funktion des
angeblich so neutralen juristischen Instrumentariums: Verbrechen im Namen
einer mörderischen Rassenideologie wurde ein legaler Anstrich gegeben,
Juristen trugen gerade durch ihre scheinbare Neutralität zur Legitimierung
des Systems bei. Rein in die Köpfe Insofern sollte dem kritischen Reflektieren der gesellschaftlichen Funktion von JuristInnen ein größerer Stellenwert eingeräumt werden als der eines Gemeinplatzes in Festreden. Aber im Zuge der fortschreitenden Neoliberalisierung der JuristInnen-Ausbildung sind die Aussichten auf Besserung trübe. Doch will man mehr als nur perfekte AnwenderInnen der Auslegungsregeln, nämlich JuristInnen, die auch Kenntnisse und Charakter genug haben, um die Ergebnisse jeder Rechtsanwendung vor dem Hintergrund von Demokratie, Rechts- und Sozialstaatlichkeit zu hinterfragen, muss die JuristInnen-Ausbildung anders werden. Die NS-Justiz bietet das abschreckendste Beispiel dafür, wozu JuristInnen sonst fähig sind. Ihre mangelhafte Aufarbeitung - es gibt nicht einen einzigen deutschen Richter oder Staatsanwalt, der sich in der BRD für seine in der Robe begangenen Verbrechen hätte verantworten müssen - ist bezeichnend für das deutsche Geschichtsbewusstsein. Damit das Thema rein in die Köpfe kommt, muss es rein in die Ausbildung. John Philipp Thurn studiert in Freiburg. Anmerkungen: 1 Ich danke Helmut Kramer für die Anregung und umfangreiche Information
zu diesem Thema. Literatur: Ingo Müller, Furchtbare Juristen - Die unbewältigte Vergangenheit unserer Justiz, 1987. |