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Der 10. Juni 1944 ist ein denkwürdiges Datum für NS-Kriegsverbrechen.
Am selben Tag, an dem eine SS-Polizeidivision im griechischen Dorf Distomo
ein Massaker an der Zivilbevölkerung verübte, für das Hinterbliebene sich
heute - auch gerichtlich - um Entschädigung bemühen1, überfiel die SS-Panzerdivision
"Das Reich" die Ortschaft Oradour-sur-Glane in Frankreich.
Die Bewohnerinnen und Bewohner des Ortes wurde erschossen, erhängt oder
erstickt, anschließend wurde das Dorf niedergebrannt. Nur fünf der 642
EinwohnerInnen des Ortes überlebten das schreckliche Geschehen. Bis heute
sind die Ruinen des Dorfes als Mahnmal erhalten.
Die Bewohnerinnen und Bewohner des Ortes wurde erschossen, erhängt oder
erstickt, anschließend wurde das Dorf niedergebrannt. Nur fünf der 642
EinwohnerInnen des Ortes überlebten das schreckliche Geschehen. Bis heute
sind die Ruinen des Dorfes als Mahnmal erhalten.
Juristische Nichtaufarbeitung
Dabei war das Geschehen von Oradour in seinem gesamten Ausmaß schon früh
bekannt. Als Beweisdokumente für "Kriegsverbrechen gegen Kriegsgefangene
und Zivilisten" war das Massaker Gegenstand der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse,
auch wenn sich unter den Angeklagten keine Beteiligten an diesen Taten
befanden. Als Bestandteil des Beweisvortrages der französischen Anklage
wurde ein noch für die Vichy-Regierung erstellter Bericht über das Massaker
verlesen, der das damalige Geschehen ohne Beschönigungen darstellt.2 An
fehlendem Tatsachenmaterial für eine juristische Aufarbeitung mangelte
es also nicht.
Der erste Prozess gegen einen Teil der Täter fand 1953 in Bordeaux statt.
In Abwesenheit wurde hier auch gegen die verantwortlichen Kommandeure,
u.a. gegen den SS-Brigadeführer Heinz Lammerding, Hauptsturmführer Otto
Kahn sowie Obersturmführer Heinz Barth verhandelt. Alle wurden in Abwesenheit
zum Tode verurteilt. Weitere Urteile ergingen gegen beteiligte Elsässer.
Allerdings wurde der Großteil von diesen nach Protesten aus dem Elsass
nur wenig später durch das französische Parlament amnestiert.3
Art. 16 Abs. 2 Grundgesetz verbot seit 1949 die Auslieferung von Deutschen
an das Ausland, so dass eine Verurteilung der Täter durch ausländische
Gerichte unterblieb. Auch die Alliierten zogen sich schon bald nach Gründung
der Bundesrepublik aus der Verfolgung der Nazi-Verbrecher zurück, die
Aburteilung wurde vollständig dem neuen Staat übertragen, und zwar auch
bei Taten, die im Ausland bzw. an AusländerInnen begangen wurden.4
In der alten Bundesrepublik wurden die Verantwortlichen des Massakers
von Oradour jedoch nicht vor Gericht gestellt. Die Staatsanwaltschaften
stellten die Ermittlungsverfahren ein. Dabei stützten sie sich auf die
Behauptung, der damalige Bataillonskommandeur, Sturmbannführer Adolf Diekmann,
trage die alleinige Verantwortung. Diekmann war jedoch nach dem Massaker
noch vor Kriegsende an der Front gestorben. Lammerding, nach dem die Franzosen
fahndeten, konnte zunächst untertauchen und wurde dann in der amerikanischen
Besatzungszone vor weiterer Verfolgung geschützt. Kahn konnte sich absetzen.5
Verantwortung
Allein Heinz Barth wurde 1983 für seine Taten in Oradour in der DDR zur
Verantwortung gezogen. Das Stadtgericht Berlin legte ihm als einem der
leitenden Offiziere zur Last, an dem Massaker durch "Befehlsausführung,
Befehlserteilung, eigenhändige Erschießung und [...] die Kontrolle seiner
Untergebenen"6 beteiligt gewesen zu sein. Er wurde wegen Kriegsverbrechen
und Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach Art. 6 des Statuts des Internationalen
Militärtribunals, das nach der Verfassung der DDR unmittelbar geltendes
Strafrecht war, zu lebenslanger Haft verurteilt.
Ein Strafausschließungs- oder Strafmilderungsgrund wegen Handelns auf
Befehl, mit dem sich Barth zu verteidigen suchte, wurde verneint, weil
Barth "sich in keinerlei innerem Widerspruch zu dem erteilten Vernichtungsbefehl
befand, sondern mit diesem absolut übereinstimmte".7 1997 wurde Barth
wegen seines hohen Alters und seiner angeschlagenen Gesundheit aus der
Haft entlassen.8
Die juristische Nichtaufarbeitung des Massakers von Oradour in der alten
Bundesrepublik zeigt den Umgang der Nachkriegszeit mit NS-Tätern nur exemplarisch.
Die angewendeten juristischen Schachzüge, die dem Großteil der überlebenden
Verbrecher ein recht unbehelligtes Leben in Westdeutschland ermöglichten,
sind beispiellos.9
Offizielle Entschuldigungen, wie sie der Bundeskanzler im Juni 2004 für
die Taten von Oradour aussprach, haben vor allem symbolische Bedeutung,
können das Defizit an juristischer Aufklärung aber nicht beheben. Ernsthafte
Verantwortung wird sich anders ausdrücken müssen, beispielsweise im Anerkennen
von Entschädigungsansprüchen.
Claudia Perlitius ist Referendarin in Berlin.
Anmerkungen:
1 Vgl. Rehmke, Stephen, Deutsche Sühne, Forum Recht 2003, 136.
2 Nürnberger Prozesse: Beweisvorträge der Anklagebehörde, www.bz.nuernberg.de/bzshop/publikationen/nproz/nproz.html
(19.09.2004).
3 taz v. 10.06.2004, 3; Stern v. 11.06.2004.
4 Müller 1987, 242.
5 taz v. 10.06.2004, 1; Stern v. 11.06. 2004.
6 Dokumentation, 5. Rechtliche Würdigung.
7 Dokumentation, Fn. 7.
8 Jungle World v. 16.09.1997.
9 Hierzu Müller 1987, 204 ff, 240 ff.
Literatur:
Müller, Ingo, Furchtbare Juristen - Die unbewältigte Vergangenheit
unserer Justiz, 1987
Dokumentation DDR-Justiz und NS-Verbrechen der Universität Amsterdam
(zit. Dokumentation): www1.jur.uva.nl/junsv/Excerpts/ddr1009000.htm (19.09.2004)
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