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Menschenrechte ernst genommen   Heft 2/2005
mehr Theorie wagen
Ansätze der Rechtskritik

Seite 52-55
Zur Justiziabilität wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Menschenrechte  
 

Bei den internationalen Anstrengungen, die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse der Menschen zu verbessern, spielen die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte ("WSK-Rechte" - zum Beispiel das Recht auf Nahrung, Arbeit, Wohnung, Gesundheit) eine zunehmend größere Rolle. So wurden Ende des Jahres 2004 im Rahmen der Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen nach längeren Verhandlungen Richtlinien zum Menschenrecht auf Nahrung verabschiedet, die dieses im Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (WSK-Pakt) von 1966 statuierte Recht näher bestimmen und operationalisieren. Es besteht nun die begründete Hoffnung, auf dieser neuen Grundlage bei den anstehenden Verhandlungen der Vereinten Nationen zu den "Millennium Development Goals + 5" mit menschenrechtlichen Instrumenten zu verbindlichen Vereinbarungen zu gelangen, die zu einer substanziellen Reduzierung des Hungers in der Welt führen.
Ein Argument, das immer wieder gegen einen weiteren Ausbau der Rolle der WSK-Rechte im internationalen, regionalen und nationalen Rahmen vorgebracht wird, ist das ihrer mangelnden Justiziabilität. So sieht die Bundesregierung zum Beispiel in ihrem 6. Menschenrechtsbericht "zur Frage der Justiziabilität dieser Rechte [...] noch Klärungsbedarf." Dabei wird der Vorwurf der mangelnden Justiziabilität oft mehrdeutig und wenig klar verwandt und scheint gelegentlich die Funktion einer Art juristischer "Restmüllkategorie" anzunehmen, mit deren Hilfe der zu erfassende normativ relevante Gegenstandsbereich für gerichtlich nicht überprüfbar und nicht zuletzt für rechtlich nicht überprüfungswürdig erklärt wird. Viele Sachverhalte, deren gerichtliche Überprüfung rechtspolitisch wünschenswert ist, werden so zu Unrecht durch das stumpfe Messer "mangelnde Justiziabilität" aus dem Blickfeld der RichterInnen ausgeschnitten.

Ausgangslage

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) von 1948 umfasst ungeschieden sowohl die bürgerlich-politischen ("BP-Rechte" - zum Beispiel das Recht auf Leben, persönliche Freiheit, Meinungsfreiheit, fairen Prozess) als auch die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte. Im Rahmen der das 20. Jahrhundert prägenden Ost-West-Konfrontation kam es in den langwierigen Vorarbeiten für die schließlich 1966 unterzeichneten (und 1976 in Kraft getretenen) zwei großen Menschenrechtspakte1 zu einem "Trade-Off" zwischen den politischen Blöcken und damit zu einer Aufspaltung in die beiden genannten Kategorien von Menschenrechten.
Die Justiziabilität der BP-Rechte stand dabei im Wesentlichen nicht in Frage. Für den Pakt über bürgerliche und politische Rechte (BP-Pakt) gibt es die Möglichkeit eines Individualbeschwerdeverfahrens vor dem Menschenrechtskomitee des Paktes, das unter bestimmten Bedingungen Individuen erlaubt, eine behauptete Menschenrechtsverletzung überprüfen zu lassen. Ein solches Individualbeschwerdeverfahren existiert für den WSK-Pakt bisher nicht. Die deutliche Trennung in zwei unabhängige Pakte untermauert und zementiert die oft vertretene Annahme, dieser formalen Trennung entspreche eine materielle und wesentliche Differenz im Rechtscharakter der in den beiden Pakten jeweils zusammengefassten Rechte.
Neben den Pakten von 1966 gibt es eine Reihe von weiteren Übereinkommen, in denen WSK-Rechte normiert sind, und bei denen die Frage nach der Justiziabilität in ähnlicher Weise auftaucht, zum Beispiel bei der Europäischen Sozialcharta. Im deutschen Grundgesetz (GG) - im Gegensatz zu manchen Landesverfassungen - sind kaum soziale Grundrechte explizit aufgeführt. Es findet eine gewisse Herleitung solcher Rechte über das Sozialstaatsprinzip aus Art. 20 GG statt, im Übrigen sind in der Bundesrepublik soziale Rechte einfachrechtlich gewährleistet. Auch in der Arbeit der gemeinsamen Verfassungskommission nach der Vereinigung der Bundesrepublik und der Deutschen Demokratischen Republik ist das Argument der mangelnden Justiziabilität sozialer Grundrechte und sozialer Staatszielbestimmungen schlagend aufgetaucht, so dass die Aufnahme auch nur sozialer Staatszielbestimmungen - die als solche keine unmittelbar verpflichtende Wirkung für die öffentliche Gewalt besitzen - im Grundgesetz damals keine Chance hatte.

Unteilbarkeit der Menschenrechte

Die in der AEMR noch vorhandene Einheit der Menschenrechte wurde seitdem in vielen Erklärungen internationaler und nationaler Gremien bekräftigt. Hier spielt insbesondere die Abschlusserklärung der Wiener Menschenrechtskonferenz von 1993 eine wichtige Rolle, in der die Unteilbarkeit und Universalität aller Menschenrechte erneut festgehalten wird. Die Unteilbarkeit und Universalität der Menschenrechte wird theoretisch auch von der Europäischen Union und von der Bundesregierung vertreten und ihrem Handeln zugrunde gelegt. Nichtregierungsorganisationen wie zum Beispiel die sich für das Menschenrecht auf Nahrung einsetzende Organisation FIAN, Organisationen auf dem Gebiet der Entwicklungszusammenarbeit oder amnesty international betonen die Untrennbarkeit der verschiedenen Generationen bzw. Dimensionen der Menschenrechte und machen die prinzipielle Gleichwertigkeit von BP- und WSK-Rechten zur Grundlage ihrer Arbeit.
Auch wenn damit zumindest dem Anspruch nach heute eine weitgehende Einigkeit darüber besteht, dass eine Trennung der genannten Dimensionen der Menschenrechte nicht möglich ist, so bleiben zwischen diesen doch durchaus beachtenswerte Unterschiede, die in einer prinzipiellen Tendenz der WSK-Rechte zu verstärkten, kostenintensiven Positiv-Maßnahmen des Staates gesehen werden können, im Gegensatz zu den eher unterlassensorientierten Pflichten, die sich aus den bürgerlich-politischen Menschenrechten ergeben. Rechtfertigen die angedeuteten Unterschiede aber die Behauptung, dass WSK-Rechte nicht justiziabel sind?

De-facto-Justiziabilität

Die Frage nach der Justiziabilität kann zunächst als die Frage verstanden werden, ob die WSK-Rechte geeignet sind, Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens zu sein. Dies ist dann nicht der Fall, wenn es schlicht keine zuständigen und kompetenten Spruchkörper gibt, die gerichtlich - oder im internationalen Rahmen auch quasi-gerichtlich - über Fragen betreffend die WSK-Rechte urteilen können, wenn also effektive Durchsetzungsmechanismen fehlen.
Darin kann sich der Vorwurf der mangelnden Justiziabilität der WSK-Rechte aber kaum erschöpfen. Denn wenn diese Rechte ansonsten Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens sein könnten, und es lediglich an entsprechend kompetenten Gerichten fehlte, dann könnten solche Gremien geschaffen bzw. vorhandene Gremien - wie etwa der WSK-Ausschuss des Wirtschafts- und Sozialrats der Vereinten Nationen - gestärkt werden, zum Beispiel durch das "Optional Protocol" (Zusatzprotokoll) zum WSK-Pakt, das ein Individualbeschwerdeverfahren einrichten soll. Letztlich liefe es hier auf eine Frage der politischen Priorität und darauf hinaus, ob die entsprechenden Beschwerdeverfahren politisch gewollt sind oder nicht. Welche gesellschaftlichen Interessen einer Stärkung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Menschenrechte entgegenstehen, und ob nicht solche Interessen - "wohl verstanden" - durchaus auch für diese Rechte sollten streiten können, kann hier nicht erörtert werden.

Materielle Justiziabilität

Hinter dem Vorwurf der mangelnden Justiziabilität der WSK-Rechte scheint aber noch eine weiter gehende Fragestellung zu stehen: Sind die WSK-Rechte ihrem Rechtscharakter nach geeignet, überhaupt Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens zu sein? Es stellen sich hier zunächst die Fragen nach der unmittelbaren innerstaatlichen Anwendbarkeit solcher zum Beispiel im Völkerrecht normierten Rechte ohne vorher gehenden staatlichen Umsetzungsakt oder nach der Qualität von WSK-Rechten als subjektiven, dem einzelnen Menschen zustehenden Rechten. Diese Probleme tauchen auch bei anderen völkerrechtlichen Normen auf und sollen hier nicht weiter behandelt werden. Selbst wenn WSK-Rechte nur als objektives, lediglich die Staaten verpflichtendes Recht verstanden werden, ohne dass damit subjektive Rechte der einzelnen Menschen begründet würden, setzt dies noch voraus, dass solche Rechte einen voll gültigen Rechtscharakter besitzen - und nicht bloße Staatszielbestimmungen oder Programmsätze sind, die die öffentliche Gewalt nicht unmittelbar binden und nur - aber immerhin - mittelbar bei gerichtlichen Entscheidungen im Rahmen der Auslegung von Normen herangezogen werden können.
Will man WSK-Rechte als Rechte ernst nehmen, so impliziert das, ihren vollen rechtlichen Verpflichtungscharakter anzuerkennen. Gegen diesen werden insbesondere zwei Argumente vorgebracht: WSK-Rechte seien zu unbestimmt bzw. vage und WSK-Rechte seien ressourcenabhängig und könnten daher keine voll gültigen Rechte sein.

Zu unbestimmt

Art. 2 Abs. 1 WSK-Pakt verpflichtet jeden Unterzeichnerstaat, "einzeln und durch internationale Hilfe und Zusammenarbeit [...] unter Ausschöpfung aller seiner Möglichkeiten Maßnahmen zu treffen, um nach und nach mit allen geeigneten Mitteln [...] die volle Verwirklichung der in dem Pakt anerkannten Rechte zu erreichen". Diese Vorschrift lässt den Staaten einen großen Ermessensspielraum hinsichtlich der zu wählenden Mittel. Art. 11 Abs. 1 WSK-Pakt zum Beispiel besagt: "Die Vertragsstaaten erkennen das Recht eines jeden auf einen angemessenen Lebensstandard für sich und seine Familie an, einschließlich ausreichender Ernährung, Bekleidung und Unterbringung, sowie auf eine stetige Verbesserung der Lebensbedingungen." Formulierungen wie "angemessener Lebensstandard" gelten als unbestimmt bzw. vage.
Konkreter hat der Saarländische Verfassungsgerichtshof sich in einer Entscheidung mit dem Argument auseinandergesetzt, die Vagheit des in der Saarländischen Verfassung statuierten Rechts auf Arbeit begründe dessen mangelnde Justiziabilität.2 Er stellte fest, die Norm sei zu unbestimmt, um im Wege der richterlichen Rechtsanwendung das soziale Grundrecht im Einzelfall durchzusetzen. Die Rechtsfolgenseite der Norm lege den Inhalt des Verschaffungsanspruches nicht einmal ansatzweise fest. Es werde nicht gesagt, wen die Pflicht letztlich treffe, den Arbeitsplatz bereit zu stellen und den Lohn zu zahlen. Die Justiziabilität scheitere aber auch an der mangelnden Bestimmtheit hinsichtlich des Leistungsgegenstandes. Die Verfassung regle nicht, ob das Recht ein soziales Minimalrecht oder ein Anspruch auf einen wie auch immer der Existenz und Lebensweise des einzelnen angemessenen Arbeitsplatz mit angemessenen Arbeitsbedingungen und angemessener Entlohnung sein soll. Durch die Statuierung einer entsprechenden Norm sei auch ebenso wenig entschieden, ob das Anspruchsniveau auf einen wie auch immer absolut zu bestimmenden Standard fixiert sei oder nach dem Maß der wirtschaftlichen Prosperität des Gemeinwesens schwanke. Diese Ausführungen lassen sich sinngemäß auf andere WSK-Rechte übertragen, zum Beispiel auf das Recht auf Wohnen.

Exkurs in die Rechtstheorie

Vage oder unbestimmte Begriffe sind ein Phänomen, das der Sprache selbst anhaftet. Nach der Definition von Koch und Rüßmann besitzt ein vager Begriff die folgenden Eigenschaften:3
1. Es gibt Gegenstände, die ohne Zweifel unter den Begriff fallen ("positive Kandidaten").
2. Es gibt Gegenstände, die ohne Zweifel nicht unter den Begriff fallen ("negative Kandidaten").
3. Es gibt Gegenstände, hinsichtlich derer nicht entschieden werden kann, ob sie unter den Begriff fallen oder nicht ("neutrale Kandidaten").
Damit ergibt sich immerhin, dass es "auch beim unbestimmten Begriff [...] sichere (assertorische) Urteile [gibt]; aber zwischen dem bejahenden und dem verneinenden Urteil liegt ein Grenzgebiet der bloßen Möglichkeit (problematisches Urteil)."4 Vage Begriffe sind damit solche Begriffe, die neutrale Kandidaten haben.
Die äußerste Grenze der Auslegung - und damit der "positive" Bereich der richterlichen Kompetenz - ist, jedenfalls grundsätzlich, der Wortsinn. Der zu ermittelnde Wortsinn soll einerseits der weiteren Auslegung Grenzen ziehen, andererseits aber auch irgendwie einen Spielraum lassen. Die Grenzen der Wortsinnauslegung müssen insofern möglichst genau markiert werden. Auf der Grundlage des zur Vagheit Gesagten lässt sich das Postulat vom möglichen Wortsinn als Grenze der Auslegung klar formulieren: "Nach der Feststellung des Wortsinns darf bei vagen Begriffen die Auslegung mit Hilfe der anderen juristischen Auslegungsregeln nur mehr die neutralen Kandidaten betreffen; diese dürfen den positiven oder negativen zugeordnet werden."5
Wenn es also einen Wortsinn gibt, der "klare" - also positive oder negative - Kandidaten hergibt, dann ist der Begriff insofern nicht mehr auslegungsbedürftig und ohne weiteres anzuwenden; für die Rechtsfindung qua Auslegung bleibt nur hinsichtlich der neutralen Kandidaten Raum. Der Wortsinn wiederum bildet sich durch den jeweiligen relevanten Sprachgebrauch heraus. Dieser relevante Sprachgebrauch bildet den Rahmen und den Ausgangspunkt der richterlichen Suche nach der Bedeutung der Norm. Diese Suche nimmt so immer "von einer im Lichte des relevanten Sprachgebrauchs bereits partiell semantisch interpretierten gesetzlichen Vorschrift ihren Ausgang".6
Der relevante Sprachgebrauch - wie jeder Sprachgebrauch - entsteht durch den tatsächlich stattfindenden Diskurs der beteiligten Kreise. In diesem Fall ist - um auf die WSK-Rechte zurück zu kommen - bereits viel an "diskursiver Substanz" vorhanden. So gibt es mittlerweile eine Vielzahl von so genannten "General Comments" zu einzelnen Rechten des WSK-Paktes, so zum Beispiel zum Recht auf Nahrung, zum Recht auf Wohnung oder Recht auf Gesundheit. Dazu kommen immer mehr Einzelfallentscheidungen nationaler Gerichte sowie anderer Gremien, etwa der Internationalen Arbeitsorganisation. Auch bezüglich des BP-Paktes wurde im Rahmen des dort möglichen Individualbeschwerdeverfahrens bereits indirekt über WSK-Rechte entschieden (etwa über das Recht auf Gesundheit via Recht auf Leben). Zudem gibt es viele ExpertInnengremien, nationale Menschenrechtsinstitute und Arbeiten aus dem akademischen Umfeld, die Teile des relevanten Diskurses darstellen und die WSK-Rechte zunehmend konkretisieren. Letztlich ist es natürlich Aufgabe der Rechtsprechung selbst, für ein zunehmend dichteres Netz juristisch relevanten Sprachgebrauchs und damit für eine Zunahme der Bestimmtheit bisher relativ unbestimmter Begriffe zu sorgen.

Dimensionen der Menschenrechte

Es gibt einen weiteren Ansatzpunkt, um den Anwendungsbereich des Vagheits- und des darauf gestützten Injustiziabilitäts-Arguments weiter zu verkleinern. Was der Saarländische Verfassungsgerichtshof in der zitierten Entscheidung - und mit ihm viele andere - vorauszusetzen scheint, ist, dass das betroffene Recht überhaupt und in erster Linie als ein Leistungsrecht zu verstehen ist, also als ein Recht, eine positive Leistung vom Staat zu fordern. Dies deckt sich mit der üblichen Anschauung, dass BP-Rechte Abwehrrechte, WSK-Rechte jedoch Leistungs- oder Anspruchsrechte seien.
Gegen eine solche "vertikale" Trennung der Menschenrechte lässt sich jedoch eine sozusagen "horizontal" orientierte Unterscheidung anführen, die an allen Menschenrechten drei wesentliche Aspekte unterscheidet. Nach dieser Ansicht gibt es eine Abstufung von Pflichten des Staates, die sich als erstes in der Pflicht zur Achtung von Menschenrechtsausübung, des weiteren in der Pflicht zum Schutz der Ausübung der Menschenrechte vor Beeinträchtigungen durch Dritte und schließlich in der Pflicht zur positiven Gewährleistung der Voraussetzungen für die Ausübung der Menschenrechte äußert. Im internationalen Sprachgebrauch hat sich dazu die Terminologie "respect, protect, fulfill"7 durchgesetzt, wobei die Verpflichtungsstufe des "fulfill" noch weiter untergliedert werden kann in die Aspekte "facilitate" (erleichtern), "promote" (fördern) und "provide" (bereitstellen). Die geläufigen Einteilungen von Menschen- bzw. Grundrechten in Abwehrrechte, Teilhaberechte und Anspruchs- oder Leistungsrechte findet sich hier wieder - mit dem Unterschied, dass sie als Momente in unterschiedlicher Gewichtung an allen und jedem einzelnen Menschenrecht auftauchen.
Die Möglichkeiten, justiziable Komponenten innerhalb der WSK-Rechte zu finden, werden so erweitert, denn nun stellt sich die Frage nach der Vagheit für jede "Stufe" der Intensität und Richtung staatlichen Handelns auf differenzierte Weise neu. So muss zum Beispiel das Recht auf Wohnen nicht gleichbedeutend sein mit einem einklagbaren Anspruch auf eine Wohnung - ohne dass damit das Recht auf Wohnen seine Rechtsqualität als justiziables Recht einbüßen müsste. Vielmehr erlaubt das oben ausgeführte Begriffsverständnis eine weiter gehende Differenzierung hinsichtlich der Verpflichtung des Staats bezüglich des Rechtes auf Wohnen.8 So müsste der Staat etwa auf der Stufe der Achtung das Recht auf Zugang zu einer menschenwürdigen Wohnung für jeden Menschen respektieren; Menschen, die eine Wohnung haben, dürften prima facie vom Staat aus dieser nicht vertrieben werden. Auf der Stufe des Schutzes müsste der Staat Eingriffe von Dritten abwehren, zum Beispiel Landvertreibungen verhindern. Auch auf der Stufe der positiven Gewährleistung bliebe Raum für weiter gehende Differenzierungen: Von der Ausarbeitung einer nationalen "Housing Strategy" über die Bereitstellung von Wohnungshilfen für arme Bevölkerungsgruppen oder neuer Siedlungsplätze und Zugang zu neuem Produktionsland u.a. bei unvermeidbaren Umsiedlungen bis hin zur Zur-Verfügung-Stellung von Wohnraum durch den Staat.
Im Rahmen des hier vorgestellten Verständnisses der WSK-Rechte erscheint somit eine pauschale und undifferenzierte Annahme ihrer mangelnden Justiziabilität nicht mehr überzeugend. Die auf jeder der genannten Stufen auftretenden vagen Begriffe müssen und können nach ihren positiven, negativen und neutralen Kandidaten untersucht werden. Der Umfang der auch nach diesen Differenzierungen noch übrig bleibenden Unbestimmtheiten scheint jedenfalls geringer, als es der erste Blick vermuten lässt.

Ressourcenabhängigkeit

Zur Erfüllung der ersten zwei Komponenten der Menschenrechte - die Abwehr- und die Schutzdimension - genügen oft legislative oder administrative staatliche Maßnahmen, die regelmäßig keine großen finanziellen Belastungen des Staates zur Folge haben. Jedoch kann ein Menschenrecht auch die Verpflichtung des Staats zu kostenintensiven Leistungen bedeuten, wie etwa in der Bereitstellung eines funktionierenden Justizapparates zur Wahrung des Rechts auf ein faires Verfahren, oder der Polizei zur Wahrung des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Oder eben in der Bereitstellung einer menschenwürdigen Wohnung.
Der Saarländische Verfassungsgerichtshof hat in dem bereits zitierten Urteil zum Recht auf Arbeit ausgeführt, ein so konzipiertes Recht würde in die Haushaltskompetenz des Parlaments derart weit gehend eingreifen, dass im Falle krisenhafter Wirtschaftsentwicklungen mit hohen Arbeitslosenzahlen die Haushaltsmittel in einem so großen Umfang durch Löhne für an sich nicht benötigte Arbeitskräfte im öffentlichen Dienst blockiert wären, dass von einer eigenständigen Haushaltspolitik des Parlaments keine Rede mehr sein könnte und so ein Urrecht des Parlaments, das Budgetrecht, auf dem Wege des justiziellen unmittelbaren Verfassungsvollzugs unterlaufen würde.
Abgesehen davon, dass solche kostenintensiven Leistungen des Staates für bestimmte Menschenrechte außer Frage stehen (s.o.), erscheint nach dem Gesagten jedoch jedenfalls fraglich, ob eine solche Argumentation für alle oder auch nur die Mehrzahl der in Frage kommenden Fälle von Verletzungen von WSK-Rechten in Betracht kommt. Je nach betroffenem Menschenrecht und nach betroffener Verpflichtungsdimension erscheinen auch die finanziellen Folgen und damit der Eingriff in die Budgethoheit des Parlaments höchst unterschiedlich. Viele Maßnahmen zum Schutz der WSK-Rechte über die bloße Diskriminierungsfreiheit in der Anwendung sowie pauschale und statische Mindeststandards hinaus sind auch für Staaten mit kleinem finanziellen Spielraum möglich und nötig.
Im Ergebnis bedeutet dies eine stärkere Bindung der öffentlichen Gewalt an wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechtsstandards. Auch wenn dadurch das immer bestehende Spannungsfeld zwischen den Menschenrechten einerseits und der staatlichen Souveränität andererseits betreten wird und der politische Gestaltungsspielraum entsprechend verengt wird, so erscheint dies doch angesichts der Vielzahl an Differenzierungsmöglichkeiten, die aufgrund einer Begrifflichkeit möglich erscheint, die die WSK-Rechte als Menschenrechte ernst nimmt, nicht als überzogen. Das Potential des Menschenrechtsansatzes in diesem Bereich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte ist sicherlich noch nicht ausgereizt.

Wilko Bauer hat Jura und Philosophie studiert und ist Vorstandsmitglied der Menschenrechtsorganisation FIAN e.V., Ressort Grundsatz und Menschenrechtsinstrumente.

Anmerkungen

1 Pakt über bürgerliche und politische Rechte und der Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte.
2 Saarländischer Verfassungsgerichtshof, in: Neue Juristische Wochenschrift 1996, 383 ff.
3 Vgl. zum Folgenden: Koch, Hans-Joachim / Rüßmann, Helmut, Juristische Begründungslehre, 1982, 194 ff.
4 Jellinek, Georg, Gesetz, Gesetzesanwendung und Zweckmäßigkeitserwägung, 1913, 37, zitiert nach: Koch / Rüßmann, 1982, 195.
5 Koch / Rüßmann, 1982, 197 (Hervorhebung vom Verfasser).
6 Ebenda, 221 (Hervorhebung vom Verfasser).
7 Vgl. dazu bereits den Bericht des UN-Sonderberichterstatters für das Recht auf Nahrung, Asbjörn Eide, an die UN (E/CN.4/Sub.2/1987/23).
8 Vgl. zum Folgenden: Krennerich, Michael / Stamminger, Priska, Die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte: Die Interpretation ist nicht beliebig! http://www.menschenrechte.org/beitraege/WSK/wsk003.pdf (2.3.2005).