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Zensur
--> Zensur. Das Hamburger linke und freie Radio FSK, Freie Sender Kombinat,
hat sich mit seiner Live-Berichterstattung bei Versammlungen als wichtige
logistische Stütze für politische Aktionsformen in der Hansestadt etabliert.
Wer nicht in die Sperren, Kontrollen und berüchtigten Kessel der Hamburger
Polizei geraten will, nimmt sein portables Radiogerät mit und erkundigt
sich über die Frequenz 93,0 Mhz über die Aufstellung des "Team Green",
wie die Ordnungskräfte von den RadiomacherInnen betitelt werden.
Es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis der Sender selbst einmal Betroffener
polizeilicher Maßnahmen werden sollte. Die Gelegenheit für die Repressionsorgane
bot sich, als der Polizeisprecher Ralf K. in einem Interview von dem Radioredakteur
Werner P. über den Verbleib von mehreren Festgenommenen einer Bauwagen-Demo
befragt worden war und darüber wie selbstverständlich keine Auskunft gab.
Werner P., der sich dem Pressesprecher mit vollen Namen und als Mitarbeiter
des Senders vorgestellt hatte, zeichnete das Gespräch auf und sendete
Ausschnitte in einer späteren Sendung. Allerdings hatte der Beamte seinem
eigenen Vernehmen nach das Interview nicht freigegeben und so stand der
Vorwurf im Raum, Werner P. hätte nach § 201 Strafgesetzbuch die "Vertraulichkeit
des Wortes" verletzt. Daraufhin erwirkte die Staatsanwaltschaft einen
Durchsuchungsbefehl, suchte mit drei Hundertschaften der Polizei den im
Schanzenviertel beheimateten Sender auf, verriegelte die Eingangstür und
inszenierte eine martialische Razzia in den Räumen einer Redaktion.
Den Behörden lag zum Zeitpunkt der Durchsuchung längst ein Mitschnitt
der im Radio ausgestrahlten Interviewteile vor. Gesucht wurde nun angeblich
die Originalaufzeichnung der Interviews. Die Maßnahmen der Beamten hatten
mit dem Anlass der Durchsuchung indes wenig zu tun. Wie die Radioleute
berichten, wurde die gesamte Studiotechnik abfotografiert, wurden von
sämtlichen Räumlichkeiten Grundrissskizzen angefertigt und mehrere Ordner
mit Adressen und Redaktionsunterlagen beschlagnahmt. Darüber hinaus wurde
den Sendenden jegliche Erwähnung der Hausdurchsuchung über den Äther untersagt.
Als die Strafverfolgungsbehörden auch nach stundenlangen Aufenthalts in
den Räumen des Radios nicht fündig geworden waren, durchsuchten sie auch
die Privatwohnung des Redakteurs, ohne dafür jedoch einen richterlichen
Beschluss zu haben.
Nach Einschätzung des FSK und der Hamburger Linken handelt es sich bei
der völlig unverhältnismäßigen Razzia um eine massive Einschüchterungsaktion
gegen die kritische Berichterstattung des nichtkommerziellen Senders und
einen politischen Angriff auf eines der letzten größeren linken Projekte
in Hamburg. Dafür spricht, dass der Werner P. für die Ausstrahlung des
Gesprächs vom Amtsgericht zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen verurteilt
worden ist und damit nur knapp an einer Vorstrafe vorbeischrammte. FSK
hat gegen die Durchsuchungsaktion Verfassungsbeschwerde eingereicht.
(www.fsk-hh.org)
Nationalsozialismus
--> Nationalsozialismus. Die auswegslosen Bedingungen unter dem Nationalsozialismus
brachten erdrückende und bizarre Biographien ihrer Opfer hervor, deren
Ausweglosigkeit sich in den deutschen Nachfolgerepubliken fortsetzen sollte.
Anita Kugler hat jüngst die Lebensgeschichte des jüdischen SS-Offiziers
Scherwitz aufgeschrieben. Nach ausgiebigen Recherchen - die auch so manchen
Widerspruch hervorbrachten - bescheinigte die Autorin dem SS-Mann Scherwitz,
dass er in seiner Funktion viele Leben vor den Nazis retten konnte.
Anders sahen es die deutschen Justizbehörden. Sie ließen ihn 1948 verhaften.
Er soll als "SS-Untersturmführer" in Riga das KZ Lenta geleitet und dort
zwei Menschen getötet haben. 1950 wurde vom Landgericht München wegen
Totschlags zu einer Gesamtstrafe von sechs Jahren Gefängnis verurteilt.
Strafverschärfend sei, so hieß es in der Urteilsbegründung, dass "die
Tötung eigener Rassegenossen niedrige Gesinnung" zeige und besonders "verwerflich"
sei. Offensichtlich verwerflicher als die Taten der tatsächlichen Naziverbrecher,
die mit derlei Strafverschärfungen selten zu rechnen brauchten und, anders
als Scherwitz, oft frühzeitig begnadigt wurden. Der für die bundesdeutsche
Nachkriegsjustiz bezeichnende Richterspruch bediente darüber hinaus das
abstruseste aller antisemitischen Projektionen, wonach die schlimmsten
Antisemiten immer noch die Juden selbst seien.
(Anita Kugler, Scherwitz. Der jüdische SS-Offizier, Köln 2004.)
Solidarität
--> Solidarität. Die Rote Hilfe, die strömungsübergreifende linke Schutz-
und Solidaritätsorganisation gegen Verfahren der politischen Justiz, hat
im Februar 2005 in Göttingen das Hans-Litten-Archiv eingerichtet. Grundlage
des Projekts, das als Verein zur Errichtung und Förderung eines Archivs
der Solidaritätsorganisationen der Arbeiter- und Arbeiterinnenbewegung
und der sozialen Bewegungen gegründet worden ist, wird das Göttinger Rote-Hilfe-Archiv
sein. Hier sind bereits Dokumente über den Widerstand gegen die Verfolgung
der radikalen Linken, der sozialen Bewegungen und der Arbeiterbewegung
durch Polizei und Justiz seit der Wiedergründung der Roten Hilfe Mitte
der 1970er Jahre gelagert. Gesammelt werden Materialien der Roten Hilfe
und anderer linker Antirepressionsgruppen sowie Dokumente zur Geschichte
der politischen Justiz und der Verfolgung der Arbeiterbewegung und der
sozialen Bewegung vom Ende des 1. Weltkrieges über die NS-Zeit, die Verfolgung
von Kommunisten unter Adenauer und den Berufsverboten der 70er Jahre bis
zur Gegenwart. Ein besonderer Schwerpunkt soll zunächst auf der Verfolgungsgeschichte
während des NS-Regimes liegen. Der Namensgeber des Archivs Hans Litten
war einer der bekanntesten Rechtsanwälte der Roten Hilfe in der Weimarer
Republik. Bekannt wurde Litten als "Mann, der Hitler in die Enge trieb",
weil es ihm 1931 gelang, den Naziführer beim Prozess um einen SA-Überfall
als Zeugen vorzuladen und dabei die politischen Beweggründe der Nazis
aufzudecken (dazu Forum Recht 4/2003,140).
(Hans-Litten-Archiv, c/o Rote Hilfe, Geismarlandstraße 6 37081 Göttingen;
www.rote-hilfe.de)
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