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Politische Justiz   Heft 2/2005
mehr Theorie wagen
Ansätze der Rechtskritik

Seite 70
 
 

Zensur

--> Zensur. Das Hamburger linke und freie Radio FSK, Freie Sender Kombinat, hat sich mit seiner Live-Berichterstattung bei Versammlungen als wichtige logistische Stütze für politische Aktionsformen in der Hansestadt etabliert. Wer nicht in die Sperren, Kontrollen und berüchtigten Kessel der Hamburger Polizei geraten will, nimmt sein portables Radiogerät mit und erkundigt sich über die Frequenz 93,0 Mhz über die Aufstellung des "Team Green", wie die Ordnungskräfte von den RadiomacherInnen betitelt werden.
Es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis der Sender selbst einmal Betroffener polizeilicher Maßnahmen werden sollte. Die Gelegenheit für die Repressionsorgane bot sich, als der Polizeisprecher Ralf K. in einem Interview von dem Radioredakteur Werner P. über den Verbleib von mehreren Festgenommenen einer Bauwagen-Demo befragt worden war und darüber wie selbstverständlich keine Auskunft gab. Werner P., der sich dem Pressesprecher mit vollen Namen und als Mitarbeiter des Senders vorgestellt hatte, zeichnete das Gespräch auf und sendete Ausschnitte in einer späteren Sendung. Allerdings hatte der Beamte seinem eigenen Vernehmen nach das Interview nicht freigegeben und so stand der Vorwurf im Raum, Werner P. hätte nach § 201 Strafgesetzbuch die "Vertraulichkeit des Wortes" verletzt. Daraufhin erwirkte die Staatsanwaltschaft einen Durchsuchungsbefehl, suchte mit drei Hundertschaften der Polizei den im Schanzenviertel beheimateten Sender auf, verriegelte die Eingangstür und inszenierte eine martialische Razzia in den Räumen einer Redaktion.
Den Behörden lag zum Zeitpunkt der Durchsuchung längst ein Mitschnitt der im Radio ausgestrahlten Interviewteile vor. Gesucht wurde nun angeblich die Originalaufzeichnung der Interviews. Die Maßnahmen der Beamten hatten mit dem Anlass der Durchsuchung indes wenig zu tun. Wie die Radioleute berichten, wurde die gesamte Studiotechnik abfotografiert, wurden von sämtlichen Räumlichkeiten Grundrissskizzen angefertigt und mehrere Ordner mit Adressen und Redaktionsunterlagen beschlagnahmt. Darüber hinaus wurde den Sendenden jegliche Erwähnung der Hausdurchsuchung über den Äther untersagt. Als die Strafverfolgungsbehörden auch nach stundenlangen Aufenthalts in den Räumen des Radios nicht fündig geworden waren, durchsuchten sie auch die Privatwohnung des Redakteurs, ohne dafür jedoch einen richterlichen Beschluss zu haben.
Nach Einschätzung des FSK und der Hamburger Linken handelt es sich bei der völlig unverhältnismäßigen Razzia um eine massive Einschüchterungsaktion gegen die kritische Berichterstattung des nichtkommerziellen Senders und einen politischen Angriff auf eines der letzten größeren linken Projekte in Hamburg. Dafür spricht, dass der Werner P. für die Ausstrahlung des Gesprächs vom Amtsgericht zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen verurteilt worden ist und damit nur knapp an einer Vorstrafe vorbeischrammte. FSK hat gegen die Durchsuchungsaktion Verfassungsbeschwerde eingereicht.
(www.fsk-hh.org)

Nationalsozialismus

--> Nationalsozialismus. Die auswegslosen Bedingungen unter dem Nationalsozialismus brachten erdrückende und bizarre Biographien ihrer Opfer hervor, deren Ausweglosigkeit sich in den deutschen Nachfolgerepubliken fortsetzen sollte. Anita Kugler hat jüngst die Lebensgeschichte des jüdischen SS-Offiziers Scherwitz aufgeschrieben. Nach ausgiebigen Recherchen - die auch so manchen Widerspruch hervorbrachten - bescheinigte die Autorin dem SS-Mann Scherwitz, dass er in seiner Funktion viele Leben vor den Nazis retten konnte.
Anders sahen es die deutschen Justizbehörden. Sie ließen ihn 1948 verhaften. Er soll als "SS-Untersturmführer" in Riga das KZ Lenta geleitet und dort zwei Menschen getötet haben. 1950 wurde vom Landgericht München wegen Totschlags zu einer Gesamtstrafe von sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Strafverschärfend sei, so hieß es in der Urteilsbegründung, dass "die Tötung eigener Rassegenossen niedrige Gesinnung" zeige und besonders "verwerflich" sei. Offensichtlich verwerflicher als die Taten der tatsächlichen Naziverbrecher, die mit derlei Strafverschärfungen selten zu rechnen brauchten und, anders als Scherwitz, oft frühzeitig begnadigt wurden. Der für die bundesdeutsche Nachkriegsjustiz bezeichnende Richterspruch bediente darüber hinaus das abstruseste aller antisemitischen Projektionen, wonach die schlimmsten Antisemiten immer noch die Juden selbst seien.
(Anita Kugler, Scherwitz. Der jüdische SS-Offizier, Köln 2004.)

Solidarität

--> Solidarität. Die Rote Hilfe, die strömungsübergreifende linke Schutz- und Solidaritätsorganisation gegen Verfahren der politischen Justiz, hat im Februar 2005 in Göttingen das Hans-Litten-Archiv eingerichtet. Grundlage des Projekts, das als Verein zur Errichtung und Förderung eines Archivs der Solidaritätsorganisationen der Arbeiter- und Arbeiterinnenbewegung und der sozialen Bewegungen gegründet worden ist, wird das Göttinger Rote-Hilfe-Archiv sein. Hier sind bereits Dokumente über den Widerstand gegen die Verfolgung der radikalen Linken, der sozialen Bewegungen und der Arbeiterbewegung durch Polizei und Justiz seit der Wiedergründung der Roten Hilfe Mitte der 1970er Jahre gelagert. Gesammelt werden Materialien der Roten Hilfe und anderer linker Antirepressionsgruppen sowie Dokumente zur Geschichte der politischen Justiz und der Verfolgung der Arbeiterbewegung und der sozialen Bewegung vom Ende des 1. Weltkrieges über die NS-Zeit, die Verfolgung von Kommunisten unter Adenauer und den Berufsverboten der 70er Jahre bis zur Gegenwart. Ein besonderer Schwerpunkt soll zunächst auf der Verfolgungsgeschichte während des NS-Regimes liegen. Der Namensgeber des Archivs Hans Litten war einer der bekanntesten Rechtsanwälte der Roten Hilfe in der Weimarer Republik. Bekannt wurde Litten als "Mann, der Hitler in die Enge trieb", weil es ihm 1931 gelang, den Naziführer beim Prozess um einen SA-Überfall als Zeugen vorzuladen und dabei die politischen Beweggründe der Nazis aufzudecken (dazu Forum Recht 4/2003,140).
(Hans-Litten-Archiv, c/o Rote Hilfe, Geismarlandstraße 6 37081 Göttingen; www.rote-hilfe.de)
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