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Am 20. Juni 2001 fand auf Initiative der antirassistischen Netzwerke
Libertad! und kein mensch ist illegal Deutschlands erste große Protestaktion
im Internet statt. Aus Protest gegen die Beteiligung der Lufthansa AG
an Abschiebungen und die damit verbundenen Profite des Unternehmens legten
damals mehr als 13.000 Menschen die Internetseiten der Lufthansa mit ihren
Anfragen zeitweise lahm - und dies öffentlichkeitswirksam am Tag der Aktionärsversammlung
des Unternehmens. Nach eigenen Angaben aus dem Jahr 2000 führt die Lufthansa
jährlich rund 10.000 Abschiebungen auf ihren Linienflügen durch; dabei
gab es bereits zwei Todesfälle.
Was als erfolgreiche Protestaktion begann, droht nun zum juristischen
Präzedenzfall zu werden: Ende Dezember 2004 erhob die Staatsanwaltschaft
Frankfurt am Main Anklage gegen den Betreiber der Internetseiten www.libertad.de
wegen Nötigung und Aufruf zur Nötigung.
Der Anklageerhebung war eine Strafanzeige der Lufthansa wegen Computersabotage,
Datenveränderung und Nötigung im Sommer 2001 vorangegangen. Im Oktober
des gleichen Jahres beschlagnahmte die Frankfurter Polizei bei einer Razzia
in den Räumen von Libertad! zehn Computer und weitere Datenträger, die
nach Angaben von Libertad! zum größten Teil bis heute nicht zurückgegeben
wurden. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt bot Libertad! schließlich im
Mai 2004 die Einstellung des Verfahrens an. Auflage dafür sollte neben
einem Schuldeingeständnis sein, dass Libertad! auf die Rückgabe der beschlagnahmten
Computer verzichtet. Libertad! hält den Protest nach wie vor für legitim
und lehnte das Angebot deshalb ab, so dass es letztendlich zur Anklageerhebung
kam.
Ob das Amtsgericht Frankfurt die Anklage zur Hauptverhandlung zulassen
wird, war bei Redaktionsschluss noch nicht bekannt. Sollte es dazu kommen,
werden politische Protestformen im Internet in Deutschland erstmals einer
juristischen Würdigung unterzogen - und im Falle einer Verurteilung künftig
wohl deutlich erschwert werden. Dabei wird es nicht nur darum gehen, ob
das in Artikel 8 Grundgesetz gewährte Recht auf Versammlungsfreiheit,
auf das Libertad! sich beruft, auch im virtuellen Raum gilt. Kernfrage
dürfte sein, ob die Mobilisierung zu einer Protestaktion im Internet überhaupt
eine Nötigung darstellen kann oder vielmehr von der Meinungsfreiheit gedeckt
ist.
Während die Lufthansa mittlerweile das Interesse an dem Fall offenbar
verloren hat, sieht Libertad! einem möglichen Prozess gelassen entgegen:
Er bietet die Möglichkeit, die bis heute kaum geänderte Abschiebepraxis
der Lufthansa und die damit verbundenen politischen Forderungen wieder
in die öffentliche Diskussion zu bringen.
Tanja Nitschke, Karlsruhe/Nürnberg
Infos und Spendenaufruf: www.libertad.de
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