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Online-Demonstration vor Gericht   Heft 2/2005
mehr Theorie wagen
Ansätze der Rechtskritik

Seite 69
 
 

Am 20. Juni 2001 fand auf Initiative der antirassistischen Netzwerke Libertad! und kein mensch ist illegal Deutschlands erste große Protestaktion im Internet statt. Aus Protest gegen die Beteiligung der Lufthansa AG an Abschiebungen und die damit verbundenen Profite des Unternehmens legten damals mehr als 13.000 Menschen die Internetseiten der Lufthansa mit ihren Anfragen zeitweise lahm - und dies öffentlichkeitswirksam am Tag der Aktionärsversammlung des Unternehmens. Nach eigenen Angaben aus dem Jahr 2000 führt die Lufthansa jährlich rund 10.000 Abschiebungen auf ihren Linienflügen durch; dabei gab es bereits zwei Todesfälle.
Was als erfolgreiche Protestaktion begann, droht nun zum juristischen Präzedenzfall zu werden: Ende Dezember 2004 erhob die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main Anklage gegen den Betreiber der Internetseiten www.libertad.de wegen Nötigung und Aufruf zur Nötigung.
Der Anklageerhebung war eine Strafanzeige der Lufthansa wegen Computersabotage, Datenveränderung und Nötigung im Sommer 2001 vorangegangen. Im Oktober des gleichen Jahres beschlagnahmte die Frankfurter Polizei bei einer Razzia in den Räumen von Libertad! zehn Computer und weitere Datenträger, die nach Angaben von Libertad! zum größten Teil bis heute nicht zurückgegeben wurden. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt bot Libertad! schließlich im Mai 2004 die Einstellung des Verfahrens an. Auflage dafür sollte neben einem Schuldeingeständnis sein, dass Libertad! auf die Rückgabe der beschlagnahmten Computer verzichtet. Libertad! hält den Protest nach wie vor für legitim und lehnte das Angebot deshalb ab, so dass es letztendlich zur Anklageerhebung kam.
Ob das Amtsgericht Frankfurt die Anklage zur Hauptverhandlung zulassen wird, war bei Redaktionsschluss noch nicht bekannt. Sollte es dazu kommen, werden politische Protestformen im Internet in Deutschland erstmals einer juristischen Würdigung unterzogen - und im Falle einer Verurteilung künftig wohl deutlich erschwert werden. Dabei wird es nicht nur darum gehen, ob das in Artikel 8 Grundgesetz gewährte Recht auf Versammlungsfreiheit, auf das Libertad! sich beruft, auch im virtuellen Raum gilt. Kernfrage dürfte sein, ob die Mobilisierung zu einer Protestaktion im Internet überhaupt eine Nötigung darstellen kann oder vielmehr von der Meinungsfreiheit gedeckt ist.
Während die Lufthansa mittlerweile das Interesse an dem Fall offenbar verloren hat, sieht Libertad! einem möglichen Prozess gelassen entgegen: Er bietet die Möglichkeit, die bis heute kaum geänderte Abschiebepraxis der Lufthansa und die damit verbundenen politischen Forderungen wieder in die öffentliche Diskussion zu bringen.

Tanja Nitschke, Karlsruhe/Nürnberg

Infos und Spendenaufruf: www.libertad.de