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Für die politische Linke war das Recht schon immer ein Phänomen, das
nicht nur nach aktivem politischen Handeln verlangte, sondern auch theoretisch
erfasst werden wollte. Die Reflektion darüber, ob rechtsförmig ausgeübte
Herrschaft nur eine andere Form gesellschaftlicher Unterdrückung oder
aber zumindest potentiell einen Gewinn an Rationalität und individueller
Freiheit darstellt, ist für das praktische politische Engagement immer
relevant. In der Auseinandersetzung mit dieser Frage überschneiden sich
vielfach marxistische mit liberalen Denktraditionen zu widersprüchlichen
oder Gewinn bringenden Perspektiven. So erscheint das Recht auch innerhalb
linker Debatten zugleich als Instrument kapitalistischen Gewinnstrebens
und als Mittel zur sozialstaatlichen Bändigung des Marktes, als Produkt
demokratischer Verfahren und als Schutz des Individuums vor tyrannischen
Mehrheiten, als Machtmittel imperialer westlicher Weltgeltung und als
einziger Weg zur Sicherung eines gewaltfreien Friedens.
Dieser Stellenwert der Theorie ist heute ungebrochen. Gerade das Verständnis
und die Bewertung schneller gesellschaftlicher sowie politischer Veränderungen
setzt die Möglichkeit des Rückgriffs auf einen theoretischen Erklärungsrahmen
voraus. Deshalb ist die Theoriegeschichte auch immer daraufhin zu befragen,
welche Antworten sie für den Umgang mit aktuellen Problemen bietet - etwa
mit der Beschreibung der Globalisierung, dem Um- bzw. Rückbau des Sozialstaats
oder der Bewahrung von Demokratie auf nationaler und supranationaler Ebene.
Um solche Phänomene zu verstehen, ist Beschäftigung mit Theorie gerade
im Studium von großer Bedeutung.
Dieses Heft versucht, einen kleinen Ausschnitt der großen Vielfalt theoretischer
Ansätze einer kritischen Rechtswissenschaft darzustellen. Es beginnt seinen
Bogen in der aus den Vereinigten Staaten stammenden Bewegung der Critical
Legal Studies, deren theoretische Debatten zwar immer auch von europäischem
Gedankengut beeinflusst waren, gleichwohl aber eine ganz eigene Charakteristik
entwickelt haben. Dabei lässt sich etwa in der akademischen Auseinandersetzung
mit den Kategorien Geschlecht und Rasse eine viel breitere und intensivere
Diskussion feststellen als in der hinsichtlich solcher Thematiken wenig
offenen deutschen Wissenschaft. Zugleich werden die vielfältigen Einflüsse
der postmodernen Philosophie aufgegriffen und für rechtliche Fragestellungen
verarbeitet. Nach einigen grundsätzlichen Überlegungen zu Sinn und Bedeutung
juristischer Grundlagenarbeit öffnet die Auseinandersetzung mit spieltheoretischen
Deutungen des Rechts eine häufig provokante aber dadurch manchmal auch
Gewinn bringende Perspektive auf ganz konkrete rechtliche Probleme. Mit
den theoretischen Grundlagen der praktischen Rechtsanwendung schließlich
befasst sich auch der letzte Beitrag unseres Schwerpunkts, der am Beispiel
der Justiziabilität wirtschaftlicher und sozialer Grundrechte die Frage
des Umgangs mit unbestimmten Rechtsnormen aufwirft.
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