Ulrich B. Gensch |
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Zwangsheirat ist keine Ehrensache | Heft
3/2005 Hartz fear Seite 91-92 |
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Über Zwangsverheiratungen in Deutschland und Initiativen zu deren Bekämpfung |
Am 07. Februar 2005 wurde in Berlin eine 23 Jahre alte deutsche Türkin von ihren Brüdern ermordet, weil diese damit die Ehre der Familie wieder herstellen wollten. Dies war der fünfte derartige "Ehrenmord" innerhalb von vier Monaten in Berlin. Nun endlich erregten diese Verbrechen auch breites Aufsehen: am 5. März demonstrierten über 1.000 (Deutsch-)TürkInnen und Deutsche gegen so genannte Ehrverbrechen1. Die kürzlich erschienenen Bücher von Necla Kelek: "Die fremde Braut - Ein Bericht aus dem Inneren des türkischen Lebens in Deutschland" und Hanife Gashi: "Mein Schmerz trägt deinen Namen - Ein Ehrenmord in Deutschland" stellen die Hintergründe dar und haben eine öffentliche Diskussion angeregt. Autorität und Ehrbegriff "Eine Ehe darf nur im freien und vollen Einverständnis der künftigen
Ehegatten geschlossen werden." So bestimmt es Artikel 16 Absatz 2 der
UN-Menschenrechtserklärung. Trotzdem werden viele junge Frauen (und einige
Männer) gegen ihren Willen verheiratet. Die Berichte der Betroffenen zeigen
die dramatischen Umstände und schrecklichen Folgen. Mit Drohungen und
brutaler Gewalt werden die arrangierte Ehe und das überkommene Ehrverständnis
der Familie durchgesetzt2. Die Motivationen der TäterInnen ergeben sich
aus traditionellen, patriarchalischen Kulturvorstellungen. Sie stammen
meist aus ländlichen und rückständigen Regionen. Drei Formen der Zwangsverheiratung Zwangsverheiratungen gibt es in Deutschland vor allem in drei Formen:
Erstens die so genannten "Import-Bräute". Auf Grund einer Vereinbarung
der Familien werden junge Mädchen aus dem Heimatland nach Deutschland
gebracht, um hier verheiratet zu werden. Meistens kennen sich die Familien
gut, etwa weil sie aus derselben Region des Heimatlandes stammen. Die
Opfer haben in Deutschland niemanden, der sie unterstützt oder dem sie
sich anvertrauen können. Sie kennen weder die deutsche Sprache noch die
Kultur und sind in besonderer Weise hilflos. Eine zweite Form ist die
"Ferien-Verheiratung". Mädchen aus MigrantInnenfamilien werden während
der Ferien in ihrem Herkunftsland für sie überraschend verheiratet. Da
sie von ihrer Familie in Deutschland abgemeldet werden und ihnen der Reisepass
weggenommen wird, können sie nicht mehr nach Deutschland zurückkehren
und müssen so gegen ihren Willen im Ausland bleiben. Die dritte Variante
ist die Verheiratung einer Frau mit einem gesicherten Aufenthaltsstatus
in der Bundesrepublik mit einem noch im Ausland lebenden Landsmann, um
diesem die Einwanderung nach Deutschland zu ermöglichen. Politische Initiativen Die Frauenrechtsorganisation TERRE DES FEMMES hatte bereits 2002 mit
einer breit angelegten Kampagne auf Zwangsverheiratungen in Deutschland
aufmerksam gemacht. Im Juli 2003 und im April 2005 führten BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN Anhörungen im Bundestag durch.4 Im Herbst 2004 brachte die baden-württembergische
Landesregierung einen Gesetzentwurf in den Bundesrat ein. Danach sollte
im Strafgesetzbuch (StGB) ein ausdrückliches Verbot der Zwangsverheiratung
aufgenommen werden. Außerdem sollte die Aufhebung einer durch Zwang zu
Stande gekommenen Ehe erleichtert werden. Dazu sollten die bisherige Ein-Jahres-Frist
und unterhaltsrechtliche Nachteile abgeschafft werden5. Als Reaktion auf
diese Gesetzesinitiative, die in dieser Form letztlich vom Bundestag nicht
verabschiedet worden ist, konnten sich BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN in der
rot-grünen Koalition mit ihrer Forderung durchsetzen, Zwangsverheiratungen
als eigenen Straftatbestand aufzuführen, so dass diese als besonders schwerer
Fall der Nötigung mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren in das
Strafgesetzbuch aufgenommen wurden6. Ausgrenzung statt Emanzipation In der Verurteilung von Zwangsehen sind sich alle Parteien einig. Allerdings
keineswegs aus den gleichen Gründen. Dass dieses Thema von einigen CDU/CSU-PolitikerInnen
teilweise in Zusammenhang gebracht wird mit einer pauschalen Verdächtigung
des Islam, hilft den bedrohten Frauen nicht, sondern verstärkt das Gefühl
der Ausgrenzung, das viele MigrantInnen haben. Dies führt zur Abgrenzung
und Überbetonung der traditionellen Werte der "Heimat". Es ist deutlich,
dass es der Union nicht um eine Zurückdrängung des Patriarchats geht,
sondern darum, die Überlegenheit der "deutschen Leitkultur" oder der christlichen
Religion belegen zu können. Rechtspolitische Forderungen Wie sind nun die Erfolgsaussichten der beschlossenen Maßnahmen zu beurteilen?
Die Änderung des Strafrechts wird weniger zu Verurteilungen führen, ist
aber als Symbol wichtig. Der Staat und die Gesellschaft verurteilen Ehen,
die gegen den Willen der Brautleute arrangiert worden sind, als Menschenrechtsverletzungen.
Dies muss durch Aufklärungskampagnen deutlich in das Bewusstsein gebracht
werden. Das Empfinden, dass es sich hierbei nicht um traditionelle Verhaltensweisen
handelt, die hinzunehmen wären, muss vor allem im familiären Umfeld der
potenziellen Opfer verstärkt werden. Vielen Frauen, die von Zwangsverheiratung
bedroht sind, könnten gerade die Verwandten helfen. Druck auf die Eltern,
den Kindern ihre Freiheit zu lassen und ihre Würde zu respektieren, kann
Erfolg haben, da die Eltern ja gerade aus dem Bedürfnis nach Anerkennung
bei Verwandten, Bekannten und NachbarInnen heraus handeln. Solche Kampagnen
durchzuführen ist nicht nur - aber auch - eine staatliche Aufgabe. In
Schulen, Jugendzentren und MigrantInnenhilfseinrichtungen sowie auch in
Kulturvereinen und Moscheen muss diese Aufklärungsarbeit erbracht werden. Ulrich B. Gensch ist Promotions-Student an der Juristischen Fakultät in Hannover. Anmerkungen: 1 Bullion, In den Fängen einer türkischen Familie, Süddeutsche Zeitung
(SZ) v. 26.02.05; Türkinnen brechen ihr Schweigen, EMMA 3/05, 75-77. Literatur: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bundestagsfraktion, Zwangsheirat ist keine
Ehrensache, Dokumentation der Anhörung vom 17.07.03, Schriftenreihe Nr.
15/57, 2004, http://www.gruene-fraktion.de/cms/publikationen/dokbin/44/44023.zwangsheirat.pdf Internet: www.frauenrechte.de |