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Politische Justiz   Heft 3/2005
Hartz fear

Seite 106
 
 

Kurt Eisner gesucht

--> Antifaschismus. München ist einmal mehr Schauplatz eines in mehrfacher Hinsicht geschichtsvergessenen Strafverfahrens. Dort ist der Aktionskünstler und Vorsitzende der Kurt-Eisner-Kulturstiftung Wolfram Kastner verwarnt worden, weil er zum Allerheiligen am 1. November in Salzburg eine Banderole der "Kameradschaft IV" mit der Aufschrift "Unseren gefallenen Kameraden der Waffen-SS" abgeschnitten hatte. Die Schleife hatte Kastner dann dem österreichischen Bundespräsidenten mit der Bitte geschickt, dem seit 1954 alljährlich stattfindendem Gedenken der braunen Kameraden endlich ein Ende zu bereiten.
Zuvor hatte Richterin Berneder vom Landgericht Salzburg in Deutschland um Amtshilfe gebeten. Immerhin hatte der Verein der Alt-Nazis einen Schaden von etwa 20 Euro zu beklagen und Strafanzeige gegen Kastner gestellt, der sich auf Flugblättern namentlich als Mitglied der Kurt-Eisner-Kulturstiftung zu der Aktion bekannt hatte. Die Richterin grüßte das Amtsgericht München mit dem Ausdruck "vorzüglicher Hochachtung" und bat um "Ausforschung und Einvernahme von Wolfram Kastner" sowie "Kurt Eisner".
Das Strafverfahren gegen den Namenspatron der Stiftung musste im Sande verlaufen. Der Revolutionär Kurt Eisner, der im November 1918 den republikanischen Freistaat Bayern ausrief und dessen erster Ministerpräsident war, wurde am 21. Januar 1919 in München vom rechtsextremen Graf von Arco ermordet. Arco wurde seinerzeit nach vier Jahren "Festungshaft" entlassen, er habe "aus glühender Liebe zum Vaterland" gehandelt, urteilte damals das Gericht. Während Richterin Berneder für ihr Anliegen jenen Eisner vernehmen zu lassen, entsprechenden Spott erntete, fand sie in dem Verfahren gegen den Künstler Kastner einen willigen Verbündeten in dem Münchener Staatsanwalt Hoffmann. Dieser hielt "wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten" und stellte Strafantrag gegen Kastner.
Dieser entgegnete: "Offenbar hat der Mann verschlafen, dass der Anschluss Österreichs von 1938 nicht mehr rechtsgültig ist"; und bemerkte, dass die Waffen-SS im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess zu einer "verbrecherischen Organisation" erklärt worden ist, nach deutschem Recht also "die demonstrative öffentliche Ehrung der Waffen-SS und nicht das Entfernen einer Banderole mit der Aufschrift ‚Waffen-SS' als Rechtsverstoß zu werten" sei. Kastner will gegen die Verwarnung unter Strafvorbehalt in Revision gehen.

Demo online

--> Demonstrationsrecht. Vor dem Amtsgericht Frankfurt a.M. hat der Prozess gegen die Initiatoren der bundesweit ersten "Online-Demo" begonnen. Im Juni 2001 hatten über 13 000 TeilnehmerInnen mit einer virtuellen Blockade die Internetseite der Fluggesellschaft Lufthansa zeitweise lahmgelegt. Der Protest richtete sich gegen das lukrative Abschiebegeschäft des Konzerns. Mit den Maschinen der Lufthansa werden jährlich mehrere tausend Menschen abgeschoben, häufiger kam es zu Misshandlungen von Flüchtlingen und auch zu Todesfällen.
Aus Protest gegen diese Abschiebepraxis hatten die antirassistischen Initiativen Kein Mensch ist illegal und Libertad! im Rahmen ihrer "stop deportation.class"-Kampagne zur Online-Aktion aufgerufen, die beim Kölner Ordnungsamt und der Polizei formgerecht als Demonstration angemeldet worden war. Die Behörden unternahmen nichts, um der Aktion Beschränkungen aufzuerlegen oder sie gänzlich zu verbieten. Auch wenn die Homepage des Unternehmens während ihrer Aktionärsversammlung kurzeitig blockiert wurde, konnte die Lufthansa AG keinen Schaden beziffern und hat dementsprechend auf zivilrechtliche Schritte verzichtet.
Gleichwohl fanden im Oktober 2001 Hausdurchsuchungen des polizeilichen Staatsschutzes im Frankfurter Büro von Libertad! und in den Wohnräumen des Anmelders ihrer Internet-Domain statt. Mehrere Computer und Datenträger wurden beschlagnahmt. Im Dezember letzten Jahres erhob die Staatsanwaltschaft Anklage wegen "Nötigung" und der "öffentlichen Aufforderung zu Straftaten". (s. Forum Recht 2005, 69). (www.libertad.de)

Lebenslang für Waffen-SS

--> Nationalsozialismus. Im Juni sind im italienischen La Spezia zehn frühere Mitglieder der SS, darunter die Offiziere Gerhard Sommer, Ludwig Sonntag und Alfred Schönenberg, in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt wurden. Am 12. August 1944 überfielen sie mit 400 anderen Soldaten der 16. SS-Panzergrenadierdivision "Reichsführer-SS" das toskanische Bergdorf Sant'Anna di Stazzema und töteten mit aller Grausamkeit 560 Menschen. In der Region sind von der Waffen-SS und anderen Wehrmachtseinheiten insgesamt etwa 10.000 italienische ZivilistInnen getötet wurden (s. Forum Recht 2004, 142).
Die Strafverfolgung der Täter setzte erst über ein halbes Jahrhundert später ein. In Italien wurden die dokumentierten Verbrechen lange Zeit in dem so genannten "Schrank der Schande" unter Verschluss gehalten, u.a. um die Wiederbewaffnung des westdeutschen Bündnispartners nicht zu gefährden. Die Täter wurden nicht nach Italien ausgeliefert. Die deutschen Ermittlungsbehörden führen derweil ein eigenes Strafverfahren gegen die hochbetagten SS-Männer, das sich aber gegen mehr als zehn Verdächtige richte und sich wegen des Nachweises der einzelnen Tatbeiträge "problematisch" gestalte.

Beugehaft

--> §129a StGB. Vor dem Oberlandesgericht Halle hat das Revisionsverfahren gegen den linken Aktivisten Daniel W. mit Beugehaft gegen einzelne Zeugen begonnen. Daniel W. war vor zwei Jahren zusammen mit Marco H. und Carsten S. wegen "Bildung einer terroristischen Vereinigung" nach §129a Strafgesetzbuch angeklagt worden. Später wurde dieser Vorwurf zwar fallengelassen, Daniel W. und Marco H. wurden jedoch in einem höchst fragwürdigen Indizienprozess u.a. wegen Brandstiftung zu mehreren Monaten Haft verurteilt, Christian S. wurde freigesprochen (s. Forum Recht 2004, 70). Marco H. und Christian S. sollten nun in dem neuen Verfahren gegen ihren Genossen als Zeugen aussagen. Dazu erklärten sie: "Wir werden auf keinen Fall Aussagen in diesem Verfahren machen, da wir dies nicht mit unserem Gewissen und unserer politischen Identität vereinbaren können". Die konsequente Aussageverweigerung sei ein Versuch diesem politischen Verfahren offensiv entgegenzutreten. (www.soligruppe.de)

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