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Gewalt gegen Frauen ist in Pakistan in den verschiedensten Ausprägungen,
vor allem in häuslicher Umgebung, aber auch am Arbeitsplatz und sonst
in der Gesellschaft weit verbreitet. Gerade in diesem Jahr haben einige
Fälle Pakistan bewegt und auch in der Weltöffentlichkeit Aufsehen erregt.1
Eine besonders grausame Form der Gewalt ist dabei das Anzünden oder Übergießen
mit ätzender Säure. 181 solcher Verbrennungsopfer registrierte die Human
Rights Commission of Pakistan für das Jahr 2004, wobei von einer hohen
Dunkelziffer auszugehen ist. Auch wenn die Opfer oder ihre Familien oft
angeben, sie hätten sich bei Explosionen des Ofens verletzt oder weil
ihre Kleidung beim Kochen Feuer fing, handelt es sich in der überwiegenden
Zahl der Fälle um häusliche Gewalt gegen Frauen, zumeist verübt durch
den Ehemann oder die angeheiratete Familie. Wie kann es sein, dass solche
Verbrennungen zuhauf begangen werden? Was macht das Recht, ganz abgesehen
von Politik und Moral, falsch?
Nehmen wir Sumaira als Beispiel. Sie ist 20 Jahre alt, zu 70 % verbrannt,
fast ihr ganzer Körper entstellt. Vor drei Tagen, so erzählt sie durch
ihre Atemmaske, war sie allein zuhause, als ihre Nachbarn, mit denen ihre
Familie schon länger im Konflikt stand, in ihr Haus eindrangen, sie mit
Kerosin übergossen und anzündeten. Sumairas Familie, die sie im Krankenhaus
beim Sterben begleitet, will auf jeden Fall ein Gerichtsverfahren anstrengen.
Dass dies nicht einfach wird, ist ihnen sicherlich klar. Schon am Tag
des Verbrechens hat Sumaira der Polizei die Namen der vermeintlichen Täter
genannt und doch sind weder ihre Aussage auf Tonband aufgenommen noch
die Beschuldigten verhört oder gar festgenommen worden.
Diskriminierende Gesetze
Tatsächlich ist vieles am pakistanischen Rechtssystem zu kritisieren:
Die veralteten, noch aus britischen Kolonialzeiten übernommenen Gesetze
und Strukturen, das Fehlen rechtsstaatlicher Verfahren, die extreme Überlastung
der Gerichte, Korruption und Ineffizienz... Die Erlangung von Recht ist
daher für alle Menschen schwierig. Selbstredend trifft dies insbesondere
alle sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen. Was Frauen (neben religiösen
Minderheiten) jedoch zusätzlich belastet und ihre Lage von der in anderen
Entwicklungsländern unterscheidet, ist die Tatsache, dass insbesondere
im Strafrecht Frauen diskriminierende Gesetze bestehen.
Beispiel dafür sind die Qisas und Diyat laws von 1990 bzw. 1997, die mangels
speziellerer Gesetze auch in Fällen der Frauenverbrennung einschlägig
sind. Sie stehen hinter den Hudood Laws von 1979, die u.a. die Straftaten
gegen die sexuelle Selbstbestimmung behandeln, und dem Beweisrecht (Law
of Evidence, Qanoon-e-Shahadat) von 1984 in Kritik. Die Qisas und Diyat
laws entstammen dem islamischen Recht und regeln die Strafbarkeit von
Taten gegen das Leben und die körperliche Unversehrtheit. Qisas, die Vergeltung,
und Diyat, die Entschädigung, stellen dabei Strafformen dar.
Rolle der Opfer oder der Erben des Opfers ist es, eine der Strafformen
zu fordern oder dem Täter zu vergeben. Wird auf Vergeltung verzichtet
oder ist diese ggf. rechtlich nicht zulässig, so steht die Bestrafung
gewöhnlich im Ermessen des Richters. Unter diesen Umständen hat der Richter
nicht nur über das Strafmaß zu entscheiden, sondern auch darüber, ob überhaupt
zu bestrafen ist. Das weite Ermessen des Richters stellt jedoch Einbruchstellen
für seine Normvorstellungen dar. Unabhängig davon, ob diese Gesetze theoretisch
sinnvoll sind, ergeben sie daher zusammen mit den im Justizsystem vorherrschenden
religiösen Vorstellungen und Vorurteilen gegen Frauen eine Bedrohungslage
für das weibliche Opfer. In Anbetracht dessen, dass Frauenverbrennungen
meist familienintern stattfinden, werden das Opfer oder seine Erben dem
Druck durch die anderen Familienangehörigen ausgesetzt, sich nicht zu
hart, wenn überhaupt, gegen den Täter zu wenden. Darüber hinaus macht
monetäre Kompensation auch keinen Sinn, wenn das Geld in der Familie bleibt
und daher nur theoretisch ein Täter-Opfer-Ausgleich stattfindet.
Letztlich ist die Bestrafung derer, die Sumaira töteten, die Entscheidung
ihrer Familie. Bei den praktischen Belastungen und den Vorurteilen gegen
Frauen im pakistanischen Justizsystem ist es fraglich, ob die Angehörigen
die Hoffnung auf ein gerechtes staatliches Urteil behalten werden und
die Kraft und den Willen finden, das Gerichtsverfahren bis zu einem Urteil
voranzutreiben. Den Staat trifft aber die Schutzpflicht für das Leben
und die körperliche Unversehrtheit seiner Bevölkerung. Eine solche Privatisierung
des Strafrechts darf es daher nicht geben.
Sabiha Beg studiert Jura und lebt in Hamburg.
Anmerkungen:
1 Vgl. www.peacewomen.org/news/Pakistan/news.html.
Literatur:
Ahmad, Eqbal, War on Women, in: Ahmad, Dohra/ Ahmad, Iftikhar/
Mian, Zia (Hrsg.), Between Past and Future - Selected Essays on South
Asia by Eqbal Ahmad, Oxford University Press/ Karachi (Pakistan) 2004,
235-238.
Jahangir, Asma/ Jilani, Hina, The Hudood Ordinances - A divine
sanction?, Sang-e-Meel Publications, Lahore (Pakistan) 2003.
Sardar Ali, Shaheen, Gender and human rights in Islam and international
law: equal before Allah, unequal before man?, Kluwer Law International,
Den Haag 2002.
Human Rights Commission of Pakistan, State of Human Rights in 2004,
2005, http://www.hrcp-web.org/ar_2004.cfm.
Human Rights Watch: Crime or Custom? - Violence against Women in
Pakistan, 1999, http://www.hrw.org/reports/1999/pakistan.
Shirkat Gah Women's Resource Centre (Hrsg.), Towards a Better Tomorrow
- Report of the Commission of Inquiry for Women, 1997.
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