|
Insgesamt vier Antidiskriminierungsrichtlinien (RL) der EU1 fordern die
Einführung von Diskriminierungsverboten in Zivil- und Arbeitsrecht.2 Grob
skizziert verlangen Antirassismus-RL und Güter-Zugangs-RL Benachteiligungsverbote
für Geschlecht, Rasse und ethnische Herkunft im Bereich des Zugangs zu
öffentlich angebotenen Gütern und Dienstleistungen sowie dem Wohnungsmarkt,
während über die Rahmen-RL im Bereich des Arbeitsrechtes zusätzlich Behinderung,
Religion, Weltanschauung, sexuelle Orientierung und Alter erfasst werden.
Schaut man sich nun den inzwischen im Bundesrat gestoppten Entwurf der
rot-grünen Koalition eines zivilrechtlichen Antidiskriminierungsgesetzes
(ADGE)3 an, fällt auf, dass dieser - stärker als in den Richtlinien angelegt
- auf individualrechtliche Ansprüche der Betroffenen setzt, die etwa auf
Beseitigung der Diskriminierung oder Schadensersatz abzielen. An dieser
Grundkonzeption wird sich im nächsten Entwurf vermutlich kaum etwas ändern,
die Zeit drängt ohnehin, hohe Strafen aufgrund des Ablaufs der Umsetzungsfrist
drohen.4 Ohne Frage ist die Diversifizierung des Diskriminierungsschutzes
auf acht "Kategorien" zu begrüßen und gibt den Betroffenen ein Stück Autonomie
zurück, in dem er ihnen die Möglichkeit eröffnet, ihr Recht auf Nichtdiskriminierung
(mit Hilfe der Gerichte) durchzusetzen. Wird aber ein derartiger Ansatz,
der primär auf die Rechtsverfolgung durch die diskriminierte Person setzt,
den Ansprüchen an ein effektives Antidiskriminierungskonzept zum Abbau
auch struktureller Diskriminierung gerecht? Welche Rolle kann hier eine
Antidiskriminierungsstelle spielen?
Klageflut oder Ebbe
Die Erfahrungen im arbeitsrechtlichen Bereich lassen hier Zweifel aufkommen,
denn die Verfolgung individualrechtlicher Ansprüche fand kaum statt. So
sind in den letzten 25 Jahren in der juris-Datenbank nur 120 Verfahren
zur geschlechtsbezogenen Benachteiligung nach § 611a Bürgerliches Gesetzbuch
(BGB) dokumentiert, was einer Quote von unter fünf Fällen pro Jahr entspricht.
Anders ausgedrückt: Von 50.000 registrierten Arbeitsgerichtsprozessen
betrafen nur etwa 0,0005 % diese Diskriminierungsproblematik.5 Auch der
relativ junge § 81 Sozialgesetzbuch (SGB) IX, der Benachteiligungen aufgrund
einer Behinderung am Arbeitsplatz sanktioniert, beschäftigte die Gerichte
laut juris nur 22 mal. Geht man davon aus, dass die Arbeitswelt nicht
(geschlechts)diskriminierungsfrei ist - und hierzu braucht man sich nur
die Geschlechtssegregierung des Arbeitsmarktes, die aktuelle Lohndifferenz
von ca. 12 %6 oder auch die Arbeitslosenquote von behinderten Menschen
vor Augen zu führen - bleibt die Schlussfolgerung, dass die Diskriminierten
diese Individualansprüche nicht verfolgen.
Diskriminierung ein Einzelfall
An der Fokussierung auf Individualrechte lässt sich zunächst grundlegende
Kritik äußern.7 Ihr liegt die Annahme zugrunde, Diskriminierung sei prinzipiell
ein singuläres Problem, es reiche aus, den diskriminierenden Akt einer
einzelnen Person zu sanktionieren. Dieses ereignisorientierte Verständnis
trifft sicherlich für den Bereich der bewussten (offenen oder verdeckten)
Anknüpfung an ein Merkmal zu, geht jedoch an dem Phänomen der strukturellen
Diskriminierung weitgehend vorbei. Diese Figur resultiert aus der Erkenntnis,
dass Diskriminierung weit über einzelne, voneinander klar trennbare Vorgänge
hinausgeht. Die Ursache der Diskriminierung liegt gerade in den Interaktionen
unterschiedlicher AkteurInnen, welche sich gegenseitig verstärken und
zu Strukturen verfestigen. Nach einem "prozessorientierten Ansatz"8 kann
Diskriminierung nicht losgelöst vom historischen und sozialen Kontext
betrachtet werden. Sie ist ein fortwährender Prozess, durch den bestimmte
Gruppen untergeordnet und aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden.
Statusbezogene Diskriminierung beschränkt sich eben nicht selektiv auf
einzelne Bereiche wie den Wohnungsmarkt oder den Arbeitsplatz, sondern
bestimmt die gesamte Lebenswirklichkeit. Sie findet nicht nur zwischen
Betroffenen und ArbeitgeberIn/VermieterIn statt, sondern stellt ein gesamtgesellschaftliches
Problem dar, für dessen Bekämpfung nicht nur Einzelnen, sondern allen
Mitgliedern Verantwortung zukommen sollte.
Musterhafter, verspäteter Schutz
Individualrechtsschutz reagiert meist nur auf bereits erfolgte Diskriminierung
und kommt somit zu spät. Das ursprünglich verfolgte Ziel kann nur selten
erreicht werden. Die Wohnung ist vermietet, die Stelle besetzt, der geplante
Restaurantbesuch nicht mehr von Interesse. Der Anspruch läuft damit meist
auf bloße Kompensation hinaus. Nur wenn man der (einzelnen) Verurteilung
eine Art "generalpräventiven" Charakter beimisst, kann man dem Individualrechtsschutz
einen weitergehenden, Diskriminierungen abbauenden Effekt zusprechen.
Dies setzt jedoch eine deutlich über den Gerichtssaal hinausgehende Strahlkraft
des "Musterprozesses" voraus, welche nicht selten auf Kosten der KlägerInnen
erkauft wird. Derartige Verfahren werden nicht erst mit Veröffentlichung
des Urteils in der amtlichen Sammlung des EuGH mit einem Namen verbunden.
Gerade in Diskriminierungsfällen ist die Gefährdung der KlägerInnen durch
das Medieninteresse besonders hoch.
Welche verbalen Entgleisungen die Gleichstellungsthematik hervorrufen
kann, hat gerade wieder die Debatte um die Einführung des ADG gezeigt.9
Schwere Anfeindungen haben auch die österreichischen "Pionierinnen" in
den ersten Prozessen nach dem Gleichbehandlungsgesetz von 1991 erfahren,
die sich u.a. gegen Lohnnachteile, Ausschluss bei Beförderungen wehrten,
und aus der Schweiz liegen persönliche Berichte von Klägerinnen vor, die
eindringlich die immense psychische Belastung und die noch lange nach
Verfahrensende fortbestehenden Folgen - von Einschlafstörungen bis hin
zu Traumata - schildern. Es sind also starke KlägerInnen wie etwa die
Stewardess Danielle Defrenne nötig, die sogar drei Verfahren vor dem EuGH
durchhielt, um Präzedenzfälle zu Diskriminierungen im Berufsleben schaffen.10
Hemmschwellen
Die Effektivität von Individualansprüchen steht und fällt also mit der
Bereitschaft, diese auch durchzusetzen. Was aber hält Diskriminierte davon
ab, den Klageweg zu beschreiten? Überspitzt formuliert, könnte man sagen:
Die Person muss sich diskriminiert fühlen und nach Abwägung von Aufwand
und potentiellem Nutzen zu dem Ergebnis kommen, die Klage könne sich für
sie "rechnen". Gleichwohl wird in dieser banalen Formel eine spezifische
Diskriminierungsproblematik angesprochen: Diskriminierung handelt von
Ausschließung und Hierarchisierung und übermittelt dem Opfer die klare
Botschaft der Andersartigkeit und Minderwertigkeit. Als Folge versuchen
Betroffene häufig - bewusst oder unbewusst - das Erlebte nicht als Diskriminierung
wahrzunehmen oder nehmen die Schuld auf sich.11 In der Folge vermeiden
sie "freiwillig" ähnliche Situationen und erfüllen so das in der Diskriminierung
intendierte Ziel der Exklusion und verfestigen gleichzeitig Hierarchiestrukturen.
Das Zusammenspiel von aktiver Ausgrenzung seitens der Gesellschaft und
Akzeptanz der Zuschreibung durch die ausgegrenzte Gruppe führt so zu sozioökonomischen
Unterschieden wie niedrigerem Einkommen oder auch der Absenkung des Bildungsniveaus.
Diese werden dann als Zeichen der Minderwertigkeit gewertet, was wiederum
existierende Stereotypen verstärkt und zu erneuter Diskriminierung führt.
Kann oder will die diskriminierte Person die Benachteiligung also nicht
wahrnehmen, greift der Individualrechtsschutz ins Leere.
Unabhängig von dieser opferpsychologischen Erklärung kann auch eine indifferente
Ausgestaltung des Gesetzes Grund für die Nichtverfolgung sein. Die im
Bereich des Antidiskriminierungsrechts so wichtige Klarheit der Botschaft
fehlt dem ADG-Entwurf, zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe, Ausnahmen
und Rückausnahmen erschweren eine klare Beurteilung von Sachverhalten.12
Kennt oder versteht das Opfer die Anspruchsnorm nicht, kommt es zu keinem
Prozess.
(Un)sinnigkeit
Die Abwägung zwischen Kosten und Nutzen erfordert ein angemessenes Verhältnis
zwischen erlebter Diskriminierung und zu erwartender Rechtsfolge. Dies
bedeutet zunächst, dass Benachteiligungen, die die betroffene Person als
Bagatelle einstuft, nicht verfolgt werden, auch wenn aus gesamtgesellschaftlicher
Sicht eine Gerichtsentscheidung aufgrund der Vielzahl der Fälle durchaus
erwünscht wäre, um etwa die Praxis eines bestimmten Anbieters zu beenden.
Ebenso bleiben die bereits genannten Fallgestaltungen außen vor, in denen
Betroffene nur an der Vertragserfüllung in der konkreten Situation (Restaurantbesuch)
interessiert waren, nicht aber an späterer Kompensation. Auch ein auf
einen Maximalbetrag begrenzter Ersatzanspruch motiviert kaum zur Klage.
Andere Wege gehen etwa Österreich oder Slowenien, die Mindestsummen festsetzen,
um so bereits im Vorfeld ein abschreckendes Signal an Diskriminierende
zu senden.
Neben dem Kostenrisiko, welches wohl weitgehend durch hinreichende Ausgestaltung
der Prozesskostenhilfe aufgefangen werden könnte, hängt die Einschätzung
der Erfolgsaussichten von der Beweislastverteilung ab. Hier sehen die
Richtlinien zwar keine Beweislastumkehr, jedoch eine Beweiserleichterung
zugunsten der klagenden Partei vor. Es reicht aus, wenn Tatsachen vorgetragen
werden, die eine Diskriminierung aufgrund des verpönten Merkmals wahrscheinlich
machen. In diesem Fall obliegt es den Beklagten, diese Vermutung zu widerlegen.
Ob dies aber ausreicht, um Opfern die Entscheidung zugunsten einer Klage
zu erleichtern, sollte mit Blick auf die entsprechende Formulierung in
§ 611a BGB bezweifelt werden. Mangels Einblick in die Organisations- und
Entscheidungsstruktur eines Unternehmens fiel es dort meist schwer, Hilfstatsachen
vorzubringen.
Perspektivwechsel
Wenn Diskriminierungsopfer also aufgrund finanzieller, zeitlicher und
insbesondere psychischer Belastungen auf eine Klage verzichten, erscheint
es aus gesellschaftlicher Perspektive nicht effektiv, den Abbau von Diskriminierungen
(primär) über opferzentrierte Ansätze zu verfolgen. Es sollte nicht auf
den Schultern von Einzelpersonen liegen, strukturelle Benachteiligungsmuster
quasi auf eigenes Risiko zu verfolgen. Vielmehr ist ein Perspektivwechsel
erforderlich: Die europäische Antidiskriminierungspolitik nimmt verstärkt
AkteurInnen - und damit die "potenziell Diskriminierenden" - in den Blick.
So erlauben es die Richtlinien etwa, ArbeitgeberInnen Verfahrensverpflichtungen
aufzuerlegen und diese an Sanktionen zu binden, welche nicht notwendig
durch die Betroffenen, sondern auch durch den Staat oder eine andere Institution
eingefordert werden können.
Beispielsweise werden in Schweden periodisch Entgeltgleichheitsprüfungen
sowie die Aufstellung von Chancengleichheitsplänen verlangt. In Frankreich
sind die Sozialpartner verpflichtet, auf Branchen- und Betriebsebene alle
drei Jahre über Geschlechtergleichstellung zu verhandeln, ein Unternehmen
hat jährlich einen Bericht zu Beschäftigungsbedingungen vorzulegen.13
Diskutiert wird auch, den ArbeitgeberInnen eine Begründungspflicht für
Personalentscheidungen aufzuerlegen, schließlich verfügen größere Unternehmen
über standardisierte, mehrstufige Auswahlverfahren, die ohnehin eine Dokumentation
erfordern. Selbst das britische Recht, welches stark durch individualisierte
Rechtsansprüche geprägt war, setzt zunehmend auf positive Motivation der
AkteurInnen.14
Gute Gründe sprechen also für eine verstärkte Ausgestaltung
des proaktiven Bereichs durch eine (präventive) Inpflichtnahme der
Handelnden. Dies soll jedoch nicht als Plädoyer zur gänzlichen
Abschaffung des Individualrechtsschutzes verstanden werden. Die Würde
des Menschen und damit auch der Schutz seiner Autonomie bilden die Basis
der Gleichheit. Wie kann also das legitime Interesse der einzelnen Person,
die Beseitigung der Benachteiligung bzw. Kompensation für die erfahrene
Zurücksetzung zu erlangen, durch ergänzende Maßnahmen
wirksam flankiert und gleichzeitig die Struktur der Diskriminierung aufgebrochen
werden?
Institutionelle Unterstützung - Antidiskriminierungsstelle
Wie kann etwa eine unabhängige Antidiskriminierungsstelle Betroffene
wirksam unterstützen? Nach Art. 13 der Antirassismus-RL ist es Aufgabe
der Stelle "die Opfer von Diskriminierungen auf unabhängige Weise dabei
zu unterstützen, ihrer Beschwerde wegen Diskriminierung nachzugehen [sowie]
unabhängige Untersuchungen zum Thema der Diskriminierung durchzuführen;
unabhängige Berichte zu veröffentlichen und Empfehlungen [...] vorzulegen".
Diese Zuständigkeitsbeschreibung der Stelle erscheint ambivalent: Aufgrund
ihrer Unabhängigkeit könnte sie anders als unterstützende Lobbyverbände
auch losgelöst vom Einzelfall Empfehlungen abgeben, welche nicht mit dem
Vorwurf der Parteilichkeit angegriffen werden könnten. Gefährdet eine
"aktive Parteinahme"15 in Form der Unterstützung der Opfer dann nicht
den Status der unabhängigen "Sachverständigen" oder liegt ihre Bestimmung
gerade in der Begleitung der Betroffenen?
Ob hier eine Aufgabenkollision vorliegt, hängt von der konkreten Ausgestaltung
ab. Versteht man die Stelle nicht nur als erste Anlaufstelle, sondern
als Begleitung der Betroffenen inklusive einer möglichen Prozessführung,
verschwimmen die Grenzen. Aber auch eine Beschränkung auf die vorgerichtliche
Vertretung begegnet Bedenken: Wäre für den Verhandlungsgegner klar, dass
die Stelle nicht auch im Prozess auftreten kann, ginge ein Druckmittel
verloren.
Eine erfolgreiche Mischform stellt jedoch das seit über 10 Jahren existierende
österreichische Kombinationsmodell aus Gleichbehandlungsanwaltschaft16
und Gleichstellungskommission dar. Die Gleichbehandlungsanwaltschaft informiert,
bildet fort, forscht; im Vorfeld eines gerichtlichen Verfahrens unterstützt
sie Betroffene und beteiligt sich an innerbetrieblichen Konfliktlösungen.
Hierzu besitzt sie Informationsrechte gegenüber ArbeitgeberInnen, Betriebsräten
etc. Auch kann sie Verfahren vor der Gleichbehandlungskommission initiieren
und besitzt dort ein Antragsrecht. An formellen Gerichtsprozessen nimmt
sie jedoch nicht teil.
Eine wesentliche Rolle kommt hier der Gleichbehandlungskommission zu:
Sie erstellt Gutachten, welche im Prozess berücksichtigt werden müssen.
Will das Gericht von der Einschätzung der Gleichbehandlungskommission
abweichen, muss es dies begründen. Auf diese Weise ist eine Vorbefassung
durch eine spezialisierte Stelle gesichert. Die Gefahr einer Fehleinschätzung
eines unerfahrenen Gerichts wird so abgemildert. Die Begründungspflicht
für den Fall der Abweichung setzt zudem einen nicht zu unterschätzenden
Anreiz, das Gutachten zu akzeptieren. Schließlich trägt die Veröffentlichung
der Gutachten zu einer Harmonisierung des Diskriminierungsschutzes bei
und sendet Signale an AkteurInnen aus, ihre Praxis anhand des Gutachtens
zu überprüfen. Dieses Modell kombiniert effektiv die Unterstützung der
Betroffenen (und auch der Gerichte) mit "generalpräventiven" Signalen.
Ist eine derartige "Kombispitze" nicht durchsetzbar, ist wohl zugunsten
der Neutralität eine klare Aufgabentrennung vorzuziehen. Soweit die konkrete
Unterstützung der Betroffenen durch Verbände gesichert werden kann, sollte
es Hauptaufgabe der Stelle sein, Unterstützungsangebote zu koordinieren
und niedrigschwellige Informationsangebote bereitzustellen. Auch die Veröffentlichung
von Berichten und Untersuchungen kann dazu beitragen, Hierarchisierungen
und Diskriminierungsursachen sozioökonomischer Unterschiede wieder sichtbar
zu machen und Vermeidungsstrategien der Betroffenen zu durchbrechen. Mit
Fortbildungen und Trainingsangeboten können die Stellen auch auf Akteursseite
proaktiv tätig werden. In einer zentralen Stelle, die auf einem horizontalen
Ansatz quer zu den Diskriminierungsmerkmalen beruht, könnten gerade auch
im Bereich der empirischen Forschung Synergieeffekte besonders genutzt
werden.
Ausgestaltung der Stelle
Die Richtlinien enthalten keine genaueren Vorgaben für die konkrete Ausgestaltung
der Stelle. Da die Bundesländer es u.a. aus Kostengründen frühzeitig abgelehnt
haben, den Bund bei der Einrichtung regionaler Anlaufstellen zu unterstützen,
bleibt in Deutschland nur die Einrichtung einer Zentralstelle realistisch,
welche sich auch aus diesem Grund kaum für Erstberatungen eignet.17 Während
in einigen EU-Ländern sowohl bereichsspezifische Stellen (Griechenland)
wie auch gruppenspezifische Stellen (Spanien, Schweden) zu finden sind
- Österreich differenziert sogar nach Merkmalen und nach Bereichen - hat
eine übergreifende Stelle mit Blick auf fehlende Abstufungen zwischen
den Merkmalen in Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG Einiges für sich: Den Betroffenen
wird mit diesem horizontalen Ansatz im Falle einer intersektionellen Diskriminierung
keine Doppelzuständigkeit zugemutet.18
Eine Zentralstelle kann so dazu beitragen, Grenzlinien aufzubrechen und
Stereotypen abzubauen. Ähnliche Stellen finden sich in Großbritannien,
Frankreich, Italien, Ungarn oder auch in der Slowakei und Lettland, die
an ihre Institute für Menschenrechte anknüpfen. "Merkmalspezifische" Zuständigkeiten
beinhalten demgegenüber die Gefahr, dass einzelne Gruppen gegeneinander
ausgespielt und Hierarchien gebildet werden. Entscheidend für den Erfolg
der Stelle wird aber die personelle und sachliche Ausstattung sein. Geht
sie nicht über ein Alibibudget hinaus, vergibt man eine echte Chance auf
Effektivierung der Antidiskriminierungspolitik.
Ohne individualisierte Opfer geht nichts?
Damit obliegt die konkrete Beratung und Unterstützung primär den Verbänden.
Sie müssen den Betroffenen den Zugang zur Rechtsverfolgung öffnen oder
diese an ihrer Stelle übernehmen. Hierzu werden verschiedene Modelle diskutiert:19
So kann die Verbandsbeteiligung zwingend an einen Individualanspruch gekoppelt
sein, bei dessen Durchsetzung der Verband quasi nur assistiert. Der Sinn
der Beteiligung liegt in diesem Fall primär darin, die Hemmschwelle der
Betroffenen zur Rechtsverfolgung zu überwinden und sie in der Prozessführung
zu entlasten.
Eine Variante ist etwa die (gewillkürte) Prozessstandschaft. Hier klagt
der Verband anstelle der Betroffenen. Entscheidend ist dabei, dass der
Verband nur mit Einwilligung der Betroffenen übernehmen kann und der Anspruch
bei diesen verbleibt. Im Bereich des Gleichstellungsrechts kennt das deutsche
Recht den 2001 eingeführten § 63 SGB IX,20 welcher bereits die Richtlinienvorgaben
erfüllen soll, sowie den jüngeren § 12 Behindertengleichstellungsgesetz
(BGG), die beide eine Prozessstandschaft eines Behindertenverbandes bei
Verletzung der Individualrechte ermöglichen. Jedoch sind beide Normen
noch zu jung, um hier eindeutige Aussagen zu ihrem Effekt treffen zu können.
Erinnert man sich aber, dass das Haupthindernis im Bereich des Arbeitsrechts
in der Angst der Betroffenen vor indirekten Sanktionen im bestehenden
Arbeitsverhältnis liegt, ist zweifelhaft, ob diese Ängste mit dieser Beteiligungsform
überwunden werden können, denn die Betroffenen stehen als Anspruchsinhabende
weiterhin im Fokus des Verfahrens.
Als Lösung für dieses Problem wird eine Abtretbarkeit der Ansprüche an
den Verband propagiert, welche nur für Geld(ersatz)ansprüche in Betracht
kommt.21 Der Vorteil einer Abtretung liegt in dem klaren Wechsel der Anspruchsinhaberschaft.
Die Betroffenen haben so rechtlich keinen Einfluss mehr auf das Vorgehen
des Verbands und können folglich auch nicht mehr von der gegnerischen
Partei unter Druck gesetzt werden. Gleichwohl wäre es realitätsfern, ihnen
jeglichen Einfluss abzusprechen und zu behaupten, damit sei die psychische
Belastung aufgehoben. Die Personalisierung wird weiterhin über den relevanten
Sachverhalt erfolgen und bleibt am Arbeitsplatz präsent. In vielen Fällen
wird sich auch eine Beteiligung mindestens in Form der Zeugenvernehmung
nicht vermeiden lassen. Schließlich werden Ansprüche, die nur in der Person
des Betroffenen verwirklicht werden können - wie der Abschluss einer Lebensversicherung
oder die Anpassung der Arbeitszeitgestaltung an bestimmte Glaubensrituale
- überhaupt nicht erfasst.
Die unzulänglichste Beteiligungsform besteht aber in der im letzten ADG-Entwurf
vorgesehenen bloßen Einräumung einer Prozessvertretungsbefugnis in den
vom Anwaltszwang befreiten (Erst)Instanzen.22 Was hier auf den ersten
Blick als sinnvolle Hilfestellung erscheint, dürfte eher symbolischen
Charakter besitzen. Da auch hier nur an die Vertretung einer konkreten
Person gedacht ist, bleiben für diese Verbandsbeteiligung grundsätzlich
nur kleinere (Bagatell)fälle. Antidiskriminierungsverbände verfügen aber
kaum über die nötige Infrastruktur und finanzielle Mittel.
Auch wäre es ein Trugschluss zu glauben, NGOs arbeiteten rein altruistisch
und verfolgten keine weitergehenden Interessen.23 Auch sie sind ohne entsprechende
staatliche Unterstützung vorwiegend an Musterfällen interessiert, von
denen sie sich für die von ihnen vertretene Gruppe Erfolg versprechen.
Nichts anderes ist auch ihre satzungsmäßige Aufgabe. Nicht umsonst sprechen
die Richtlinien von Verbänden, "die [..]. ein rechtmäßiges Interesse daran
haben, für die Einhaltung der Bestimmungen dieser Richtlinie zu sorgen".
Individualfälle ohne übergeordnetes Interesse dürften also weiterhin in
eine Rechtsschutzlücke fallen.
Diskutiert wird hier die Einführung spezieller Rechtschutzfonds zur Unterstützung
der Verbandsarbeit. Die Hürde des Anwaltszwangs dürfte allerdings faktisch
mit Hilfe kooperationsbereiter AnwältInnen zu überwinden sein. Auch könnte
über Sammelklagen und Kooperation eine Bündelung der Einzelinteressen
erfolgen und so die Schlagkraft der erstrittenen Urteile gesteigert werden,
an der Abhängigkeit von Individualansprüchen und der damit verbundenen
Opferzentrierung ändert dies aber nichts.
Verbandsklage
Sollten wir dann aber nicht den Weg der romanischen Länder einschlagen
und neben der unterstützenden Verbandsbeteiligung am Individualrechtsschutz
auch ein eigenständiges Verbandsklagerecht einzuführen? Die Verbandsklage
hängt - anders als die Prozessstandschaft - nicht von einem individuellen
Rechtschutzbedürfnis ab. Auch handelt hier keine gewählte Interessenvertretung
wie etwa der Betriebsrat im kollektiven Arbeitsrecht. Die Klage knüpft
an ein abstrakteres - von der konkreten Mitgliederstruktur losgelöstes
- Interesse an. Eine derartige Verbandsklage wurde bereits in Gebieten
wie etwa dem Naturschutzrecht implementiert,24 in denen keine Einzelperson
betroffen ist, mithin kein individuelles wohl aber ein "öffentliches Rechtschutzbedürfnis"
besteht. Ein erstes Beispiel im Diskriminierungsschutz findet sich in
§ 13 BGG, welcher Behindertenverbänden das Recht zur Durchsetzung der
"Barrierefreiheit" einräumt.
Gegen eine Verbandsklage wird teilweise vorgebracht, Diskriminierungsverbote
seien nur Angebote, nähmen die Betroffenen diese nicht an, käme die Durchsetzung
mittels Verbandsklage einer paternalistischen Bevormundung gleich. Man
sollte schon zweifeln, ob diese Nichtannahme tatsächlich das Resultat
einer "freien" Entscheidung ist (s.o.), unabhängig davon dient das Instrument
der Verbandsklage aber nicht der "fürsorglichen An-die-Handnahme" eines
schwachen Individuums, sondern dem Angriff auf die zugrunde liegende Diskriminierungsstruktur.
So lässt § 13 Abs. 2 BGG Klagen anstelle der Betroffenen nur bei allgemeiner
Bedeutung, insbesondere einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle, zu. Sie
knüpft nicht an den Individualanspruch einer konkreten Person, sondern
meist an ein Diskriminierungsmuster an und entpersonalisiert so gerade
die Rechtsverfolgung.
Um strukturelle Diskriminierung abzubauen, ist ein Paradigmenwechsel von
der reinen Anknüpfung an Individualansprüche hin zu einem allgemeinen
(gruppenbezogenen) Interesse erforderlich, eine eindeutige Positionierung
fehlt aber noch in Art. 7 der Antidiskriminierungs-RL. Es kann nicht gewollt
sein, dass AnbieterInnen es in ihrer diskriminierenden Geschäftspraxis
quasi einkalkulieren können, dass sich die einzelnen Betroffenen in einer
individuellen Abwägung gegen eine Rechtsverfolgung entscheiden. Eine Verbandsklage
könnte leichter an Diskriminierungsstrukturen ansetzen und die gesamte
Geschäftspraxis Kosten sparend und prozessökonomisch in einem Verfahren
behandeln (was auch im Interesse der Arbeitgeberverbände liegen müsste,
welche ja bekanntlich eine Flut von Einzelklagen befürchten). Nicht umsonst
verweist die Begründung des ADG-Entwurfs auf eine mögliche Verbandsklage
nach § 1 Unterlassungsklagengesetz. Hier bestünde ein Unterlassungsanspruch,
wenn Allgemeine Geschäftsbedingungen gegen das Antidiskriminierungsgesetz
verstießen. Dieser Umweg überzeugt jedoch kaum, denn hierzu müssten Antidiskriminierungsverbände
gleichzeitig als Verbraucherschutzverband anerkannt sein oder letzterer
müsste aus eigenem Antrieb tätig werden. Eine klare Antidiskriminierungsbotschaft
eines Gesetzes sieht anders aus und fordert nicht selbst zu Schleichwegen
auf.
Ein neben den Individualrechtsschutz tretendes Verbandsklagerecht lässt
den Betroffenen die autonome Entscheidung über das ob und wie der eigenständigen
Rechtsverfolgung. Gleichzeitig nimmt es ihnen aber die bisherige Alleinzuständigkeit
für die Bekämpfung der Diskriminierung ab. Strukturelle Diskriminierung
als gesamtgesellschaftlicher, andauernder Prozess kann nur durch die Einbindung
weiterer AkteurInnen in einem Perspektivwechsel weg von opferzentrierten
Ansätzen wirksam abgebaut werden.
Susanne Dern promoviert im Bereich des Antidiskriminierungsrechts
und lebt in Frankfurt/Main.
Anmerkungen:
1 Antirassismus-RL (2000/43/EG), Rahmen-RL (2000/78/EG); Gender-RL (2002/73/EG),
Güter-Zugangs-RL (2004/113/EG), vgl. Lippe, in diesem Heft, 112 ff.
2 Diskriminierungsschutz unter Privaten war dem deutschen Recht bisher
weitestgehend unbekannt. Während neuere Verfassungen wie die Südafrikas
Diskriminierung als ein Problem begreifen, das überall in der Gesellschaft
auftreten kann und entsprechend sowohl dem Staat als auch Privatpersonen
verbieten, andere zu diskriminieren, untersagt Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz
nach der herrschenden Grundrechtsdogmatik allein dem Staat eine statusbezogene
Ungleichbehandlung. Diskriminierten blieb im Zivilrecht also nur der unsichere
Umweg über die Verletzung des Persönlichkeitsrechtes oder die Konstruktion
einer mittelbaren Drittwirkung über die Generalklauseln. Im Arbeitsverhältnis
erkennt die Rechtsprechung ein dem Staat-BürgerIn-ähnelndes Hierarchieverhältnis
an, welches eine stärkere Beachtung der Grundrechte rechtfertigt.
3 Download: www.bmfsfj.de.
4 Verurteilung Deutschlands, EuGH v. 28.04.2005, Rs. C-329/04.
5 Davon betrafen 21 Fälle die geschlechtsneutrale Ausschreibung nach §
611b, vgl. Pfarr, Mitbestimmung 2005, 27.
6 Iab-discussion-paper 04/05.
7 S. n. Fredman, Antidiscrimination Law, Oxford 2002.
8 S. Makkonen, Hdb Diskriminierung, 15.
9 S. Obermeyer, in diesem Heft, 117 ff.
10 S. EuGH, Defrenne I-III, Slg. 1971, 445; 1976, 455; 1978, 1365.
11 Auch zum Folgenden: Makkonen, Hdb Diskriminierung, 22 ff.
12 S. n. die weiten Ausnahmetatbestände zur Altersdiskriminierung, Art.
6 Rahmen-RL; § 10 ADGE.
13 Ähnlich § 43 Abs. 2 Betriebsverfassungsgesetz.
14 Vgl. Fredman, Antidiscrimination Law, Oxford 2002.
15 Wolff/Scheiwe, Loccumer Protokolle 40/03, 325 ff. (340).
16 Diese wurde 1991 zur Gleichstellung von Männern und Frauen in der Arbeitswelt
eingerichtet und nun um zwei weitere Anwaltschaften entsprechend der RL
erweitert.
17 Vgl. Augstein, Loccumer Protokolle 79/04, 127 ff.
18 Vgl. insgesamt: Raasch, Loccumer Protokolle 79/04, 241 ff.
19 Vgl. zum Folgenden detailliert: Kocher, Zeitschrift für Europäisches
Privatrecht 2004, 260 ff.; auch Raasch, aaO.
20 S. Urteilsanmerkung Kocher, Juristenzeitung (JZ) 2005, 518.
21 § 23 Abs. 4 ADGE.
22 § 23 Abs. 2 ADGE.
23 Vgl. Raasch, ADGE-Stellungnahme; Kocher, JZ 2005, 518.
24 S. Heinz, Forum Recht 2003, 87.
Literatur:
Europäische Zeitschrift zum Antidiskriminierungsrecht 01/2005, download:
europa.eu.int/comm/employment_social/fundamental_rights/index_de.html.
Internationale Organisation für Migration (Hg.): Handbuch zur rechtlichen
Bekämpfung von Diskriminierung, 2003, download: www.iom.fi
Rust et al (Hg.): Loccumer Protokolle 40/03; 71/03; 79/04 [Tagungsdokumentationen
zu Vorgaben der Antidiskriminierungs-RL].
Stellungnahmen der ExpertInnenanhörung zum ADGE vom 07.03.2005,
download: www.bundestag.de/parlament/gremien15/a12/oeffentliche_sitzungen/20050307/
|
|