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Neben dem Verfassungsvertrag und der Haushaltsdiskussion ist die Arbeitnehmerfreizügigkeit
eines der Themen, das die BürgerInnen der neuen Mitgliedstaaten der EU
intensiv beschäftigt. Schon beim Beitritt der osteuropäischen Staaten
hat die Beschränkung dieser Grundfreiheit Unzufriedenheit in der öffentlichen
Meinung dieser Länder ausgelöst.
Wegen der anstehenden Entscheidungen über die Verlängerung der Übergangszeit
ist dieses Problem wieder aktuell. Die Übergangsmaßnahmen stehen nicht
nur in den osteuropäischen Staaten im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion,
sondern auch in den Staaten, die die Maßnahmen anwenden. Besonders in
Deutschland wird das Thema aufgrund der derzeitigen Arbeitsmarktlage heftig
diskutiert. Außerdem ist Deutschland eines der Länder, die an die neuen
Staaten angrenzen und damit als primäres Ziel der Arbeitskraftwanderungen
angesehen werden.
Um die eigentliche Lage der ArbeitnehmerInnen aus den neuen Mitgliedstaaten
in Deutschland objektiv betrachten zu können, müssen die tatsächlichen
Regelungen bezüglich der Arbeitnehmerfreizügigkeit vorgestellt werden,
da diese Frage oft unzureichend dargestellt wird.
Begrenzung durch nationale Vorschriften
Die Beitrittsakte schreibt den alten Mitgliedstaaten zwingend vor, in
den ersten zwei Jahren nach dem Beitritt im Mai 2004 weiterhin die nationalen
(oder sich aus bilateralen Abkommen ergebenden) Maßnahmen anzuwenden,
die den Zugang zum Arbeitsmarkt für die BürgerInnen der mittel- und osteuropäischen
Länder (MOEL) regeln.1
Allerdings sind die Mitgliedstaaten bei der inhaltlichen Gestaltung der
nationalen Regelungen frei und treffen sie in eigener Zuständigkeit. Die
EU kann die anwendbaren Vorschriften nicht überprüfen. Die Weiteranwendung
der Vorschriften kann zur Begrenzung der Arbeitnehmerfreizügigkeit führen.
Von den alten Mitgliedstaaten haben nur Schweden, Irland und das Vereinigte
Königreich die nationalen Vorschriften so gestaltet, dass sie ab Mai 2004
den vollen Umfang der Freizügigkeit gegenüber den neuen Mitgliedstaaten
gewährleisten.
In Deutschland bedeutet die Weiteranwendung der nationalen Vorschriften
und bilateralen Abkommen eine Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit.
Durch eine Erklärung gegenüber der EU-Kommission hat Deutschland von der
Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Arbeitnehmerfreizügigkeit gegenüber
den acht mittel- und osteuropäischen Beitrittsstaaten vorerst bis zum
30. April 2006 einzuschränken. Zu diesem Zweck wurde das "Gesetz über
den Arbeitsmarktzugang im Rahmen der EU-Erweiterung" erlassen. Die Folge
ist in erster Linie, dass die BürgerInnen der MOEL weiterhin eine Arbeitserlaubnis
zur Beschäftigung benötigen.
Verbot mit Vorbehalt einer Zulassung
Den Kern der Arbeitsaufnahmeregelungen bildet die Neufassung des Sozialgesetzbuches
(SGB) III, die mit Wirkung von 1.1.2005 eingeführt wurde. Betroffen sind
allein die Vorschriften über die Arbeitsgenehmigung für Staatsangehörige
der neuen Mitgliedstaaten. Nicht erfasst werden ArbeitnehmerInnen der
alten Mitgliedstaaten oder Nicht-EU-Angehörige.
Staatsangehörige der neuen EU-Staaten dürfen eine Beschäftigung nur mit
Genehmigung der Bundesagentur für Arbeit (BA) ausüben und von ArbeitgeberInnen
nur beschäftigt werden, wenn sie eine solche Genehmigung besitzen. Der
Genehmigungsvorbehalt gilt, soweit nach Maßgabe des EU-Beitrittsvertrages
Übergangsregelungen zur Arbeitnehmerfreizügigkeit Anwendung finden. Die
Genehmigung wird befristet als Arbeitserlaubnis/EU erteilt. Sie ist also
vor Aufnahme der Beschäftigung einzuholen - diese Pflicht richtet sich
sowohl an die ArbeitnehmerInnen als auch an die ArbeitgeberInnen.
Eine Arbeitserlaubnis/EU kann nur für eine Beschäftigung erteilt werden,
die eine qualifizierte Berufsausbildung voraussetzt (§ 284 Abs. 4 Satz
1 SGB III). Die Ausbildung muss mindestens drei Jahre dauern, wobei eine
Ausbildung an allgemein bildenden Institutionen nicht ausreicht, sondern
eine berufliche Ausbildung gefordert wird.2
Für Beschäftigungen, die keine qualifizierte Berufsausbildung verlangen,
gilt ein Anwerbestopp mit geringen Ausnahmen. Eine Erlaubnis kann hier
nur erteilt werden, wenn dies durch zwischenstaatliche Vereinbarungen
bestimmt oder aufgrund einer Rechtsverordnung zulässig ist. In Betracht
kommen z.B. Bestimmungen der sog. Gastarbeitnehmerabkommen und die Beschäftigungsverordnung
(BeschV), die u.a. erlaubnisfreie Beschäftigungen aufzählt. Ausnahmen
gelten hiernach bspw. für Au-pair-, Haushaltshilfe-, und Saisonbeschäftigungen.
Als weitere Ausnahme benötigen PraktikantInnen, KünstlerInnen eines Gastspiels,
BerufssportlerInnen, Fotomodelle, JournalistInnen, Personen im freiwilligen
Dienst und WissenschaftlerInnen keine Zustimmung der BA zur Erteilung
einer Arbeitserlaubnis (§§ 1-16 BeschV). In diesen Fällen ist zwar auch
eine Arbeitserlaubnis/EU einzuholen, aber die Erteilung hängt nicht von
der BA ab. Im Ergebnis besteht hier ein Anspruch auf die Arbeitserlaubnis.
Vorrangprüfung im Einzelfall
Unter welchen Voraussetzungen die Arbeitserlaubnis/EU erteilt wird, ist
im Aufenthaltsgesetz (AufenthG) geregelt, auf das § 284 SGB III verweist.
Dabei werden die Erfordernisse des Wirtschaftsstandorts Deutschland unter
Berücksichtigung der Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt untersucht und
das Erfordernis, die Arbeitslosigkeit wirksam zu bekämpfen (§ 18 Abs.
1 AufenthG). Bei der BA wird eine Vorrangprüfung im Einzelfall durchgeführt
(§ 39 Abs. 2 AufenthG).
Eine Zustimmung ist zum einen möglich, wenn die Beschäftigung von AusländerInnen
keine nachteiligen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt hat und für die Beschäftigung
vorrangig zu berücksichtigende Personen nicht zur Verfügung stehen. Vorrang
haben dabei deutsche ArbeitnehmerInnen sowie AusländerInnen, die diesen
hinsichtlich der Arbeitsaufnahme rechtlich gleichgestellt sind oder nach
dem Recht der EU einen Anspruch auf vorrangigen Zugang zum Arbeitsmarkt
haben.
Zum anderen kann die BA die Beschäftigung gestatten, wenn sie festgestellt
hat, dass die Besetzung der offenen Stellen mit ausländischen BewerberInnen
arbeitsmarkt- und integrationspolitisch verantwortbar ist, und der/die
Ausländer/in nicht zu ungünstigeren Arbeitsbedingungen als vergleichbare
deutsche ArbeitnehmerInnen beschäftigt wird.
Sind alle genannten Voraussetzungen erfüllt, so ist die Zustimmung der
BA nicht zwingend zu erteilen, sondern steht immer noch im Ermessen der
Agentur.3
Verbesserung der Lage durch den Beitritt?
Wir können also feststellen, dass einE Neu-UnionsbürgerIn grundsätzlich
nur dann in Deutschland beschäftigt werden kann, wenn er oder sie über
eine bestimmte Berufsqualifikation verfügt und für die konkrete Stelle
keinE ArbeitnehmerIn aus Deutschland oder den alten Mitgliedstaaten verfügbar
ist. Diese strengen Vorschriften zeigen, dass der Beitritt die Voraussetzungen
des Zugangs zum Arbeitsmarkt nicht bzw. nur geringfügig erleichtert hat.
Besonders in den Sektoren, die keine Berufsqualifikation erfordern, gibt
es also auch keinen Grund für Angst vor osteuropäischem Lohndumping und
steigender Einwanderung.
Dies ist gerade der Punkt, der das Gefühl der benachteiligten Mitgliedschaft
in den neuen Länder steigert. Dabei muss aber darauf hingewiesen werden,
dass sich die Lage der osteuropäischen ArbeitnehmerInnen seit dem Beitritt
trotzdem geringfügig verbessert hat. Denn einerseits benötigen die Neu-UnionsbürgerInnen
seit dem 1.5.2004 kein Visum mehr für die Einreise in die alten Mitgliedstaaten
und auch keine Aufenthaltserlaubnis wie Drittstaatsangehörige. Diese neuen
Entwicklungen erleichtern natürlich die Arbeitssuche in einem anderen
EU-Mitgliedstaat.
Die Beitrittsakte enthält zudem ein Prinzip, das bessere Voraussetzungen
für Neu-UnionsbürgerInnen vorschreibt als vor dem Beitritt: Nach der "Gemeinschaftspräferenz"
ist bei der Anwendung nationaler Maßnahmen von den derzeitigen Mitgliedstaaten
sicherzustellen, dass die Neu-UnionsbürgerInnen Vorrang vor ArbeitnehmerInnen
aus Drittstaaten beim Zugang zum Arbeitsmarkt genießen. Diesem Prinzip
wird in Deutschland durch § 39 Abs. 6 AufenthG Rechnung getragen.
Hinter den Rechtsvorschriften
Was führt zu der großen Unzufriedenheit innerhalb Deutschlands, wenn
es keine liberalisierten Regelungen beim Zugang zum Arbeitsmarkt gibt?
Warum werden die OsteuropäerInnen als billigere Arbeitskräfte doch als
eine Bedrohung für den deutschen Arbeitsmarkt empfunden?
Die Frage lässt sich durch Aufzeigen von drei Problemfeldern beantworten.
Das erste ist die illegale, ohne Arbeitserlaubnis ausgeführte Arbeit.
Hier kann der Kostenvorteil billiger ausländischer Arbeitskräfte realisiert
werden. Die ArbeitgeberInnen sind im Wettbewerb fast dazu gezwungen, billigere
Arbeitskräfte zu beschäftigen, um eine gute Position behalten zu können.
Das zweite Problem sind aus dieser Sicht die Scheinselbständigen oder
Briefkastenfirmen. Dadurch, dass die Niederlassungsfreiheit in vollem
Umfang ab dem Zeitpunkt des Beitritts zu gewährleisten ist, ergibt sich
die Möglichkeit, die Arbeitnehmerfreizügigkeitsregelungen in dieser Form
zu umgehen. Dies geschieht dadurch, dass unter dem Schein einer legalen
Niederlassung tatsächlich Arbeitnehmertätigkeit ausgeführt wird. Nachweisen
lässt sich eine solche Umgehung der Vorschriften kaum.
Entsendung
Drittens bedeutet die illegale Entsendung der ArbeitnehmerInnen ein Risiko
für Wettbewerbsverzerrungen. Entsendung liegt vor, wenn ein Unternehmen
einen Auftrag in einem anderen Mitgliedstaat mit eigenen ArbeitnehmerInnen
erfüllt. Grundsätzlich gelten dann für diese Beschäftigung nur die Vorschriften
des Heimatstaates, es sei denn, der Mitgliedstaat verlangt die Einhaltung
von in der Entsenderichtlinie der EU vorgesehenen Mindestbedingungen.
Deutschland hat die Richtlinie durch das Arbeitnehmerentsendegesetz fast
ausschließlich für das Baugewerbe umgesetzt. In allen anderen Dienstleistungsbereichen
findet daher das Herkunftsprinzip bei Entsendung nach Deutschland uneingeschränkt
Anwendung.
Nach der Beitrittsakte kann die Entsendung nach Deutschland nur im Baugewerbe,
bei der Reinigung von Gebäuden, Inventar und Verkehrsmitteln sowie bei
Tätigkeiten von InnendekorateurInnen gegenüber den BürgerInnen der MOEL
begrenzt werden. In diesen Bereichen ist eine Dienstleistungserbringung
mit eigenem Personal nur im Rahmen der bilateralen Werkvertragsvereinbarungen
und des deutschen Arbeitsgenehmigungsrechts möglich.
In den in der Beitrittsakte nicht aufgelisteten Dienstleistungsbereichen
sind keine Übergangsbestimmungen gegenüber den neuen Mitgliedstaaten anzuwenden.
Hier muss Deutschland also den freien Dienstleistungsverkehr in vollem
Umfang garantieren. Für ArbeitnehmerInnen, die aus den Beitrittsstaaten
nach Deutschland entsandt werden, gelten die Rechtsvorschriften des Heimatstaates
und sie bedürfen keiner Arbeitserlaubnis.
Sowohl die begrenzte als auch die unbegrenzte Entsendung bietet Möglichkeiten
zur Umgehung der Vorschriften: Ein allgemeines Problem ist die Existenz
von Briefkastenunternehmen. Sie üben im Entsendestaat (bspw. Polen) keinerlei
wirtschaftliche Tätigkeit aus und wurden nur zum Zweck der ausländischen
Beschäftigung gegründet. Der Anschein einer wahren Entsendung aufgrund
eines Werkvertrags mit einem Unternehmen in Deutschland verdeckt, dass
faktisch eine Niederlassung eines polnischen Unternehmens in Deutschland
bzw. Arbeitsmigration vorliegt.
Auch die sog. "Ein-Mann-Unternehmen" sind eine Variante, wodurch einE
ArbeitnehmerIn die Übergangsregelungen bezüglich der Arbeitnehmerfreizügigkeit
- unter Anschein einer Entsendung - umgehen kann. Formal wird in Deutschland
kein Arbeitsverhältnis begründet, sondern das (bspw. tschechische) "Ein-Mann-Unternehmen"
(die "Entsendefirma") schließt einen Werkvertrag mit einem Unternehmen
in Deutschland. Hier liegt ein Fall der Scheinselbständigkeit vor.
Bei der Ausführung von Werkverträgen aufgrund bilateraler Vereinbarungen
ist oft das Problem, dass die WerkvertragsarbeitnehmerInnen statt des
in den Abkommen verbindlich vorgeschriebenen Tariflohnes eine weitaus
geringere Vergütung bekommen. Der Nachweis der illegalen untertariflichen
Bezahlung ist im Einzelfall sehr schwierig. So sind die auf der Baustelle
bereitzuhaltenden Lohnunterlagen meist nicht vorhanden oder unvollständig,
oder wo sie vorliegen, geben sie die Realität nicht wieder, sondern sind
so manipuliert, dass sie den Vorschriften entsprechen, die ArbeitnehmerInnen
aber tatsächlich einen geringeren Lohn erhalten. Wenn die Differenz festgestellt
wird, verweisen die Verantwortlichen oft darauf, dass der fehlende Betrag
im Heimatland ausgezahlt werde - dies wird von den ArbeitnehmerInnen auch
bestätigt (da sie Angst vor Verlust ihrer Arbeitsplätze haben und ihr
Lohn meistens trotzdem über dem Durchschnittslohn im Heimatland liegt).
Eine Überprüfung dieser Angaben ist praktisch unmöglich.
Die weitere Entwicklung
Die Beitrittsakte enthält ein kompliziertes Modell, um in der Übergangszeit
die Arbeitnehmerfreizügigkeit einzuschränken. Die Übergangszeit ist in
drei zeitliche Stufen aufgeteilt. Die erste Übergangsphase von zwei Jahren
gilt zwingend für alle Mitgliedstaaten. Danach können sie entscheiden,
ob sie die bestehenden Beschränkungen für weitere drei und dann ggf. noch
einmal zwei Jahre aufrechterhalten oder die Arbeitnehmerfreizügigkeit
gewähren. Diese Entscheidung ist der Kommission lediglich mitzuteilen,
die EU-Organe sind nicht an der Entscheidung beteiligt, eine inhaltliche
oder rechtliche Prüfung durch die Kommission oder den Rat finden nicht
statt.4 Die Beitrittsakte schreibt zwar eine Überprüfung der Funktionsweise
der Übergangsregelungen durch den Rat aufgrund eines Kommissionsberichts
vor. Dies ist für die Entscheidung der Mitgliedstaaten jedoch nicht relevant.
In der Schlussakte zum Beitrittsvertrag findet sich eine Erklärung zur
Arbeitnehmerfreizügigkeit der derzeitigen Staaten5, die auffordert, die
Flexibilität der Regelungen auszunutzen, die Anwendung von Übergangsmaßnahmen
so kurz wie möglich zu gestalten und die Arbeitsmärkte möglichst schnell
zu öffnen. Sie dient allerdings nur als Zielvereinbarung der alten Mitgliedstaaten.
Parallel dazu gibt es die Erwartung der neuen Mitgliedsländer, dass die
Ungleichbehandlung abgestellt wird. Auch die Kommission fordert den freien
Zugang osteuropäischer ArbeitnehmerInnen zu Jobs in den alten EU-Staaten.6
Auswirkungen
Der vorgeschriebene Bericht der Kommission wurde in Februar 2006 veröffentlicht.7
Er stützt sich auf statistische Daten der Mitgliedstaaten. Aus diesen
lässt sich behaupten, dass die Zahl der Arbeitskräfte aus den neuen Mitgliedstaaten
in den alten Mitgliedstaaten seit der Erweiterung zugenommen hat. Trotzdem
ist der relative Effekt gering: die Zahl der erteilten Arbeitsgenehmigungen
im Verhältnis zur Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter liegt z.B. in Deutschland
nur bei 0,9 %. Dabei werden die meisten Genehmigungen für Kurzbeschäftigung
oder Saisonarbeit erteilt. Am stärksten stieg die Zahl der ArbeitnehmerInnen
aus den neuen Mitgliedstaaten in Irland (1,9 %). Dies scheint jedoch nicht
zu einer Störung des irischen Arbeitsmarktes geführt zu haben.
Der Umfang der Arbeitnehmermobilität ist im Vergleich zu den Jahren vor
der Erweiterung stabil geblieben. Die Zuwanderungsströme nach Großbritannien
und Schweden sind nicht höher als in die Länder mit Übergangsregelungen.
Die Zuwanderung aus Nicht-EU-Staaten ist ein viel bedeutsameres Phänomen
als die EU-interne Mobilität.
Bei den MigrantInnen aus den neuen Mitgliedstaaten ist der Anteil der
Geringqualifizierten niedriger, als bei den Einheimischen oder den BürgerInnen
der Nicht-EU-Staaten. Deshalb können die neuen Arbeitskräfte den Arbeitskräftemangel
in bestimmten Sektoren verringern und eine positive Auswirkung auf die
Wirtschaft haben.
Der Bericht der Kommission empfiehlt, die Arbeitsmärkte zu öffnen. Obwohl
die Zuwanderungsströme zu gering sind, um große Effekte auszulösen, ist
die Frage von prinzipieller Bedeutung: die Arbeitnehmerfreizügigkeit ist
eine der wichtigsten Grundfreiheiten der EU, und diese - laut des Berichts
unbegründet - zu begrenzen, führt zu einer unnötig benachteiligten Mitgliedschaft
der mittel- und osteuropäischen Staaten.
Aufgrund des Berichts ist seitens einiger alter Mitgliedstaaten die Öffnung
der Arbeitsmärkte zu erwarten. Dennoch hat Deutschland bereits deutlich
gemacht, dass es die maximale Übergangsfrist von sieben Jahren bis 2011
ausschöpfen will.8
Beispiel Süderweiterung
Zunächst ist ein Blick auf die Auswirkungen der Süderweiterung interessant.
Damals waren die Migrationsströme geringer als erwartet, weshalb der Rat
die nach dem Beitrittsvertrag9 mögliche Übergangszeit verkürzte. Die teilweise
befürchtete Einwanderungswelle aus den Beitrittsstaaten blieb aus.
Zwar ist die Situation der Beitrittsländer der Süd- mit der der Osterweiterung
nur begrenzt vergleichbar. Einerseits bestand auch damals zwischen den
Beitrittsländern und den alten EU-Staaten ein unterschiedliches Wohlstandsniveau
- wenngleich nicht so groß wie bei der Osterweiterung - und die Beitrittsländer
haben in beiden Fälle einen politischen Wechsel zur Demokratie vollzogen.
Andererseits muss bei der Osterweiterung berücksichtigt werden, dass die
MOEL zusätzlich einen Wechsel hin zu einer wettbewerbsfähigen kapitalistischen
Wirtschaft zu vollziehen und die sozialen Sicherungssysteme zu reformieren
hatten. Es darf auch nicht übersehen werden, dass sich die Bedingungen
der mitgliedstaatlichen Arbeitsmärkte im Vergleich zu 1981/1986 aufgrund
der ungünstigen weltwirtschaftlichen Lage verschärft haben, dass es sich
bei der Osterweiterung um die komplizierteste und größte Erweiterung handelt
und die europäische Integration inzwischen weit fortgeschritten ist. Dennoch
scheinen die z.T. verbreiteten Befürchtungen übertrieben zu sein.
Eine Lösung?
Obwohl in Deutschland strenge Rechtsvorschriften gelten, die keine Beschäftigung
zu schlechteren Arbeitsbedingungen oder niedrigeren Löhnen erlauben, konnte
die Begrenzung nichts zur Lösung der schwierigen Situation am deutschen
Arbeitsmarkt beitragen. Das eigentliche Problem ist die illegale Arbeit.
Durch Kontrollen und entsprechende Sanktionen können die illegalen Praktiken
nicht verhindert werden, da sie schwer zu beweisen sind. Außerdem könnte
eine weiterhin strenge Regelung des Zugangs zum Arbeitsmarkt bewirken,
dass sich Schwarzarbeit noch mehr verbreitet.
Deutschland setzt dennoch auf eine intensivere Bekämpfung der Schwarzarbeit
und hat daher das Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz verschärft. Nun führen
die Behörden zwar erfolgreiche Aktionen gegen den Missbrauch der Werkvertragsvereinbarungen
durch, aber einerseits deckt dies nur einen kleinen Teil der Fälle ab
und andererseits führt es oft zu unbegründeten und überflüssigen Kontrollen.
Ein Beispiel ist die so genannte "SoKo Bunda"-Aktion der Finanzkontrolle
Schwarzarbeit (FKS) zur Kontrolle ungarischer Firmen, die im Rahmen der
Werkverträge ArbeitnehmerInnen nach Deutschland entsandten. Mit der Begründung,
dass die ungarischen Behörden keine hinreichende Überwachung der Tätigkeiten
der Firmen leisten - z.B. ob die Firma wirklich eine Tätigkeit in Ungarn
ausführt oder lediglich zu ausländischer Beschäftigung gegründet ist oder
ob es um eine Briefkastenfirma geht, wurden strenge Maßnahmen wie Hausdurchsuchungen
zur Kontrolle der oft rechtmäßig tätigen Firmen durchgeführt. Zum Teil
konnte allerdings Dumping nachgewiesen werden.10
Auch der Koalitionsvertrag spricht von einer verstärkten Kontrolle durch
die FKS und von einer verstärkten Zusammenarbeit mit den Behörden der
neuen Mitgliedstaaten, um die grenzüberschreitende Kontrolle zu verbessern.
In den empfindlichen Gewerben (Baustellen, Taxi, Gastronomie) soll ein
Pilotprojekt zur Benutzung von Chipkarten für regulär Beschäftigte durchgeführt
werden.
Die verstärkte Kontrolle kann aber allein nicht zum Erfolg führen. Dagegen
hätte die Öffnung des Arbeitsmarktes mehrere positive Auswirkungen. Zum
einen würde sie der enttäuschten Stimmung in den neuen Länder entgegenwirken
und die unnötige Beschränkung einer Grundfreiheit im Sinne der Schlussakte
beseitigen. Zum anderen könnte dies auch die Schwarzarbeit zurückdrängen,
wobei ein großer Anteil der Schattenwirtschaft ans Licht gebracht werden
könnte. Dies, kombiniert mit zusätzlichen effektiveren Kontrollen, würde
zur besseren Einhaltung der gesetzlichen Arbeitsnormen und zu höheren
staatlichen Einnahmen aus Steuern und Sozialbeiträgen führen.
Réka Hatala hat Jura in Budapest studiert. Im Rahmen eines
LL.M.-Aufbaustudiengangs zur Europäischen Integration Mittel- und Osteuropas
in Dresden hat sie eine Magisterarbeit zum Problem der Arbeitnehmerfreizügigkeit
verfasst.
Anmerkungen:
1 Nr. 2-14 der Anhänge der Akte über die Bedingungen des Beitritts der
Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der
Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik
Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen
Republik zur Europäischen Union, ABl. L 236 v. 23.09.2003.
2 § 25 BeschV; s. dazu Niesel, Klaus, Sozialgesetzbuch, 3. A., München
2005, 948.
3 Marschner, Andreas, Das reformierte Recht der Ausländerbeschäftigung
- alter Wein in neuen Schläuchen?, Der Betrieb 2005, 499, 501.
4 Nowak, Carsten, EU-Osterweiterung, Personenfreizügigkeit und staatliche
Schutzpflichten im Bereich der sozialen Sicherheit, Europäische Zeitschrift
für Wirtschaftsrecht (EuZW) 2003, 101.
5 Schlussakte zum Vertrag über den Beitritt zur Europäischen Union 2003,
Abl. L 236 v. 23.9.2003, 957.
6 Špidla, Rede v. 16.09.2005.
7 Bericht der Kommission v. 8.2.2006.
8 Pressemitteilung v. 08.02.2006, www.bmas.bund.de.
9 Vgl. Art. 44 ff. der Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik
Griechenland, ABl. L 291 v. 19.11.1979; Art. 55 ff. u. 215 ff. der Akte
über die Bedingungen des Beitritts des Königreichs Spanien und der Portugisieschen
Republik, ABl. L 302 v. 15.11.1985.
10 Zoll aktuell 3/2005, 12, www.zoll.de.
Literatur:
Europäische Kommission, Analyse der Auswirkung des Beitritts auf
Beschäftigungs- und Arbeitsmärkte in den Mitgliedstaaten der EU v. 22.05.2000,
europa.eu.int/comm/employment_social/employment_analysis/report/ex_summary_de.pdf.
Europäische Kommission, Bericht über die Anwendung der im Beitrittsvertrag
2003 festgelegten Übergangsregelungen v. 08.02.2006, europa.eu.int/eur-lex/lex/LexUriServ/site/de/com/2006/com2006_0048de01.pdf.
Špidla, Vladimír, Rede in der Sitzung der Hochrangigen Gruppe zu
den Übergangsmaßnahmen für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer v. 16.09.2005,
europa.eu.int/comm/employment_social/speeches/2005/vs_160905_de.pdf.
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