Matthias Kube |
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Chancen globaler Gerechtigkeit? | Heft
4/2006 Transnational Concerns: Facetten der Globalisierung Seite 114-117 |
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Möglichkeiten der Bindung transnationaler Konzerne an die Menschenrechte |
Das Fragen nach Chancen globaler Gerechtigkeit betrifft insbesondere
die Menschenrechtsverletzungen transnationaler Unternehmen. Das Völkerrecht
hätte durchaus das Potential dem wirksam zu begegnen, währenddessen auch
jenseits des Völkerrechts entsprechende Durchsetzungsinstrumentarien Anwendung
finden könnten. Noch leugnet aber das die Welt regierende Recht eine Mitverantwortung
der multinationalen Konzerne für demokratische, soziale und ökologische
Mindeststandards. Die Frage ist: Lässt sich das ändern? Die Kapitalgesellschaft1 Die Unternehmensform der Kapitalgesellschaft tauchte Ende des 16. Jahrhunderts
auf und ermöglichte erstmals die Trennung von Firmenbesitz und Firmenleitung.
Die zunächst wechselhaft beginnende Geschichte der Kapitalgesellschaft
ist zunehmend durch mehr und mehr Deregulierung geprägt worden. Die einen
Handel mit beschränkten Verlustmöglichkeiten, aber unbegrenzten Gewinnchancen
ermöglichende Einführung der beschränkten Haftung in der zweiten Hälfte
des 19. Jahrhunderts ist ein Beispiel, die Aufweichung des Körperschaftsrechts
in den 1890er Jahren in den US-Bundesstaaten ein anderes hierfür. Das
Überbordwerfen der Restriktionen zwischen 1898 und 1904 hatte in den USA
zur Folge, dass die ehemals 1.800 Kapitalgesellschaften zu 157 konsolidiert
wurden. Der Konzernkapitalismus war geboren. Folgen für die Menschenrechte Allein die der juristischen Konstruktion Kapitalgesellschaft zu Grunde
liegende Trennung von Kapitalgeber/innen und Geschäftsführung ist nicht
geeignet, schon strukturimmanent Menschenrechtsverletzungen zu bedingen.
Jedoch erleichtert dieses Auseinanderfallen ohne Zweifel Kostenexternalisierungen,
durch die sich der eigene Wohlstand und eigenes ökonomisches Wachstum
über das Ergebnis eigener Leistungen und eigener Produktivität hinaus
steigern lassen. Unter Kostenexternalisierung ist die Verlagerung sozialer
und ökologischer Kosten auf die Allgemeinheit, andere soziale Gruppen,
Nationen oder künftige Generationen zu verstehen.3 Während die Manager/innen
der Kapitalgesellschaften sich mit dem Hinweis auf die Konkurrenz über
die Verantwortung für ihr Handeln mit mehr oder weniger Erfolg selbst
hinwegtäuschen können, sind sich die eine möglichst hohe Rendite erwartenden
Aktionäre ihrer Mitverantwortung meist gar nicht bewusst. Transnationale Unternehmen im "alten" Völkerrecht Das Völkerrecht ist prinzipiell eine koordinative Rechtsordnung, die
von den Völkerrechtssubjekten selbst geschaffen wird, also von denen,
die durch das Völkerrecht selbst mit Rechten und Pflichten versehen werden.
Der Sicht auf transnationale Unternehmen als Träger von völkerrechtlichen
Rechten und Pflichten wird mit Skepsis begegnet, da das Völkerrecht bisher
maßgeblich von staatlichen Akteuren geprägt worden ist. Es wird jedoch
auch befürchtet, dass das Völkerrecht seinen universellen Geltungsanspruch
verlieren könnte, sollten transnationale Unternehmen als neue relevante
Akteure des internationalen Systems nicht in das Völkerrecht einbezogen
werden.5 Weiteres Entwicklungspotential Einen Schritt weiter ging deshalb auch der Unterausschuss zur Förderung und zum Schutz der Menschenrechte in seiner Eigenschaft als Unterorgan der UN-Menschenrechtskommission. Dieser empfahl im August 2003 letzterer die Beratung und Annahme der "UN Norms on the Responsibilities of Transnational Corporations und Other Business Enterprises with Regard to Human Rights"7. Dieser Normenentwurf beinhaltet einen Paradigmenwechsel, denn Initiativen für die soziale Verantwortung von transnationalen Unternehmen sollen nicht länger nur freiwillig sein und nicht mehr nur einzelne Branchenbereiche wie etwa die Rohstoff- oder Textilindustrie umfassen. Eine Arbeitsgruppe des aus 26 unabhängigen Menschenrechtsexpert/innen bestehenden Unterausschusses holte Stellungnahmen und Empfehlungen von Regierungen, transnationalen Unternehmen, NGOs und Gewerkschaften in einem Zeitraum von fast vier Jahren ein; die Normen basieren auf verbindlichen völkerrechtlichen Verträgen, auf Richtlinien internationaler Organisationen auf freiwilligen Verhaltenskodizes von Unternehmen sowie auf Modellrichtlinien von NGOs und Gewerkschaften; sie sind eine Neuformulierung des bereits Bestehenden, eine Zusammenfassung der Menschenrechte sowie der Regeln des internationalen Arbeits-, Umwelt-, Antikorruptions- und Verbraucherschutzrechts, das bereits durch die transnationalen Unternehmen angewandt wird oder angewandt werden sollte. Um Klarheit über Umfang und Interpretation der vorgeschlagenen Regeln zu schaffen, stellte der Unterausschuss zudem eine umfassende Kommentierung zur Verfügung.8 Die "UN Norms" sollten als Grundlage für die Ausarbeitung eines völkerrechtlichen Vertrages oder eines anderen völkerrechtlich verbindlichen Durchsetzungsinstrumentariums dienen, oder aber Einfluss auf das völkerrechtliche Gewohnheitsrecht nehmen.9 "Hard Law" in Konkurrenz zum "Soft Law" Jedoch erklärte insbesondere die Wirtschaftslobby in Gestalt von ICC
und IOE sehr bald nach der Empfehlung des Unterausschusses ihre Ablehnung
der "UN Human Rights Norms for Business" und übte entsprechenden Druck
aus, da sich mit ihnen die Verantwortung für die Menschenrechte grundlegend
von den Regierungen auf transnationale Unternehmen verlagere und dies
einer Privatisierung des Menschenrechtsschutzes gleichkomme. Im Gegensatz
dazu warnten in einer gemeinsamen Erklärung fast 200 NGOs vor einer vorschnellen
Entscheidung auf der Basis von unzureichenden oder mangelhaften Informationen
und sprachen sich für eine sorgfältige Prüfung aus, nicht ohne zu betonen,
dass die Hauptverantwortung weiterhin bei den Staaten bleibe und die "UN
Norms" den multinationalen Konzernen nur innerhalb ihres Wirkungs- und
Einflussbereiches eine Verantwortung für die Menschenrechte auferlege.10
Die UN-Menschenrechtskommission entschied sich im April 2004 schließlich
gegen die Annahme der Normen, um sie einer eingehenden Prüfung unterziehen
zu können.11 Scheitert eine völkerrechtliche "Innovation"? Weitere freiwillige Initiativen erhalten aber nur den Status quo aufrecht. Auch stellen die "UN Norms" entgegen den Behauptungen der Wirtschaftslobby keine Privatisierung des Menschenrechtsschutzes dar. Denn das würde voraussetzen, dass völkerrechtliche Pflichten von Staaten auf nichtstaatliche Akteure übertragen werden. Die "UN Norms" wollen jedoch nichtstaatlichen Akteuren lediglich zusätzliche völkerrechtliche Verpflichtungen auferlegen und eben nicht bestehende, bisher den Staaten vorbehaltende Verpflichtungen auf diese übertragen. Den "UN Norms" redet weiterhin die bereits erwähnte historische Deregulierung der Kapitalgesellschaft das Wort, legt sie doch nahe, dass der rechtlichen Verselbstständigung samt ihrer Folgen ein ausgleichendes Gegengewicht entgegengesetzt werden müsste. Die Zukunft der "UN Human Rights Norms for Business" ist ungewiss. Das Zeitfenster ist schmal. Die Benennung von John G. Ruggie und die jüngsten Veränderungen an der Struktur des Global Compact müssen wohl als Abwehr der "UN Norms" verstanden werden.17 Kommt eine breite öffentliche Diskussion auf nationaler und internationaler Ebene nicht in Gang, sollte der Druck auf den einstigen Architekten des Global Compact nicht höher und die Unterstützung für die "UN Human Rights Norms for Business" nicht größer werden, ist eine Weiterentwicklung des Völkerrechts in diesem Bereich über den jetzigen UN-Menschenrechtsrat leider mehr als fraglich. Jenseits des Völkerrechts... Eine rechtliche Durchsetzungsmöglichkeit einer unmittelbaren Mitverantwortung transnationaler Unternehmen für die Menschenrechte ist allerdings auch auf nationalstaatlicher Ebene gegeben. Eine Hilfestellung für den Gesetzgeber bietet die diesbezüglich fortgeschrittene Rechtsprechung in den USA. Dort werden seit Mitte der 1990er Jahre Klagen gegen transnationale Unternehmen wegen Menschenrechtsverletzungen auf den so genannten "Alien Tort Claims Act" (ATCA) gestützt, welcher 1789 vom ersten Kongress erlassen wurde und lediglich besagt, dass die Bezirksgerichte in erster Instanz sachlich für zivilrechtliche Ansprüche eines Ausländers aus unerlaubter Handlung zuständig sind, die auf einer Verletzung des Völkerrechts oder eines Vertrages der Vereinigten Staaten beruhen: "(t)he district courts shall have original jurisdiction of any civil action by an alien for a tort only, committed in violation of the law of nations or a treaty of the United States." Der ATCA bietet nach herrschender Meinung der Bundesgerichte der USA eine zivilrechtliche Anspruchsgrundlage wegen der Verletzung von für die USA verbindlichem Völkerrecht. Somit können transnationale Unternehmen auf Grundlage des ATCA nach ständiger Rechtsprechung etwa wegen Sklavenhandel, Sklaverei und Zwangsarbeit, Völkermord oder Kriegsverbrechen sowie unter bestimmten Voraussetzungen auch wegen Folter, Vergewaltigungen und außergerichtlichen Hinrichtungen verklagt werden. Weiterhin können transnationale Unternehmen auch wegen Mittäterschaft und Teilnahme an von staatlicher Seite begangenen Menschenrechtsverletzungen haftbar gemacht werden.18 Der Präzedenzfall "Unocal" So reichten auch 1996 burmesische Bauern beim District Court für den Central District von Kalifornien Klage gegen den in Kalifornien ansässigen Ölkonzern Unocal ein. Sie machten geltend, Unocal habe von schweren Menschenrechtsverletzungen gewusst und profitiert, die durch burmesische Soldaten im Rahmen der Absicherung eines Pipelineprojekts von Unocal begangen wurden. Im Laufe dieses Verfahrens entschied 1997 der Federal District Court von Los Angeles in einer wegweisenden Entscheidung, dass Klagen wegen der Verletzung von Völkerrecht auf Grundlage des ATCA gegen transnationale Unternehmen grundsätzlich zulässig seien. Daraufhin trugen die Kläger/innen in einem dreijährigen so genannten "discovery"-Verfahren Beweise zusammen, die nach Ansicht des Federal District Court von Los Angeles die Anschuldigungen belegten.19 Demnach wusste Unocal, dass das burmesische Militär, während es Zwangsarbeiten und Zwangsumsiedlungen ganzer Dörfer zu Gunsten des Pipelineprojekts durchsetzte, zahlreiche Gewaltakte verübte. Das Gericht erkannte, dass Unocal wissentlich von der Zwangsarbeit profitierte und dass die Verhaftungen, schweren Körperverletzungen, Tötungen von Gegnern des Projekts und die Vergewaltigungen von Frauen im Zusammenhang mit den Zwangsarbeiten ausführlich durch die Kläger dokumentiert worden seien. Die Klage wurde dennoch aus verschiedenen Gründen abgewiesen, woraufhin der United States Court of Appeals für den Ninth Circuit im September 2002 das Urteil in wichtigen Teilen aufhob und den Fall zur Neuverhandlung zunächst zurückverwies, um sich dann im Februar 2003 doch für eine erneute Durchführung der Berufungsverhandlung zu entscheiden.20 Bemerkenswert ist, dass sich dann das US-Justizministerium im Mai 2003 an das Gericht wandte und sich gegen die Rechtsprechung der vergangenen Jahre zu den ATCA-Klagen aussprach. So würde die angeblich fehlerhafte Auslegung des Gerichts gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz verstoßen, da die Verfassung die Außenpolitik klar dem Präsidenten zuweise, und zudem die außenpolitischen Interessen der USA im Kampf gegen den Terrorismus gefährden.21 Schließlich wurde dennoch der Beginn der Geschworenenverhandlung über die Mittäterschaft von Unocal an Mord, Vergewaltigung und Zwangsarbeit vom Superior Court of California für den Juni 2005 festgesetzt. Daraufhin einigten sich die Kläger und Unocal im März 2005 außergerichtlich auf einen historisch bedeutsamen Vergleich, über dessen Bedingungen allerdings - wohl wegen der überaus guten Konditionen - Vertraulichkeit vereinbart wurde.22 Gesetzgebungsinitiative in Deutschland? Dieser historische Teilerfolg für die Menschenrechte sollte allerdings
nicht darüber hinwegtäuschen, dass der weltweit einzigartige "Alien Tort
Claims Act" nur ein sehr schwieriges, sehr kostenintensives und begrenztes
Mittel darstellt, um multinationale Konzerne für Menschenrechtsverletzungen
zur Verantwortung zu ziehen. Denn bei bisher 36 Klagen erfolgten Klageabweisungen
in 20 Fällen und Vergleiche lediglich in 3 Fällen, wobei die weiteren
13 Verfahren noch nicht abgeschlossen sind. Das liegt zum einen an den
hohen Anforderungen, die der US Supreme Court (Oberster Gerichtshof der
USA) für die Existenz von völkerrechtlichem Gewohnheitsrecht vorgibt,
und zum anderen an dessen Empfehlung an die unteren Gerichte, sich bei
der Anwendung von völkerrechtlichen Regelungen in Zurückhaltung zu üben
und stattdessen die Entscheidung über neue Formen der Unternehmensverantwortung
für Menschenrechtsverletzungen dem Gesetzgeber in der großen Mehrheit
der Fälle zu überlassen.23 Matthias Kube lebt in Berlin und studiert derzeit Jura in Aberystwyth, Wales. Anmerkungen: 1 Ausführlicher: Bakan, Joel, Das Ende der Konzerne. Die selbstzerstörerische
Kraft der Unternehmen, Europa Verlag, 2005. |