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Mit Beschluss vom 22. Mai 2006 (Az.: 1 Ss 319/05) hat das Oberlandesgericht
(OLG) Frankfurt am Main den Mitinitiator einer Online-Demonstration gegen
das Abschiebegeschäft der Lufthansa AG vom Vorwurf des öffentlichen Aufrufs
zu Straftaten freigesprochen. Der Angeklagte hatte im Juni 2001 mit der
Initiative libertad! zu der Aktion aufgerufen, bei der die Internetseiten
der Lufthansa durch die massenhaften Seitenaufrufe der ca. 13.000 Protestierenden
zeitweise lahmgelegt wurden (s. FoR 2005, 69). Nach mehrjährigen Ermittlungen
wurde der Initiator im Juli 2005 durch das Amtsgericht Frankfurt zu einer
Geldstrafe von 900 Euro verurteilt (s. FoR 2005, 140). Während libertad!
sich auf die grundrechtlich geschützte Versammlungs- und Meinungsfreiheit
berief, sah das Amtsgericht in seinem nunmehr aufgehobenen Urteil in der
Blockade der Lufthansa-Internetseiten eine Nötigung nach § 240 Strafgesetzbuch
(StGB).
In seiner Revisionsentscheidung ging das OLG nicht auf die verfassungsrechtliche
Einordnung von Protestformen im Internet ein. Es stellte jedoch klar,
dass die zeitweise Blockade der Internetseiten weder die für den Tatbestand
der Nötigung erforderliche Gewaltausübung darstellt, noch eine nach §
303a StGB strafbare Datenunterdrückung. Die Blockade bewirkt keinen physischen
Zwang für die NutzerInnen der Lufthansa-Seiten, sondern zielt lediglich
auf die Beeinflussung ihrer Meinung ab. Daher ist auch der Aufruf zu einer
solchen Protestaktion kein strafbarer Aufruf zu Straftaten.
Deutlich wird damit, dass das Internet ein öffentlicher Raum und als solcher
auch legitimer Schauplatz von politischen Protesten ist. Bei aller Freude
darüber darf aber das eigentliche Ziel der vom OLG beurteilten Online-Demo
nicht vergessen werden: Die weiterhin bestehende Praxis der zwangsweisen
Abschiebung von Flüchtlingen, von der die Lufthansa finanziell profitiert.
Der von libertad! gefeierte Sieg für die Meinungsfreiheit im Internet
wird zudem nur von kurzfristiger Natur sein: Nach einem im Mai 2006 vorgelegten
Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums zur Änderung des Strafgesetzbuches
sollen Denial of Service-Attacken - also Angriffe auf ein Informationssystem,
die dieses, wie die Online-Demo gegen die Lufthansa, durch eine riesige
Zahl von Anfragen überlasten und dadurch zum Ausfall bringen - im künftigen
§ 303b Abs. 1 Nr. 2 StGB unter Strafe gestellt werden. Dies verlangen
die 2004 in Kraft getretene Cyber Crime Convention des Europarates (s.
FoR 2002, 30) ebenso wie ein bis März 2007 umzusetzender Rahmenbeschluss
des Rates der Europäischen Union.1 Politische Proteste im Internet werden
also auch in Zukunft die Gerichte beschäftigen.
Tanja Nitschke, Karlsruhe
Anmerkung:
1 2005/222/JI, Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 69 vom 16.03.2005,
67 ff.
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