xxx

  Jan Gehrken   Forum Recht Home

  Vorsicht - Staat hört mit   Sonderausgabe
Wozu Jura studieren?
2002/2003

Seite 25
       
 

Flirten, Lästern, Tratschen. Und niemand hört mit.
"Dem Fernmeldegeheimnis unterliegen der Inhalt der Telekommunikation und ihre näheren Umstände [...]"
§ 85 Telekommunikationsgesetz, beschlossen vom Deutschen Bundestag.
Entscheidungen für die Freiheit. Deutscher Bundestag

Mit diesem Slogan hat der Deutsche Bundestag Ende Mai 2002 eine Anzeigen- und Plakat-Kampagne zur Imagewerbung bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen gestartet. Abgesehen von einer etwas kruden Vorstellung von den Kommunikationsinhalten junger Menschen beinhaltet die Anzeige eine drastische Fehlinformation.
Die Möglichkeiten des Staates, den Telekommunikationsverkehr der Bevölkerung zu überwachen, d.h. mitzuschneiden, zu speichern oder sonstige Auskünfte von den Telekommunikationsunternehmen einzuholen, sind vielfältig und werden zudem ständig erweitert.
Gesetzlich zur Telekommunikationsüberwachung ermächtigte Sicherheitsbehörden sind die Strafverfolgungsbehörden, also Staatsanwaltschaft und Polizei, und die Geheimdienste, also das Bundesamt und die Landesämter für Verfassungsschutz, der Bundesnachrichtendienst (BND, Inlandsgeheimdienst) und der Militärische Abschirmdienst (MAD, Auslandsgeheimdienst). Sie können Telekommunikationsdaten der BürgerInnen unter bestimmten Voraussetzungen in drei unterschiedlich intensiven Stufen ausforschen. Zunächst kann von den Telekommunikationsunternehmen Auskunft über Name, Adresse und Rufnummer bzw. E-Mail-Adresse einer bestimmten Person verlangt werden. Die nächste Stufe ist die Herausgabe der so genannten Verbindungsdaten (Wann wurde wie lange mit welcher anderen Rufnummer telefoniert? Wann wurde an welche andere E-Mail-Adresse geschrieben? Zu welchem Zeitpunkt befand sich ein Mobiltelefon in welcher Funkzelle, also an welchem Standort?) durch die Telekommunikationsunternehmen. Schließlich kann der gesamte Telekommunikationsverkehr bestimmter Personen mitgehört, mitgeschnitten bzw. bei E-Mail und WWW vollständig gespeichert werden.
Neben diesen Eingriffen wird derzeit der Einsatz des so genannten IMSI-Catchers viel diskutiert. Mit diesem mobilen Gerät können die Gerätekennungen von Mobiltelefonen in einem bestimmten Umkreis "eingefangen" werden, um anhand der Kennung z.B. eine Abhörmaßnahme einleiten zu können. Umgekehrt kann auch der Standort von Mobiltelefonen festgestellt werden, deren Gerätekennung bekannt ist.

Alle können betroffen sein

Nun ließe sich vielleicht ein beruhigender Einwand nach dem Prinzip "es wird schon die richtigen treffen, ich lasse mir ja nichts zu Schulden kommen" erheben. Doch das ist zu kurz gedacht.
Zunächst ist es gar nicht mal so schwer, in das Blickfeld der Staatsmacht zu geraten. Gerade im Bereich der politischen Arbeit gibt es ganz erstaunliche Beispiele der umfassenden Überwachung z.B. von Antifa-Gruppen oder auch CASTOR-GegnerInnen. Dazu kommt aber, dass Telekommunikationsüberwachung schon per Definition immer auch völlig Unbeteiligte trifft, denn zur Kommunikation gehören nun mal immer mindestens zwei Personen, d.h. bei Überwachungsmaßnahmen werden völlig zufällig auf den Plan tretende Menschen notwendigerweise mitbelauscht oder es wird z.B. registriert, dass sie eine E-Mail von der eigentlich überwachten Person bekommen haben.
Eine noch weitergehende Betroffenheit von Unbeteiligten wäre die Folge, wenn - wie von einigen VerfechterInnen der "Inneren Sicherheit" gefordert - demnächst die Telekommunikationsunternehmen verpflichtet werden, die Verbindungsdaten aller NutzerInnen über eine bestimmte Zeit, z.B. ein halbes Jahr oder mehr, zu speichern. Das würde bedeuten, dass riesige Bestände persönlicher Daten angelegt würden, aus denen hervorgeht, mit wem jedeR im letzten halben Jahr telefoniert hat, mit wem E-Mails ausgetauscht wurden, vielleicht sogar welche WWW-Seiten in dieser Zeit besucht wurden und durch welche Funkzellen das Mobiltelefon bewegt wurde.

Ich hab doch nix zu verbergen

... behaupten an dieser Stelle viele. Auch über diese Aussage sollte man gründlich nachdenken. Letztlich gibt es wohl niemanden, der oder die von sich ernsthaft behaupten kann, es gäbe nichts, was eigentlich niemand oder zumindest nur bestimmte ausgesuchte Menschen über die eigene Person erfahren sollen. Was dieser lohnende Selbsttest gefühlsmäßig zeigt, lässt sich rechtlich folgendermaßen umschreiben: Zur Würde eines Menschen zählt insbesondere auch das Selbstbestimmungsrecht. Tritt nun aber der Fall ein, dass der oder die BürgerIn weiß, dass ein Großteil der eigenen Verhaltensweisen dem Staat bekannt werden wird oder dass zumindest höchst aufschlussreiche Datenbestände irgendwo gespeichert werden, wird dies die Verhaltensweisen der Menschen beeinflussen. Sie werden versuchen, möglichst wenig von der (wie auch immer bestimmten) Norm abzuweichen, um nicht aufzufallen und nicht anzuecken. Durch dieses Vermeidungsverhalten wird das für das demokratische Zusammenleben so wichtige Selbstbestimmungsrecht der Menschen untergraben, das auch im Grundgesetz (GG) (Schutz des Fernmeldegeheimnisses, Artikel 10 GG / Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, Artikel 2 Abs. 1 GG i. V. m. Artikel 1 Abs. 1 GG) seinen Niederschlag gefunden hat. Davon ist jedoch wie gesehen nicht viel übrig geblieben.
Was ist also zu tun, um dem etwas entgegenzusetzen? Im großen, gesellschaftlichen Rahmen gilt es, sich politisch gegen den ständigen Ausbau von Überwachungsmöglichkeiten der Sicherheitsbehörden zu engagieren. Im Kleinen, im persönlichen Bereich ist vor allem wichtig, sich immer bewusst zu machen, wo man Datenspuren hinterlässt und diese, wo das machbar ist, auch möglichst zu verwischen. Gerade im Bereich der Internetkommunikation sind die technischen Möglichkeiten dazu vorhanden. Sie müssen nur verbreitet und angewendet werden.

Jan Gehrken lebt und studiert in Hamburg.

Literatur:

allgemein:
Funk, Albrecht, Cybercrime. Die Zukunft elektronischer Überwachung, in: Bürgerrechte & Polizei (CILIP) 1/2002, 6 ff.
(und die weiteren Artikel in CILIP 1/2002).

Verschlüsselung und Anonymisierung im Internet:
http://www.datenschutzzentrum.de. .