Stephen Rehmke |
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Politische Justiz | Sonderausgabe Wozu Jura studieren? 2002/2003 Seite 26-27 |
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Nachdem 1922 in einem dubiosen Verfahren zwei Faschisten für einen versuchten Mord an einen politischen Gegner nur geringe Freiheitsstrafen erhielten, bemerkte Kurt Tucholsky wütend: "Das ist keine schlechte Justiz. Das ist keine mangelhafte Justiz. Das ist überhaupt keine Justiz." 1 Jahre später stellte der deutsche Emigrant Otto Kirchheimer am Ende einer ausführlichen Studie fest, dass in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung juristische Verfahrensmöglichkeiten so ausgiebig und systematisch für politische Zwecke genutzt werden, dass durchaus von einer Justiz zu sprechen ist: der politischen Justiz. 2 Staatsschutz Kirchheimer konnte für seine 1961 veröffentlichte Analyse auf umfangreiches Quellenmaterial zurückgreifen. Denn mit dem Tag, an dem der Justiz eine von der jeweiligen Herrschaftsgewalt unabhängige Rolle zugedacht wurde, begann auch der Versuch, mit ihrer Hilfe die politische Opposition zu kriminalisieren. Bereits auf die ersten emanzipativen Bestrebungen, reagierten die deutschen Staaten repressiv. Mit einem Edikt, das inhaltlich an Bestimmungen des Allgemeinen Preußischen Landrechts von 1794 anknüpfte, verbat Preußen sogenannte geheime Verbindungen, "welche der allgemeinen Sicherheit nachteilig werden könnten". Nicht zuletzt durch dieses spezielle Strafrecht vermochten die Regierungen die revolutionären Versuche in Deutschland über die Jahre von 1848/49 hinaus niederzuhalten. In der Folge wurden die politischen Straftatbestände in das Reichs-Strafgesetzbuch des neuen Deutschen Reiches übernommen. 1872 erfolgte auf seiner Grundlage der erste große politische Prozess gegen Wilhelm Liebknecht und August Bebel als den einflussreichsten Vertretern der Arbeiterbewegung. Mit dem Verfahren wurde die Kriminalisierung der sozialdemokratischen Organisationen eingeleitet, die ihren Höhepunkt 1878 mit dem Erlass der sogenannten Sozialistengesetze hatte. 3 Mit der Ausrufung der Weimarer Republik wollte die sozialdemokratische Regierung die Vorzeichen ändern. 1922 wurde das Republikschutzgesetz erlassen, mit dem vornehmlich reaktionäre Tendenzen unterbunden werden sollten. Die Justiz blieb sich jedoch treu: das prägende Merkmal politischer Gerichtsverfahren in dieser Zeit war, so resümieren Heinrich Hannover und Elisabeth Hannover-Drück, "die einseitige Gesetzesanwendung gegen links und die lässige Verfolgung und milde Beurteilung der Taten von rechts". 4 Mit der Machtergreifung der Nazis brachen schließlich alle Dämme. Der Deutsche Richterbund erklärte der nationalsozialistischen Regierung bereits im März 1933 sein "volles Vertrauen" und "seinen kooperativen Eintritt in den nationalsozialistischen Juristenbund". 5 Die geschätzte Zahl von 80.000 Todesurteilen, die durch den Volksgerichtshof und die Sonder-, Stand- und Kriegsgerichte verhängt wurden, 6 geben Aufschluss, was diese Grußworte in ihrer Konsequenz bedeuten sollten. Politische Gerichtsbarkeit Die Rolle, die die Gerichte in der jüngeren deutschen Geschichte als Instrument zur Herrschaftssicherung des Obrigkeitsstaates erlangt hatten und die sie in unheilvoller Weise über die Zeit der Weimarer Republik zu bewahren vermochten, veranlassten Kirchheimer, in ihnen das wesentliche Merkmal politischer Justiz zu sehen. Zusammenfassend wollte er von Politischer Justiz sprechen, "wenn Gerichte für politische Zwecke in Anspruch genommen werden, so dass das Feld politischen Handelns ausgeweitet und abgesichert werden kann. Die Funktionsweise der politischen Justiz besteht darin, dass das politische Handeln von Gruppen und Individuen der gerichtlichen Prüfung unterworfen wird. Eine solche gerichtliche Kontrolle des Handelns strebt an, wer seine eigene Position festigen und die seiner politischen Gegner schwächen will." 7 Nach Kirchheimers umfassender Untersuchung liegt das aber überwiegend im Interesse der politischen Eliten des Staates. Wenngleich sie über ein reichhaltiges Waffenarsenal zur Bekämpfung der politischen Opposition haben, die über die Arbeitsorganisation, Gebrauch der Medien bis hin zu polizeilichen Eingriffsbefugnissen reichen, wenden sie in der Konsequenz vorzugsweise die staatliche Strafgewalt auf den politischen Kampf an und versuchen hierüber, den politischen Dissens zu einem kriminellen Unrecht zu stempeln. Den Gerichten wird die Aufgabe übertragen, die staatliche Integration voranzutreiben, in dem sie die politischen GegnerInnen des Regimes nach Regeln eliminieren, die vorher festgelegt sind. Dabei steht nicht die Opposition selbst vor Gericht, sondern einzelne Angehörige, deren Taten aus dem Bezug der politischen Aktion herausgenommen und unter abstrakte juristische Tatbestände subsumiert werden. Die gesellschaftspolitische Auseinandersetzung, in deren Zusammenhang die Tat zu bewerten ist, wird bewusst ausgesperrt. Der Protest wird entpolitisiert. Gerade Strafverfahren vermögen deshalb, nicht nur Opposition zu unterdrücken, sondern auch das staatliche Handeln offiziell zu legitimieren und die öffentliche Meinung diesbezüglich zu mobilisieren oder gar zu manipulieren. 8 Selbstredend müssen diese Mechanismen mit der Richterschaft korrespondieren. Die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe oder Generalklauseln, die Bewertung von Tatbeständen, die Beweiswürdigung sowie die Etablierung einer sogenannten "herrschenden Meinung" in den Lehrbüchern und Kommentaren lassen RichterInnen ausreichend Gelegenheit, ihre politischen Präferenzen in Urteilen durchzusetzen. Die Rechtsanwendung von JuristInnen hängt dabei von ihrer allgemeinen Sozialisation, ihrer Ausbildung an den juristischen Fakultäten und den Gerichten und den institutionellen Zwängen ab. 9 Gesinnungsstrafrecht Wie sich ein derart vermitteltes Rechtsbewusstsein manifestieren kann,
sollte sich mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland beweisen.
Nachdem das politische Strafrecht der Nationalsozialisten zwischenzeitlich
durch die Alliierten aufgehoben worden war, fand es sich bereits 1951
in seinen wesentlichen Teilen im bundesdeutschen Strafgesetzbuch wieder.
Die RichterInnen taten ihr übriges, um es wiederholt zur vollen Geltungskraft
gegenüber AnhängerInnen kommunistischer Organisationen zu bringen. Mit
Vorwürfen von Straftaten wie dem Hoch- und dem Landesverrat, der Staatsgefährdung,
der Weiterführung und Unterstützung der 1956 verbotenen Kommunistischen
Partei (KPD) sowie der Beschimpfung, Verächtlichmachung oder Verunglimpfung
des Staates wurden in den fünfziger Jahren etwa 125.000 Ermittlungsverfahren
eingeleitet und 7.000 Urteile gesprochen, nicht selten enthielten sie
Freiheitsstrafen. Die von den Strafgerichten betriebene Kriminalisierung
der KommunistInnen wurde begleitet von unzähligen zusätzlichen Sanktionen
durch Verwaltungs- und Arbeitsgerichte. 10 Anti-Terror-System Mitte der siebziger Jahre sollte schließlich mit der Bekämpfung der Rote
Armee Fraktion (RAF) das politische Strafrecht der Bundesrepublik perfektioniert
werden. Anknüpfend an dem noch aus dem deutschen Kaiserreich stammenden
§129 Strafgesetzbuch (StGB), der "Kriminelle Vereinigungen" verfolgt,
wurde mit dem gegen "Terroristische Vereinigungen" gerichteten §129a StGB
ein Normengeflecht gesponnen, das der Rechtsanwalt und Publizist Rolf
Gössner als "Anti-Terror-System" bezeichnet. 12
Es handelt sich um Kollektivtatbestände, deren Exklusivität in ihrer Konzeption
als Organisationsdelikte besteht. Beschuldigten müssen nicht eigene Straftaten
nachgewiesen werden, sondern lediglich deren bloße Zugehörigkeit zu den
inkriminierten Gruppen oder deren Förderung. Eine besondere Ausdehnung
erfährt diese Kriminalisierung von Organisationen durch die Möglichkeit,
nicht nur Mitglieder strafrechtlich zu belangen, sondern auch Personen,
denen vorgeworfen wird, für solche Vereinigungen zu werben oder sie zu
unterstützen. 13 Politische Repression An diesem besonderen Staatsschutzsystem wird nochmals deutlich, dass
politische Justiz sich mehrerer juristischer Verfahrensmöglichkeiten bedient.
So setzt sie beispielsweise auf organisatorischer Ebene Sondergerichte
und ein entsprechend ausgebildetes Justizpersonal ein. Mit politischen
Straftatbeständen wird sie auf instruktive Art tätig. Und mit einer vorteilhaften
Ausgestaltung des Ermittlungs- und Hauptverfahrens agiert sie prozedural.
15 Stephen Rehmke ist Redaktionsmitglied von Forum Recht und lebt in Hamburg. Anmerkungen: 1 Tucholsky, Politische Justiz, Hamburg
1970, S.105. Literatur: Beachte die Leseliste ab S. 16 in diesem Heft. |