André Jaschinski |
|
||||
"Wehe dem, der keine Heimat hat" | Heft
1/2003 Szenen einer Ehe Zum Verhältnis von Recht und Macht Seite 29 |
||||
"Die Krähen schreien und ziehen schwirren Flugs zur Stadt. Bald wird es schneien, - wohl dem der jetzt noch Heimat hat." Sangatte, das nah am Eurotunnel gelegene Flüchtlingslager für Immigranten, in Frankreich im Kreis Calais, welche in Großbritannien eine neue Heimat suchen, macht am 30.12.2002 seine Pforten endgültig dicht. Von den rund 4000 registrierten Insassen erhalten 2000 Aufenthaltspapiere in Großbritannien und 300 Asyl in Frankreich. Diejenigen, welche willig sind, in ihre Heimat zurückzukehren, erhalten pro Kopf eine Startprämie von 2000 Euro ausgezahlt. Die Menschen, die bis zum bitteren Ende bleiben, erwartet wohl die Abschiebung. In Sangatte befindet sich seit Herbst 1999 ein sog. Zentrum des Roten Kreuzes, ohne rechtlichen Status. Es ist für 300 Flüchtlinge ausgelegt. Die Region um Sangatte war schon lange vor dem Lager das Durchgangsstadium für Flüchtlinge, die einen Zugang nach Großbritannien suchten. In Großbritannien galten (damals) liberalere Einwanderungsbedingungen, z.B. der sicherere Erwerb einer Arbeitserlaubnis. Tatsächlich wurde es immer schwieriger, in das gelobte Asyl-Land zu gelangen obwohl seit der Errichtung des Lagers 55.000 Menschen hier durchgereist sind. London drängte schon seit langem auf eine Schließung des Lagers, während Paris im Gegenzug die Verschärfung der Einwanderungsgesetze forderte. Am 8.11.2002 trat dann das neue englische Einwanderungsgesetz in Kraft. Bei der Einreise aus einem sicheren Drittstaat ist der Asylstatus nunmehr ausgeschlossen und der Erwerb einer Arbeitserlaubnis für Asylbewerber wurde abgeschafft. Zusätzlich forderte die Betreibergesellschaft des Eurotunnels die Schließung, weil sich Flüchtlinge an fahrende Züge klammern oder zu Fuß losziehen, und somit den freien Warenverkehr durch den Eurotunnel behindern. Aber die zukünftigen Flüchtlinge werden weiterhin versuchen, nach England zu gelangen, um dort ihr Glück zu finden. Sie werden aber künftig auf der Straße übernachten müssen oder wie jüngst geschehen eine Kirche besetzen. Alles in allem bleibt ihnen bloß der Weg in die Illegalität, wo ein rechtlicher Schutz verwehrt bleibt und das Recht des Stärkeren gilt. Den dort aufgegriffenen Flüchtlingen könnte dann auch eine Speicherung im Schengener Informationssystem bevorstehen. Gerade weil in dem Lager das Elend regierte, wurde es zu einem lästigen Symbol. Ein Symptom, welches ausgemerzt werden mußte. Dort, wo die sozialen Mißstände am offensichtlichsten sind, wird das Problem einfach beiseite- oder abgeschoben. Die Ursachen aber bleiben weiterhin ungelöst und werden es mit einer derartigen Politik auch immer bleiben. Andre Jaschinski, Berlin Das in Anführungsstriche Gesetzte ist aus "Vereinsamt" von Friedrich Nietzsche |