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Größere Industrievorhaben sorgen meist für Konflikte. Prominentes Beispiel
hierfür ist die Erweiterung des Airbuswerks in Hamburg. Die hierzu ergangenen
Entscheidungen der Behörden, der Europäischen Kommission sowie z.T. der
Gerichte zeigen deutlich, dass sich trotz verbesserter Umweltgesetze und
deren Umsetzung durch Schutzgebietsausweisungen in der heutigen Zeit,
die geprägt ist von hoher Arbeitslosigkeit und allgemeiner Angst vor wirtschaftlichem
Abstieg, im Zweifel die Interessen der Wirtschaft gegenüber dem Umweltschutz
durchsetzen. Der Fall Mühlenberger Loch ist unter zwei (umwelt)rechtlichen
Gesichtspunkten interessant: Zum einen geht es darum, inwieweit ein privates
Vorhaben entgegenstehende Rechte Dritter beeinträchtigen darf; hier in
Form von Beeinträchtigungen des Eigentums von AnwohnerInnen durch Lärmbelästigung.
Zum anderen lässt er Rückschlüsse auf die Durchsetzungskraft des Naturschutzrechtes
zu. Im Vordergrund steht dabei die Frage, wann ein privatwirtschaftliches
Vorhaben dem öffentlichen Interesse dient.
Hintergrund: Der Fall Mühlenberger Loch
Der europäische Konzern EADS will seine Flugzeugpalette um ein neues
Großraumflugzeug, den Airbus A 380, erweitern. Den Konkurrenzkampf mehrerer
europäischer Konzernstand-orte um die prestigeträchtige Endmontage gewann
neben Toulouse auch Hamburg. Dies macht eine Erweiterung des Airbus-Werks
in Hamburg-Finkenwerder, insbesondere eine Verlängerung der Start- und
Landebahn nötig, für die eine Teilfläche der Elbbucht "Mühlenberger Loch"
in Anspruch genommen werden muss.
Das Mühlenberger Loch ist das größte Süßwasserwatt Europas, es ist Rast-
und Brutplatz zahlreicher Vogelarten - darunter auch die Löffelente -
und beherbergt gefährdete Pflanzen- und Fischarten. Es ist als Landschaftsschutzgebiet,
als international bedeutsames Feuchtgebiet sowie als Europäisches Vogelschutzgebiet
ausgewiesen. Außerdem ist es als Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung
nach der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH-RL) gemeldet worden. Die
für die Werkserweiterung erforderliche Zulassung durch Planfeststellungsbeschluss
wurde von der Stadt Hamburg im Mai 2000 erteilt.
Auf Drängen des Airbus-Konzerns wurde der Planfeststellungsbeschluss in
wesentlichen Teilen - insbesondere bezüglich der Verfüllung des Mühlenberger
Lochs - für sofort vollziehbar erklärt. Diese Entscheidungen haben wiederholt
die Gerichte beschäftigt. Auf eine Klage von AnwohnerInnen hin hatte das
Verwaltungsgericht (VG) Hamburg zunächst im einstweiligen Rechtsschutz
die aufschiebende Wirkung der Klagen wieder hergestellt.1
Allerdings wurde diese Entscheidung in der zweiten Instanz aufgehoben,2
so dass mit der Verfüllung des Mühlenberger Lochs begonnen wurde. Im Hauptsacheverfahren
hob das VG im August 2002 den Planfeststellungsbeschluss auf,3
gegen dieses Urteil wurde jedoch Berufung eingelegt, über die noch nicht
entschieden ist. Da das Urteil des VG somit noch nicht rechtskräftig ist
und weil das VG einen weiteren Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt
hat,4 konnten die Bauarbeiten weiter
geführt werden. Trotz der vollkommen ungeklärten Rechtslage ist das Mühlenberger
Loch inzwischen teilweise zugeschüttet, die erste Teilfläche wurde im
November 2001 an den Airbus-Konzern übergeben.
Brisant: Eigene Interessen Hamburgs
Der Fall des Mühlenberger Lochs zeigt deutlich, wie sehr die Interessen
lokaler Politik mit denen der Wirtschaft verknüpft sind. Hamburg hat sich
bereits bei der Auswahl des Standortes für die Endmontage auf politischer
Ebene massiv für das Werk in Finkenwerder eingesetzt. So hatte die Stadt
- noch unter rot-grüner Regierung - angeboten, die für die Werkserweiterung
notwendige Verfüllung eines Teils des Mühlenberger Lochs und die Herrichtung
der Baufläche auf eigene Kosten durchzuführen. Diese Bereitstellung und
Finanzierung der Bauflächen durch die Stadt ist eine direkte Subvention
des EADS-Konzerns. Laut dem Hamburger Wirtschaftssenator Uldall investiert
Hamburg für die Airbus-Ansiedlung 650 Mio. Euro.5
Schon dieser Einsatz Hamburgs weckt Misstrauen bezüglich der Unabhängigkeit
der städtischen Planfeststellungsbehörden bei der Entscheidung über das
Vorhaben. Brisant ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Stadt selbst,
vertreten durch die Wirtschaftsbehörde, Amt für Strom- und Hafenbau, den
Erlass des Planfeststellungsbeschlusses beantragt hat - zuständig für
die Entscheidung hierüber war ebenfalls die Wirtschaftsbehörde, Amt für
Strom- und Hafenbau. Diese Identität ist nicht gerade geeignet, Vertrauen
in die Unabhängigkeit der für Anhörung und Planfeststellung zuständigen
Bediensteten zu wecken - wenn diese mit den Antragstellern Tür an Tür
sitzen und sich beim Mittagessen in der Kantine treffen, ist Skepsis hier
mehr als angebracht.
Öffentliches Interesse an der Werkserweiterung?
Für die Rechtmäßigkeit der Werkserweiterung ist von entscheidender Bedeutung,
ob ein öffentliches Interesse an dem Vorhaben besteht. Das öffentliche
Interesse spielt zunächst eine Rolle bei der Frage, ob zugunsten der Werkserweiterung
in Rechte Dritter eingegriffen werden darf. Zwar waren keine Enteignungen
nötig, doch sind Fluglärmbelastungen der AnwohnerInnen zu erwarten, die
das immissionsschutzrechtlich zulässige Maß überschreiten und damit eine
Beeinträchtigung des Eigentums darstellen. Daneben ist das öffentliche
Interesse relevant, wenn es um die Eingriffe in die Natur geht.
Ein öffentliches Interesse, das zu Eingriffen in entgegen stehende Rechte
Dritter bis hin zur Enteignung berechtigt, ist in Rechtsprechung und Literatur
anerkannt und auch von der Sache her unproblematisch in den Fällen, in
denen ein Vorhaben einem öffentlichen Bedarf dient und keine unmittelbaren
Gewinninteressen Privater im Spiel sind. Klassisches Beispiel hierfür
ist die Fernstraßenplanung. Andererseits besteht bei Vorhaben, die allein
den privaten Interessen des Vorhabenträgers dienen, kein öffentliches
Interesse. Sie sind nur zulässig, wenn Rechte Dritter nicht beeinträchtigt
werden.
Problematischer ist die Bewertung bei Vorhaben, die sowohl privaten als
auch öffentlichen Interessen dienen, wie etwa Abfalldeponien, die privat
betrieben werden - neben das private Gewinninteresse tritt hier das öffentliche
Interesse an einer geordneten Abfallentsorgung. Für die Fälle der Abfallentsorgung
hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) anerkannt, dass die Vorhaben
aufgrund des zugleich verfolgten Allgemeininteresses Eingriffe in Rechte
Dritter bis hin zu Enteignungen rechtfertigen können. Ähnlich sind z.B.
Vorhaben der öffentlichen Energieversorgung durch ein privates Unternehmen
oder privat betriebene Verkehrsflughäfen einzuordnen. Die Versorgung der
Bevölkerung mit Energie ist eine Aufgabe der Daseinsvorsorge und dient
dem öffentlichen Interesse; auch privat betriebene Verkehrsflughäfen dienen
dem allgemeinen Flugverkehr.6
Den zuletzt genannten Fällen ist gemeinsam, dass sie trotz des privaten
Gewinninteresses, dem sie auch bzw. primär dienen, gleichzeitig eine öffentliche
Funktion der Daseins- bzw. Infrastrukturversorgung wahrnehmen. Dieser
gemeinnützige Effekt hängt hier unmittelbar mit der Zweckbestimmung des
Vorhabens zusammen - die Gemeinnützigkeit liegt gerade in der Abfallentsorgung,
der Energieversorgung oder der Eröffnung des Flugverkehrs. Das öffentliche
Interesse wird unmittelbar durch das Vorhaben befriedigt und unabhängig
davon, ob das Vorhaben tatsächlich Gewinne erzielt oder aber Defizite
einbringt. Das rechtfertigt es, zur Vorhabenrealisierung auch Eingriffe
in Rechte Dritter zuzulassen.
Bloß mittelbar!
Anders ist die Lage bei der Airbus-Werkserweiterung. Hier handelt es
sich um einen privaten Werksflughafen, der dem allgemeinen Flugverkehr
nicht zur Verfügung steht und somit nicht der öffentlichen Infrastruktur
und Daseinsvorsorge dient. Hauptargument für ein öffentliches Interesse
an dem Vorhaben ist das Versprechen des Airbus-Konzerns, die Fertigung
des A 380 würde 4.000 neue Arbeitsplätze in Hamburg bringen. Diese Zahlen
werden von unterschiedlicher Seite bezweifelt und bis heute ist unklar,
wie viele zusätzliche Arbeitsplätze in Finkenwerder tatsächlich entstanden
sind und noch entstehen werden.7
Unabhängig davon, wie realistisch die Prognosen sind, ist die Airbus-Werkserweiterung
mit den oben genannten Beispielen nicht vergleichbar. Auch wenn man von
grundsätzlicher Kritik an der Wirtschaftsgläubigkeit absieht und anerkennt,
dass die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze und die Förderung der regionalen
Infrastruktur im öffentlichen Interesse liegen, so sind diese Effekte
doch keine unmittelbare Folge des Airbus-Vorhabens. Die Folgen für den
Arbeitsmarkt und die regionale Wirtschaft entstehen - anders als die Auswirkungen
für die Daseinsvorsorge in den oben genannten Beispielen - nicht aus der
konkreten Funktions- oder Zweckbestimmung der Airbusproduktion (ein unmittelbarer
Zusammenhang wäre etwa gegeben, wenn die werkseigene Start- und Landebahn
auch dem öffentlichen Flugverkehr zur Verfügung stünde) und beziehen sich
nicht auf einen gesetzlich festgelegten Allgemeinwohlzweck. Vielmehr handelt
es sich um Nebeneffekte, die jede größere Industrieansiedlung mit sich
bringt. Das öffentliche Interesse an derartigen Vorhaben kann als ein
mittelbares bezeichnet werden.
Ein bloß mittelbares öffentliches Interesse reicht jedoch nicht aus, um
Eingriffe in entgegen stehende Rechte Dritter zu rechtfertigen. Würde
man derartige mittelbare, unspezifische und nicht mit einer gesetzlichen
Zielsetzung zusammen hängende allgemeinwohlfördernde Auswirkungen eines
Vorhabens als ausreichend anerkennen, würde jedes wirtschafts- und arbeitsplätzefördernde
Vorhaben zu Eingriffen in Rechte Dritter bis hin zu Enteignungen berechtigen.
Die Grundrechte stünden unter dem Vorbehalt der Abwägung mit wirtschaftlichen
Interessen.
Dies widerspräche auch den Grundsätzen, die das Bundesverfassungsgericht
(BVerfG) für die Enteignung zugunsten Privater formuliert hat.8
Danach ist eine Enteignung zugunsten eines Privaten, die mittelbar dem
Allgemeinwohl dient, nur zulässig, wenn ein Gesetz den mittelbar verwirklichten
Enteignungszweck deutlich umschreibt, die grundlegenden Enteignungsvoraussetzungen
und das Verfahren zu ihrer Ermittlung festlegt sowie Vorkehrungen zur
Sicherung des verfolgten Gemeinwohlzieles regelt. Der Planfeststellung
der Airbus-Werkserweiterung lag kein entsprechendes Gesetz zugrunde, insbesondere
sieht das Luftverkehrsgesetz, nach dem sich die Zulassungsentscheidung
richtet, keine Regelung über die mittelbare Förderung von Arbeitsmarkt
und Wirtschaft vor.
Daneben ist zweifelhaft, wie eine dauerhafte Sicherung des verfolgten
Gemeinwohlzieles aussehen sollte: Arbeitsplatzgarantien wird Airbus kaum
geben können und bloße Absichts-erklärungen sind im Falle einer tatsächlichen
Krise wirkungslos. Schließlich ist die mittelbare Förderung des öffentlichen
Interesses keineswegs allein oder auch nur wesentlich besser durch das
konkrete Airbus-Vorhaben zu erreichen. Ausweitungen der Produktion lassen
ähnliche Effekte an jedem Standort erwarten, sodass es zahlreiche Alternativen
zur Zweckerreichung gäbe. Dieser Umstand lässt es zweifelhaft erscheinen,
warum ein öffentliches Interesse an der Vorhabenrealisierung gerade an
dieser Stelle bestehen soll.
Zwar hat das BVerfG die genannten Grundsätze explizit nur für Enteignungen
aufgestellt, die für die Airbus-Erweiterung nicht erforderlich waren.
Aber auch Eingriffe in das Eigentum unterhalb der Enteignungsschwelle
(und solche stellen die zu erwartenden Lärmbelastungen dar) lassen sich
nur aufgrund von öffentlichen Interessen rechtfertigen. Hierfür sind nur
mittelbar verfolgte öffentliche Interessen aber letztlich aus den gleichen
Gründen wie bei einer Enteignung nicht ausreichend.9
Das Airbus-Gesetz
Dieser Befund - der dazu führte, dass das VG Hamburg das Vorhaben wegen
der Auswirkungen auf die Rechte der AnwohnerInnen für rechtswidrig erklärte
- löste in der Hamburger Politik erneute Angst vor einem Scheitern des
Prestigeprojektes aus. Um dies zu vermeiden, unternahm die Hamburger Bürgerschaft
im Juni 2002 mit dem "Gesetz zum Erhalt und zur Stärkung des Luftfahrtindustriestandortes
Hamburg"10 einen krampfhaften Versuch,
das öffentliche Interesse an dem Vorhaben von oben zu verordnen. In §
1 Abs. 1 dieses Gesetzes heißt es:
"Maßnahmen zum Erhalt und zur Erweiterung der Flugzeugproduktion am
Standort Finkenwerder sichern und fördern den Luftfahrtindustriestandort
Hamburg. Sie dienen dem Wohl der Allgemeinheit. Zu diesen Maßnahmen gehören
insbesondere die Erweiterung des Airbus-Werkgeländes durch Inanspruchnahme
einer Teilfläche des Mühlenberger Lochs, Verlängerungen der Start- und
Landebahn, Erhöhungen der Flugbewegungen sowie Errichtung und Betrieb
erforderlicher baulicher und luftverkehrlicher Anlagen. Soweit die Maßnahmen
Gegenstand einer Planfeststellung oder Plangenehmigung sind, finden auf
sie die Vorschriften Anwendung, die für gemeinnützige Vorhaben gelten."
Dieser Versuch, Industrieförderung rechtlich abzusichern und einem konkreten
unternehmerischen Vorhaben pauschal die Weihen der Gemeinnützigkeit -
und damit des öffentlichen Interesses - zu verleihen, dürfte relativ einmalig
sein und bei jedem, der die Hintergründe nicht kennt, wird der Gesetzestext
wohl nur Erstaunen hervorrufen. Ob die Hamburger Politik ihrem Anliegen,
die derzeitige und wohl auch künftige Werkserweiterungen problemlos(er)
gegen vorhandene Widerstände durchdrücken zu können, damit näher kommt,
ist jedoch zweifelhaft. Das Gesetz ist nämlich in mehrfacher Hinsicht
verfassungswidrig und dürfte deshalb seinen Zweck nicht erfüllen. Zum
einen mangelt es schon an der Gesetzgebungskompetenz des Landes. Denn
das Gesetz modifiziert letztlich das bundesrechtlich im Luftverkehrsgesetz
geregelte Zulassungsrecht für Flugplätze für das Airbus-Werk. Damit betrifft
es aber einen Regelungsbereich, der nach dem Grundgesetz in die ausschließliche
Kompetenz des Bundesgesetzgebers fällt.11
Politisch bedenklicher und ebenso verfassungswidrig ist, dass der Gesetzgeber
hier versucht, in die Bereiche der Rechtsanwendung einzudringen. Grundsätzlich
ist es Sache der Verwaltung und der Gerichte, festzustellen, ob bestimmte
Sachverhalte den Voraussetzungen der Gesetze entsprechen. Die Feststellung,
die genannten Maßnahmen dienten dem Wohl der Allgemeinheit, schreibt aber
quasi eine bestimmte Subsumtion des Sachverhaltes "Werkserweiterung" unter
die Regelungen, die für die Realisierung des Vorhabens auf das Wohl der
Allgemeinheit abstellen, vor. In der gesetzgeberischen Subsumtion eines
Einzelfalles unter bestimmte Normen liegt ein Missbrauch der Gesetzesform
für die Rechtsanwendung.12
Aber auch inhaltlich ist die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes zweifelhaft.
BVerfG und BVerwG halten das Ziel, Arbeitsplätze zu schaffen, für zu unspezifisch,
um eine hinreichende Legitimation für Eingriffe in Rechte Dritter zu vermitteln
und haben Zweifel daran geäußert, ob ein Gesetz, das derart allgemeine
öffentliche Interessen als Vorhabenzweck zulässt, mit dem Bestimmtheitsgebot
vereinbar wäre.13
Naturschutz ohne Chance
Auch die Interessen am Erhalt des Schutzgebietes Mühlenberger Loch mussten
hinter dem unbedingten Willen Hamburgs zur Ansiedlung der A 380-Produktion
zurückstehen. Hier spielt die Frage nach dem öffentlichen Interesse an
dem Vorhaben ebenfalls eine Rolle. Da das Vorhaben ein gemeldetes FFH-Gebiet
beeinträchtigt, ist es naturschutzrechtlich nur zulässig, wenn u.a. "zwingende
Gründe des öffentlichen Interesses" für das Vorhaben sprechen. Wie für
die Eingriffe in Rechte Dritter ist auch hier die Frage, ob ein nur mittelbares
öffentliches Interesse ausreicht, um Naturschutzbelange zu überwinden,
zu verneinen.
Die juristische Argumentation ist zwar etwas anders, denn den Interessen
an der Vorhabenrealisierung stehen hier keine Grundrechte gegenüber. Allerdings
ist auch der Naturschutz in Art. 20a Grundgesetz verfassungsmäßig abgesichert,
was seine Bedeutung unterstreicht und die Anforderungen an Beeinträchtigungen
erhöht, so dass auch im Verhältnis zum Naturschutz ein bloß mittelbares
öffentliches Interesse nicht ausreichen kann. Zum anderen aber gilt hier
ebenfalls, dass die tatsächlichen positiven Auswirkungen für das öffentliche
Interesse nur schwer zu ermitteln und abzusichern sind. Schließlich verlangt
das Naturschutzrecht ausdrücklich, dass keine Alternativen vorhanden sein
dürfen, den Vorhabenzweck an anderer Stelle zu verwirklichen. Da die zu
erwartenden wirtschaftlichen Effekte an jedem Standort bei jeder Unternehmensansiedlung
diesen Umfangs zu erwarten sein dürften, wird stets eine Alternative vorliegen,
um diese Zwecke zu erreichen. Diese Bedenken gegen das Vorliegen zwingender
Gründe des öffentlichen Interesses haben jedoch weder die Stadt Hamburg
noch die Europäische Kommission gestört, die aufgrund des Europäischen
Naturschutzrechtes eine Stellungnahme abgeben musste und in dieser das
Vorhaben trotz seiner Auswirkungen auf das Mühlenberger Loch für zulässig
hielt.
In den Verfahren vor den Hamburger Gerichten spielte das Naturschutzrecht
keine Rolle, weil sich die klagenden AnwohnerInnen nur auf ihre eigenen
Rechte und nicht auf Verletzungen des Naturschutzrechts stützen konnten.
Gerichtliche Entscheidungen mit Bezug auf den Naturschutz gab es jedoch
aufgrund einer anderen Problematik: Um den durch das Vorhaben im Mühlenberger
Loch verursachten Eingriff in Natur und Landschaft zu kompensieren, was
naturschutzrechtlich zwingend vorgeschrieben ist, sollten verschiedene
Flächen u.a. in Schleswig-Holstein ökologisch aufgewertet, ihr Zustand
verbessert werden. Dabei war bekannt, dass die Kompensationsflächen teilweise
bereits als Naturschutzgebiet ausgewiesen sind und als solches bereits
ökologisch höchstwertige Flächen darstellen. Auf eine Klage von Umweltverbänden
hin hat das VG Schleswig im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes dieses
Vorgehen zumindest für eine Fläche für unzulässig erklärt.14
Das betroffene Gebiet stelle bereits ein höchstwertiges Naturschutzgebiet
dar, welches nicht aufwertungsbedürftig und wohl auch nicht aufwertungsfähig
und somit zur Kompensation des Eingriffs im Mühlenberger Loch ungeeignet
sei.
Dass diese Entscheidung nicht zu einer Einstellung der Bauarbeiten am
Mühlenberger Loch geführt hat, zeigt erneut, dass dieses Vorhaben um nahezu
jeden Preis, nämlich unter In-kaufnahme offensichtlicher Rechtsverstöße,
realisiert werden soll. Wenn die Rechtswidrigkeit der - gesetzlich zwingend
vorgeschriebenen - Kompensationsmaßnahmen keinerlei Auswirkungen zeitigt,
lässt dies zudem generell erhebliche Zweifel an der Effektivität der naturschutzrechtlichen
Eingriffsregelung aufkommen.
Standort vor Umwelt
Die Auffassung der Stadt Hamburg, wonach eine mittelbare und unspezifische
Förderung des Allgemeinwohls durch mögliche positive Effekte auf Arbeitsmarkt
und Infrastruktur als Rechtfertigung für Eingriffe eines Vorhabens in
Rechte Dritter genügt, führt dazu, dass die Grundrechte stets unter einem
Abwägungsvorbehalt mit privatwirtschaftlichen Interessen stehen - eine
Ansicht, die gut zu der momentanen Orientierung der Politik an Markt,
internationalem Wettbewerb und Stand-ortförderung passt. Außerdem zeigt
sich, dass bei einer entsprechenden Prioritätensetzung seitens der lokalen
Politik auch eine umfassende Ausweisung nach Naturschutzrecht einem Gebiet
nichts nützt. Diese unbedingte Orientierung an Wirtschafts- und Standortdenken
bis hin zur erbitterten Konkurrenz um Industrieansiedlungen im nationalen
und europäischen Bereich lässt alle Absichtserklärungen und Gesetze zum
Schutz von Umwelt und Natur als hohle Phrasen erscheinen - Papier ist
geduldig, wenn es im Zweifelsfall doch nicht verhindert, dass Umweltschutzinteressen
zugunsten von Standortpolitik zurückgestellt werden.
Fortsetzung folgt?
Hinzugefügt sei schließlich, dass eine Fortsetzung der Kontroversen um
das Airbus-Werk bevorsteht. Um die Frachtversion des A 380 zu realisieren,
muss nämlich die Start- und Landebahn weiter verlängert werden. Diesmal
sollen hierfür nicht elb- sondern landseitige Flächen in Anspruch genommen
werden. Dumme Nebenfolge: Die Piste würde bis in das Obstdorf Neuenfelde
hineinreichen, das zum großen Teil eingeebnet werden müsste.15
Aber angesichts der angeblichen, nunmehr auch mit dem Segen des Gesetzgebers
versehenen Gemeinnützigkeit der Luftfahrtindustrie stellt dies in den
Augen des EADS-Konzerns wohl kein großes Hindernis dar. Und wenn die BewohnerInnen
von Neuenfelde ihre Grundstücke im Interesse des Allgemeinwohls nicht
freiwillig aufgegeben, gibt es schließlich das Instrument der Enteignung.
Zumal Hamburg sich auch auf Bundesebene um eine Änderung des Luftverkehrsgesetzes
dahingehend bemüht, dass Enteignungen zugunsten Privater ermöglicht werden.
Man darf gespannt sein, wie's weitergeht.
Karin Bieback ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der
TU Harburg.
Anmerkungen:
1 Beschluss v. 18.12.2000, Neue
Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ) 2001, 1173.
2 Teilbeschluss v. 19.2.2001, NVwZ
2001, 1173.
3 Urteil v. 27.8.2002, Zeitschrift
für öffentliches Recht in Norddeutschland (NordÖR) 2002, 459.
4 Beschluss v. 2.10.2002, NordÖR
2002, 468.
5 Vgl. das Streitgespräch im Hamburger
Abendblatt v. 8.3.2003.
6 Vgl. Prall, NordÖR 2001, 187.
7 Vgl. dazu z.B. das Streitgespräch
zwischen Wirtschaftssenator Uldall, Hans Bauer und Hark Bohm im Hamburger
Abendblatt v. 8.3.2003.
8 Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
(BVerfGE) 74, 264, Leitsatz 2. Anmerkungen:
9 Ausführlich hierzu Ramsauer / Bieback,
NVwZ 2002, 277, 282 ff.
10 Hamburgisches Gesetz- und Verordnungsblatt
(HmbGVBl.) v. 28.6.2002, S. 96, http://www.luewu.de/GVBL/2002/19.pdf.
11 Lenz, NordÖR 2002, 442,
443.
12 Bull, NordÖR 2002, 439,
440.
13 BVerfGE 74, 264, 287; Entscheidungen
des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE) 71, 166, 168.
14 VG Schleswig, Beschluss v. 10.10.2001;
bestätigt durch OVG Schleswig, Beschluss v. 12.2.2002, NordÖR 2002,
164.
15 Vgl. hierzu Pressemeldungen v.
5. Juni 2002 in der taz, der Welt und dem Hamburger Abendblatt.
Literatur:
Bull, Hans Peter, Der Gesetzgeber als Zauberkünstler - ein Wunder
oder ein Flop?, in: Zeitschrift für öffentliches Recht in Norddeutschland
(NordÖR) 2002, 439.
Lenz, Christofer, Hamburgs verfassungswidriges Airbus-Gesetz, in:
NordÖR 2002, 442.
Prall, Ursula, Zur Abgrenzung von gemein- und privatnützigen Planfeststellungen,
in: NordÖR 2001, 187.
Ramsauer, Ulrich / Bieback, Karin, Planfeststellung von privatnützigen
Vorhaben, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ) 2002,
277.
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