Lena Dammann |
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Neue Vorschläge zur Umverteilung von Unten nach Oben | Heft
4/2003 Arbeit Ausgrenzung und Ausbeutung Seite 112-115 |
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Die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe |
Zum ersten Januar 2004 plant die Bundesregierung die Streichung der Arbeitslosenhilfe. Die Arbeitslosenversicherung soll auf die Gewährung von Arbeitslosengeld für Kurzzeitarbeitslose beschränkt werden. Die BezieherInnen von Arbeitslosenhilfe werden in das System der Sozialhilfe überführt. Millionen von LeistungsbezieherInnen und ihre Familien werden in die Armut gedrängt. Anstelle der bisher an der Arbeitslosenversicherung orientierten Arbeitslosenhilfe sollen sie künftig nur noch eine pauschalierte Grundsicherung von 345 Euro monatlich im Westen und 331 Euro im Osten erhalten. Außerdem ist beabsichtigt, dass in Zukunft jede zumutbare Arbeit, ungeachtet der beruflichen Qualifikationen angenommen werden muss. Zumutbar ist nach der Definition des Bundeswirtschaftsministers jeder legale Job. Bei Ablehnung des Jobangebots soll das Arbeitsamt die ohnehin knapp bemessene Grundsicherung auch noch um 30 % (ca. 100 Euro) kürzen dürfen. Bei wiederholter Ablehnung kommt es sogar noch schlimmer, anstelle von Geld sollen Arbeitslose dann - wie bisher schon AsylbewerberInnen - nur noch Sachleistungen erhalten. Bekämpft die Arbeitslosen, sie sind selber schuld Von Seiten der Bundesregierung wird die Mittelkürzung als Maßnahme zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit dargestellt. Zur Überwindung der Arbeitslosigkeit müssten stärkere Anreize zur Aufnahme von Beschäftigung gesetzt werden. Ursächlich für die Misere auf dem Arbeitsmarkt seien die mangelnden Bemühungen der Arbeitslosen und das hohe Leistungsniveau. Das entgeltorientierte System der Lohnersatzleistung, die bis zum 65. Lebensjahr erbracht wird und auch noch mit dem Aufbau von Rentenanwartschaften verbunden ist, wirke geradezu motivationshemmend in Bezug auf die Eigeninitiative zur Rückkehr in das Arbeitsleben. Dadurch werde die Bereitschaft zur "kalkulierten Arbeitslosigkeit" und die Frühverrentungspraxis, also die Umwandlung von Arbeitslosengeld und -hilfe in eine der Rente wegen Alters vorgelagerte funktionswidrige Vorruhestandsleistung, gefördert. Diese gängige Position ist in ihrer Analyse schlicht falsch und dient als Rechtfertigung zur Diskriminierung der Erwerbslosen. Die tatsächlichen Ursachen der Arbeitslosigkeit sind in jedem Falle vielschichtiger und differenzierter. In bestimmten Segmenten des Arbeitsmarktes wie beispielsweise in der industriellen Produktion wurden aufgrund des technischen Fortschritts Arbeitsplätze wegrationalisiert. Auch sind im Zuge der Produktionsverlagerung in Länder mit billigeren Lohnkosten Arbeitsplätze in der BRD abgebaut worden. Zudem zeichnet sich der Trend einer Konzentration von Arbeit ab. Diejenigen die Arbeit haben müssen immer mehr machen. Ihnen steht eine wachsende Gruppe von Arbeitslosen gegenüber. Leistungskürzungen bewirken im Hinblick auf diese Ursachen überhaupt keine Steuerungswirkung zum Abbau der Arbeitslosigkeit. Sie erhöhen lediglich den Druck auf Erwerbslose mit noch weniger Geld auszukommen und jede Arbeit zu jeden Bedingungen anzunehmen. Der Mythos von den leeren Kassen Als weiteres Argument für die Streichung der Arbeitslosenhilfe wird der
öffentliche Geldmangel ins Feld geführt. In Zeiten des Mangels, so der
allgemeine Tenor, müssen alle den Gürtel enger schnallen - auch die Erwerbslosen.
Auf die berechtigte Anregung linker KritikerInnen, dass es auch andere
Möglichkeiten gebe Geld aufzutreiben, um nicht bei denen, die ohnehin
nichts haben, zu sparen, folgt der Aufschrei auf dem Fuße: solche Vorschläge
werden polemisch als unsoziales Ansinnen von BesitzstandswahrerInnen und
SozialschmarotzerInnen abgekanzelt. Eine inhaltliche Auseinandersetzung
mit der Kritik findet nicht statt, obwohl sie die einzige Möglichkeit
darstellt, der Sparlogik zu entkommen. Notwendigkeit einer fairen Reformdiskussion Der Status Quo der Arbeitslosenversicherung ist zwar besser als das was
die Bundesregierung mit der Agenda 2010 umzusetzen gedenkt. Gleichwohl
werden auf Grundlage der aktuellen Rechtslage bestimmte Personengruppen
erheblich benachteiligt. Eine Reform der sozialen Sicherungssysteme, die
im Fall von Arbeitslosigkeit eingreifen, ist daher notwendig. Eine solche
Erörterung ist vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte nicht ganz unproblematisch,
daher sei hier ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die aufzuzeigenden
Ungerechtigkeiten weder im Sinne eines Plädoyers für die Angleichung der
Sozialleistungen nach Unten missverstanden werden sollen, noch als ein
Ausspielen der Gruppe der Arbeitslosen gegen die Gruppe der SozialhilfeempfängerInnen.
Es ist nicht einfach eine faire Diskussion darüber zu führen, wie staatliche
Unterstützungsleistungen gerecht verteilt werden sollen, dennoch ist sie
notwendig. Das Arbeitslosengeld gehört zu den Leistungen des Arbeitsförderungsrechts
des Sozialgesetzbuchs III (SGB III). Es wird ausschließlich Menschen gewährt,
die Beiträge in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben. Sie erhalten
im Fall der Arbeitslosigkeit zeitlich befristet 60 %, wenn sie Kinder
haben 67 % ihres bisherigen Nettogehalts.5 Die Leistung ist dabei unabhängig
von den individuellen Verhältnissen. Das Arbeitslosengeld wird paritätisch
durch Beiträge der ArbeitnehmerInnen und der ArbeitgeberInnen finanziert. Ein Vergleich von Arbeitslosen- und Sozialhilfe Ein Vergleich der Leistungsniveaus von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe
macht die Unterschiede deutlich. Die Arbeitslosenhilfe umfasst 53 % bzw.
57 % des früheren Nettoverdienstes, während die Sozialhilfe nur den notwendigen
Lebensunterhalt deckt. Die Beschränkung der Sozialhilfe auf das Existenzminimum
hat zur Folge, dass Leistungen der Arbeitslosenhilfe wesentlich höher
sein können, als die der Sozialhilfe. Dies richtet sich nach dem früheren
Verdienst. Auch die Anforderungen an eine Arbeitsaufnahme werden im Rahmen der Arbeitslosenhilfe
großzügiger und differenzierter beurteilt als bei der Sozialhilfe. Gerade
die Vorbeschäftigung und das daraus erzielte Gehalt können dazu führen,
dass einem Arbeitslosen eine Beschäftigung nicht zumutbar ist, wenn nämlich
das zu erzielende Gehalt erheblich niedriger ist als das frühere Gehalt.
Im Gegensatz dazu gibt es nur wenige Ausnahmen, die im Rahmen des Bundessozialhilfegesetzes
dazu führen, dass eine Tätigkeit unzumutbar ist. Insbesondere stellen
die frühere Tätigkeit oder die Ausbildung keinen Ausnahmegrund für die
Aufnahme einer Beschäftigung dar. Benachteiligte Gruppen Angesichts der erheblichen Vorteile der Arbeitslosenhilfe gegenüber der
Sozialhilfe, ist es von zentraler Bedeutung, dass die Kriterien, die für
die Zuordnung der Erwerbslosen zum jeweiligen Sicherungssystem maßgeblich
sind, zu gerechten Ergebnissen führen. Ca. 15 % der ArbeitslosenhilfebezieherInnen sind zusätzlich auf Sozialhilfe
angewiesen, denn wenn der / die ArbeitslosenhilfebezieherIn unter das
Existenzminimum rutscht, so wird nicht nur die Leistungshöhe nach Sozialhilferecht
beurteilt, sondern auch das zu verschonende Einkommen und Vermögen sowie
die familiären Unterhaltspflichten und die Anforderungen an die Aufnahme
von Beschäftigungen. Ursächlich für die zusätzliche Inanspruchnahme von
Sozialhilfe ist grundsätzlich das Prinzip der Verdienstbezogenheit. Die
Berechnung der Arbeitslosenhilfe basiert auf dem früheren Verdienst als
Bemessungsgrundlage. Historischer Exkurs Ein historischer Exkurs vermag zum Teil die beschriebenen Benachteiligungen zu erklären. Nach der ursprünglichen Konzeption des Arbeitslosengeldes und der Arbeitslosenhilfe sollten allein diese Sicherungssysteme das Risiko der Arbeitslosigkeit im Sinne einer klassischen Sozialversicherung absichern. Sie waren beide als beitragsfinanzierte Sozialversicherung ausgestaltet. Sozialhilfe sollte nur in Ausnahmefällen und bei untypischen Notlagen in Anspruch genommen werden. In der jungen Bundesrepublik war dieses Modell auch plausibel. Denn es basierte auf zwei den damaligen Verhältnissen entsprechenden Prämissen: Zum einen, dass Vollbeschäftigung mit auf Lebenszeit angelegten Dauerarbeitsplätzen herrscht. Die zweite Prämisse war, dass stabile Ehen existieren und den wirtschaftlichen Rahmen der Kindererziehung bilden. Unter diesen Voraussetzungen konnte davon ausgegangen werden, dass jedeR nach der Ausbildung zu Arbeit oder Familie findet und hierdurch sozial abgesichert wird. Arbeitslosigkeit war unter diesen Rahmenbedingungen lediglich ein Übergangsproblem. Dauerte sie ausnahmsweise länger, konnte sie durch die Arbeitslosenhilfe überbrückt werden. Fragwürdige Privilegierung Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich verändert. Bei über
4 Mio. Arbeitslosen wird deutlich, dass Arbeitslosigkeit kein Übergangsproblem
mehr ist. Die hohe Arbeitslosigkeit führt aufgrund der erhöhten Zahl der
LeistungsbezieherInnen sowie der verlängerten Bezugsdauer zu Finanzierungsproblemen
der Arbeitslosenversicherung. Darauf reagierte die Politik mit Mittelkürzungen,
welche zur Konsequenz hatten, dass die Arbeitslosenversicherung nicht
mehr ausreichend Mittel zur Verfügung stellt, um zu verhindern, dass Arbeitslose
unter das Sozialhilfeniveau rutschen. Insofern ist das ursprüngliche Ziel
der Arbeitslosenversicherung - zu verhindern, dass Arbeitslose auf die
Fürsorge angewiesen sind - hinfällig. Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz Die unterschiedliche finanzielle Absicherung im Fall von Arbeitslosigkeit ist auch im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 I Grundgesetz (GG) problematisch. Zwar verfügt der Staat gerade bei der Sozialgestaltung aufgrund des Sozialstaatsprinzips über einen weitgehenden Gestaltungsspielraum, denn staatliche Leistungen führen regelmäßig zu einer Ungleichbehandlung Nichtbegünstigter. Gleichwohl drängt sich in diesem Fall ein Verstoß gegen das Prinzip der Verteilungsgerechtigkeit auf. Die gesetzgebende Gewalt ist verpflichtet, Sachverhalte in sich konsistent zu regeln. Die Kriterien für die Einstufung in Arbeitslosen- oder Sozialhilfe werden diesen Anforderungen nicht gerecht. Insbesondere das Zusammenspiel aus der Höhe des Einkommens in Verbindung mit den familiären Unterhaltsverpflichtungen, welche für das Absinken des Arbeitslosenhilfesatzes unter das Existenzminimum verantwortlich sind, haben eher den Anschein einer willkürlichen denn einer folgerichtigen von Sachkriterien geleiteten Zuordnung zu beiden Systemen. Durch die Abschaffung der Beitragsfinanziertheit der Arbeitslosenhilfe ist die maßgebliche Begründung für eine Privilegierung dieser Gruppe weg gefallen. Heute geht es um das gleiche Geld (Steuermittel), das bei gleichem Risiko (Arbeitslosigkeit) an gleichermaßen bedürftige Menschen verteilt wird. Die Zwei-Klassen-Unterstützung von Arbeitslosen in der derzeitigen Form verstößt gegen Art. 3 I GG. Zur Herstellung von Verteilungsgerechtigkeit ist ein Umbau der staatlichen Fürsorge geboten. Kein schöner Ausblick Die Zielrichtung der Agenda 2010 ist eindeutig: alle diejenigen, die im Verwertungsprozess nicht mehr gebraucht werden, zählen in unserer Gesellschaft nichts und sollen daher mit möglichst wenig Mitteln verwaltet werden. Die eigentliche und gerade in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit besonders krass zu Tage tretende Problematik, dass Lohnarbeit nicht zur Verteilung von gesellschaftlichem Reichtum taugt, wird verdrängt. Stattdessen wird unverdrossen mit so genannten Reformen die Spaltung der Gesellschaft in erwünschte und unerwünschte BürgerInnen und damit einhergehend in Reich und Arm vorangetrieben. Lena Dammann hat zum Glück das erste juristische Staatsexamen hinter sich und lebt in Hamburg. Anmerkungen: 1 Spiegel-online vom 08.08.2003, http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,260480,00.html.
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